Berlin in den Goldenen Zwanzigern! Ein jüdischer Bankier wird erschlagen im Hausflur seiner Geliebten aufgefunden. Kommissar Ariel Spiro ist gerade aus der Provinz nach Berlin gezogen und übernimmt direkt seinen ersten Fall. Zunächst deuten die Ermittlungen auf ein politisches Motiv hin. Doch auch die wohlhabende und exzentrische Familie des Toten gibt Spiro Rätsel auf. Schon bald gerät der junge Kommissar in den Sog der Metropole, getrieben vom schnellen Rhythmus und mitgerissen vom rauschenden Berliner Nachtleben. Als er sich von der faszinierenden Tochter des Toten magisch angezogen fühlt, muss Spiro aufpassen, dass ihm der Fall nicht entgleitet. Kerstin Ehmer zeigt das Berlin der Weimarer Republik in all seinen Facetten. Schillernde Bars und sexuelle Freiheit charakterisieren die Großstadt genauso wie Antisemitismus und die schwelenden Vorboten des Nationalsozialismus. Der Autorin gelingt es auf überzeugende Weise, die brodelnde Atmosphäre dieser widersprüchlichen Zeit spürbar zu machen. Dabei bedient sie sich einer Sprache, deren Schönheit das Flair der Goldenen Zwanziger lebendig einfängt und gleichzeitig modern daherkommt.
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buecher-magazin.deEs sind die frühen 1920er-Jahre, die Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg sind noch allgegenwärtig, als der jüdische Bankier Eduard Fromm im Treppenhaus eines Hinterhauses des Berliner Wrangelkiez erschlagen aufgefunden wird. Ein Raubmord? Womöglich politische Motive? Oder was Familiäres? Kriminalkommissar Ariel Spiro wird mit dem Fall beauftragt - sein erster in Berlin: Der junge Mann ist gerade erst aus der Provinz eingetroffen. Schon vom ersten Moment an steigt ihm die Hauptstadt zu Kopf und verleitet ihn zu allerlei Wagnissen. Die Weimarer Republik ist jung und die Kräfte, die sie unterhöhlen wollen, hoch aktiv. Es ist eine Gesellschaft im Umbruch, geprägt von sozialen Unterschieden und neuen Freiheiten, dazu ein schillerndes Nachtleben, für die, die es sich leisten können: Cocktails und Kokain, Shimmy und Jazz, sexuelle Freizügigkeit, Männer in Kleidern, Frauen im Smoking. "Der weiße Affe" ist das lebenspralle Debüt von Kerstin Ehmer, atmosphärisch dicht, bunt, sinnlich und temporeich, erzählt in einer wunderbaren Sprache, die einen sofort in jene Jahre versetzt. Leider ist der Kriminalfall etwas dünn und aufgesetzt und seine Aufklärung zu sehr vom Zufall abhängig.
© BÜCHERmagazin, Kirsten Reimers
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2017Alles ist enthalten, nichts verraten
Krimis in Kürze: Kerstin Ehmer, Jan Costin Wagner, Schünemann & Volic
Noch ein Berlin-Roman, noch mal die wilden Jahre von Weimar, ausgerechnet jetzt, da die Fernsehserie "Babylon Berlin" und mit ihr Volker Kutschers Romane so etwas wie einen Alleinvertretungsanspruch fürs historische Zeitbild zu besitzen scheinen - wie soll das gehen? Das ist die erste Frage an den Roman von Kerstin Ehmer. Die Antwort ist leicht: nicht nur besser als erwartet, sondern sehr gut. "Der weiße Affe" (Pendragon, 280 S., br., 17,- [Euro]) profitiert davon, dass Kerstin Ehmer nicht nur "Die Schule der Trunkenheit" geschrieben hat und eine Bar in Berlin betreibt; man muss sich ihre Mode- und Porträtfotografien ansehen, um da einen ganz eigenen Blick zu entdecken, der auch ihre Prosa inspiriert.
