Der zehnjährige Peter ist ein Tagträumer, und seine Träume bringen ihm Scherereien: Niemand begreift die erstaunlichen Dinge, die in seinem Kopf vor sich gehen. Und doch durchbricht er die Enge der Familie spielerisch dank seiner Phantasie. Die Einsichten, die er als Puppe, als Baby, als Kater oder als Einbrecher gewinnt, sind für Kinder nicht weniger spannend als für Erwachsene. Einfühlsam und heiter schildert Ian McEwan das Innenleben eines introvertierten Jungen, der in seinen Träumen die Welt verstehen und sein eigenes Leben schätzen lernt.
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»Ian McEwan gilt als einer der besten britischen Autoren der Gegenwart.« Thomas David / Stern Stern
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.10.1995Die schwierige Schwester
Was Ian McEwan findet, wenn er die Mottenkiste aufmacht
Der siebenundvierzigjährige Ian McEwan ist einer der lohnendsten, aber auch unberechenbarsten Autoren der englischen Gegenwartsliteratur. In den Kurzgeschichten, die er als Diplomarbeit am "Creative writing"-Institut der Universität von East Anglia in Norwich einreichte (und die ihn über Nacht berühmt machten), prallten die Themen Kindheit und Gewalt so verstörend aufeinander, manifestierte sich Macht in perverser Sexualität so brutal, daß man den verschlossenen Offizierssohn bald "Ian Makaber" nannte und ihn schon in Richtung Schauerroman und Mystery abwandern sah.
Über die literarische Qualität seiner Bücher gehen die Meinungen weit auseinander; an dem einen Extrem hält man ihn für einen hintergründigen, kühlen Analytiker, am anderen für einen gehobenen Pornographen. Das Motiv vom Kind im Erwachsenen spielte bei McEwan von Anfang an eine zentrale Rolle. Seit er selber eine Familie (mit mittlerweile vier Kindern) hat, fühlt er sich, so sagt er, emotional bereichert - und dazu angeregt, "richtige" Kinderbücher zu schreiben.
Sein erster Versuch in diesem Genre, eine Erzählung mit dem Titel "Der Tagträumer", ist jetzt, zuverlässig übersetzt von Hans-Christian Oeser, aber leider ohne die Illustrationen der Originalausgabe, auf deutsch erschienen. Die Geschichten von den Verwandlungen des zehnjährigen Peter Glück in eine Puppe, ein Baby, einen Kater und einen Einbrecher sind amüsant zu lesen, hinterlassen aber doch zwiespältige Eindrücke. Das liegt wohl vor allem daran, daß die Harmlosigkeit der Oberfläche bei diesem Autor immer verdächtig wirkt - man traut McEwans Märchenwelt nicht so recht.
Hinzu kommt das Gefühl, daß der Autor seine kindlichen Leser gleichzeitig überfordert und unterschätzt. Er stellt dem Buch ein hochtrabendes Motto aus den Metamorphosen des Ovid voran - und holt dann die alten Requisiten von der schwierigen Schwester oder dem schikanösen Rüpel aus der Mottenkiste. Allzuoft gehen die phantastischen Passagen in den banalen Kalamitäten eines Familienalltags unter, und das prekäre Pendeln des Peter Glück zwischen Phantasie und Wirklichkeit, zwischen kindlichen und unkindlichen Reaktionen, trägt auch nicht gerade zur Eingängigkeit der Geschichten bei. Ein supergescheites, anspruchsvolles, hintersinniges Kinderbuch, das letztlich wohl doch ins Erwachsenenregal gehört. HELMUT WINTER
Ian McEwan: "Der Tagträumer". Erzählung. Aus dem Englischen übersetzt von Hans-Christian Oeser. Diogenes Verlag, Zürich 1995. 155 S., geb., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was Ian McEwan findet, wenn er die Mottenkiste aufmacht
Der siebenundvierzigjährige Ian McEwan ist einer der lohnendsten, aber auch unberechenbarsten Autoren der englischen Gegenwartsliteratur. In den Kurzgeschichten, die er als Diplomarbeit am "Creative writing"-Institut der Universität von East Anglia in Norwich einreichte (und die ihn über Nacht berühmt machten), prallten die Themen Kindheit und Gewalt so verstörend aufeinander, manifestierte sich Macht in perverser Sexualität so brutal, daß man den verschlossenen Offizierssohn bald "Ian Makaber" nannte und ihn schon in Richtung Schauerroman und Mystery abwandern sah.
