Die kryptographische Abteilung des US-Geheimdienstes NSA verfügt über einen geheimen Super-Computer, der in der Lage ist, innerhalb kürzester Zeit jeden Code (und somit jede verschlüsselte Botschaft) zu knacken. Der Rechner kommt zum Einsatz, wenn Terroristen, Drogenhändler und andere Kriminelle ihre Pläne mittels codierter Texte verschleiern und die Sicherheit der USA auf dem Spiel steht. In der Vergangenheit konnten die Kryptographen täglich hunderte von Codes knacken bis zu dem Tage, als Diabolus zum Einsatz kommt: Ein mysteriöses Programm, das den Super-Rechner offenbar überfordert. Der Entwickler des Programms droht, Diabolus der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Würde dieses Programm zum Verschlüsselungs-Standard werden, wäre der erfolgreichen Verbrechensbekämpfung der NSA über Nacht die Basis entzogen. Die Mitarbeiter des Geheimdienstes setzen alle Hebel in Bewegung, das drohende Desaster zu verhindern...
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.02.2005Jeder Mensch hat das Recht auf ein Geheimnis
Alles so schön krypto: Das Genre der Mystery-Thriller blüht, und Dan Browns Debüt "Diabolus" erscheint endlich auf deutsch
Dan Brown ist Anfang Vierzig, Schriftsteller, und er scheint im Besitz eines der kostbarsten Geheimnisse der Literaturgeschichte zu sein: Wie mischt man Plot, Figuren und Stil eines Romans so, daß daraus auf jeden Fall ein Bestseller wird?
Von dem Thriller "Sakrileg" (im Original: "The Da Vinci Code") wurden weltweit mehr als 18 Millionen Exemplare verkauft, rund eine Million allein in Deutschland: Der Thriller, der sich um die Mona Lisa und den Louvre, die Legende des Heiligen Grals und die Tempelritter rankt, war in Deutschland das bestverkaufte Buch des Jahres 2004 und verkauft sich immer noch bestens; in der "Spiegel"-Bestsellerliste wird er morgen wieder auf Platz eins stehen.
Als der Gustav-Lübbe-Verlag für dieses Frühjahr Dan Browns ersten, in Deutschland noch unveröffentlichten Roman "Digital Fortress" unter dem Titel "Diabolus" ankündigte, erreichte die Aufregung ihren Höhepunkt. Schon Wochen vor dem Auslieferungstermin stieg das Buch wegen der zahllosen Vorbestellungen bei Amazon.de kontinuierlich im Verkaufsrang. Mittlerweile ist es auf dem dritten Platz angekommen - ohne daß nur ein einziges Exemplar verschickt worden wäre.
Die Entstehungsgeschichte des Buches ist längst Teil des Mythos. Im Jahre 1994 las der damalige High-school-Lehrer Dan Brown während eines Urlaubs am Strand von Tahiti "Die letzte Verschwörung" von Sidney Sheldon und beschloß, jetzt endlich selber einen Thriller zu schreiben. "Digital Fortress" erschien zunächst als E-Book und erst 1998 auf Papier, und auf den ersten Blick könnte man meinen, daß Dan Brown damals einfach nur einen oberflächlichen politischen Thriller geschrieben habe: Der amerikanische Geheimdienst NSA ist auf einen geheimnisvollen Code gestoßen, den selbst Hochleistungsrechner nicht entschlüsseln können - ein Albtraum für diese Regierungsbehörde, deren Aufgabe die Überwachung des Nachrichtenverkehrs ist. Während die Kryptographin Susan Fletcher im Hauptquartier der National Security Agency einer Verschwörung auf die Spur kommt, sucht der Sprachwissenschaftler David Becker im spanischen Sevilla nach dem Schlüssel zu einem der "gefährlichsten Computerprogramme der Welt".
