Siebenbürgen, 1920: Hermann Oberth hat den Traum, eine Mondrakete zu bauen. Dafür geht er nach Göttingen, um Physik zu studieren. Als der Durchbruch zum Greifen nah ist, wird er von seinen Professoren fallen gelassen. Doch dann glaubt jemand an Hermanns Forschung: Wernher von Braun, Mitglied der SS. Statt der Mondrakete soll Hermann die V2 mitentwickeln, die sogenannte "Vergeltungswaffe" der Nazis. Mit voller Wucht stellt sich ihm und auch seiner Frau Tilla die Frage nach der eigenen Verantwortung vor der Geschichte, die immer von Menschen gemacht wird. Umso mehr, als sie zwei ihrer Kinder an den Krieg verlieren …
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Der junge Autor und Physiker Daniel Mellem hat dem Raketenforscher Hermann Oberth einen spannenden biographischen Roman gewidmet. Dirk Kruse BR Fernsehen 20201104
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.10.2020Wie der Raketenmann zu Boden geht
Existenz im Rückwärtsgang: Daniel Mellems Roman "Die Erfindung des Countdowns" erzählt die Geschichte des Technikpioniers Hermann Oberth
Hermann Oberth (1894 bis 1989), der Raketenpionier aus Siebenbürgen, stand immer im Schatten Wernher von Brauns. Von Braun, der Opportunist mit dem Charme des weltläufigen Aristokraten, ließ sich nach 1945 nur zu gern von den Siegern auf die hellere Seite des Mondes ziehen: Der Mann, der die V2, also Hitlers Wunderwaffe, mitgebaut hatte, organisierte fortan das Raumfahrtprogramm der Nasa. Oberth hatte es nicht so leicht und machte es sich oft auch selbst schwer: Er war Wissenschaftler, Techniker, Sterngucker, Esoteriker, zeitweilig auch NPD-Mitglied und saß so immer zwischen allen Stühlen.
Nicht zufällig hat Rolf Hochhuth 1961 aus dieser klassischen deutschen Wissenschaftlerbiographie ein Theaterstück namens "Hitlers Dr. Faust" gemacht. Romane und Biopics über sinistre Erfinder, Wissenschaftler und Mathematiker wie Tesla oder Edison haben derzeit ohnehin Konjunktur, und so hat sich jetzt auch der promovierte Physiker Daniel Mellem an dem Stoff versucht. "Die Erfindung des Countdowns" ist die Geschichte eines Himmelsstürmers, der nicht abheben durfte und konnte, und das gilt auch ein wenig für Mellems Prosadebüt. Es verlässt kaum einmal die ausgetreten Pfade der Romanbiographie und orchestriert mit Sätzen wie "Niemand verstand ihn, er war allein" den altbekannten Sound des verkannten Genies.
Man suchte dessen Rat, aber der "Weltraumprofessor" wurde eher belächelt als bewundert und fasste nirgends lange Fuß auf Erden. Fritz Lang engagierte ihn 1928 als Berater für seine "Frau im Mond": ein kurioses Missverständnis. Oberth sollte eine funktionsfähige Technik-Attrappe für eine abenteuerliche Romanze bauen, aber der Start der Filmrakete missglückte. Nach dem Scheitern solcher hochfliegenden Ambitionen arbeitete Oberth dann wieder als Lehrer in der siebenbürgischen Provinz, bis ihm der Krieg unverhofft eine zweite Chance bot: 1941 holte ihn Wernher von Braun an die Heeresversuchsanstalt Peenemünde. Mit seiner Besserwisserei erarbeitete sich Oberth dort rasch den Ruf eines Querulanten und Amateurs: "Die Zeit des Tüftelns ist vorbei", warnte ihn von Braun, aber Oberth hielt die V2 für technisch, physikalisch und ästhetisch verfehlt. In den fünfziger Jahren holte von Braun ihn dann trotzdem auch zur Nasa, aber selbst im fortschrittsgläubigen Amerika wurde Oberth nicht recht glücklich.