Ein Hang zum Lasziven, zum Morbiden, das ist das richtige Sensorium für Berlin im Jahr 1925. Ehmer erzählt im Präsens, das sorgt, in Kombination mit knappen Sätzen oder atemlosen Reihungen, sofort für ein anderes Tempo. Sie lässt ihren Kommissar Ariel Spiro aus der Provinz direkt in die große Stadt taumeln: "Die Hauptstadt ist ihm ins Blut gefahren, gleich am Bahnhof. Mit ihrem Tempo, ihrer Größe, dem Gewimmel, mit ihrem Lärmen (. . .). Sie hat sich vor ihm ausgebreitet wie das Ungeheuer einer alten Sage und ihm ihren Benzinatem ins Gesicht geblasen. Sie hat ihn infiziert."
Nicht nur der Ton ist anders, auch die Geschichte schlägt sofort eigene Wege ein. Da ist Spiros Fall: ein ermordeter jüdischer Bankier, der seiner walkürenhaften blonden Geliebten ein altdeutsches Idyll eingerichtet hat, in dem er sie viermal pro Woche besucht und Unmengen Schweinswürste verzehrt hat; da sind die (kursiv gesetzten) Wahnvorstellungen eines Jungen, der sich aus dem Verschlag, in dem eine besitzergreifende Mutter ihn meist eingesperrt hält, in eine Südsee-Phantasiewelt flüchtet. Beide Wege der Erzählung werden sich auf überraschende Weise kreuzen, an jenem Ort, der mehr Babel ist als Preußen, im Berlin der Hinterhöfe und des Kohlgeruchs, der Welt des Magnus-Hirschfeld-Instituts und der FKK-Jünger, in Nächten voller Cocktails, Koks und Travestie. "Der weiße Affe" ist ein ganz erstaunliches Debüt.
Ein erfahrenes deutsch-serbisches Doppel bilden Christian Schünemann und Jelena Volic. Beider Protagonistin Milena Lukin löst in "Maiglöckchenweiß" (Diogenes, 352 S., geb., 22,- [Euro]) bereits ihren dritten Fall. Sie ist promovierte Kriminologin, arbeitet für die deutsche Botschaft in Belgrad, ist alleinerziehend, hat ein paar Pfunde und ein paar Sorgen zu viel. Was die Geschichten von Schünemann & Volic so besonders macht, ist ihre politische Grundierung. Auch im neuen Roman sind es die komplizierten Nachwirkungen der jüngeren serbischen Geschichte, von denen Lukin und der befreundete Anwalt Stojkovic mehr als nur gestreift werden.
Dabei ist das Konstruktionsprinzip interessant. Ausgehend vom Faktischen, von der Ermordung des Ministerpräsidenten Zoran Dindic im Jahr 2003 und vom Totschlag an einem Roma-Jungen im Jahr 1998, den zwei Jugendliche begangen haben, entwickeln die Autoren einen fiktiven Plot, der beide Ereignisse verbindet und im Zuge von Milena Lukins Nachforschungen zugleich den politischen und sozialen Alltag in einem Land zeigt, über das man hier nicht allzu viel weiß, auch wenn es inzwischen ein Beitrittskandidat für die EU ist. Die Erzählung ist konzentriert und unprätentiös. Nur am Ende kommt dann im Monolog eines alten Geheimdienstmannes doch ein bisschen zu viel politischer Erklärungsehrgeiz ins Spiel.
Es sind nicht nur die Titel, die eine bestimmte Atmosphäre andeuten, es sind auch Sätze wie dieser, mit denen Jan Costin Wagner den üblichen Krimisound hinter sich lässt: "In dem Sommer, in dem Marisa den Mond vermessen möchte, betritt Kimmo Joentaa den Raum, in dem das Meer zu Hause ist. Sanna schwimmt im Sonnensee. Petri läuft zwischen Bäumen, auf der Flucht vor sich selbst." Am Ende des Absatzes sind dann die Personen vorgestellt, die einem begegnen werden - und damit auch die Perspektiven der Erzählung. Da finden Poesie, Lakonie und Rätsel wie nebenbei zusammen. Alles ist enthalten, nichts verraten.
