Adrian Weynfeldt, Mitte fünfzig, Junggeselle, großbürgerlicher Herkunft, Kunstexperte bei einem internationalen Auktionshaus, lebt in einer riesigen Wohnung im Stadtzentrum. Mit der Liebe hat er abgeschlossen. Bis ihn eines Abends eine jüngere Frau dazu bringt, sie entgegen seinen Gepflogenheiten mit nach Hause zu nehmen. Am nächsten Morgen steht sie außerhalb der Balkonbrüstung und droht zu springen. Adrian vermag sie davon abzuhalten, doch von nun an macht sie ihn für ihr Leben verantwortlich. Immer wieder nötigt sie ihn, sie aus ihren Schwierigkeiten zu befreien. Weynfeldts geregeltes Leben gerät aus den Fugen bis er schließlich merkt, dass nichts ist, wie es scheint.
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»Martin Suter gilt als Meister einer eleganten Feder, die so fein geschliffen ist, dass man die Stiche oft erst hinterher spürt.« Monika Willer / Westfalenpost Westfalenpost
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.03.2008Nackte Frau vor glühendem Salamander
Mit enthüllend-verhüllendem Kalkül: In Martin Suters Roman „Der letzte Weynfeldt” geht es um halbwahre Liebe, gefälschte Malerei und einen verwirrten Kunstexperten
Den „Letzten Weynfeldt” muss man lesen. Das ist weniger eine Empfehlung als ein Geständnis. Es ist ja nicht so, dass Martin Suters neuester Wurf auf drängende Fragen unserer Zeit eine Antwort bereit hielte, oder dass er unsere Wahrnehmung der Welt erschüttern wollte (oder vielleicht doch?). Nein, mit dem Lesenmüssen des jüngsten Suter-Werks verhält es sich viel schlichter, oder soll man sagen, physiologischer: Man wird, wenn man einmal zu lesen angefangen hat, damit höchstwahrscheinlich nicht wieder aufhören, bis man am Ende angekommen ist. Man wird in der Zwischenzeit womöglich die Nahrungsaufnahme einstellen, Kurzmitteilungen unbeantwortet lassen und den rechten Zeitpunkt zum Ausstieg aus der Straßenbahn versäumen.
Ob man den Zustand begrüßt oder nicht, man ist als Leser in Suters Hand, und das heißt in der Hand eines gewieften Magiers (und ehemaligen Werbetexters), der das Spiel mit Illusionen so virtuos betreibt wie wenige andere Gegenwartsautoren. Hierzulande gilt Suter eher als Unterhaltungsautor. Wer so unverschämt unterhaltsam schreibt und damit auch noch so unverschämt viel Erfolg hat, darf auf kritische Ehrerbietung im Regelfall nicht rechnen.
Natürlich ist „Der letzte Weynfeldt” ein Stück Schema-Literatur, ein konstruiertes, ein konventionelles und, im Guten wie im Schlechten, routiniertes Buch. Zu Suters Routinen gehört die Fähigkeit, eine glatt polierte und verlockend glänzende Welt erstehen zu lassen, in die dann, wie nicht anders zu erwarten, der Blitz der Irritation fährt. Auf Adrian Weynfeldts Balkon steht plötzlich eine junge Frau und droht damit, sich in die Tiefe zu stürzen. Das ist, legt man Weynfeldts soziale Stellung und Lebenswandel zugrunde, ein eher unwahrscheinliches Vorkommnis. Denn Suters Hauptfigur ist, bis an die Grenze des Satirischen, eine Verkörperung von Ordnung, Regelmäßigkeit und Altzürcher Patriziertum.
Im Beruflichen allerdings hat Weynfeldt es bisweilen mit dem schönen Schein zu tun. Als Experte des Auktionshauses „Murphy`s” für schweizerische Malerei sieht er sich unversehens zwei Exemplaren von Felix Vallottons berühmtem Gemälde „Femme nue devant une salamandre” gegenüber, wovon nur eines das Original sein kann. Offenkundig will ihn jemand, den er für seinen Freund hielt, hinters Licht führen: Weynfeldt soll die Kopie für viel Geld versteigern, weil der Freund sich so ungern vom Original trennt. Solche Unkorrektheiten sind nicht gerade Weynfeldts Stil, aber sein Stil ist seit jenem Vorkommnis auf dem Balkon ohnehin nicht mehr ganz derselbe. Weynfeldt hat sich zur eigenen Überraschung und gegen alle sonstige Vernunft verliebt, in Lorena, das Wesen vom Balkon, eine nicht ganz unriskante Wahl, wie sich umgehend heraus stellt.
