Gretchen und wie sie Berlin sah: unterhaltsam, ein bisschen satirisch und atmosphärisch
Die große Freiheit wohnt in Berlin. Zumindest glaubt Gretchen das, die 1926 die Provinz verlassen hat, um in Berlin eine Stelle als Tippfräulein bei der geheimnisvollen, entstellten Nachtclubsängerin Isis
anzutreten. Gretchen soll deren Memoiren aufschreiben. Ob sie dabei erfährt, woher die Narbe stammt, um…mehrGretchen und wie sie Berlin sah: unterhaltsam, ein bisschen satirisch und atmosphärisch
Die große Freiheit wohnt in Berlin. Zumindest glaubt Gretchen das, die 1926 die Provinz verlassen hat, um in Berlin eine Stelle als Tippfräulein bei der geheimnisvollen, entstellten Nachtclubsängerin Isis anzutreten. Gretchen soll deren Memoiren aufschreiben. Ob sie dabei erfährt, woher die Narbe stammt, um die sich so viele widersprüchliche Geschichten ranken? In Berlin wird es für Gretchen definitiv nicht langweilig. Der hinreißende Verlobte ihrer besten Freundin Henni, Fred George, möchte ein Künstlerkollektiv gründen, Gretchen schnuppert dabei ein wenig aufregende Künstlerluft und auch sonst ist in der Metropole einiges los…
Autorin Joan Weng schreibt sehr direkt aus Gretchens Sicht und lässt ungefiltert an den Gedanken ihrer Hauptfigur teilhaben. Sprecherin Christina Puciata gibt Gretchen und ihrer Geschichte eine Stimme. Sie betont treffend, liest angenehm und steckt mit ihrer Begeisterung an. Ich habe ihren Vortrag durchaus genossen.
Gretchen ist eine sehr interessante Protagonistin, einerseits herrlich naiv, andererseits weiß sie aber durchaus, was sie will, außerdem ist sie ziemlich gebildet. Ihre Sicht auf die Dinge, ihre Beschreibungen von anderen Figuren sind äußerst unterhaltsam und spritzig. Ich mochte Gretchen, die sich selbst als unscheinbar bezeichnet, sofort. Sie entwickelt sich im Laufe der Handlung weiter, gewinnt im Umgang mit anderen zunehmend an Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein. Viele der Figuren erfüllen zunächst so manche Klischees, da ist Fred, der Künstler durch und durch mit große Idealen, die einfallsreiche Pensionswirtin Fräulein Notter, Henni, die vom Ruhm träumt, oder der unnahbare Kulturjournalist Erik Faber. Manch eine Person wartet aber mit einer unvorhergesehenen Wandlung auf.
„Die Damen vom Pariser Platz“ hat keine sehr spannende Handlung, viel passiert nicht. Aber das Hörbuch „versprüht“ eine ganz besondere Atmosphäre. Beim Hören fühlte ich mich fast mittendrin im extravaganten, vielschichtigen Berlin der 20er, in dem sich nicht alles als so schillernd und bedeutend entpuppt wie es nach außen dargestellt wird, in dem Schein nicht immer Sein ist. Berlin aus dem Blickwinkel der Protagonistin Gretchen, die aus der Provinz kommt und die die Stadt und ihre Bewohner nach und nach immer klarer durchschaut, mitzuerleben, hat mir großen Spaß gemacht. Das Ganze wirkt mitunter wie ein nicht immer ganz ernst zu nehmendes Theaterstück, bunt, oft schrill, hintergründig und immer wieder ziemlich überraschend. Ich habe gerne zugehört und empfehle das Hörbuch allen, die „gemächliche“ historische Romane mit Atmosphäre mögen, gerne weiter.