"Sakari lernt, durch Wände zu gehen" (Galiani, 240 S., geb., 20,- [Euro]) ist der sechste Auftritt des menschenfreundlichen Kommissars Joentaa aus Turku. Sakari, ein psychisch kranker junger Mann, wird von einem Polizisten erschossen, da gibt es nicht viel aufzuklären, ein Fall von Brandstiftung kommt später noch hinzu. Das sind die Krimielemente in der traurigen Geschichte zweier Familien, ohne dass der Roman je in die Routine einer Ermittlung verfiele. Wagner, der zwar kein Finne, sondern Hesse, vor allem aber auch Musiker ist, hat den Wechsel der Stimmen sehr gekonnt inszeniert. Da wäre es gar nicht nötig gewesen, dass Joentaa schließlich ein wenig zu deutlich Schicksal spielt.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Kerstin Ehmer, Jan Costin Wagner, Schünemann & Volic
Noch ein Berlin-Roman, noch mal die wilden Jahre von Weimar, ausgerechnet jetzt, da die Fernsehserie "Babylon Berlin" und mit ihr Volker Kutschers Romane so etwas wie einen Alleinvertretungsanspruch fürs historische Zeitbild zu besitzen scheinen - wie soll das gehen? Das ist die erste Frage an den Roman von Kerstin Ehmer. Die Antwort ist leicht: nicht nur besser als erwartet, sondern sehr gut. "Der weiße Affe" (Pendragon, 280 S., br., 17,- [Euro]) profitiert davon, dass Kerstin Ehmer nicht nur "Die Schule der Trunkenheit" geschrieben hat und eine Bar in Berlin betreibt; man muss sich ihre Mode- und Porträtfotografien ansehen, um da einen ganz eigenen Blick zu entdecken, der auch ihre Prosa inspiriert.
Ein Hang zum Lasziven, zum Morbiden, das ist das richtige Sensorium für Berlin im Jahr 1925. Ehmer erzählt im Präsens, das sorgt, in Kombination mit knappen Sätzen oder atemlosen Reihungen, sofort für ein anderes Tempo. Sie lässt ihren Kommissar Ariel Spiro aus der Provinz direkt in die große Stadt taumeln: "Die Hauptstadt ist ihm ins Blut gefahren, gleich am Bahnhof. Mit ihrem Tempo, ihrer Größe, dem Gewimmel, mit ihrem Lärmen (. . .). Sie hat sich vor ihm ausgebreitet wie das Ungeheuer einer alten Sage und ihm ihren Benzinatem ins Gesicht geblasen. Sie hat ihn infiziert."
Nicht nur der Ton ist anders, auch die Geschichte schlägt sofort eigene Wege ein. Da ist Spiros Fall: ein ermordeter jüdischer Bankier, der seiner walkürenhaften blonden Geliebten ein altdeutsches Idyll eingerichtet hat, in dem er sie viermal pro Woche besucht und Unmengen Schweinswürste verzehrt hat; da sind die (kursiv gesetzten) Wahnvorstellungen eines Jungen, der sich aus dem Verschlag, in dem eine besitzergreifende Mutter ihn meist eingesperrt hält, in eine Südsee-Phantasiewelt flüchtet. Beide Wege der Erzählung werden sich auf überraschende Weise kreuzen, an jenem Ort, der mehr Babel ist als Preußen, im Berlin der Hinterhöfe und des Kohlgeruchs, der Welt des Magnus-Hirschfeld-Instituts und der FKK-Jünger, in Nächten voller Cocktails, Koks und Travestie. "Der weiße Affe" ist ein ganz erstaunliches Debüt.
