Schon jetzt ein Weltbestseller Mit 16 haben Lila und Elena, Freundinnen seit Kindertagen, ihr armseliges neapoletanisches Stadtviertel mit seinen einengenden Konventionen gründlich satt. Lila versucht, durch eine vorteilhafte Ehe ihre Chancen zu verbessern, fühlt sich aber schon bald eingesperrt und verbittert. Elena hingegen lässt den Ort ihrer Kindheit hinter sich und geht zum Studium nach Pisa. Die 1970er Jahre bringen Veränderungen für beide: die Erfahrung der Mutterschaft, Auseinandersetzungen im Berufsleben und nicht zuletzt große gesellschaftliche Umwälzungen. Indem ihre Wege sich trennen, werden nicht nur die beiden Mädchen, sondern wird auch ihre Freundschaft zueinander erwachsen. (Laufzeit: 18h 11)
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buecher-magazin.deIn den Jugendjahren der neapolitanischen Saga um die ungleichen Freundinnen Lila und Elena beginnt der Ernst des Lebens. Vor allem, da für Lila mit deren Hochzeit mit Stefano Carrachi die Erzählung der Kindheit endet. Während Elena sich durch ihre Abiturprüfungen kämpft und mit dem Automechaniker Antonio rumknutscht, lernt Lila die dunkle Seite ihres Ehemanns kennen. Dass sein gesellschaftlicher Aufstieg im Rione auf Geschäfte mit der Camorra zurückgeht, kann Lila ihm nicht verzeihen, die eheliche Gewalt, die daraus folgt, erträgt sie mit Stolz und Diven-Sonnenbrille. Studienstress und Ehealltag entfliehen die beiden zusammen in einen Sommerurlaub voller Licht und Leichtigkeit. Doch es ist auch hier wieder die Mischung aus Liebe und Wettkampf, Nähe und Fremdheit, aus der heraus diese Frauenfreundschaft ihren außergewöhnlichen Sog entfaltet. Ferrante schreibt über die Zeit des schmerzhaften Erwachsenwerdens ebenso authentisch wie über die Kindheitsjahre. So entsteht neben einer Milieustudie der italienischen Wirtschaftswunderjahre auch wieder ein intensiver Reflexionsraum für die großen Lebensfragen wie Freundschaft, Liebe und Verlust, die uns alle berühren.
© BÜCHERmagazin, Tina Schraml (ts)
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.01.2017Die Braut im Halbprofil
In „Die Geschichte eines neuen Namens“ setzt Elena Ferrante ihr Verwirrspiel mit vermeintlich weiblichen Erzählformen fort
Dieses Mal geht es wirklich zur Sache. Die Marketing-Abteilung des Suhrkamp Verlages gibt die Zielrichtung vor und setzt auf den Herz-Schmerz-Aspekt von Elena Ferrantes gefeierter Tetralogie: Der Umschlag von Band zwei ist in blassem Rosa gehalten. Ein stilisierter Vesuv mit Schneekuppe bildet den Hintergrund, im Vordergrund ist eine Braut im Halbprofil mit wehendem Schleier und Blumenstrauß zu erkennen, die an einer Brüstung steht. Die Blütenblätter taumeln gen Horizont.
Wer zur eingeschworenen Gemeinschaft der Ferrante-Leserinnen gehört, weiß natürlich längst Bescheid: Die träumerische Pose in gedecktem Rosa passt weder zu dem rauen Ton, mit dem auf den ersten Seiten die Hochzeit geschildert wird, noch zu der Katastrophe, die über die Heldin Lila am Tag ihrer Eheschließung hereingebrochen war. Lilas Verlobter, der Wurstwarenhändler Stefano Caracci, schien für ein anderes Neapel zu stehen und Schluss machen zu wollen mit den Gesetzen des übermächtigen Camorra-Clans Solara.
Band eins hatte mit einem Cliffhanger geendet: Auf dem Höhepunkt des Festes waren ausgerechnet die beiden Solara-Brüder aufgekreuzt, und einer der beiden, Marcello, trug auch noch ein Paar Schuhe, das Lila für die Werkstatt ihres Bruders entworfen hatte. Es war ihr Unterpfand gewesen, ihre Wette auf eine freiere, selbstbestimmte Zukunft. Aber, das begreift man am Anfang von Teil zwei, sie war hintergangen worden, die Männer ihrer Familie hatten sie verschachert.
