Bekannt als Nummer Dreizehn lebt eine schüchterne Kreatur – halb Fuchs, halb Mensch – in einem Heim für missratene und abscheuliche Wesen. Unter dem grausamen Regime der High Hats muss er endlose Schikanen über sich ergehen lassen. Doch er hütet ein Geheimnis, dessen wahre Ausmaße ihm erst bewusst werden, als er sich mit dem Vogel Trixi anfreundet: Er kann Geräusche hören, die kein anderer wahrnimmt. Ehe er sich's versieht, wird er in Intrigen verwickelt, die nichts weniger als den Untergang der Musik zum Ziel haben. Und nur er – der Wunderling – kann diese Katastrophe verhindern.
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buecher-magazin.deArthur hieß nicht immer so. Bevor er seine Freundin Trixi kennenlernte, den winzigen, flauschigen Vogel mit Stummelflügeln, wurde er im "Heim für missratene und abscheuliche Kreaturen" nur Nummer 13 gerufen. Im Heim leben kleine verwaiste "Erdlinge", halb Mensch, halb Tier, oder auch nur Tier, aber mit menschlichen Eigenschaften. Sie werden von der Heimleiterin Miss Carbunkle drangsaliert und ausgebeutet. Arthur hat das Gesicht eines Fuchses, rötliches Fell, einen Stummelschwanz und nur ein Ohr. Mit diesem hört er allerdings phänomenal gut, sogar die Sprache der höflichen, poetischen Mäuse versteht er. Trixi und er fliehen aus dem grausamen Heim in die allerdings nicht weniger unheimliche Stadt Lichterborg. Mira Bartók hat sich eine skurrile und fantastische Welt mit Steam-Punk-Kulisse ausgedacht, es gibt Mantikoren, Nachtkrähen und vor allem Tier-Mensch-Wesen, die mal unheimlich, mal sehr niedlich sind. Mechthild Großmanns knarzig röhrende Stimme ist dabei, wie immer am Anfang, etwas gewöhnungsbedürftig und erfordert Konzentration, zeigt aber eine Virtuosität, die vom winzigen Mäuschen bis zum dicksten Bösewicht alle Persönlichkeiten und emotionalen Facetten abdeckt.
© BÜCHERmagazin, Meike Dannenberg (md)
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Eine Vernichtungswaffe gegen aufmüpfinge Erdlinge
Die Filmrechte an Mira Bartóks "Der Wunderling" waren schon verkauft, bevor das Buch geschrieben war. Es ist nicht gut geschrieben
Als Quintus den armen Waisenjungen am Flussufer von Lichterburg aufgelesen hat und ihn seiner kleinen Diebestruppe als neues Mitglied vorstellt, macht er aus dessen Herkunft sicherheitshalber eine große Sache: Arthur sei "jetzt kommt's, Freunde . . . durch den Wilden Wald gewandert", schwärmt der Anführer. Zustimmendes Brummen und ein "Donnerwetter" sind die Antwort.
Man trifft sich in der Villa Irrwege im verkommenen Teil Lichterburgs, der in Mira Bartóks Buch "Der Wunderling - Liederfänger" den Erdlingen vorbehalten ist, Mischwesen aus Mensch und Tier, die von den Menschen beargwöhnt und mehr als schlecht behandelt werden. Quintus hat etwas von einer Ratte, Arthur von einem Fuchs mit nur einem Ohr, zu der Bande gehören Wiesel-, Hunde-, Kaninchen-Erdlinge und einige mehr.
Wie diese Mischwesen auf die Welt gekommen sind, die auch von gewöhnlichen Tieren, dazu von uralten Wesen mit übernatürlichen Kräften bewohnt und von allerlei Steampunk-Technik betrieben wird, behält die amerikanische Autorin für sich. Dafür schildert sie, wie die unerschrockene Trixi den schüchternen Arthur zur Flucht aus Miss Carbunkles Heim für widerspenstige und missratene Geschöpfe überredet, den gemeinsamen Weg über Feld und Wiesen, seinen allein in die Stadt auf der Suche nach dem, was im Buch schlicht "seine Bestimmung" heißt, den Weg in die Unter-Tage-Stadt Finstergrund, die Reise zum Showdown zurück ins Waisenhaus und schließlich in sein neues Zuhause bei Phoebe Nightingale, der liebreizenden Zwillingsschwester der boshaften Miss Carbunkle.