Mit der Liebe und der schönen Kunst bringt Suter gleich zwei Medien der Täuschung und des Scheins ins Spiel, die er so miteinander verflicht, das man sich zwischendurch um Weynfeldt, den letzten Gentleman, ernstlich sorgen muss. Nicht nur hat ihm die fatale Lorena den Kopf verdreht, sie hat auch ganz ernsthafte kriminelle Absichten, und mit ihr ein ganze Corona von Ganoven, Fälschern und Künstler-Darstellern, die Weynfeldt um sein Vermögen und seinen guten Ruf zu bringen trachten. Denn was liegt näher, als Weynfeldts Frühlingsgefühle gewinnbringend auszuwerten? Lorena soll der Lockvogel sein, der den liebesverwirrten Weynfeldt so weit bringt, sein Berufsethos über Bord zu werfen.
Aber dann kommt alles doch ganz anders, weil die Liebe sich im einen Fall zwar als destabilisierende, im anderen hingegegen als durchaus charakterfestigende Macht erweist und also inmitten des ganzen Schwindels ein unerwartetes Gewissheits-Moment auftaucht, das die trickreich eingefädelten Intrigen zunichte macht.
So ganz sicher indes darf man sich, bei Suter und überhaupt, des Triumphs der Liebe nie sein. Der Roman bleibt, auch wenn uns ein Happy End vorgespiegelt wird, so intrikat und delikat wie Vallottons Gemälde: „Das Bild zeigte eine nackte Frau, die auf einem gelben Kelim vor einem Kamin kniete. Darin stand ein Salamander, ein gusseiserner Ofen mit verglaster Front, in dem ein Feuer glühte. Die Frau hatte dem Betrachter den Rücken zugewandt. Die letzte Hülle, die sie hatte fallen lassen, ein leichtes lila Unterkleid, lag um sie herum drapiert auf dem Teppich.” Das Raffinement seiner Komposition scheint darin zu liegen, dass sie alles in der Schwebe hält, dass sie verhüllt, während sie enthüllt.. Aus einem ähnlich enthüllend-verhüllenden Kalkül heraus scheint Suters Roman geschrieben. Dass er dabei „glänzend” unterhält, ist nicht seine geringste Leistung.
CHRISTOPH BARTMANN
Martin Suter
Der letzte Weynfeldt
Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2008. 315 S., 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Mit enthüllend-verhüllendem Kalkül: In Martin Suters Roman „Der letzte Weynfeldt” geht es um halbwahre Liebe, gefälschte Malerei und einen verwirrten Kunstexperten
Den „Letzten Weynfeldt” muss man lesen. Das ist weniger eine Empfehlung als ein Geständnis. Es ist ja nicht so, dass Martin Suters neuester Wurf auf drängende Fragen unserer Zeit eine Antwort bereit hielte, oder dass er unsere Wahrnehmung der Welt erschüttern wollte (oder vielleicht doch?). Nein, mit dem Lesenmüssen des jüngsten Suter-Werks verhält es sich viel schlichter, oder soll man sagen, physiologischer: Man wird, wenn man einmal zu lesen angefangen hat, damit höchstwahrscheinlich nicht wieder aufhören, bis man am Ende angekommen ist. Man wird in der Zwischenzeit womöglich die Nahrungsaufnahme einstellen, Kurzmitteilungen unbeantwortet lassen und den rechten Zeitpunkt zum Ausstieg aus der Straßenbahn versäumen.
Ob man den Zustand begrüßt oder nicht, man ist als Leser in Suters Hand, und das heißt in der Hand eines gewieften Magiers (und ehemaligen Werbetexters), der das Spiel mit Illusionen so virtuos betreibt wie wenige andere Gegenwartsautoren. Hierzulande gilt Suter eher als Unterhaltungsautor. Wer so unverschämt unterhaltsam schreibt und damit auch noch so unverschämt viel Erfolg hat, darf auf kritische Ehrerbietung im Regelfall nicht rechnen.