Mellems Roman begleitet Oberth auf zehn Stationen seines Lebenswegs, die brav nach vorne erzählt, aber wie beim Countdown rückwärts heruntergezählt werden. Am Anfang steht naturgemäß die erste Liebe ("Was war ein Mädchen gegen den Mond?"), am Ende der finale Lift-off, der Raketenstart als Sinnbild später Versöhnung: Hermann Oberth und seine Frau Tilla (im wahren Leben, von dessen unspektakulärem Gang Mellem gelegentlich abweicht, hieß sie Mathilda) finden als Ehrengäste beim Start der Apollo-11-Rakete nach Jahren der Entfremdung in Cape Canaveral zögernd wieder zusammen. Die Rollen sind klar verteilt: Hermann ist der lebensuntüchtige Träumer, zerstreute Professor und Bastel-Nerd, der Frau und Kinder um der großen Sache willen vernachlässigt. Tilla bringt robusten Humor und Lockerheit, weibliche Lebensklugheit und politische Weitsicht mit in die Ehe. Schon immer selbstbewusst und politisch klüger, reift sie in Amerika vollends zur emanzipierten Frau und Pazifistin, die ihren rückständigen Gatten vor die Alternative NPD oder Scheidung stellt.
Als Physiker kennt Mellem die Naturgesetze von Wissenschaftlerbiographie und Melodram, er kann gefällig erzählen und Spannung aufbauen. Aber Sasa Stanisics Blurb "Daniel Mellem hat nicht nur einen mitreißenden Roman geschrieben - er hat eine Rakete gezündet!" ist dann doch zu viel. Die Jugenderinnerungen Oberths sind eher romantisch-betulich und bedeutungsschwanger, die Dialoge oft hölzern. "Ganze Großstädte mit der Rakete zerstören? Wünschst du dir das für deine Kinder?", schimpft Tilla. "Früher ging es dir um den Weltraum. Heute geht es dir nur noch um die Rakete." Aus Oberths Ausflug in die Glitzerwelt der Ufa hätte man leicht hellere Funken schlagen können; sein Abdriften ins rechte Milieu wird halb verharmlosend, halb verständnislos beschrieben, die Ethik der Wissenschaft dafür ordnungsgemäß abgehandelt.
Statt gegen Zeit und Logik bis null zu zählen und auch mal fünfe gerade sein zu lassen, folgt Mellem chronologisch brav den Spuren seines Helden. Ursprünglich wollte er Oberth als "idealtypischen Wissenschaftler" zeichnen; von dieser Reißbrettidee kam er zum Glück wieder ab. So ist sein Raketenmann jetzt der deutsche Idealist, der von planetarischen Höhenflügen, Ionentriebwerken, Weltraumspiegeln und Staurohrhubschraubern träumt, aber nur als Zweifelnder, Stürzender und Scheiternder kurz die Schwerkraft der Verhältnisse überwindet.
MARTIN HALTER
Daniel Mellem:
"Die Erfindung des
Countdowns". Roman.
dtv, München 2020. 288 S., geb., 23,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Existenz im Rückwärtsgang: Daniel Mellems Roman "Die Erfindung des Countdowns" erzählt die Geschichte des Technikpioniers Hermann Oberth
Hermann Oberth (1894 bis 1989), der Raketenpionier aus Siebenbürgen, stand immer im Schatten Wernher von Brauns. Von Braun, der Opportunist mit dem Charme des weltläufigen Aristokraten, ließ sich nach 1945 nur zu gern von den Siegern auf die hellere Seite des Mondes ziehen: Der Mann, der die V2, also Hitlers Wunderwaffe, mitgebaut hatte, organisierte fortan das Raumfahrtprogramm der Nasa. Oberth hatte es nicht so leicht und machte es sich oft auch selbst schwer: Er war Wissenschaftler, Techniker, Sterngucker, Esoteriker, zeitweilig auch NPD-Mitglied und saß so immer zwischen allen Stühlen.
Nicht zufällig hat Rolf Hochhuth 1961 aus dieser klassischen deutschen Wissenschaftlerbiographie ein Theaterstück namens "Hitlers Dr. Faust" gemacht. Romane und Biopics über sinistre Erfinder, Wissenschaftler und Mathematiker wie Tesla oder Edison haben derzeit ohnehin Konjunktur, und so hat sich jetzt auch der promovierte Physiker Daniel Mellem an dem Stoff versucht. "Die Erfindung des Countdowns" ist die Geschichte eines Himmelsstürmers, der nicht abheben durfte und konnte, und das gilt auch ein wenig für Mellems Prosadebüt. Es verlässt kaum einmal die ausgetreten Pfade der Romanbiographie und orchestriert mit Sätzen wie "Niemand verstand ihn, er war allein" den altbekannten Sound des verkannten Genies.