Ein erfahrenes deutsch-serbisches Doppel bilden Christian Schünemann und Jelena Volic. Beider Protagonistin Milena Lukin löst in "Maiglöckchenweiß" (Diogenes, 352 S., geb., 22,- [Euro]) bereits ihren dritten Fall. Sie ist promovierte Kriminologin, arbeitet für die deutsche Botschaft in Belgrad, ist alleinerziehend, hat ein paar Pfunde und ein paar Sorgen zu viel. Was die Geschichten von Schünemann & Volic so besonders macht, ist ihre politische Grundierung. Auch im neuen Roman sind es die komplizierten Nachwirkungen der jüngeren serbischen Geschichte, von denen Lukin und der befreundete Anwalt Stojkovic mehr als nur gestreift werden.
Dabei ist das Konstruktionsprinzip interessant. Ausgehend vom Faktischen, von der Ermordung des Ministerpräsidenten Zoran Dindic im Jahr 2003 und vom Totschlag an einem Roma-Jungen im Jahr 1998, den zwei Jugendliche begangen haben, entwickeln die Autoren einen fiktiven Plot, der beide Ereignisse verbindet und im Zuge von Milena Lukins Nachforschungen zugleich den politischen und sozialen Alltag in einem Land zeigt, über das man hier nicht allzu viel weiß, auch wenn es inzwischen ein Beitrittskandidat für die EU ist. Die Erzählung ist konzentriert und unprätentiös. Nur am Ende kommt dann im Monolog eines alten Geheimdienstmannes doch ein bisschen zu viel politischer Erklärungsehrgeiz ins Spiel.
Es sind nicht nur die Titel, die eine bestimmte Atmosphäre andeuten, es sind auch Sätze wie dieser, mit denen Jan Costin Wagner den üblichen Krimisound hinter sich lässt: "In dem Sommer, in dem Marisa den Mond vermessen möchte, betritt Kimmo Joentaa den Raum, in dem das Meer zu Hause ist. Sanna schwimmt im Sonnensee. Petri läuft zwischen Bäumen, auf der Flucht vor sich selbst." Am Ende des Absatzes sind dann die Personen vorgestellt, die einem begegnen werden - und damit auch die Perspektiven der Erzählung. Da finden Poesie, Lakonie und Rätsel wie nebenbei zusammen. Alles ist enthalten, nichts verraten.
"Sakari lernt, durch Wände zu gehen" (Galiani, 240 S., geb., 20,- [Euro]) ist der sechste Auftritt des menschenfreundlichen Kommissars Joentaa aus Turku. Sakari, ein psychisch kranker junger Mann, wird von einem Polizisten erschossen, da gibt es nicht viel aufzuklären, ein Fall von Brandstiftung kommt später noch hinzu. Das sind die Krimielemente in der traurigen Geschichte zweier Familien, ohne dass der Roman je in die Routine einer Ermittlung verfiele. Wagner, der zwar kein Finne, sondern Hesse, vor allem aber auch Musiker ist, hat den Wechsel der Stimmen sehr gekonnt inszeniert. Da wäre es gar nicht nötig gewesen, dass Joentaa schließlich ein wenig zu deutlich Schicksal spielt.
PETER KÖRTE
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Volker Kutscher hat die Zwanzigerjahre für den Kriminalroman populär gemacht, und so greift Rezensent Jens Bisky auch gern zum Krimidebüt der Fotografin und Victoria-Bar-Betreiberin Kerstin Ehlers. Sympathisch findet er ihren Kommissar Ariel Spiro, den es aus der Provinz ins wilde Leben Berlins verschlagen hat. Allerdings ist er mit dem "Weißen Affen" dennoch nicht glücklich geworden. Zu schleppend kommt für seinen Geschmack die Ermittlung in die Gänge, und die Schilderungen Berlins erscheinen ihm auch zu angelesen und recherchiert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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