Wer auf der Suche nach einem wunderbaren, gut erzählten und mitreißenden Schmöker für graue Herbsttage ist, der sollte sich von Melissa Fu in den „Pfirsichgarten“ entführen lassen. Ich bin ein großer Fan von Lisa Sees Romanen, die das Schicksal von chinesischen Auswanderern in den USA betrachten,
und daher war für mich thematisch vorab eigentlich schon klar, dass „Der Pfirsichgarten“ das Zeug zum…mehrWer auf der Suche nach einem wunderbaren, gut erzählten und mitreißenden Schmöker für graue Herbsttage ist, der sollte sich von Melissa Fu in den „Pfirsichgarten“ entführen lassen. Ich bin ein großer Fan von Lisa Sees Romanen, die das Schicksal von chinesischen Auswanderern in den USA betrachten, und daher war für mich thematisch vorab eigentlich schon klar, dass „Der Pfirsichgarten“ das Zeug zum Volltreffer hat. Umso begeisterter bin ich, dass es sich tatsächlich so verhält.
Der Roman ist ein großangelegtes Familienepos, das in den Wirren um den Zweiten Weltkrieg in China und in der Bedrohung durch die Japaner seinen Ausgangspunkt nimmt. In sehr anschaulichen, teilweise auch erschütternden Szenen begleitet man Meilin bei der Suche nach einer Zuflucht für sich und ihren Sohn Renshu. Immer wieder vertrieben und beständig zu einem Neuanfang gezwungen, liegt die Heimat der beiden letztlich in einer kunstvollen bemalten Seidenrolle, die Meilin zu vielen traditionellen Geschichten inspiriert, die sie mit ihrem Sohn und dem Leser teilt. Besonders dieser Teil der Wanderschaft durch China, der auf elegante Weise mit der chinesischen Kultur verbunden wird, ist sehr überzeugend. Das Schicksal der Figuren wird greifbar und nachvollziehbar dargestellt, dazu gehören sowohl die Rivalitäten zwischen Meilin und ihrer Schwägerin als auch die schwer einzuordnende Fürsorge durch ihren Schwager oder auch das Mitgefühl und der Zusammenhalt unter Frauen in der Fremde.
Ebenso gelungen ist kontextuell die Einbeziehung der politischen Ereignisse Chinas. An keiner Stelle des Romans gibt es referatsartige Informationspassagen, stattdessen werden die Figuren persönlich zum Spielball der chinesischen und internationalen Politik, bekommen am eigenen Leib die Entscheidungen und Geschehnisse auf der obersten Ebene zu spüren, werden durch Landsleute selbst im Ausland in ihren Freiheiten eingeschränkt – Renshus/Henrys Ängste an der Uni in den USA können hier als Sinnbild gelten. Ohne dass mir auch nur an einer Stelle ganz konkret die Auseinandersetzungen zwischen Chiang Kai-Shek und Mao Zedong bzw. den Kuomintang und den Kommunisten erläutert wurden, bin ich doch nach der Lektüre des Romans in der Lage zumindest in groben Zügen die heute bestehenden Differenzen zwischen Taiwan und China historisch zu erklären. Die Autorin versetzt einen immer wieder in die Lage, sich durch die von ihr nur begleitend eingesetzten historischen und politischen Ausführungen, einen umfassenden Reim auf das Geschehen zu machen. Das halte ich für absolut gut gelungen. Hier wird nichts erklärt, man ist an der Seite der Figuren ein Teil der Geschichte. Wie sie erfährt man die Zusammenhänge nur allmählich. Die Unsicherheit angesichts kleinerer und großer Veränderungen wird so auch für den Leser äußerst spürbar.
Spannend ist auch der Wechsel des Fokus des Romans. Da er mehrere Generationen umspannt, rücken die verschiedenen Teile und Jahrzehnte auch einen jeweils anderen Protagonisten mit zeitlich und lokal sehr passenden, typischen und überzeugenden Herausforderungen in den Fokus. Dieser Wechsel von Generation zu Generation geht äußerst harmonisch in einem sanften, fließenden Übergang vonstatten.
„Der Pfirsichgarten“ ist ein sprachlich schönes, gelungenes, sehr lehrreiches und begeisterndes Familienepos – darüber, dass es literarisch nicht zu allerhöchster Form aufläuft, kann ich sehr gut hinwegsehen, denn es ist faszinierend, lebendig, spannend, interessant, in seiner Kontextualisierung überaus elegant, verliert nie sein Ziel aus den Augen und hat mich einfach vollkommen abgeholt. Eine absolute Leseempfehlung!