Sie erwarten ihn schon. In einem verlassenen Haus, in einem großen, leeren Zimmer stehen 13 Stühle. Nur einer ist noch nicht besetzt. 12 merkwürdige Gestalten warten dort, jeder vor einer brennenden Kerze. Sie streiten, sie lachen und dann erzählen sie, einer nach dem anderen, ihre Geschichte: von Tod und Verderben, von Mord und Rache. Bis nur noch Jack übrig ist, nur noch eine Kerze, allein im Dunkeln. Und er endlich begreift, welche Geschichte er erzählen muss ...
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buecher-magazin.de"Jack war ein neugieriger Junge." Der Unterton, mit dem Stephan Schad das sagt, verspricht viel, aber nichts Gutes. In einem verlassenen Haus in einem leeren Zimmer sitzen zwölf Fremde. Sie haben schon auf Jack gewartet. Vor jedem von ihnen steht eine brennende Kerze. Jack setzt sich zu ihnen. Im Laufe des Abends erzählt jeder von ihnen eine Geschichte. Es sind Geschichten von Toten, die ihre Mörder ins Grab ziehen, von Kindern, die auf der anderen Seite der Wasseroberfläche ihre ertrunkenen Brüder wiederfinden, von blutigen Bäumen, Text an den Wänden, Einsamkeit und Wahnsinn. Nicht alle sind trostlos, manche sind komisch, anderen wohnt Hoffnung inne. Svenja Pages etwa porträtiert munter und aufgedreht Josephine Trent, die von Tante Helenas Katzen erzählt. Oder Jürgen Uter, seine Stimme knorrig und sonor, schildert als Mister Randolph seine Erlebnisse auf einer Forschungsstation in der Antarktis. Wer seine Geschichte erzählt hat, bläst seine Kerze aus, ab und zu schockiert den gespannt lauschenden Hörer ein Glockenschlag. Zum Schluss ist nur noch Jack da, allein im Dunkeln. Und die Kehle wird ihm eng, denn langsam begreift er, welche Geschichte er erzählen muss.
© BÜCHERmagazin, Elisabeth Dietz (ed)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2016Auf der Schwelle
Das ist die Rache der Matrosen: Dave Sheltons Zyklus von Geistergeschichten erfreut als Variation.
Von Tilman Spreckelsen
Natürlich kann Jack nicht wissen, was ihn hinter der Tür erwartet. Dass es zwölf seltsame Personen sind, Männer, Frauen und Kinder, die da um einen Holztisch sitzen, jeder mit einer trüb flackernden Kerze vor der Nase - wie hätte er darauf kommen sollen? Aber dass er dies oder Schlimmeres, natürlich auch Besseres, in Kauf nehmen würde, nur um zu sehen, was die Tür verbirgt, ist rasch klar. Dem neugierigen Kind war es unmöglich, noch einmal umzukehren, das einsame Haus einfach wieder zu verlassen, als es den Lichtschein sah, der unter der Tür auf den Gang sickerte.
Dave Shelton, dessen vergnügt rätselhafter Roman "Bär im Boot" 2013 auch auf Deutsch erschienen ist, hat die Eröffnungsszene für sein aktuelles Buch "Der 13. Stuhl" gut gewählt: Der Junge, der auf der Schwelle noch ausharrt, bevor er seiner Neugier folgt, in die sich eine gehörige Portion Angstlust mischt, wird im Grunde den gesamten Roman über auf einer Art Schwelle stehen. Denn die Gesellschaft, in die er da geraten ist und die ihn anstandslos aufnimmt, ihm einen Stuhl und eine Kerze anweist, besteht aus lauter Toten, die rasch noch, bevor jeder von ihnen demonstrativ und schwer symbolisch die jeweils eigene Kerze ausbläst, eine Geschichte erzählen.
Eine Geistergeschichte, wie es sich gehört, und Jack, der das Spiel zunehmend durchschaut, hört sich all das interessiert an: wie der Taschendieb an ein Opfer gerät, das seinerseits lange Finger macht, oder die Geschichte vom Spukhaus, in dem es zwar in einem einzigen Zimmer nicht spukt, dort aber trotzdem besonders gruselig zugeht, oder die von den Seeleuten, die sich kollektiv und seltsam miteinander verbunden an jenem einen Kameraden rächen, der sie dem Meer und den Haien preisgegeben hat.