Phoebe ist eine große Sängerin, während Arthur anfangs kaum zu sprechen wagt und gar nicht glauben kann, dass er im Schlaf singt. Und zwar ausnehmend schön. Wo Singen und Musizieren doch strengstens verboten sind im Waisenhaus. Und nicht nur das: Miss Carbunkle will den von ihrem Vater erfundenen Liederfänger stehlen lassen, um ihn von einem Aufnahme- und Abspielgerät der schönsten Lieder, Gefühle, Träume zu einer, so der Plan, Vernichtungswaffe umzubauen, die den armen Erdlingen noch das letzte nehmen soll, was ihnen Hoffnung gibt.
Die Mächte und Missionen, die Kulissen und Charaktere, die Mira Bartók aufbietet, können sich also sehen lassen. Dass mit ihnen nicht unbedingt ein Originalitätspreis zu gewinnen wäre, sollte man ihr nicht verübeln: Es unterscheidet sie nicht von all den anderen Kinderbüchern mit Fantasy-Elementen, in denen sich unwahrscheinliche Helden gegen offensichtlich böse Mächte behaupten müssen und überraschend Beistand erfahren.
Man möchte der Erfolgsgeschichte des "Wunderlings" glauben, dass hundert Seiten Manuskript und eine grobe Übersicht des Geplanten, die Reißbrettfassung des Buchs sozusagen, für die Fox Studios genügt haben, um gleich eine siebenstellige Summe für die Filmrechte zu bieten. Nach der kompletten Lektüre des - in deutscher Übersetzung - Vierhundertsiebzigseiters nämlich ist eine solche Begeisterung kaum mehr vorstellbar, so nachlässig erzählt, wie dieses Buch ist, so einfältig, wie seine Figuren ausgestaltet sind.
Vielleicht hätte "Der Wunderling" das Reißbrett nie verlassen sollen. Weit ist er jedenfalls nicht gekommen: Den Figuren fehlt Blut, den Schilderungen Witz - und oft genug Sorgfalt. Da tropft der Regen im Schulzimmer des Waisenhauses durch die Decke, obwohl noch eine weitere Etage das Erd- vom Dachgeschoss trennt. Da wird dem armen Arthur in der Tristesse von Finstergrund "ein kleines Loch in der Wand" als neues Zuhause zugewiesen, das achtzehn Seiten später wiederum groß genug ist, damit sich der Erdling "in eine Ecke seiner kalten, feuchten Höhle" kuscheln kann.
Wo es der Autorin an suggestivem Können fehlt, wird sie entweder kitschig oder grob: "Es war, als würde die Stadt unter der Stadt weinen", fällt Mira Bartók zum Tropfwasser der Höhlen von Finstergrund ein. "Die Luft fühlte sich alt an und voller Leid, als habe sie den Kummer von Jahrhunderten aufgesogen", heißt es, als Arthur einmal aus seinem Loch "auf die düstere Welt" hinunterschaut. Der Fluss, der den strahlenden Teil Lichterburgs mit seinen herrschsüchtigen Menschen unter hohen Hüten von dem Teil trennt, in dem die Erdlinge wohnen dürfen, stinkt nicht nur "nach totem Fisch und Kloake und allen möglichen anderen ekligen Dingen". Tatsächlich treiben sogar "Müll und tote Tiere" auf den Wellen. Ein Bild will bei einer derart stumpfen Schilderung schwerlich entstehen und ein Gefühl für Arthurs Lage angesichts dieses Anblicks schon gar nicht.
Auch zum Wilden Wald, dessen mutige Durchquerung den Halunken in der Villa Irrwege solchen Respekt abnötigt, fällt Mira Bartók nicht viel ein: Auf seiner Wanderung kommt Arthur abends an dessen Rand und hört beim Einschlafen unter einem Baum noch, wie alle Tiere "ihren Lieben zuzurufen" scheinen, sie mögen doch nach Hause kommen. Vier Zeilen und drei offenbar ereignislose Wandertage später "sah er zu seiner Erleichterung Sonnenlicht in den Wald strömen, und dann erreichte er den Waldrand".