Man suchte dessen Rat, aber der "Weltraumprofessor" wurde eher belächelt als bewundert und fasste nirgends lange Fuß auf Erden. Fritz Lang engagierte ihn 1928 als Berater für seine "Frau im Mond": ein kurioses Missverständnis. Oberth sollte eine funktionsfähige Technik-Attrappe für eine abenteuerliche Romanze bauen, aber der Start der Filmrakete missglückte. Nach dem Scheitern solcher hochfliegenden Ambitionen arbeitete Oberth dann wieder als Lehrer in der siebenbürgischen Provinz, bis ihm der Krieg unverhofft eine zweite Chance bot: 1941 holte ihn Wernher von Braun an die Heeresversuchsanstalt Peenemünde. Mit seiner Besserwisserei erarbeitete sich Oberth dort rasch den Ruf eines Querulanten und Amateurs: "Die Zeit des Tüftelns ist vorbei", warnte ihn von Braun, aber Oberth hielt die V2 für technisch, physikalisch und ästhetisch verfehlt. In den fünfziger Jahren holte von Braun ihn dann trotzdem auch zur Nasa, aber selbst im fortschrittsgläubigen Amerika wurde Oberth nicht recht glücklich.
Mellems Roman begleitet Oberth auf zehn Stationen seines Lebenswegs, die brav nach vorne erzählt, aber wie beim Countdown rückwärts heruntergezählt werden. Am Anfang steht naturgemäß die erste Liebe ("Was war ein Mädchen gegen den Mond?"), am Ende der finale Lift-off, der Raketenstart als Sinnbild später Versöhnung: Hermann Oberth und seine Frau Tilla (im wahren Leben, von dessen unspektakulärem Gang Mellem gelegentlich abweicht, hieß sie Mathilda) finden als Ehrengäste beim Start der Apollo-11-Rakete nach Jahren der Entfremdung in Cape Canaveral zögernd wieder zusammen. Die Rollen sind klar verteilt: Hermann ist der lebensuntüchtige Träumer, zerstreute Professor und Bastel-Nerd, der Frau und Kinder um der großen Sache willen vernachlässigt. Tilla bringt robusten Humor und Lockerheit, weibliche Lebensklugheit und politische Weitsicht mit in die Ehe. Schon immer selbstbewusst und politisch klüger, reift sie in Amerika vollends zur emanzipierten Frau und Pazifistin, die ihren rückständigen Gatten vor die Alternative NPD oder Scheidung stellt.
Als Physiker kennt Mellem die Naturgesetze von Wissenschaftlerbiographie und Melodram, er kann gefällig erzählen und Spannung aufbauen. Aber Sasa Stanisics Blurb "Daniel Mellem hat nicht nur einen mitreißenden Roman geschrieben - er hat eine Rakete gezündet!" ist dann doch zu viel. Die Jugenderinnerungen Oberths sind eher romantisch-betulich und bedeutungsschwanger, die Dialoge oft hölzern. "Ganze Großstädte mit der Rakete zerstören? Wünschst du dir das für deine Kinder?", schimpft Tilla. "Früher ging es dir um den Weltraum. Heute geht es dir nur noch um die Rakete." Aus Oberths Ausflug in die Glitzerwelt der Ufa hätte man leicht hellere Funken schlagen können; sein Abdriften ins rechte Milieu wird halb verharmlosend, halb verständnislos beschrieben, die Ethik der Wissenschaft dafür ordnungsgemäß abgehandelt.
Statt gegen Zeit und Logik bis null zu zählen und auch mal fünfe gerade sein zu lassen, folgt Mellem chronologisch brav den Spuren seines Helden. Ursprünglich wollte er Oberth als "idealtypischen Wissenschaftler" zeichnen; von dieser Reißbrettidee kam er zum Glück wieder ab. So ist sein Raketenmann jetzt der deutsche Idealist, der von planetarischen Höhenflügen, Ionentriebwerken, Weltraumspiegeln und Staurohrhubschraubern träumt, aber nur als Zweifelnder, Stürzender und Scheiternder kurz die Schwerkraft der Verhältnisse überwindet.
MARTIN HALTER
Daniel Mellem:
"Die Erfindung des
Countdowns". Roman.
dtv, München 2020. 288 S., geb., 23,- [Euro].
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