Dan Browns erster Roman war kein besonders großer Erfolg in den Vereinigten Staaten - obwohl "Diabolus" aus handwerklicher Sicht Browns späteren Bestsellern in nichts nachsteht. Klar und präzise stehen auch hier die Sätze auf den Seiten; die Kapitel sind kurz und enden mit atemberaubenden Cliffhangern. Und die Action-Szenen, die schnellen Ortswechsel haben den Effekt, daß die Leser genauso wie die Figuren "in Adrenalin schwimmen". Dieser Schriftsteller weiß, wie man Tempo macht. Und er wußte es von Anfang an.
Andere Bestandteile der Marke "Dan Brown" deuten sich in "Diabolus" allerdings erst an. Zwar hetzt David Becker während der Jagd nach dem geheimnisvollen Schlüssel in Spanien von einer touristischen Sehenswürdigkeit zur nächsten, und zwischen zwei Schüssen, die "spritzend" in den Marmorboden der berühmten Kathedrale von Sevilla fahren, lernt man ganz nebenbei allerhand über die sakrale Architektur des Mittelalters und die Eigenheiten der Heiligen Kommunion.
Wer aber Browns spätere Romane "Illuminati" und "Sakrileg" wegen der ausführlichen Exkurse in die dunkle Vergangenheit der katholischen Kirche mochte, wird von dem ganz der Gegenwart verhafteten "Diabolus" enttäuscht sein. Auch von der Faszination des Autors für Tempelritter, Freimaurer und andere Geheimbünde ist kaum etwas zu spüren. Genau darin liegt allerdings Dan Browns spätere Faszinationskraft begründet - und der Erfolg eines gesamten Genres.
Und während die deutsche Ausgabe von "Diabolus" jetzt zurück zu den Anfängen von Dan Brown führt, scheint sich der Boom der "mystery thriller" seinem Höhepunkt zu nähern. Der Megaseller "Sakrileg" hat diese Mischung aus spannenden Plots, esoterischen Verschwörungstheorien und kulturgeschichtlichen Einlassungen, für welche Umberto Eco 1988 mit seinem mittlerweile fast vergessenen Roman "Das Foucaultsche Pendel" die intellektuelle Blaupause lieferte, fest auf dem internationalen Buchmarkt etabliert: Blättert man in diesem Frühjahr durch die Vorschauen der deutschen Verlage, stößt man überall auf Romane mit mörderischen Geheimbünden, intriganten Kardinälen und verborgenen christlichen Überlieferungen.
Nicht wenige dieser Werke lehnen sich schamlos an den Marktführer an. So verfolgt Julia Navarro zum Beispiel in der "Stummen Bruderschaft" die Spur des Turiner Grabtuchs Christi und landet schließlich - wie vor ihr Dan Brown - bei einer Organisation aus "lauter diskreten, aber sehr einflußreichen Männern" in direkter Nachfolge der Tempelritter. Und obwohl sie längst nicht so schnell und schnörkellos schreibt wie ihr Vorbild, ist es Julia Navarro immerhin gelungen, in ihrem Heimatland Spanien mit den 300 000 verkauften Exemplaren ihres eigenen Romans Dan Brown vom ersten Platz der Bestsellerlisten zu verdrängen.
Andere, wie der deutsche Schriftsteller Jörg Kastner, reichern das angestaubte Genre des historischen Kriminalromans um "mystery"-Elemente an. In seinem neuen Roman "Die Farbe Blau", dessen Handlung im frühen 17. Jahrhundert angesiedelt ist, erzählt Kastner die blutige Wirkungsgeschichte eines "dämonischen Gemäldes" aus der Werkstatt Rembrandts vor dem Hintergrund religiöser Auseinandersetzungen: Eine Gruppe von fanatischen Katholiken, die sich auf den historisch verbürgten Jesuiten und Königsmörder Balthazar Gérard beruft, überzieht das calvinistische Amsterdam mit blutrünstigen Anschlägen.