Über hundert Jahre vor Mira Bartók hat Kenneth Grahame in "Der Wind in den Weiden" schon einmal einen Wanderer in einen wilden Wald geschickt. Wie hier Zuversicht und Frohsinn des kleinen Maulwurfs nach und nach zu Angst und Verzweiflung werden, fesselt den mitfühlenden Leser über Seiten. In "Der Wunderling" gibt es nichts, was uns derart fesseln könnte.
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Mira Bartók: "Der Wunderling". Roman.
Aus dem Englischen von Sabine Schulte. Aladin Verlag, Hamburg 2017. 480 S., geb., 16,95 [Euro]. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Filmrechte an Mira Bartóks "Der Wunderling" waren schon verkauft, bevor das Buch geschrieben war. Es ist nicht gut geschrieben
Als Quintus den armen Waisenjungen am Flussufer von Lichterburg aufgelesen hat und ihn seiner kleinen Diebestruppe als neues Mitglied vorstellt, macht er aus dessen Herkunft sicherheitshalber eine große Sache: Arthur sei "jetzt kommt's, Freunde . . . durch den Wilden Wald gewandert", schwärmt der Anführer. Zustimmendes Brummen und ein "Donnerwetter" sind die Antwort.
Man trifft sich in der Villa Irrwege im verkommenen Teil Lichterburgs, der in Mira Bartóks Buch "Der Wunderling - Liederfänger" den Erdlingen vorbehalten ist, Mischwesen aus Mensch und Tier, die von den Menschen beargwöhnt und mehr als schlecht behandelt werden. Quintus hat etwas von einer Ratte, Arthur von einem Fuchs mit nur einem Ohr, zu der Bande gehören Wiesel-, Hunde-, Kaninchen-Erdlinge und einige mehr.
Wie diese Mischwesen auf die Welt gekommen sind, die auch von gewöhnlichen Tieren, dazu von uralten Wesen mit übernatürlichen Kräften bewohnt und von allerlei Steampunk-Technik betrieben wird, behält die amerikanische Autorin für sich. Dafür schildert sie, wie die unerschrockene Trixi den schüchternen Arthur zur Flucht aus Miss Carbunkles Heim für widerspenstige und missratene Geschöpfe überredet, den gemeinsamen Weg über Feld und Wiesen, seinen allein in die Stadt auf der Suche nach dem, was im Buch schlicht "seine Bestimmung" heißt, den Weg in die Unter-Tage-Stadt Finstergrund, die Reise zum Showdown zurück ins Waisenhaus und schließlich in sein neues Zuhause bei Phoebe Nightingale, der liebreizenden Zwillingsschwester der boshaften Miss Carbunkle.
Phoebe ist eine große Sängerin, während Arthur anfangs kaum zu sprechen wagt und gar nicht glauben kann, dass er im Schlaf singt. Und zwar ausnehmend schön. Wo Singen und Musizieren doch strengstens verboten sind im Waisenhaus. Und nicht nur das: Miss Carbunkle will den von ihrem Vater erfundenen Liederfänger stehlen lassen, um ihn von einem Aufnahme- und Abspielgerät der schönsten Lieder, Gefühle, Träume zu einer, so der Plan, Vernichtungswaffe umzubauen, die den armen Erdlingen noch das letzte nehmen soll, was ihnen Hoffnung gibt.
Die Mächte und Missionen, die Kulissen und Charaktere, die Mira Bartók aufbietet, können sich also sehen lassen. Dass mit ihnen nicht unbedingt ein Originalitätspreis zu gewinnen wäre, sollte man ihr nicht verübeln: Es unterscheidet sie nicht von all den anderen Kinderbüchern mit Fantasy-Elementen, in denen sich unwahrscheinliche Helden gegen offensichtlich böse Mächte behaupten müssen und überraschend Beistand erfahren.
Man möchte der Erfolgsgeschichte des "Wunderlings" glauben, dass hundert Seiten Manuskript und eine grobe Übersicht des Geplanten, die Reißbrettfassung des Buchs sozusagen, für die Fox Studios genügt haben, um gleich eine siebenstellige Summe für die Filmrechte zu bieten. Nach der kompletten Lektüre des - in deutscher Übersetzung - Vierhundertsiebzigseiters nämlich ist eine solche Begeisterung kaum mehr vorstellbar, so nachlässig erzählt, wie dieses Buch ist, so einfältig, wie seine Figuren ausgestaltet sind.