Über die literarische Qualität seiner Bücher gehen die Meinungen weit auseinander; an dem einen Extrem hält man ihn für einen hintergründigen, kühlen Analytiker, am anderen für einen gehobenen Pornographen. Das Motiv vom Kind im Erwachsenen spielte bei McEwan von Anfang an eine zentrale Rolle. Seit er selber eine Familie (mit mittlerweile vier Kindern) hat, fühlt er sich, so sagt er, emotional bereichert - und dazu angeregt, "richtige" Kinderbücher zu schreiben.
Sein erster Versuch in diesem Genre, eine Erzählung mit dem Titel "Der Tagträumer", ist jetzt, zuverlässig übersetzt von Hans-Christian Oeser, aber leider ohne die Illustrationen der Originalausgabe, auf deutsch erschienen. Die Geschichten von den Verwandlungen des zehnjährigen Peter Glück in eine Puppe, ein Baby, einen Kater und einen Einbrecher sind amüsant zu lesen, hinterlassen aber doch zwiespältige Eindrücke. Das liegt wohl vor allem daran, daß die Harmlosigkeit der Oberfläche bei diesem Autor immer verdächtig wirkt - man traut McEwans Märchenwelt nicht so recht.
Hinzu kommt das Gefühl, daß der Autor seine kindlichen Leser gleichzeitig überfordert und unterschätzt. Er stellt dem Buch ein hochtrabendes Motto aus den Metamorphosen des Ovid voran - und holt dann die alten Requisiten von der schwierigen Schwester oder dem schikanösen Rüpel aus der Mottenkiste. Allzuoft gehen die phantastischen Passagen in den banalen Kalamitäten eines Familienalltags unter, und das prekäre Pendeln des Peter Glück zwischen Phantasie und Wirklichkeit, zwischen kindlichen und unkindlichen Reaktionen, trägt auch nicht gerade zur Eingängigkeit der Geschichten bei. Ein supergescheites, anspruchsvolles, hintersinniges Kinderbuch, das letztlich wohl doch ins Erwachsenenregal gehört. HELMUT WINTER
Ian McEwan: "Der Tagträumer". Erzählung. Aus dem Englischen übersetzt von Hans-Christian Oeser. Diogenes Verlag, Zürich 1995. 155 S., geb., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"McEwan erzählt niemals mit jener abschreckend-gekünstelten Kindlichkeit, die man aus anderen Büchern kennt, sondern läßt die Leser am kindlichen, schrittweisen Erobern der Welt, der Bilder und ihrer Bedeutungen teilhaben, und so vor ihnen eine ganz eigene Welt entstehen, deren Zauber sofort gefangennimmt. Einfühlsam und heiter schildert McEwan die Gedankenabenteuer des zehnjährigen Jungen Peter Glück, der in seinen Tagträumen die Welt anders zu sehen und zu verstehen lernt."
(Wiener Zeitung)
"Der Tagträumer ist ein Erzählband, in dem die meisten Geschichten wie kleine Startrampen den Leser in eine ihm scheinbar verschlossene Welt zurückkatapultieren, die er längst zurückgelassen zu haben glaubt. Der kurze Aufenthalt in flirrenden Grenzsituationen, zu denen einem McEwan verhilft, ist ein Wechselbad, aus dem man zwar heil wieder auftaucht, aber irritiert und vielleicht für Augenblicke sich selber fremd."
(Tages-Anzeiger)
"Die Frage, ob McEwans Tagträumer nun ein Buch für Kinder, Jugendliche oder Erwachsene sei, ist müßig. Es verhält sich mit ihm wie mit Alice im Wunderland oder Pu der Bär: Der Zauber der Lektüre hängt von der Bereitschaft des Lesers ab, ihn wahrzunehmen."
(Radio Bremen)
(Wiener Zeitung)
"Der Tagträumer ist ein Erzählband, in dem die meisten Geschichten wie kleine Startrampen den Leser in eine ihm scheinbar verschlossene Welt zurückkatapultieren, die er längst zurückgelassen zu haben glaubt. Der kurze Aufenthalt in flirrenden Grenzsituationen, zu denen einem McEwan verhilft, ist ein Wechselbad, aus dem man zwar heil wieder auftaucht, aber irritiert und vielleicht für Augenblicke sich selber fremd."
(Tages-Anzeiger)
"Die Frage, ob McEwans Tagträumer nun ein Buch für Kinder, Jugendliche oder Erwachsene sei, ist müßig. Es verhält sich mit ihm wie mit Alice im Wunderland oder Pu der Bär: Der Zauber der Lektüre hängt von der Bereitschaft des Lesers ab, ihn wahrzunehmen."
(Radio Bremen)