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Das ist die Rache der Matrosen: Dave Sheltons Zyklus von Geistergeschichten erfreut als Variation.
Von Tilman Spreckelsen
Natürlich kann Jack nicht wissen, was ihn hinter der Tür erwartet. Dass es zwölf seltsame Personen sind, Männer, Frauen und Kinder, die da um einen Holztisch sitzen, jeder mit einer trüb flackernden Kerze vor der Nase - wie hätte er darauf kommen sollen? Aber dass er dies oder Schlimmeres, natürlich auch Besseres, in Kauf nehmen würde, nur um zu sehen, was die Tür verbirgt, ist rasch klar. Dem neugierigen Kind war es unmöglich, noch einmal umzukehren, das einsame Haus einfach wieder zu verlassen, als es den Lichtschein sah, der unter der Tür auf den Gang sickerte.
Dave Shelton, dessen vergnügt rätselhafter Roman "Bär im Boot" 2013 auch auf Deutsch erschienen ist, hat die Eröffnungsszene für sein aktuelles Buch "Der 13. Stuhl" gut gewählt: Der Junge, der auf der Schwelle noch ausharrt, bevor er seiner Neugier folgt, in die sich eine gehörige Portion Angstlust mischt, wird im Grunde den gesamten Roman über auf einer Art Schwelle stehen. Denn die Gesellschaft, in die er da geraten ist und die ihn anstandslos aufnimmt, ihm einen Stuhl und eine Kerze anweist, besteht aus lauter Toten, die rasch noch, bevor jeder von ihnen demonstrativ und schwer symbolisch die jeweils eigene Kerze ausbläst, eine Geschichte erzählen.
Eine Geistergeschichte, wie es sich gehört, und Jack, der das Spiel zunehmend durchschaut, hört sich all das interessiert an: wie der Taschendieb an ein Opfer gerät, das seinerseits lange Finger macht, oder die Geschichte vom Spukhaus, in dem es zwar in einem einzigen Zimmer nicht spukt, dort aber trotzdem besonders gruselig zugeht, oder die von den Seeleuten, die sich kollektiv und seltsam miteinander verbunden an jenem einen Kameraden rächen, der sie dem Meer und den Haien preisgegeben hat.
Natürlich kennt man derlei Geschichtenzyklen, und hält man sich vor Augen, was zuletzt etwa der britische Autor Chris Priestley in diesem Genre geleistet hat, dann liegt die Latte hoch; die Herausforderung ist jeweils, die Binnengeschichten mit dem Rahmen überraschend zu verknüpfen, ohne zu früh verraten, worin genau dieser Zusammenhang besteht. Und natürlich dürfen die einzelnen Geistererzählungen keine Konfektionsware sein.
Beide Klippen umschifft Shelton bravourös, so wie er beherzigt, dass es auf dem Feld der Spukerzählung nicht um das Erfinden nie gehörter Konstellationen geht, sondern um das überraschende Variieren und um das Spiel mit den Erwartungen. Vor allem aber nimmt er in der letzten Geschichte die Anfangsszene noch einmal aufs Schönste auf und schickt einen Epilog hinterher, der sie neuerlich spiegelt. Die Geschichte, so kann man sich das deuten, geht weiter, so lange es Kinder und Türen gibt, unter denen ein Lichtschein nach außen dringt. Und Autoren, die daraus ihre Funken schlagen.
Dave Shelton: "Der 13. Stuhl".
Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Verlag Königskinder, Hamburg 2016. 304 S., geb., 17,99 [Euro]. Ab 12 J.
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