Vielleicht hätte "Der Wunderling" das Reißbrett nie verlassen sollen. Weit ist er jedenfalls nicht gekommen: Den Figuren fehlt Blut, den Schilderungen Witz - und oft genug Sorgfalt. Da tropft der Regen im Schulzimmer des Waisenhauses durch die Decke, obwohl noch eine weitere Etage das Erd- vom Dachgeschoss trennt. Da wird dem armen Arthur in der Tristesse von Finstergrund "ein kleines Loch in der Wand" als neues Zuhause zugewiesen, das achtzehn Seiten später wiederum groß genug ist, damit sich der Erdling "in eine Ecke seiner kalten, feuchten Höhle" kuscheln kann.
Wo es der Autorin an suggestivem Können fehlt, wird sie entweder kitschig oder grob: "Es war, als würde die Stadt unter der Stadt weinen", fällt Mira Bartók zum Tropfwasser der Höhlen von Finstergrund ein. "Die Luft fühlte sich alt an und voller Leid, als habe sie den Kummer von Jahrhunderten aufgesogen", heißt es, als Arthur einmal aus seinem Loch "auf die düstere Welt" hinunterschaut. Der Fluss, der den strahlenden Teil Lichterburgs mit seinen herrschsüchtigen Menschen unter hohen Hüten von dem Teil trennt, in dem die Erdlinge wohnen dürfen, stinkt nicht nur "nach totem Fisch und Kloake und allen möglichen anderen ekligen Dingen". Tatsächlich treiben sogar "Müll und tote Tiere" auf den Wellen. Ein Bild will bei einer derart stumpfen Schilderung schwerlich entstehen und ein Gefühl für Arthurs Lage angesichts dieses Anblicks schon gar nicht.
Auch zum Wilden Wald, dessen mutige Durchquerung den Halunken in der Villa Irrwege solchen Respekt abnötigt, fällt Mira Bartók nicht viel ein: Auf seiner Wanderung kommt Arthur abends an dessen Rand und hört beim Einschlafen unter einem Baum noch, wie alle Tiere "ihren Lieben zuzurufen" scheinen, sie mögen doch nach Hause kommen. Vier Zeilen und drei offenbar ereignislose Wandertage später "sah er zu seiner Erleichterung Sonnenlicht in den Wald strömen, und dann erreichte er den Waldrand".
Über hundert Jahre vor Mira Bartók hat Kenneth Grahame in "Der Wind in den Weiden" schon einmal einen Wanderer in einen wilden Wald geschickt. Wie hier Zuversicht und Frohsinn des kleinen Maulwurfs nach und nach zu Angst und Verzweiflung werden, fesselt den mitfühlenden Leser über Seiten. In "Der Wunderling" gibt es nichts, was uns derart fesseln könnte.
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Mira Bartók: "Der Wunderling". Roman.
Aus dem Englischen von Sabine Schulte. Aladin Verlag, Hamburg 2017. 480 S., geb., 16,95 [Euro]. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.2017Eine Vernichtungswaffe gegen aufmüpfinge Erdlinge
Die Filmrechte an Mira Bartóks "Der Wunderling" waren schon verkauft, bevor das Buch geschrieben war. Es ist nicht gut geschrieben
Als Quintus den armen Waisenjungen am Flussufer von Lichterburg aufgelesen hat und ihn seiner kleinen Diebestruppe als neues Mitglied vorstellt, macht er aus dessen Herkunft sicherheitshalber eine große Sache: Arthur sei "jetzt kommt's, Freunde . . . durch den Wilden Wald gewandert", schwärmt der Anführer. Zustimmendes Brummen und ein "Donnerwetter" sind die Antwort.
Man trifft sich in der Villa Irrwege im verkommenen Teil Lichterburgs, der in Mira Bartóks Buch "Der Wunderling - Liederfänger" den Erdlingen vorbehalten ist, Mischwesen aus Mensch und Tier, die von den Menschen beargwöhnt und mehr als schlecht behandelt werden. Quintus hat etwas von einer Ratte, Arthur von einem Fuchs mit nur einem Ohr, zu der Bande gehören Wiesel-, Hunde-, Kaninchen-Erdlinge und einige mehr.