Natürlich ist „Der letzte Weynfeldt” ein Stück Schema-Literatur, ein konstruiertes, ein konventionelles und, im Guten wie im Schlechten, routiniertes Buch. Zu Suters Routinen gehört die Fähigkeit, eine glatt polierte und verlockend glänzende Welt erstehen zu lassen, in die dann, wie nicht anders zu erwarten, der Blitz der Irritation fährt. Auf Adrian Weynfeldts Balkon steht plötzlich eine junge Frau und droht damit, sich in die Tiefe zu stürzen. Das ist, legt man Weynfeldts soziale Stellung und Lebenswandel zugrunde, ein eher unwahrscheinliches Vorkommnis. Denn Suters Hauptfigur ist, bis an die Grenze des Satirischen, eine Verkörperung von Ordnung, Regelmäßigkeit und Altzürcher Patriziertum.
Im Beruflichen allerdings hat Weynfeldt es bisweilen mit dem schönen Schein zu tun. Als Experte des Auktionshauses „Murphy`s” für schweizerische Malerei sieht er sich unversehens zwei Exemplaren von Felix Vallottons berühmtem Gemälde „Femme nue devant une salamandre” gegenüber, wovon nur eines das Original sein kann. Offenkundig will ihn jemand, den er für seinen Freund hielt, hinters Licht führen: Weynfeldt soll die Kopie für viel Geld versteigern, weil der Freund sich so ungern vom Original trennt. Solche Unkorrektheiten sind nicht gerade Weynfeldts Stil, aber sein Stil ist seit jenem Vorkommnis auf dem Balkon ohnehin nicht mehr ganz derselbe. Weynfeldt hat sich zur eigenen Überraschung und gegen alle sonstige Vernunft verliebt, in Lorena, das Wesen vom Balkon, eine nicht ganz unriskante Wahl, wie sich umgehend heraus stellt.
Mit der Liebe und der schönen Kunst bringt Suter gleich zwei Medien der Täuschung und des Scheins ins Spiel, die er so miteinander verflicht, das man sich zwischendurch um Weynfeldt, den letzten Gentleman, ernstlich sorgen muss. Nicht nur hat ihm die fatale Lorena den Kopf verdreht, sie hat auch ganz ernsthafte kriminelle Absichten, und mit ihr ein ganze Corona von Ganoven, Fälschern und Künstler-Darstellern, die Weynfeldt um sein Vermögen und seinen guten Ruf zu bringen trachten. Denn was liegt näher, als Weynfeldts Frühlingsgefühle gewinnbringend auszuwerten? Lorena soll der Lockvogel sein, der den liebesverwirrten Weynfeldt so weit bringt, sein Berufsethos über Bord zu werfen.
Aber dann kommt alles doch ganz anders, weil die Liebe sich im einen Fall zwar als destabilisierende, im anderen hingegegen als durchaus charakterfestigende Macht erweist und also inmitten des ganzen Schwindels ein unerwartetes Gewissheits-Moment auftaucht, das die trickreich eingefädelten Intrigen zunichte macht.
So ganz sicher indes darf man sich, bei Suter und überhaupt, des Triumphs der Liebe nie sein. Der Roman bleibt, auch wenn uns ein Happy End vorgespiegelt wird, so intrikat und delikat wie Vallottons Gemälde: „Das Bild zeigte eine nackte Frau, die auf einem gelben Kelim vor einem Kamin kniete. Darin stand ein Salamander, ein gusseiserner Ofen mit verglaster Front, in dem ein Feuer glühte. Die Frau hatte dem Betrachter den Rücken zugewandt. Die letzte Hülle, die sie hatte fallen lassen, ein leichtes lila Unterkleid, lag um sie herum drapiert auf dem Teppich.” Das Raffinement seiner Komposition scheint darin zu liegen, dass sie alles in der Schwebe hält, dass sie verhüllt, während sie enthüllt.. Aus einem ähnlich enthüllend-verhüllenden Kalkül heraus scheint Suters Roman geschrieben. Dass er dabei „glänzend” unterhält, ist nicht seine geringste Leistung.
CHRISTOPH BARTMANN
Martin Suter
Der letzte Weynfeldt
Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2008. 315 S., 19,90 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.02.2008Ein unzeitgemäßer Zeitgenosse
Samtige Ironie und angstfreier Umgang mit den Dingen des Lebens: Wer Spaß an den Feinheiten von Erfindung und Wirklichkeit hat, kommt hier ganz auf seine Kosten. "Der letzte Weynfeldt" von Martin Suter, der heute sechzig Jahre alt wird, feiert den reifen Charme der Bourgeoisie.