Was wie ein schmissiger Anreißer wirkt, ist zugleich eine präzise Analyse der ökomischen Machtverhältnisse mit beträchtlichem soziologischem Tiefgang. Ferrante treibt wie immer ein doppeltes Spiel, das ihr einen Heidenspaß zu machen scheint. Ob Essays über ihr Schreiben, Interviews mit ihren Verlegern oder jetzt ihr Schweigen zur Enthüllung ihres Pseudonyms, alles ist Teil der Inszenierung. Mit dem Auftakt von Band 2 ruft sie nun augenzwinkernd das Genre des Fortsetzungsromans auf: „Die Geschichte eines neuen Namens“ beginnt mit einem ausführlichen Figurenverzeichnis, das ganz in der Manier des 19. Jahrhunderts kleine Skizzen zu den Eigenarten des Personals und ihren Beziehungen untereinander bündelt und außerdem die Geschehnisse zusammenfasst.
Das erste Kapitel bietet dann einen Vorgriff auf das Frühjahr 1966, als die Ich-Erzählerin Lenù bereits in Pisa studiert und bei einem Ferienaufenthalt von Lila einen Stapel Hefte überreicht bekommt, die diese vor ihrem Mann in Sicherheit bringen will. Es sind die Tagebücher der Freundin, Lenù liest sie trotz des Verbots und wieder klingt ein Motiv an, das den gesamten Zyklus strukturiert: das der Rivalität. Denn Lila, tief im Viertel ihrer Kindheit verankert, verfügt über eine ganz eigene Vitalität und eine ursprüngliche Sprachkraft, die der kultivierten Lenù komplett abhandengekommen zu sein scheint. Anders als Lenù scheint Lila die Weltaneignung immer wieder auf Anhieb zu gelingen. Außer sich vor Neid saugt Lenù diese Hefte erst auf, um sie dann entnervt vom Ponte Solferino in den Arno zu kippen.
In weit ausgreifenden epischen Bögen und mit dem gewohnten Gespür für Rhythmus und Tempoverschiebungen zeichnet Ferrante das Doppelschicksal der Freundinnen im sich wandelnden Italien nach. „Die Geschichte eines neuen Namens“ ist eine Mischung aus Ehe- und Gesellschaftsroman. Es gibt drastische Szenen über die Misshandlungen, mit denen Stefano seine sechzehnjährige Frau gefügig macht. Lila passt sich zunächst an, verlagert ihren Ehrgeiz ins Materielle und wird zu einer neapolitanischen Wiedergängerin von Madame Bovary. Sie kleidet sich ein, stattet die Wohnung aus, beherbergt Lenù, versorgt sie mit Schulbüchern, zahlt Stefanos Mitarbeiterinnen fürstliche Gehälter. Mit ihrer unternehmerischen Begabung gelingt es ihr, aus einer Zweigstelle von Stefanos Laden enormen Profit zu schlagen. Auch dem Schuhgeschäft der Solaras drückt sie ihren Stempel auf.
Unterdessen absolviert Lenù das Gymnasium, findet Unterstützung bei einer Lehrerin, schwankt zwischen ihrem eher einfältigen Freund Antonio und dem schillernden Abiturienten Nino Sarratore.
Nino steht dann auch im Mittelpunkt eines auf über zweihundert Seiten geschilderten Sommeraufenthaltes auf Ischia, zu dem Lenù ihre Freundin Lila begleitet – und es kommt, wie es kommen musste. Obwohl die Wendungen dem Muster von gegenseitigem Übertrumpfen und Ausstechen folgen, das einem aus dem ersten Band wohlvertraut ist, werden die Wirren der Jugendliebe sehr geschickt entfaltet. Ferrante bedient lustvoll einen süffigen Realismus, macht aus der tiefen Ambivalenz zwischen Lila und Lenù ein dynamisches Element und zeichnet zugleich die Folgen des Wirtschaftswunders nach. Lilas Ehe gerät in Turbulenzen; Lenù erleidet eine finale Demütigung.
Hier operiert Elena Ferrante mit den typischen Merkmalen des Bildungsromans, denn durch die Enttäuschung löst sich Lenù aus der Identifikation mit der Freundin; die Entfremdung wird zu einer emanzipatorischen Kraft. In Pisa schreibt sie sogar die Geschichte des Sommers von Ischia auf. Der Mutter ihres Verlobten gefällt der Text, und es wird ein Buch daraus, ihr literarisches Debüt.