Wie diese Mischwesen auf die Welt gekommen sind, die auch von gewöhnlichen Tieren, dazu von uralten Wesen mit übernatürlichen Kräften bewohnt und von allerlei Steampunk-Technik betrieben wird, behält die amerikanische Autorin für sich. Dafür schildert sie, wie die unerschrockene Trixi den schüchternen Arthur zur Flucht aus Miss Carbunkles Heim für widerspenstige und missratene Geschöpfe überredet, den gemeinsamen Weg über Feld und Wiesen, seinen allein in die Stadt auf der Suche nach dem, was im Buch schlicht "seine Bestimmung" heißt, den Weg in die Unter-Tage-Stadt Finstergrund, die Reise zum Showdown zurück ins Waisenhaus und schließlich in sein neues Zuhause bei Phoebe Nightingale, der liebreizenden Zwillingsschwester der boshaften Miss Carbunkle.
Phoebe ist eine große Sängerin, während Arthur anfangs kaum zu sprechen wagt und gar nicht glauben kann, dass er im Schlaf singt. Und zwar ausnehmend schön. Wo Singen und Musizieren doch strengstens verboten sind im Waisenhaus. Und nicht nur das: Miss Carbunkle will den von ihrem Vater erfundenen Liederfänger stehlen lassen, um ihn von einem Aufnahme- und Abspielgerät der schönsten Lieder, Gefühle, Träume zu einer, so der Plan, Vernichtungswaffe umzubauen, die den armen Erdlingen noch das letzte nehmen soll, was ihnen Hoffnung gibt.
Die Mächte und Missionen, die Kulissen und Charaktere, die Mira Bartók aufbietet, können sich also sehen lassen. Dass mit ihnen nicht unbedingt ein Originalitätspreis zu gewinnen wäre, sollte man ihr nicht verübeln: Es unterscheidet sie nicht von all den anderen Kinderbüchern mit Fantasy-Elementen, in denen sich unwahrscheinliche Helden gegen offensichtlich böse Mächte behaupten müssen und überraschend Beistand erfahren.
Man möchte der Erfolgsgeschichte des "Wunderlings" glauben, dass hundert Seiten Manuskript und eine grobe Übersicht des Geplanten, die Reißbrettfassung des Buchs sozusagen, für die Fox Studios genügt haben, um gleich eine siebenstellige Summe für die Filmrechte zu bieten. Nach der kompletten Lektüre des - in deutscher Übersetzung - Vierhundertsiebzigseiters nämlich ist eine solche Begeisterung kaum mehr vorstellbar, so nachlässig erzählt, wie dieses Buch ist, so einfältig, wie seine Figuren ausgestaltet sind.
Vielleicht hätte "Der Wunderling" das Reißbrett nie verlassen sollen. Weit ist er jedenfalls nicht gekommen: Den Figuren fehlt Blut, den Schilderungen Witz - und oft genug Sorgfalt. Da tropft der Regen im Schulzimmer des Waisenhauses durch die Decke, obwohl noch eine weitere Etage das Erd- vom Dachgeschoss trennt. Da wird dem armen Arthur in der Tristesse von Finstergrund "ein kleines Loch in der Wand" als neues Zuhause zugewiesen, das achtzehn Seiten später wiederum groß genug ist, damit sich der Erdling "in eine Ecke seiner kalten, feuchten Höhle" kuscheln kann.
Wo es der Autorin an suggestivem Können fehlt, wird sie entweder kitschig oder grob: "Es war, als würde die Stadt unter der Stadt weinen", fällt Mira Bartók zum Tropfwasser der Höhlen von Finstergrund ein. "Die Luft fühlte sich alt an und voller Leid, als habe sie den Kummer von Jahrhunderten aufgesogen", heißt es, als Arthur einmal aus seinem Loch "auf die düstere Welt" hinunterschaut. Der Fluss, der den strahlenden Teil Lichterburgs mit seinen herrschsüchtigen Menschen unter hohen Hüten von dem Teil trennt, in dem die Erdlinge wohnen dürfen, stinkt nicht nur "nach totem Fisch und Kloake und allen möglichen anderen ekligen Dingen". Tatsächlich treiben sogar "Müll und tote Tiere" auf den Wellen. Ein Bild will bei einer derart stumpfen Schilderung schwerlich entstehen und ein Gefühl für Arthurs Lage angesichts dieses Anblicks schon gar nicht.