Bei Kastner erfährt man einiges über das Leben Rembrandts und die Geschichte der Niederlande, und überhaupt stellen die Mystery-Thriller zunächst einmal eine äußerst lehrreiche Lektüre dar - wenn man sich damit abfindet, daß im Mittelpunkt dieser Romane meist etwas streberhafte Geisteshelden wie Dan Browns David Becker mit seinen "fließenden Kenntnissen in sechs asiatischen Idiomen" stehen. In Julia Navarros "Stummer Bruderschaft" erfährt man vermutlich mehr über das Grabtuch Christi als in jeder kirchengeschichtlichen Dissertation zum Thema "Reliquienverehrung"; und selbst gehobene Sachtexte wie Margaret Starbirds "Die Frau mit dem Alabaster-Krug", in der es um die historische Figur der Maria Magdalena geht, dürften nun aufgrund der Verlagswerbung aufmerksame Leser finden: "Das Schlüsselbuch zu Dan Browns Sakrileg".
So übernehmen diese Mystery-Thriller aus den großen Verlagshäusern zunächst einmal eine Funktion, die im späten 18. Jahrhundert die Reiseliteratur erfüllte. An überwiegend touristisch geprägten Schauplätzen vermitteln sie ihren Lesern Einblicke in einen mehr oder weniger klassischen Bildungskanon, der durch hermeneutischen "gossip" und vermeintlich skandalträchtige Thesen angereichert wird. In Frankreich hat man sich schon damit abgefunden, daß die letzten Reste der europäischen Kultur allein in den Werken der Unterhaltungsliteratur erhalten werden: Obwohl die ungeliebten Studios von Hollywood hinter der für das nächste Jahr angekündigten Verfilmung von "Sakrileg" stehen, hat die Regierung längst die Drehgenehmigung für diverse Schlösser und Museen erteilt. Selbst der Louvre steht für die Filmaufnahmen mit Tom Hanks zur Verfügung.
Den anspruchsvollsten Mystery-Thriller der Saison haben zwei junge Amerikaner geschrieben. Im Mittelpunkt von Ian Caldwells und Dustin Thomasons ausschweifendem Roman "Das letzte Geheimnis" steht die 1499 erschienene "Hypnerotomachia Poliphili", ein schwer zugängliches und bis heute nicht vollständig erschlossenes Werk. Während zwei Studenten in Princeton zwischen die Fronten einer wissenschaftlichen Kontroverse geraten und es schließlich auf dem Campus zu mehreren Morden kommt, muß der Leser auf knapp fünfhundert eng bedruckten Seiten einen Schnellkurs in der Geschichte und Kultur der italienischen Renaissance durchlaufen - bis hin zu detaillierten philologischen und kunstgeschichtlichen Exkursen: Harter Stoff in der Tradition Umberto Ecos.
Bei Caldwell und Thomason erfährt man ganz nebenbei auch einiges zum Thema "verschlüsselte Botschaften" - und hier schließt sich der Bogen, der vom momentanen Boom der Mystery-Thriller zurück zu Dan Browns erstem Roman führt. "Diabolus" ist nämlich nicht nur ein äußerst spannender Roman; er bringt seinen Lesern auch die Grundlagen der Kryptographie nahe. Vom antiken "Caesar-Code" bis hin zu zeitgemäßen "Brute-Force-Angriffen" erfährt man in einfachen Worten alles, was man wissen muß, um zu begreifen, daß heute jede Botschaft mit den entsprechenden computergestützten Hilfsmitteln wieder dechiffriert werden kann.
Das heißt, fast jede Botschaft: An dem Algorithmus "Diabolus" beißen sich Experten der NSA trotz ihrer nahezu unbegrenzten technischen Möglichkeiten die Zähne aus - und müssen schließlich entdecken, daß ein ehemaliger Kollege für den Code zuständig ist: Der Computerspezialist Ensei Tankado will der NSA und der Menschheit demonstrieren, daß "jedermann ein Recht auf Geheimnisse hat".
