Die Abenteuer des Werner Holt, sie erinnern mich unwillkürlich an die von Frodo und seinen Gefährten in Tolkiens "Herr der Ringe" - allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: Im Moment der Befreiung, metaphorisch gesprochen: als der Ring in die Flammen fällt, findet sich der Held in der Hölle.
Das
Buch zeigt nachvollziehbar und authentisch, auf welchen Wegen selbst verbrecherische Ideologien wie…mehrDie Abenteuer des Werner Holt, sie erinnern mich unwillkürlich an die von Frodo und seinen Gefährten in Tolkiens "Herr der Ringe" - allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: Im Moment der Befreiung, metaphorisch gesprochen: als der Ring in die Flammen fällt, findet sich der Held in der Hölle.
Das Buch zeigt nachvollziehbar und authentisch, auf welchen Wegen selbst verbrecherische Ideologien wie die nationalsozialistische die Jugend für sich gewinnen - und ihr dabei doch das Bewusstsein belassen, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Das Buch beschreibt den Weg heraus aus dieser Trugwelt, und den Preis, den der zahlt, der sich dieser Welt nicht zu entziehen vermag. Eine Geschichte über Menschen wie du und ich.
Die Handlung nimmt ihren Lauf in der von Ferne bedrohten Idylle einer deutschen Kleinstadt im Frühjahr 1943: Aus einem Ernteeinsatz türmen sie in die Berge - um die Zeit bis zum ersehnten Einsatz bei der Flak zu überbrücken. Dort leben sie wie Robin Hood, als Jäger, Räuber, Rächer.
Wie in Tolkiens großem Epos werden die Prüfungen immer schwerer: Luftkrieg im Ruhrgebiet, Partisanenbekämpfung in der Slowakei; Einsatz an der Ostfront; schließlich als Teil eines letzten letzten Aufgebots. Es ist die Beteiligung an so fanatischer wie sinnloser Gewalt, die Werner immer tiefer erschüttert. Er ahnt schon, als er es noch nicht wissen will: Das vermeintliche Auenland selbst, es entpuppt sich als Mordor. Zum Sinnbild dessen wird ihm eine Sägemühle in der Slowakei, in deren Keller die SS einen Gefolterten zurückließ, und die Werners Gefährte Wolzow bis zum buchstäblich letzten Mann verteidigt.
Der unbefangene Glaube, dass seine Mission im Dienste seiner Ideale, des "Guten" im Kampf gegen das "Böse" steht, gerät bei Werner immer stärker ins Wanken. Der Preis der Abkehr ist hoch: Eine Geschichte ohne Held. Eine Erzählung vom Versagen. Und trotz allem auch die vom tiefen Wunsch, ein guter Mensch zu sein.
Dieter Noll, ist wie seine Helden, im Jahr 1927 geboren. Vieles, von dem was er erzählt, hat er selbst erlebt. Daraus schöpfen seine Schilderungen ihre Glaubwürdigkeit und Kraft.
Dies war es vermutlich, neben einigen Referenzen an den politischen Zeitgeist, was dem anfang der 60er erschienen Roman zu der zweifelhaften Ehre verhalf, in der DDR Pflichtlektüre an Schulen zu werden. Dies überrascht umso mehr, als die Geschichte in vielen Elementen wenig Anknüpfungspunkte für das ideologisch gewollte Geschichtsbild bot, ja teilweise wie eine Fluchtür wirkt, um der offiziellen Doktrin zu entfliehen.
Immer wieder lesen sich Passagen des Romans wie eine kommentierte Bibliographie, die die geistige Welt Werners und seiner Generation umreißt. Vieles aus der Feder von AutorInnen, nach denen allenfalls im Westen des geteilten Deutschlands Straßen oder Plätze benannt waren. Den stummen Soundtrack für den Roman bietet das Repertoire, das Werners Freund Peter auf seinem Klavier spielt.
Alles in allem: Eine packende Geschichte, spannend bis zum Schluss, eine intelligente Handlung, eine Hauptfigur, die sich ins Herz schauen lässt, und deren Inneres wie ein Prisma eine Zeit erschließt, deren Moral wir nur dann erfassen können, wenn wir uns gestatten, in sie hineinzutauchen. Mit diesem Buch ist das möglich. Und wohl gerade heute wieder nötig.