Wenn Martin Suter schreibt, dann läuft in den Köpfen seiner Leser von der ersten bis zur letzten Seite des Buchs ein Film ab, der keinesfalls längere Unterbrechungen der Lektüre duldet. Ehe Suter sich in den neunziger Jahren ganz aufs literarische Fach verlegte, war er ein Werbeprofi erster Güte, so viel zum Handwerkszeug. Den Löwenanteil seiner Geschichten aber machen Beobachtungsgabe und eine samtige Mokanz aus, menschenfreundliche Ironie und der angstfreie Umgang mit den Dingen des Lebens, die manchmal tatsächlich dem Klischee näher kommen als der Einzigartigkeit.
Adrian Weynfeldt ist ein Mann, der "bereits die Regelmäßigkeit an sich als lebensverlängernde Maßnahme betrachtete". Er ist ein unzeitgemäßer Zeitgenosse, der sein Haar ein wenig wie John F. Kennedy seitenscheitelt; der Rest des Mannes ist alteuropäisch, von den Maßschuhen bis zu den durchwegs maßgeschneiderten Kleidungsstücken. Er wird aus dem Konzept seiner Regelmäßigkeit gebracht von einer Frau mit dem eher wenig edlen Namen Lorena, die zunächst die Barschwalben-Variante seiner schon vor Jahrzehnten tragisch verlorenen englischen Geliebten Daphne ist. Mit der fremden, nicht mehr ganz jungen, nicht mehr ganz frischen Frau bricht das wilde Leben in die geordnete Welt des Mittfünfzigers ein. Er und seine Abläufe geraten nachhaltig in Verwirrung - so hat es jedenfalls den Anschein. Wie überhaupt eine ganze Menge im Roman mit dem Anschein spielt.
Weynfeldt mutet an wie eine Figur aus einem Buch von W. Somerset Maugham oder F. Scott Fitzgerald, indessen: Ein letzter Weynfeldt ist eben nicht ein großer Gatsby. Seine Adern durchströmt das alte echte Geld und das noch gar nicht zu dünn gewordene Blut einer schweizerischen Industriellenfamilie. So dezent ist die ganze Geschichte, dass man noch nicht einmal erfährt, womit Weynfeldts Vater sein Vermögen gemacht hat, das dem Sohn sein Leben in beneidenswert agreablen Verhältnissen gestattet. Der (beinah) verlorene Charme der Bourgeoisie wird in Adrian noch einmal Gestalt, den man auch sonst besser nicht unterschätzen sollte. Und durch Martin Suters virtuosen Umgang mit dem Möglichkeitssinn wird "Der letzte Weynfeldt" aus der Schusslinie der Kolportage gebracht.
Wer Spaß an den Feinheiten der Durchmischung von Fiktion und Wirklichkeit hat, kommt ganz auf seine Kosten: Adrian Weynfeldt - der das freilich nicht müsste, aber er braucht ja seine Rituale - arbeitet als Experte für Schweizer Kunst beim Auktionshaus Murphy's (welch hübscher Name!) in Zürich. Suters Schilderungen aus dieser sehr speziellen Sphäre sind ziemlich wohlinformiert und prägnant. Am Ende dankt der Autor Hans-Peter Keller, dem Experten für Schweizer Kunst des Auktionshauses Christie's in Zürich, für allfällige Einblicke. Und Hans-Peter Keller ist genauso real wie "Femme nue devant une salamandre", eben jenes Gemälde von Félix Vallotton, um das herum sich die gesamte Handlung arrangiert, nicht immer offensichtlich. Tatsächlich ist das Bild aus dem Jahr 1900 im Vallotton-Werkverzeichnis aufgeführt als "La salamandre"; es war seit 1926 in der Sammlung des Solothurner Fabrikanten Josef Müller und befindet sich derzeit in ungenanntem schweizerischem Privatbesitz - ganz wie im Roman, wo es während einer Auktion zum Rekordpreis von 4,1 Millionen Franken zugeschlagen wird. Auch diese Summe hat die Wahrscheinlichkeit auf ihrer Seite; denn der aktuelle Höchstpreis für ein Gemälde Vallottons liegt bei 2,5 Millionen Franken - und keine Frage: "La salamandre", käme es auf den Markt, hätte von nun an die Chance auf einen höheren Zuschlag.