Auch zum Wilden Wald, dessen mutige Durchquerung den Halunken in der Villa Irrwege solchen Respekt abnötigt, fällt Mira Bartók nicht viel ein: Auf seiner Wanderung kommt Arthur abends an dessen Rand und hört beim Einschlafen unter einem Baum noch, wie alle Tiere "ihren Lieben zuzurufen" scheinen, sie mögen doch nach Hause kommen. Vier Zeilen und drei offenbar ereignislose Wandertage später "sah er zu seiner Erleichterung Sonnenlicht in den Wald strömen, und dann erreichte er den Waldrand".
Über hundert Jahre vor Mira Bartók hat Kenneth Grahame in "Der Wind in den Weiden" schon einmal einen Wanderer in einen wilden Wald geschickt. Wie hier Zuversicht und Frohsinn des kleinen Maulwurfs nach und nach zu Angst und Verzweiflung werden, fesselt den mitfühlenden Leser über Seiten. In "Der Wunderling" gibt es nichts, was uns derart fesseln könnte.
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Mira Bartók: "Der Wunderling". Roman.
Aus dem Englischen von Sabine Schulte. Aladin Verlag, Hamburg 2017. 480 S., geb., 16,95 [Euro]. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Filmrechte an Mira Bartóks "Der Wunderling" waren schon verkauft, bevor das Buch geschrieben war. Es ist nicht gut geschrieben
Als Quintus den armen Waisenjungen am Flussufer von Lichterburg aufgelesen hat und ihn seiner kleinen Diebestruppe als neues Mitglied vorstellt, macht er aus dessen Herkunft sicherheitshalber eine große Sache: Arthur sei "jetzt kommt's, Freunde . . . durch den Wilden Wald gewandert", schwärmt der Anführer. Zustimmendes Brummen und ein "Donnerwetter" sind die Antwort.
Man trifft sich in der Villa Irrwege im verkommenen Teil Lichterburgs, der in Mira Bartóks Buch "Der Wunderling - Liederfänger" den Erdlingen vorbehalten ist, Mischwesen aus Mensch und Tier, die von den Menschen beargwöhnt und mehr als schlecht behandelt werden. Quintus hat etwas von einer Ratte, Arthur von einem Fuchs mit nur einem Ohr, zu der Bande gehören Wiesel-, Hunde-, Kaninchen-Erdlinge und einige mehr.
Wie diese Mischwesen auf die Welt gekommen sind, die auch von gewöhnlichen Tieren, dazu von uralten Wesen mit übernatürlichen Kräften bewohnt und von allerlei Steampunk-Technik betrieben wird, behält die amerikanische Autorin für sich. Dafür schildert sie, wie die unerschrockene Trixi den schüchternen Arthur zur Flucht aus Miss Carbunkles Heim für widerspenstige und missratene Geschöpfe überredet, den gemeinsamen Weg über Feld und Wiesen, seinen allein in die Stadt auf der Suche nach dem, was im Buch schlicht "seine Bestimmung" heißt, den Weg in die Unter-Tage-Stadt Finstergrund, die Reise zum Showdown zurück ins Waisenhaus und schließlich in sein neues Zuhause bei Phoebe Nightingale, der liebreizenden Zwillingsschwester der boshaften Miss Carbunkle.
Phoebe ist eine große Sängerin, während Arthur anfangs kaum zu sprechen wagt und gar nicht glauben kann, dass er im Schlaf singt. Und zwar ausnehmend schön. Wo Singen und Musizieren doch strengstens verboten sind im Waisenhaus. Und nicht nur das: Miss Carbunkle will den von ihrem Vater erfundenen Liederfänger stehlen lassen, um ihn von einem Aufnahme- und Abspielgerät der schönsten Lieder, Gefühle, Träume zu einer, so der Plan, Vernichtungswaffe umzubauen, die den armen Erdlingen noch das letzte nehmen soll, was ihnen Hoffnung gibt.
