Lynn Zapatek putzt im Hotel Eden, und sie putzt gründlich. Immer länger bleibt sie in den Zimmern, gebannt von allem, was sie dort sieht und findet: Zettel, Bücher, Kulturbeutel, Medikamente. Zunächst ist Lynn noch vorsichtig, dann wird sie immer dreister. Sie beschnuppert nicht nur die fremden Kleider, sie zieht sie auch an. An einem Dienstag hört Lynn den Schlüssel in der Tür und flüchtet unters Bett. Lynn verbringt dort die ganze Nacht - mit dem Gast über ihr. Von nun an liegt sie jeden Dienstag unter den Betten der Gäste und lauscht auf das, was über ihr geschieht. Den Menschen nah und zugleich fern: wie unsichtbar.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.08.2008Putziges Fräulein
In Klagenfurt, beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb, wo Markus Orths mit einem Ausschnitt aus diesem Roman den zweiten Preis gewann, hieß es schon, man werde künftig kein Hotelzimmer mehr ohne mulmiges Gefühl betreten, könnte doch das Zimmermädchen Lynn unterm Bett lungern und spionieren. Die Idee des schmalen Romans ist hinreichend bedrohlich, ihre konsequente erzählerische Durchführung beachtlich. Die Leere Lynns, die sich an fremden Leben labt, frisst sich subtil unter die Haut. Seine Hauptfigur beschreibt Orths als gerade noch lebenspraktisch, stattet sie aber doch mit pathologischen Zügen aus. Mit der Mutter pflegt Lynn bedrückend inhaltslose Telefonpflichtgespräche; ihren Therapeuten unterhält sie mit erfundenen Träumen. Lynn philosophiert gern über "Dinge". Kein Wunder, denn täglich berührt sie während ihrer durch den Beruf legitimierten, aber doch nahtlos ins Zwanghafte übergleitenden Putzanfälle sehr viele davon: "Die Dinge, sagt sie, haben ihren eigenen Charakter. Immer ist uns die Hälfte verborgen. Die Flasche Sprudel, der Bleistift, die Lampe, alles sehen wir nur halb, nur von vorn, von schräg vorn, von oben, aber nie komplett, nie ganz." Trotzdem - und gerade hier liegt der Reiz dieser Erzählung - erliegt der Autor nur selten der Versuchung, die Dinge, die er durch Lynn vergrößert, unnötig aufzuladen. Schließlich, unterm Bett Stellung beziehend, verbindet sich das Voyeuristische auf irritierende Weise mit Lynns Sehnsucht nach Stille. Hier ist der Text mehr als nur die Geschichte einer Sucht: ein feiner Widerspruch. (Markus Orths: "Das Zimmermädchen". Roman. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2008. 138 S., geb., 16,90 [Euro].) hir
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In Klagenfurt, beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb, wo Markus Orths mit einem Ausschnitt aus diesem Roman den zweiten Preis gewann, hieß es schon, man werde künftig kein Hotelzimmer mehr ohne mulmiges Gefühl betreten, könnte doch das Zimmermädchen Lynn unterm Bett lungern und spionieren. Die Idee des schmalen Romans ist hinreichend bedrohlich, ihre konsequente erzählerische Durchführung beachtlich. Die Leere Lynns, die sich an fremden Leben labt, frisst sich subtil unter die Haut. Seine Hauptfigur beschreibt Orths als gerade noch lebenspraktisch, stattet sie aber doch mit pathologischen Zügen aus. Mit der Mutter pflegt Lynn bedrückend inhaltslose Telefonpflichtgespräche; ihren Therapeuten unterhält sie mit erfundenen Träumen. Lynn philosophiert gern über "Dinge". Kein Wunder, denn täglich berührt sie während ihrer durch den Beruf legitimierten, aber doch nahtlos ins Zwanghafte übergleitenden Putzanfälle sehr viele davon: "Die Dinge, sagt sie, haben ihren eigenen Charakter. Immer ist uns die Hälfte verborgen. Die Flasche Sprudel, der Bleistift, die Lampe, alles sehen wir nur halb, nur von vorn, von schräg vorn, von oben, aber nie komplett, nie ganz." Trotzdem - und gerade hier liegt der Reiz dieser Erzählung - erliegt der Autor nur selten der Versuchung, die Dinge, die er durch Lynn vergrößert, unnötig aufzuladen. Schließlich, unterm Bett Stellung beziehend, verbindet sich das Voyeuristische auf irritierende Weise mit Lynns Sehnsucht nach Stille. Hier ist der Text mehr als nur die Geschichte einer Sucht: ein feiner Widerspruch. (Markus Orths: "Das Zimmermädchen". Roman. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2008. 138 S., geb., 16,90 [Euro].) hir
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Das ist ja mal eine originelle Hauptfigur, eine Putzfrau mit Putzzwang, den sie aber einfach fröhlich akzeptiert und durch das Naheliegendste bewältigt: putzend. Andreas Wirthensohn ist von dieser Erfindung Orths' zunächst geradezu bezaubert und folgt dem jungen Autor, der beim Bachmann-Wettbewerb auffiel auch bei weiteren Eigentümlichkeiten seiner Hauptperson: Sie legt sich unter die Hotelbetten der Gäste, belauscht sie, aber ohne Voyeurismus, mehr um sich ein Bbild von der Welt zu machen. Bis dahin hätte es Wirthensohn gereicht - aber die Geschichte geht weiter, wird zum kleinen Roman gedehnt und hier scheint sich der Autor dann doch etwas zu verheddern. Weniger wäre mehr gewesen. Aber man merkt, dass Wirthensohn dem Autor mehr zutraut und hofft, dass weitere Versuche folgen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Das Zimmermädchen überzeugt als Spiegel unserer Ängste. Der Roman legt den Finger auf die Wunde der Dienstleistungsgesellschaft und zeigt, daß wir gesehen und gehört werden.« Meike Feßmann / Deutschlandradio Kultur»Die Idee des schmalen Buches ist bedrohlich, ihre konsequente erzählerische Durchführung beachtlich.« Frankfurter Allgemeine Zeitung»Vergessen wird man die urkomische und todtraurige Geschichte nicht. Man wird an Das Zimmermädchen denken, bei der nächsten Buchung eines Vier- oder Fünf-Sterne-Hotels.« Hajo Steinert / Die Welt»In der Tat ist bewundernswert, mit welcher Beiläufigkeit Orths es schafft, Lynns suchtartiges Verlangen nach Nähe zu fremdem Leben plausibel, ja notwendig erscheinen zu lassen.« die tageszeitung»Ein genialer erzählerischer Kunstgriff, es geht nicht nur um Voyeurismus, sondern auch um das Rätsel, das wir uns selbst sind.« Nicole Henneberg / Frankfurter Rundschau»Markus Orths trifft sehr genau die Stimmung zwischen Sexualität und Verklemmtheit, zwischen Voyeurismus und Verlangen.« NDR Kulturjournal