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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Moritz Rinkes neuer Roman erzählt von einem Postboten auf Lanzarote und den Geistern der Vergangenheit
Globalisierung und Digitalisierung erzählen neben Erfolgs- auch immer wieder Abstiegsgeschichten: von Arbeitsplatzverlusten und Standortverlagerungen. Der Roman "Der längste Tag im Leben von Pedro Fernández García" von Moritz Rinke kann auch als eine solche gelesen werden. Der titelgebende Protagonist ist Postbote auf Lanzarote, das sinkende Briefaufkommen hat dazu geführt, dass Pedros Beruf immer bedeutungsloser wird. Der Arbeitsnachweis für das Ministerium ist seine Tankabrechnung, also fährt Pedro mit seiner Dienst-Honda Tag für Tag ans nördlichste Ende der Insel, um dort einen Café con leche zu trinken. Während er sich mit dem Abstellgleis zufriedengibt, drängt seine Frau Carlota ihn, einen neuen Beruf zu suchen. Der tief verwurzelte Konflikt zwischen den beiden führt schließlich dazu, dass Carlota ihn mit dem gemeinsamen Sohn Miguel verlässt, um in Barcelona ein modernes Leben zu führen.
Nach der Trennung von Frau und Sohn entkoppelt sich Pedro völlig von der Gegenwart. Seine Verzweiflung kompensiert er mit einer Flucht in die Vergangenheit; durch den ganzen Roman hinweg wird so neben Pedros Geschichte auch die seines Vaters und Großvaters sowie die von Spanien und Lanzarote erzählt. Pedros Erinnern ist dabei oft an räumliche Auslöser geknüpft, seine Postrouten und bestimmte Straßen, wie die, die "für den Besuch von General Franco gebaut worden" war, sind es, die ihn abschweifen lassen. Die passende Metapher für dieses Erzählverfahren, dass die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart omnipräsent macht, liefert Pedro gleich selbst mit: "Er starrte eine Weile auf die Lichter seiner Kindheit in der Ferne, und die Bilder von damals stiegen wie Geister vor ihm auf."
Diese Bilder von damals kreisen hauptsächlich um Vater und Großvater: Letzterer war nach dem Zweiten Weltkrieg der erste Postbote auf Lanzarote gewesen, sein Wohnhaus das Postamt. Pedros Vater und dann auch Pedro selbst haben Beruf und Haus übernommen, zusammen mit dem wohl wichtigsten Familienerbstück, einem Schreibtisch - "ein Geschenk vom Sultan, dessen elektrische Anlagen der Großvater im Palast gewartet hatte". Doch Pedro stößt auf ein Messingschild unter der Tischplatte, eine Widmung für Johannes Bernhardt von Hermann Göring: "Viva la Unternehmen Feuerzauber! Heil Hitler". Damit tun sich für Pedro die Abgründe der eigenen Familiengeschichte auf: "Wieso war der Sultantisch nicht mehr aus marokkanischem Thujaholz - wie es in seiner Kindheit immer geheißen hatte -, sondern plötzlich aus deutscher Eiche?"
Der alte Schreibtisch wird zum Symbol für die Vergangenheit, die Pedro nicht loslässt, auch dann nicht, wenn er beginnt, sie zu verstehen. Die Verwobenheit von Familien- und Zeitgeschichte spiegelt sich in dem Möbel wider; als Pedro schließlich mit einer Axt auf den Tisch losgeht, um mit der Vergangenheit abzuschließen, gelingt ihm die Zerstörung nicht. Es sind große Symbole wie dieses, die den Roman durchziehen, und auch wenn sie selten sind, machen sie die Stärke von Rinkes Erzählen aus, ebenso wie die schlichte, aber pointierte Metaphorik, die der Autor seinen Figuren in den Mund legt. Diese Sprache passt zu ihnen und ihrer Entwicklung: Während Pedro anfangs noch etwas wortkarg und gefühlskalt ist, als fühlte er sich unwohl dabei, die Hauptfigur des Romans zu sein, wird seine Sprache im Laufe der Handlung bildhafter. Wenn er im Radio-Jahresrückblick hört, "dass in der Antarktis eine Eisplatte von der Größe Madrids infolge der Erderwärmung abgebrochen war", so lautet sein eigener Jahresrückblick kurz darauf, dass "eine riesige Fläche von der Größe Madrids aus dem eigenen Leben herausbrach".
Schließlich ist es die Begegnung mit Amado, einem Wissenschaftler für spanische Literatur, die Pedros Denken noch bildhafter macht und die dazu führt, dass er seinen Schmerz um den Verlust des Sohnes verarbeiten kann. Amado ist auf der Flucht aus Äquatorialguinea und taucht eines Tages einfach in Pedros Haus auf. Zwischen den beiden und Pedros altem Schulfreund Tenaro, einem arbeitslosen Fischer, entsteht eine tiefe Verbindung durch die gemeinsame Begeisterung für Fußball und die scheinbare Ausweglosigkeit ihrer Situationen: "Der eine ohne Sohn, völlig am Ende. Der andere ohne Job, ohne Fische, ohne das Meer, nur mit einem Joint. Und der dritte ohne Papiere, nur mit irgendwelchen Gedichten."
Die Erkenntnis, dass auch ihre Vaterlosigkeit ein verbindendes und für alle drei Männer belastendes Element ist, bringt Pedro schließlich dazu, für ein gemeinsames Leben mit seinem Sohn Miguel zu kämpfen. Und so begibt er sich mit Unterstützung seiner beiden Freunde auf ein Abenteuer zwischen Lanzarote und Barcelona, zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Und Moritz Rinke schafft es, den Leser auf dieses Abenteuer mitzunehmen. EMILIA KRÖGER
Moritz Rinke: "Der längste Tag im Leben von Pedro Fernández García". Roman.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 448 S., geb., 24,- Euro.
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