Die Mächte und Missionen, die Kulissen und Charaktere, die Mira Bartók aufbietet, können sich also sehen lassen. Dass mit ihnen nicht unbedingt ein Originalitätspreis zu gewinnen wäre, sollte man ihr nicht verübeln: Es unterscheidet sie nicht von all den anderen Kinderbüchern mit Fantasy-Elementen, in denen sich unwahrscheinliche Helden gegen offensichtlich böse Mächte behaupten müssen und überraschend Beistand erfahren.
Man möchte der Erfolgsgeschichte des "Wunderlings" glauben, dass hundert Seiten Manuskript und eine grobe Übersicht des Geplanten, die Reißbrettfassung des Buchs sozusagen, für die Fox Studios genügt haben, um gleich eine siebenstellige Summe für die Filmrechte zu bieten. Nach der kompletten Lektüre des - in deutscher Übersetzung - Vierhundertsiebzigseiters nämlich ist eine solche Begeisterung kaum mehr vorstellbar, so nachlässig erzählt, wie dieses Buch ist, so einfältig, wie seine Figuren ausgestaltet sind.
Vielleicht hätte "Der Wunderling" das Reißbrett nie verlassen sollen. Weit ist er jedenfalls nicht gekommen: Den Figuren fehlt Blut, den Schilderungen Witz - und oft genug Sorgfalt. Da tropft der Regen im Schulzimmer des Waisenhauses durch die Decke, obwohl noch eine weitere Etage das Erd- vom Dachgeschoss trennt. Da wird dem armen Arthur in der Tristesse von Finstergrund "ein kleines Loch in der Wand" als neues Zuhause zugewiesen, das achtzehn Seiten später wiederum groß genug ist, damit sich der Erdling "in eine Ecke seiner kalten, feuchten Höhle" kuscheln kann.
Wo es der Autorin an suggestivem Können fehlt, wird sie entweder kitschig oder grob: "Es war, als würde die Stadt unter der Stadt weinen", fällt Mira Bartók zum Tropfwasser der Höhlen von Finstergrund ein. "Die Luft fühlte sich alt an und voller Leid, als habe sie den Kummer von Jahrhunderten aufgesogen", heißt es, als Arthur einmal aus seinem Loch "auf die düstere Welt" hinunterschaut. Der Fluss, der den strahlenden Teil Lichterburgs mit seinen herrschsüchtigen Menschen unter hohen Hüten von dem Teil trennt, in dem die Erdlinge wohnen dürfen, stinkt nicht nur "nach totem Fisch und Kloake und allen möglichen anderen ekligen Dingen". Tatsächlich treiben sogar "Müll und tote Tiere" auf den Wellen. Ein Bild will bei einer derart stumpfen Schilderung schwerlich entstehen und ein Gefühl für Arthurs Lage angesichts dieses Anblicks schon gar nicht.
Auch zum Wilden Wald, dessen mutige Durchquerung den Halunken in der Villa Irrwege solchen Respekt abnötigt, fällt Mira Bartók nicht viel ein: Auf seiner Wanderung kommt Arthur abends an dessen Rand und hört beim Einschlafen unter einem Baum noch, wie alle Tiere "ihren Lieben zuzurufen" scheinen, sie mögen doch nach Hause kommen. Vier Zeilen und drei offenbar ereignislose Wandertage später "sah er zu seiner Erleichterung Sonnenlicht in den Wald strömen, und dann erreichte er den Waldrand".
Über hundert Jahre vor Mira Bartók hat Kenneth Grahame in "Der Wind in den Weiden" schon einmal einen Wanderer in einen wilden Wald geschickt. Wie hier Zuversicht und Frohsinn des kleinen Maulwurfs nach und nach zu Angst und Verzweiflung werden, fesselt den mitfühlenden Leser über Seiten. In "Der Wunderling" gibt es nichts, was uns derart fesseln könnte.
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Mira Bartók: "Der Wunderling". Roman.
Aus dem Englischen von Sabine Schulte. Aladin Verlag, Hamburg 2017. 480 S., geb., 16,95 [Euro]. Ab 10 J.
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