Natürlich kennt man derlei Geschichtenzyklen, und hält man sich vor Augen, was zuletzt etwa der britische Autor Chris Priestley in diesem Genre geleistet hat, dann liegt die Latte hoch; die Herausforderung ist jeweils, die Binnengeschichten mit dem Rahmen überraschend zu verknüpfen, ohne zu früh verraten, worin genau dieser Zusammenhang besteht. Und natürlich dürfen die einzelnen Geistererzählungen keine Konfektionsware sein.
Beide Klippen umschifft Shelton bravourös, so wie er beherzigt, dass es auf dem Feld der Spukerzählung nicht um das Erfinden nie gehörter Konstellationen geht, sondern um das überraschende Variieren und um das Spiel mit den Erwartungen. Vor allem aber nimmt er in der letzten Geschichte die Anfangsszene noch einmal aufs Schönste auf und schickt einen Epilog hinterher, der sie neuerlich spiegelt. Die Geschichte, so kann man sich das deuten, geht weiter, so lange es Kinder und Türen gibt, unter denen ein Lichtschein nach außen dringt. Und Autoren, die daraus ihre Funken schlagen.
Dave Shelton: "Der 13. Stuhl".
Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Verlag Königskinder, Hamburg 2016. 304 S., geb., 17,99 [Euro]. Ab 12 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das ist die Rache der Matrosen: Dave Sheltons Zyklus von Geistergeschichten erfreut als Variation.
Von Tilman Spreckelsen
Natürlich kann Jack nicht wissen, was ihn hinter der Tür erwartet. Dass es zwölf seltsame Personen sind, Männer, Frauen und Kinder, die da um einen Holztisch sitzen, jeder mit einer trüb flackernden Kerze vor der Nase - wie hätte er darauf kommen sollen? Aber dass er dies oder Schlimmeres, natürlich auch Besseres, in Kauf nehmen würde, nur um zu sehen, was die Tür verbirgt, ist rasch klar. Dem neugierigen Kind war es unmöglich, noch einmal umzukehren, das einsame Haus einfach wieder zu verlassen, als es den Lichtschein sah, der unter der Tür auf den Gang sickerte.
Dave Shelton, dessen vergnügt rätselhafter Roman "Bär im Boot" 2013 auch auf Deutsch erschienen ist, hat die Eröffnungsszene für sein aktuelles Buch "Der 13. Stuhl" gut gewählt: Der Junge, der auf der Schwelle noch ausharrt, bevor er seiner Neugier folgt, in die sich eine gehörige Portion Angstlust mischt, wird im Grunde den gesamten Roman über auf einer Art Schwelle stehen. Denn die Gesellschaft, in die er da geraten ist und die ihn anstandslos aufnimmt, ihm einen Stuhl und eine Kerze anweist, besteht aus lauter Toten, die rasch noch, bevor jeder von ihnen demonstrativ und schwer symbolisch die jeweils eigene Kerze ausbläst, eine Geschichte erzählen.
Eine Geistergeschichte, wie es sich gehört, und Jack, der das Spiel zunehmend durchschaut, hört sich all das interessiert an: wie der Taschendieb an ein Opfer gerät, das seinerseits lange Finger macht, oder die Geschichte vom Spukhaus, in dem es zwar in einem einzigen Zimmer nicht spukt, dort aber trotzdem besonders gruselig zugeht, oder die von den Seeleuten, die sich kollektiv und seltsam miteinander verbunden an jenem einen Kameraden rächen, der sie dem Meer und den Haien preisgegeben hat.
Natürlich kennt man derlei Geschichtenzyklen, und hält man sich vor Augen, was zuletzt etwa der britische Autor Chris Priestley in diesem Genre geleistet hat, dann liegt die Latte hoch; die Herausforderung ist jeweils, die Binnengeschichten mit dem Rahmen überraschend zu verknüpfen, ohne zu früh verraten, worin genau dieser Zusammenhang besteht. Und natürlich dürfen die einzelnen Geistererzählungen keine Konfektionsware sein.
Beide Klippen umschifft Shelton bravourös, so wie er beherzigt, dass es auf dem Feld der Spukerzählung nicht um das Erfinden nie gehörter Konstellationen geht, sondern um das überraschende Variieren und um das Spiel mit den Erwartungen. Vor allem aber nimmt er in der letzten Geschichte die Anfangsszene noch einmal aufs Schönste auf und schickt einen Epilog hinterher, der sie neuerlich spiegelt. Die Geschichte, so kann man sich das deuten, geht weiter, so lange es Kinder und Türen gibt, unter denen ein Lichtschein nach außen dringt. Und Autoren, die daraus ihre Funken schlagen.
Dave Shelton: "Der 13. Stuhl".
Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Verlag Königskinder, Hamburg 2016. 304 S., geb., 17,99 [Euro]. Ab 12 J.
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