In diesem Satz steckt gewissermaßen das gesamte Programm des Genres, und auch wenn Dan Browns Debüt das kulturgeschichtliche Pathos von "Illuminati" und "Sakrileg" fehlt, ist "Diabolus" zuletzt doch ein echter Mystery-Thriller. Genau wie in den zahllosen anderen Romanen, die jetzt in die Buchhandlungen drängen, wird hier trotz aller Gelehrsamkeit die Illusion aufrechterhalten, daß in einer durch Wissenschaft und Technik gänzlich entzauberten Welt immer noch Platz für ein "letztes Geheimnis" ist: für einen alten Folianten, der seinen Inhalt nicht preisgeben will und "Licht auf die Randbereiche der Erfahrung wirft", ein beunruhigendes Gemälde, dessen Anblick Menschen zu Mördern macht, oder ein Grabtuch mit einem schemenhaften Abdruck, dessen wahren Ursprung Kirchenhistoriker und Archäologen "bis heute nicht geklärt haben".
Selbstverständlich bleibt nichts davon wirklich im verborgenen, denn nicht nur das Kunstwerk, sondern auch das Geheimnis erfährt im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit einen fundamentalen Bedeutungswandel: Wer in diesen Tagen Dan Browns "Diabolus" liest, um hinter das Rätsel um die scheinbar vom Teufel selbst codierte Nachricht zu kommen, wird die Lösung mit einer Million anderen Deutschen teilen müssen - und anschließend wird er mit ihnen auf den nächsten, wirklich neuen Roman des amerikanischen Schriftstellers warten.
Über dessen Inhalt ist allerdings zwischen Verlag und Autor in einem umfangreichen Vertragswerk strengstes Stillschweigen vereinbart worden. Dan Brown weiß, wie man ein Geheimnis bewahrt. Und vor allem weiß er, wie man es verkauft.
KOLJA MENSING
Dan Brown: "Diabolus". Aus dem Amerikanischen von Peter A. Schmidt. Gustav Lübbe, Bergisch-Gladbach 2005. 524 Seiten, geb., 19,90 Euro
Ian Caldwell, Dustin Thomason: "Das letzte Geheimnis". Aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt. Gustav Lübbe, Bergisch-Gladbach 2005. 443 Seiten, geb., 19,90 Euro
Jörg Kastner: "Die Farbe Blau". Knaur, München 2005. 414 Seiten, geb., 19,90 Euro
Julia Navarro: "Die stumme Bruderschaft". Aus dem Spanischen von Sabine Giersberg. Limes, München 2005. 411 Seiten, geb., 19,90 Euro
Margaret Starbird: "Die Frau mit dem Alabaster Krug. Das Geheimnis der Maria Magdalena". Aus dem Amerikanischen von Sabina Trooger und Vincenzo Benestante. Allegria, Berlin 2005. 272 Seiten, geb., 20 Euro
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Alles so schön krypto: Das Genre der Mystery-Thriller blüht, und Dan Browns Debüt "Diabolus" erscheint endlich auf deutsch
Dan Brown ist Anfang Vierzig, Schriftsteller, und er scheint im Besitz eines der kostbarsten Geheimnisse der Literaturgeschichte zu sein: Wie mischt man Plot, Figuren und Stil eines Romans so, daß daraus auf jeden Fall ein Bestseller wird?
Von dem Thriller "Sakrileg" (im Original: "The Da Vinci Code") wurden weltweit mehr als 18 Millionen Exemplare verkauft, rund eine Million allein in Deutschland: Der Thriller, der sich um die Mona Lisa und den Louvre, die Legende des Heiligen Grals und die Tempelritter rankt, war in Deutschland das bestverkaufte Buch des Jahres 2004 und verkauft sich immer noch bestens; in der "Spiegel"-Bestsellerliste wird er morgen wieder auf Platz eins stehen.
Als der Gustav-Lübbe-Verlag für dieses Frühjahr Dan Browns ersten, in Deutschland noch unveröffentlichten Roman "Digital Fortress" unter dem Titel "Diabolus" ankündigte, erreichte die Aufregung ihren Höhepunkt. Schon Wochen vor dem Auslieferungstermin stieg das Buch wegen der zahllosen Vorbestellungen bei Amazon.de kontinuierlich im Verkaufsrang. Mittlerweile ist es auf dem dritten Platz angekommen - ohne daß nur ein einziges Exemplar verschickt worden wäre.