Suter beherrscht eine umwerfende Ökonomie des Erzählens, das dabei phänomenal polyperspektivisch ist, so dass selbst sein Protagonist unterderhand geheimnisvoll wird. Seine Figuren changieren zwischen Typen und Charakteren; sie werden für ihre Auftritte nachgerade vollplastisch: nur zum Beispiel dieser Claudio Hausmann aus dem halbseidenen, jüngeren Freundeskreis um Weynfeldt, seines Zeichens Drehbuchautor und, perspektivisch, Regisseur von "Arbeitstitel Hemingways Koffer". Mit Hausmann gelingt Suter eine boshafte Persiflage auf die Unausgegorenheit des Schreibens, das sich keiner Disziplin unterwirft, auf die Unfähigkeit zur Strategie des Unterhaltens. Auch kleine Nebenrollen haben markante Auftritte, wie der Taxifahrer im parkenden Wagen mit laufendem Motor, weil er "die Klimakatastrophe" des Frühjahrs 2007 ohnehin für generell nicht mehr abwendbar erachtet. Und Suters Blicke streifen schier jedes Detail: Später wird man seinen Roman wie ein Zeitbild lesen können, das selbst die Wiederkehr der Plateausohle im Jahr 2007 vermerkt.
Martin Suter gehört inzwischen in die erste Garde der europäischen Unterhaltungsliteratur, die das Genre des Kriminalromans absolut salonfähig macht, vergleichbar in dieser Hinsicht, von der erfindungsreichen Brillanz und Eleganz her, der französischen Historikerin, Archäologin und Kriminalautorin Fred Vargas. Stilistisch freilich ist Martin Suter eher ein Nachkomme von Georges Simenon und Erbe von dessen sorgfältig gewebten Mustern. Wo sich Plausibilität und überraschende Auflösung vermischen, ohne dass es knirscht im Getriebe, da hat Suter die Hand im Spiel. Darin ist sein jüngstes Buch womöglich noch überzeugender als die Psychopathologien früherer Erfolgsromane. Heute feiert er, der in Zürich, die meiste Zeit aber auf Ibiza und in Guatemala lebt, seinen sechzigsten Geburtstag.
ROSE-MARIA GROPP
Martin Suter: "Der letzte Weynfeldt". Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2008. 313 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Samtige Ironie und angstfreier Umgang mit den Dingen des Lebens: Wer Spaß an den Feinheiten von Erfindung und Wirklichkeit hat, kommt hier ganz auf seine Kosten. "Der letzte Weynfeldt" von Martin Suter, der heute sechzig Jahre alt wird, feiert den reifen Charme der Bourgeoisie.
Wenn Martin Suter schreibt, dann läuft in den Köpfen seiner Leser von der ersten bis zur letzten Seite des Buchs ein Film ab, der keinesfalls längere Unterbrechungen der Lektüre duldet. Ehe Suter sich in den neunziger Jahren ganz aufs literarische Fach verlegte, war er ein Werbeprofi erster Güte, so viel zum Handwerkszeug. Den Löwenanteil seiner Geschichten aber machen Beobachtungsgabe und eine samtige Mokanz aus, menschenfreundliche Ironie und der angstfreie Umgang mit den Dingen des Lebens, die manchmal tatsächlich dem Klischee näher kommen als der Einzigartigkeit.
Adrian Weynfeldt ist ein Mann, der "bereits die Regelmäßigkeit an sich als lebensverlängernde Maßnahme betrachtete". Er ist ein unzeitgemäßer Zeitgenosse, der sein Haar ein wenig wie John F. Kennedy seitenscheitelt; der Rest des Mannes ist alteuropäisch, von den Maßschuhen bis zu den durchwegs maßgeschneiderten Kleidungsstücken. Er wird aus dem Konzept seiner Regelmäßigkeit gebracht von einer Frau mit dem eher wenig edlen Namen Lorena, die zunächst die Barschwalben-Variante seiner schon vor Jahrzehnten tragisch verlorenen englischen Geliebten Daphne ist. Mit der fremden, nicht mehr ganz jungen, nicht mehr ganz frischen Frau bricht das wilde Leben in die geordnete Welt des Mittfünfzigers ein. Er und seine Abläufe geraten nachhaltig in Verwirrung - so hat es jedenfalls den Anschein. Wie überhaupt eine ganze Menge im Roman mit dem Anschein spielt.
