Die Tragödie eines Mannes aus dem vorletzten Jahrhundert
Arthur Conan Doyles Novelle (Erstveröffentlichung 1894), hier in einer einfühlsamen Übersetzung von Reinhard Hillich, erzählt vom jungen Physiologieprofessor Gilroy, der bei einer Abendgesellschaft eine Hypnosevorführung miterlebt. Anfangs
hält er das Gesehene für Humbug und Schwindel, doch die Hypnotiseurin Miss Penelosa beweist ihm, daß…mehrDie Tragödie eines Mannes aus dem vorletzten Jahrhundert
Arthur Conan Doyles Novelle (Erstveröffentlichung 1894), hier in einer einfühlsamen Übersetzung von Reinhard Hillich, erzählt vom jungen Physiologieprofessor Gilroy, der bei einer Abendgesellschaft eine Hypnosevorführung miterlebt. Anfangs hält er das Gesehene für Humbug und Schwindel, doch die Hypnotiseurin Miss Penelosa beweist ihm, daß alles mit rechten Dingen zuging. Der wissenschaftliche Ehrgeiz des Professors ist geweckt, nun will er das Phänomen der Hypnose selbst untersuchen. Er befragt Miss Penelosa ausführlich, sichtet Literatur und stellt sich sogar selbst als Versuchsperson für Hypnoseexperimente zur Verfügung. Aber er verliert zunehmend die Kontrolle über die Angelegenheit, und als er die Notbremse ziehen und aussteigen will, ist es längst zu spät ...
Eine atemberaubende Horrorgeschichte, das war mein erster Leseeindruck, und ich fragte mich, ob wir heute in Bezug auf Hypnose sehr viel klüger sind als der nach wissenschaftlichen Erklärungen suchende Professor Gilroy. Man muß es bezweifeln, wenn man die Fernsehshows sieht, in denen „Magier“ und „Mentalisten“ ihre hypnotischen Fähigkeiten als übersinnliche Kräfte ausgeben.
Es ist aber auch möglich, die Novelle ganz anders zu lesen, denn sie besitzt gewissermaßen einen doppelten Boden. Der Professor wandelt ja nicht nur als Wissenschaftler sondern vor allem als Mann auf gefährlichen Abwegen. Er beschreibt sich selbst als einen Menschen, der eisern alle Neigungen und Wünsche unterdrückt oder verheimlicht, von denen er meint, daß sie seinem Ruf (sprich: seiner Karriere) schaden könnten. Ein völlig ab die spießigen Konventionen seiner akademischen Umwelt angepaßter Mensch, der es sich sogar verbietet, sich über den Frühling zu freuen – denn was würden seine Kollegen und der Dekan sagen, wenn er derart aus der Rolle des würdigen Professors fiele? Seinem beruflichen Vorwärtskommen steht nichts im Wege, zumal er auch eine hübsche Verlobte aus gutem Hause hat, die ihm demnächst als Ehefrau das nötige gesellschaftliche standing geben wird, das er in seiner Position braucht. Da begegnet ihm mit Miss Penelosa eine bemerkenswerte Frau, die mehr weiß und kann und auch über mehr Willenskraft verfügt als er. Er sucht ihre Nähe, sie kommen sich bei ihren Experimenten näher (während die Verlobte verreist ist), eine Affäre entspinnt sich. - Die der Professor schnell beenden möchte, möglichst noch vor der Rückkehr seiner Verlobten. Aber Miss Penelosa läßt sich nicht so einfach abschieben. Sie bietet ihm die Stirn, droht ihm. Das verunsichert ihn vollends, und im ängstlichen Bemühen, einen Skandal zu vermeiden, tut er Dinge, die genau das Gegenteil bewirken. Ein Teufelskreis, der erst vom überraschenden Novellenschluß durchbrochen wird.
...Was wir hier miterleben, ist die typische Unfähigkeit des Mannes, eine starke Frau zu akzeptieren. Professor Gilroy, der konventionelle Hochschullehrer aus der viktorianischen Zeit, kommt mit der Umkehr der alten Rollen- und Machtverteilung zwischen Mann und Frau überhaupt nicht zurecht. Er kann mit Miss Penelosa nicht umgehen, weder in ihrer Eigenschaft als Mitarbeiterin, noch als Geliebte, noch als Gegnerin. All die hypnotischen Verstrickungen, die er so lang und breit schildert, sind nichts anderes als die immer neurotischer ausfallenden Reaktionen eines frustrierten männlichen Chauvinisten.