Die Entstehungsgeschichte des Buches ist längst Teil des Mythos. Im Jahre 1994 las der damalige High-school-Lehrer Dan Brown während eines Urlaubs am Strand von Tahiti "Die letzte Verschwörung" von Sidney Sheldon und beschloß, jetzt endlich selber einen Thriller zu schreiben. "Digital Fortress" erschien zunächst als E-Book und erst 1998 auf Papier, und auf den ersten Blick könnte man meinen, daß Dan Brown damals einfach nur einen oberflächlichen politischen Thriller geschrieben habe: Der amerikanische Geheimdienst NSA ist auf einen geheimnisvollen Code gestoßen, den selbst Hochleistungsrechner nicht entschlüsseln können - ein Albtraum für diese Regierungsbehörde, deren Aufgabe die Überwachung des Nachrichtenverkehrs ist. Während die Kryptographin Susan Fletcher im Hauptquartier der National Security Agency einer Verschwörung auf die Spur kommt, sucht der Sprachwissenschaftler David Becker im spanischen Sevilla nach dem Schlüssel zu einem der "gefährlichsten Computerprogramme der Welt".
Dan Browns erster Roman war kein besonders großer Erfolg in den Vereinigten Staaten - obwohl "Diabolus" aus handwerklicher Sicht Browns späteren Bestsellern in nichts nachsteht. Klar und präzise stehen auch hier die Sätze auf den Seiten; die Kapitel sind kurz und enden mit atemberaubenden Cliffhangern. Und die Action-Szenen, die schnellen Ortswechsel haben den Effekt, daß die Leser genauso wie die Figuren "in Adrenalin schwimmen". Dieser Schriftsteller weiß, wie man Tempo macht. Und er wußte es von Anfang an.
Andere Bestandteile der Marke "Dan Brown" deuten sich in "Diabolus" allerdings erst an. Zwar hetzt David Becker während der Jagd nach dem geheimnisvollen Schlüssel in Spanien von einer touristischen Sehenswürdigkeit zur nächsten, und zwischen zwei Schüssen, die "spritzend" in den Marmorboden der berühmten Kathedrale von Sevilla fahren, lernt man ganz nebenbei allerhand über die sakrale Architektur des Mittelalters und die Eigenheiten der Heiligen Kommunion.
Wer aber Browns spätere Romane "Illuminati" und "Sakrileg" wegen der ausführlichen Exkurse in die dunkle Vergangenheit der katholischen Kirche mochte, wird von dem ganz der Gegenwart verhafteten "Diabolus" enttäuscht sein. Auch von der Faszination des Autors für Tempelritter, Freimaurer und andere Geheimbünde ist kaum etwas zu spüren. Genau darin liegt allerdings Dan Browns spätere Faszinationskraft begründet - und der Erfolg eines gesamten Genres.
Und während die deutsche Ausgabe von "Diabolus" jetzt zurück zu den Anfängen von Dan Brown führt, scheint sich der Boom der "mystery thriller" seinem Höhepunkt zu nähern. Der Megaseller "Sakrileg" hat diese Mischung aus spannenden Plots, esoterischen Verschwörungstheorien und kulturgeschichtlichen Einlassungen, für welche Umberto Eco 1988 mit seinem mittlerweile fast vergessenen Roman "Das Foucaultsche Pendel" die intellektuelle Blaupause lieferte, fest auf dem internationalen Buchmarkt etabliert: Blättert man in diesem Frühjahr durch die Vorschauen der deutschen Verlage, stößt man überall auf Romane mit mörderischen Geheimbünden, intriganten Kardinälen und verborgenen christlichen Überlieferungen.