Weynfeldt mutet an wie eine Figur aus einem Buch von W. Somerset Maugham oder F. Scott Fitzgerald, indessen: Ein letzter Weynfeldt ist eben nicht ein großer Gatsby. Seine Adern durchströmt das alte echte Geld und das noch gar nicht zu dünn gewordene Blut einer schweizerischen Industriellenfamilie. So dezent ist die ganze Geschichte, dass man noch nicht einmal erfährt, womit Weynfeldts Vater sein Vermögen gemacht hat, das dem Sohn sein Leben in beneidenswert agreablen Verhältnissen gestattet. Der (beinah) verlorene Charme der Bourgeoisie wird in Adrian noch einmal Gestalt, den man auch sonst besser nicht unterschätzen sollte. Und durch Martin Suters virtuosen Umgang mit dem Möglichkeitssinn wird "Der letzte Weynfeldt" aus der Schusslinie der Kolportage gebracht.
Wer Spaß an den Feinheiten der Durchmischung von Fiktion und Wirklichkeit hat, kommt ganz auf seine Kosten: Adrian Weynfeldt - der das freilich nicht müsste, aber er braucht ja seine Rituale - arbeitet als Experte für Schweizer Kunst beim Auktionshaus Murphy's (welch hübscher Name!) in Zürich. Suters Schilderungen aus dieser sehr speziellen Sphäre sind ziemlich wohlinformiert und prägnant. Am Ende dankt der Autor Hans-Peter Keller, dem Experten für Schweizer Kunst des Auktionshauses Christie's in Zürich, für allfällige Einblicke. Und Hans-Peter Keller ist genauso real wie "Femme nue devant une salamandre", eben jenes Gemälde von Félix Vallotton, um das herum sich die gesamte Handlung arrangiert, nicht immer offensichtlich. Tatsächlich ist das Bild aus dem Jahr 1900 im Vallotton-Werkverzeichnis aufgeführt als "La salamandre"; es war seit 1926 in der Sammlung des Solothurner Fabrikanten Josef Müller und befindet sich derzeit in ungenanntem schweizerischem Privatbesitz - ganz wie im Roman, wo es während einer Auktion zum Rekordpreis von 4,1 Millionen Franken zugeschlagen wird. Auch diese Summe hat die Wahrscheinlichkeit auf ihrer Seite; denn der aktuelle Höchstpreis für ein Gemälde Vallottons liegt bei 2,5 Millionen Franken - und keine Frage: "La salamandre", käme es auf den Markt, hätte von nun an die Chance auf einen höheren Zuschlag.
Suter beherrscht eine umwerfende Ökonomie des Erzählens, das dabei phänomenal polyperspektivisch ist, so dass selbst sein Protagonist unterderhand geheimnisvoll wird. Seine Figuren changieren zwischen Typen und Charakteren; sie werden für ihre Auftritte nachgerade vollplastisch: nur zum Beispiel dieser Claudio Hausmann aus dem halbseidenen, jüngeren Freundeskreis um Weynfeldt, seines Zeichens Drehbuchautor und, perspektivisch, Regisseur von "Arbeitstitel Hemingways Koffer". Mit Hausmann gelingt Suter eine boshafte Persiflage auf die Unausgegorenheit des Schreibens, das sich keiner Disziplin unterwirft, auf die Unfähigkeit zur Strategie des Unterhaltens. Auch kleine Nebenrollen haben markante Auftritte, wie der Taxifahrer im parkenden Wagen mit laufendem Motor, weil er "die Klimakatastrophe" des Frühjahrs 2007 ohnehin für generell nicht mehr abwendbar erachtet. Und Suters Blicke streifen schier jedes Detail: Später wird man seinen Roman wie ein Zeitbild lesen können, das selbst die Wiederkehr der Plateausohle im Jahr 2007 vermerkt.
Martin Suter gehört inzwischen in die erste Garde der europäischen Unterhaltungsliteratur, die das Genre des Kriminalromans absolut salonfähig macht, vergleichbar in dieser Hinsicht, von der erfindungsreichen Brillanz und Eleganz her, der französischen Historikerin, Archäologin und Kriminalautorin Fred Vargas. Stilistisch freilich ist Martin Suter eher ein Nachkomme von Georges Simenon und Erbe von dessen sorgfältig gewebten Mustern. Wo sich Plausibilität und überraschende Auflösung vermischen, ohne dass es knirscht im Getriebe, da hat Suter die Hand im Spiel. Darin ist sein jüngstes Buch womöglich noch überzeugender als die Psychopathologien früherer Erfolgsromane. Heute feiert er, der in Zürich, die meiste Zeit aber auf Ibiza und in Guatemala lebt, seinen sechzigsten Geburtstag.
ROSE-MARIA GROPP
Martin Suter: "Der letzte Weynfeldt". Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2008. 313 S., geb., 19,90 [Euro].
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