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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Im neuen Band der Krimi-Reihe von Robert Galbraith, aka J. K. Rowling,
kämpft der Detektiv gegen eine düstere Sekte.
Diesmal benutzt Cormoran Strike tatsächlich eine Lupe. Als der Privatdetektiv bei den Ermittlungen zu seinem jüngsten Fall ein Tatortfoto genauer betrachten will, kommt ihm ein antikes Vergrößerungsglas gerade recht. Seine Partnerin, Freundin und Langzeit-Love-Interest Robin Ellacott bemerkt gleich das Offensichtliche: „Sherlock Holmes, nehme ich an?“
Doch was in einen Scherz verpackt wird, hat natürlich einen literarischen Hintergrund: Als Harry-Potter-Schöpferin J. K. Rowling vor einem Jahrzehnt begann, unter dem Pseudonym Robert Galbraith ihre Cormoran-Strike-Kriminalreihe zu schreiben, tat sie das offenkundig auch in der Absicht, die große britische Detektiv-Tradition fortzusetzen. Und obwohl der innerlich und äußerlich versehrte Kriegsveteran Strike außer seinem Wohnort – London – und seinem Beruf – Privatermittler – mit Sherlock Holmes nicht viel gemein hat, ist Rowling im Geiste durchaus eine würdige Nachfolgerin Arthur Conan Doyles. Wie oft auch bei Holmes gibt es diesmal vermeintlich übersinnliche Elemente, welche die bodenständigen Ermittler als Humbug und Mummenschanz entlarven müssen.
Nach dem letzten Fall, der in erster Linie aus Chat-Nachrichten bestand und in dem Rowling sich auch an dem permanenten Shitstorm abarbeitete, in dem sie sich seit ihren Äußerungen über Transpersonen befindet, wird es diesmal wieder analoger. Die meisten Strike-Romane nehmen sich einer bestimmten Subkultur an: „Der Ruf des Kuckucks“ spielte in der Modeszene, „Der Seidenspinner“ im Literaturbetrieb, „Weißer Tod“ in der politischen Welt von Westminster und „Das tiefschwarze Herz“ im Paralleluniversum der Comic-Zeichner und -Fans. In „Das strömende Grab“ tauchen Strike und Robin nun ab in die irdische Hölle einer Sekte.
Im Auftrag von Sir Colin Edensor, einem pensionierten Beamten, versuchen sie, dessen autistischen Sohn Will aus der Umklammerung der „Universal Humanitarian Church“, kurz UHC, zu befreien. Alle Versuche, ihn aus dem Hauptquartier der Sekte, einem Bauernhof in Norfolk, herauszuholen, waren bisher erfolglos. Will verweigert den Kontakt zu seinem Vater, er hat nicht einmal am Begräbnis seiner Mutter teilgenommen, und sein Treuhandfonds wird systematisch geplündert. Die UHC präsentiert sich in ihrem Londoner Tempel als gemeinnützige Organisation, die Hunger und Leid aus der Welt verbannen will. Ihr charismatischer Anführer „Papa J“ und seine Frau Mazu haben die Mitglieder bestens unter Kontrolle. Die ehemaligen Mitglieder, die Strike und Robin interviewen, sprechen von übernatürlichen Ereignissen, insbesondere von der Erscheinung der „Ertrunkenen Prophetin“, die als Astralerscheinung von Papa Js siebenjähriger Tochter Daiyu gilt, die 1995 beim Schwimmen ertrunken sein soll.
Robin infiltriert die UHC als angeblich reiche, richtungslose junge Frau. Sie taucht in eine Welt ab, in der die Mitglieder systematisch abgeschottet und bei wenig Nahrung zu harter Arbeit gezwungen werden. Wer krank wird, bekommt keine medizinische Hilfe. Frauen werden regelmäßig unter dem Vorwand „seelischer Vereinigung“ zu ungeschütztem Sex gezwungen und alle Mitglieder zu Komplizenschaft diverser Verbrechen gemacht.
Schon bald hat die böse Mazu Robin auf dem Kieker. Wie immer kommt es zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Wird Robin genügend Beweise sammeln können, um die Sekte ihrer Verbrechen überführen zu können? Wird Will zu seiner Familie zurückkehren? Und was geschah wirklich mit der kleinen Daiyu?
All dieser Grusel bildet das narrative Gegengewicht zur tastenden Liebesgeschichte, die sich seit mittlerweile sieben Bänden zwischen den beiden Protagonisten Cormoran Strike und Robin Ellacott entspinnt.
Die erotische Spannung zwischen den Kollegen und „besten Freunden“ hält ebenso unvermindert wie unerfüllt an: Robin hat nach ihrer Scheidung einen Freund, den Polizisten Ryan Murphy, mit dem die Beziehung allerdings zunehmend unangenehm wird. Strike tröstet sich derweil mit einer impulsgesteuerten „mannstollen Nervensäge“ namens Bijou, was zu erwartbaren Komplikationen führt. Seine fragile frühere Geliebte Charlotte stresst ihn ebenfalls emotional, in dem sie ihn mit einer (vermeintlichen?) Krebserkrankung wieder an sich zu binden versucht.
Trotz dieser verwirrenden Konstellation sind Strikes Gefühle für Robin mittlerweile klar, und Rowling fasst sie in Passagen zusammen, die nicht allzu weit von der Seifenoper entfernt sind: „Doch war es nun, wo er endlich bereit war, diesen Schritt zu wagen, zu spät? Von allen Frauen, die sich in seinen Gedanken drängten, vermochte nur Robin sein Herz zu erwärmen (…) Er hätte sich ein Herz fassen und ein klärendes Gespräch über ihre jeweiligen Gefühle füreinander wagen sollen, bevor Ryan Murphy gekommen war und ihm vor der Nase weggeschnappt hatte, was ihm in seiner Überheblichkeit als nicht mehr zu nehmen erschienen war.“
„Das strömende Grab“ ist sicher nicht der beste Strike-Roman. Dafür ist das Buch mit seinen fast 1300 Seiten einfach zu langatmig. Die Interviews, in denen die Detektive Beweise dafür sammeln, wie böse die UHC ist, hätten gerne rigoroser gekürzt werden können. Und der historische Hintergrund des Brexit-Referendums ist verschenkt. Doch für Fans von Rowlings immersivem Stil und ihren zwischen Romanze und Noir oszillierenden Storys bleibt dennoch mehr als genug Spannung übrig.
ALEXANDER MENDEN
Robert Galbraith: Das strömende Grab. Krimi. Aus dem Englischen von Wulf Bergner, Christoph Göhler, Kristof Kurz.
Blanvalet, München 2023. 1296 Seiten, 29,90 Euro.
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