Nicht wenige dieser Werke lehnen sich schamlos an den Marktführer an. So verfolgt Julia Navarro zum Beispiel in der "Stummen Bruderschaft" die Spur des Turiner Grabtuchs Christi und landet schließlich - wie vor ihr Dan Brown - bei einer Organisation aus "lauter diskreten, aber sehr einflußreichen Männern" in direkter Nachfolge der Tempelritter. Und obwohl sie längst nicht so schnell und schnörkellos schreibt wie ihr Vorbild, ist es Julia Navarro immerhin gelungen, in ihrem Heimatland Spanien mit den 300 000 verkauften Exemplaren ihres eigenen Romans Dan Brown vom ersten Platz der Bestsellerlisten zu verdrängen.
Andere, wie der deutsche Schriftsteller Jörg Kastner, reichern das angestaubte Genre des historischen Kriminalromans um "mystery"-Elemente an. In seinem neuen Roman "Die Farbe Blau", dessen Handlung im frühen 17. Jahrhundert angesiedelt ist, erzählt Kastner die blutige Wirkungsgeschichte eines "dämonischen Gemäldes" aus der Werkstatt Rembrandts vor dem Hintergrund religiöser Auseinandersetzungen: Eine Gruppe von fanatischen Katholiken, die sich auf den historisch verbürgten Jesuiten und Königsmörder Balthazar Gérard beruft, überzieht das calvinistische Amsterdam mit blutrünstigen Anschlägen.
Bei Kastner erfährt man einiges über das Leben Rembrandts und die Geschichte der Niederlande, und überhaupt stellen die Mystery-Thriller zunächst einmal eine äußerst lehrreiche Lektüre dar - wenn man sich damit abfindet, daß im Mittelpunkt dieser Romane meist etwas streberhafte Geisteshelden wie Dan Browns David Becker mit seinen "fließenden Kenntnissen in sechs asiatischen Idiomen" stehen. In Julia Navarros "Stummer Bruderschaft" erfährt man vermutlich mehr über das Grabtuch Christi als in jeder kirchengeschichtlichen Dissertation zum Thema "Reliquienverehrung"; und selbst gehobene Sachtexte wie Margaret Starbirds "Die Frau mit dem Alabaster-Krug", in der es um die historische Figur der Maria Magdalena geht, dürften nun aufgrund der Verlagswerbung aufmerksame Leser finden: "Das Schlüsselbuch zu Dan Browns Sakrileg".
So übernehmen diese Mystery-Thriller aus den großen Verlagshäusern zunächst einmal eine Funktion, die im späten 18. Jahrhundert die Reiseliteratur erfüllte. An überwiegend touristisch geprägten Schauplätzen vermitteln sie ihren Lesern Einblicke in einen mehr oder weniger klassischen Bildungskanon, der durch hermeneutischen "gossip" und vermeintlich skandalträchtige Thesen angereichert wird. In Frankreich hat man sich schon damit abgefunden, daß die letzten Reste der europäischen Kultur allein in den Werken der Unterhaltungsliteratur erhalten werden: Obwohl die ungeliebten Studios von Hollywood hinter der für das nächste Jahr angekündigten Verfilmung von "Sakrileg" stehen, hat die Regierung längst die Drehgenehmigung für diverse Schlösser und Museen erteilt. Selbst der Louvre steht für die Filmaufnahmen mit Tom Hanks zur Verfügung.
Den anspruchsvollsten Mystery-Thriller der Saison haben zwei junge Amerikaner geschrieben. Im Mittelpunkt von Ian Caldwells und Dustin Thomasons ausschweifendem Roman "Das letzte Geheimnis" steht die 1499 erschienene "Hypnerotomachia Poliphili", ein schwer zugängliches und bis heute nicht vollständig erschlossenes Werk. Während zwei Studenten in Princeton zwischen die Fronten einer wissenschaftlichen Kontroverse geraten und es schließlich auf dem Campus zu mehreren Morden kommt, muß der Leser auf knapp fünfhundert eng bedruckten Seiten einen Schnellkurs in der Geschichte und Kultur der italienischen Renaissance durchlaufen - bis hin zu detaillierten philologischen und kunstgeschichtlichen Exkursen: Harter Stoff in der Tradition Umberto Ecos.
Bei Caldwell und Thomason erfährt man ganz nebenbei auch einiges zum Thema "verschlüsselte Botschaften" - und hier schließt sich der Bogen, der vom momentanen Boom der Mystery-Thriller zurück zu Dan Browns erstem Roman führt. "Diabolus" ist nämlich nicht nur ein äußerst spannender Roman; er bringt seinen Lesern auch die Grundlagen der Kryptographie nahe. Vom antiken "Caesar-Code" bis hin zu zeitgemäßen "Brute-Force-Angriffen" erfährt man in einfachen Worten alles, was man wissen muß, um zu begreifen, daß heute jede Botschaft mit den entsprechenden computergestützten Hilfsmitteln wieder dechiffriert werden kann.
Das heißt, fast jede Botschaft: An dem Algorithmus "Diabolus" beißen sich Experten der NSA trotz ihrer nahezu unbegrenzten technischen Möglichkeiten die Zähne aus - und müssen schließlich entdecken, daß ein ehemaliger Kollege für den Code zuständig ist: Der Computerspezialist Ensei Tankado will der NSA und der Menschheit demonstrieren, daß "jedermann ein Recht auf Geheimnisse hat".
In diesem Satz steckt gewissermaßen das gesamte Programm des Genres, und auch wenn Dan Browns Debüt das kulturgeschichtliche Pathos von "Illuminati" und "Sakrileg" fehlt, ist "Diabolus" zuletzt doch ein echter Mystery-Thriller. Genau wie in den zahllosen anderen Romanen, die jetzt in die Buchhandlungen drängen, wird hier trotz aller Gelehrsamkeit die Illusion aufrechterhalten, daß in einer durch Wissenschaft und Technik gänzlich entzauberten Welt immer noch Platz für ein "letztes Geheimnis" ist: für einen alten Folianten, der seinen Inhalt nicht preisgeben will und "Licht auf die Randbereiche der Erfahrung wirft", ein beunruhigendes Gemälde, dessen Anblick Menschen zu Mördern macht, oder ein Grabtuch mit einem schemenhaften Abdruck, dessen wahren Ursprung Kirchenhistoriker und Archäologen "bis heute nicht geklärt haben".
Selbstverständlich bleibt nichts davon wirklich im verborgenen, denn nicht nur das Kunstwerk, sondern auch das Geheimnis erfährt im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit einen fundamentalen Bedeutungswandel: Wer in diesen Tagen Dan Browns "Diabolus" liest, um hinter das Rätsel um die scheinbar vom Teufel selbst codierte Nachricht zu kommen, wird die Lösung mit einer Million anderen Deutschen teilen müssen - und anschließend wird er mit ihnen auf den nächsten, wirklich neuen Roman des amerikanischen Schriftstellers warten.
Über dessen Inhalt ist allerdings zwischen Verlag und Autor in einem umfangreichen Vertragswerk strengstes Stillschweigen vereinbart worden. Dan Brown weiß, wie man ein Geheimnis bewahrt. Und vor allem weiß er, wie man es verkauft.
KOLJA MENSING
Dan Brown: "Diabolus". Aus dem Amerikanischen von Peter A. Schmidt. Gustav Lübbe, Bergisch-Gladbach 2005. 524 Seiten, geb., 19,90 Euro
Ian Caldwell, Dustin Thomason: "Das letzte Geheimnis". Aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt. Gustav Lübbe, Bergisch-Gladbach 2005. 443 Seiten, geb., 19,90 Euro
Jörg Kastner: "Die Farbe Blau". Knaur, München 2005. 414 Seiten, geb., 19,90 Euro
Julia Navarro: "Die stumme Bruderschaft". Aus dem Spanischen von Sabine Giersberg. Limes, München 2005. 411 Seiten, geb., 19,90 Euro
Margaret Starbird: "Die Frau mit dem Alabaster Krug. Das Geheimnis der Maria Magdalena". Aus dem Amerikanischen von Sabina Trooger und Vincenzo Benestante. Allegria, Berlin 2005. 272 Seiten, geb., 20 Euro
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