Elena Ferrante wartet mit allem auf, was ihre Romanserie so packend macht: melodramatische Verstrickungen, ein plastisches Figurenensemble, das Psychogramm eines Opportunisten, Schilderungen der strukturellen Gewalt in Neapel und der Klassengegensätze, Beschreibungen der Arbeitswelt. Dass Lenù ihren Erzähl-Impuls aus den Heften ihrer Freundin bezieht, die sie ausgerechnet in den Arno wirft, hat eine literaturgeschichtliche Pointe. Mit einer „Spülung im Arno“, also im toskanischen Idiom, hatte der große Romancier des 19. Jahrhunderts Alessandro Manzoni seinen „Brautleuten“ den letzten Schliff verliehen.
Lenù ertränkt ihr Vorbild – erst dann gewinnt sie zumindest vorübergehend Deutungshoheit und findet ihre eigene Stimme. In der letzten Zeile attestiert ihr das ausgerechnet ein Mann, der windige Nino Sarratore. Ferrantes Verwirrspiel mit den vermeintlich weiblichen Erzählformen ist längst nicht vorbei.
MAIKE ALBATH
Dieser zweite Band der Serie
ist eine Mischung aus Ehe-
und Gesellschaftsroman
Wie oft im Bildungsroman
wird die Entfremdung
zur emanzipatorischen Kraft
Elena Ferrante: Die Geschichte eines neuen Namens. Roman. Aus dem Italienischen von Karin Krieger. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017.
624 Seiten, 25 Euro. E-Book 21,99 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In „Die Geschichte eines neuen Namens“ setzt Elena Ferrante ihr Verwirrspiel mit vermeintlich weiblichen Erzählformen fort
Dieses Mal geht es wirklich zur Sache. Die Marketing-Abteilung des Suhrkamp Verlages gibt die Zielrichtung vor und setzt auf den Herz-Schmerz-Aspekt von Elena Ferrantes gefeierter Tetralogie: Der Umschlag von Band zwei ist in blassem Rosa gehalten. Ein stilisierter Vesuv mit Schneekuppe bildet den Hintergrund, im Vordergrund ist eine Braut im Halbprofil mit wehendem Schleier und Blumenstrauß zu erkennen, die an einer Brüstung steht. Die Blütenblätter taumeln gen Horizont.
Wer zur eingeschworenen Gemeinschaft der Ferrante-Leserinnen gehört, weiß natürlich längst Bescheid: Die träumerische Pose in gedecktem Rosa passt weder zu dem rauen Ton, mit dem auf den ersten Seiten die Hochzeit geschildert wird, noch zu der Katastrophe, die über die Heldin Lila am Tag ihrer Eheschließung hereingebrochen war. Lilas Verlobter, der Wurstwarenhändler Stefano Caracci, schien für ein anderes Neapel zu stehen und Schluss machen zu wollen mit den Gesetzen des übermächtigen Camorra-Clans Solara.
Band eins hatte mit einem Cliffhanger geendet: Auf dem Höhepunkt des Festes waren ausgerechnet die beiden Solara-Brüder aufgekreuzt, und einer der beiden, Marcello, trug auch noch ein Paar Schuhe, das Lila für die Werkstatt ihres Bruders entworfen hatte. Es war ihr Unterpfand gewesen, ihre Wette auf eine freiere, selbstbestimmte Zukunft. Aber, das begreift man am Anfang von Teil zwei, sie war hintergangen worden, die Männer ihrer Familie hatten sie verschachert.
Was wie ein schmissiger Anreißer wirkt, ist zugleich eine präzise Analyse der ökomischen Machtverhältnisse mit beträchtlichem soziologischem Tiefgang. Ferrante treibt wie immer ein doppeltes Spiel, das ihr einen Heidenspaß zu machen scheint. Ob Essays über ihr Schreiben, Interviews mit ihren Verlegern oder jetzt ihr Schweigen zur Enthüllung ihres Pseudonyms, alles ist Teil der Inszenierung. Mit dem Auftakt von Band 2 ruft sie nun augenzwinkernd das Genre des Fortsetzungsromans auf: „Die Geschichte eines neuen Namens“ beginnt mit einem ausführlichen Figurenverzeichnis, das ganz in der Manier des 19. Jahrhunderts kleine Skizzen zu den Eigenarten des Personals und ihren Beziehungen untereinander bündelt und außerdem die Geschehnisse zusammenfasst.
Das erste Kapitel bietet dann einen Vorgriff auf das Frühjahr 1966, als die Ich-Erzählerin Lenù bereits in Pisa studiert und bei einem Ferienaufenthalt von Lila einen Stapel Hefte überreicht bekommt, die diese vor ihrem Mann in Sicherheit bringen will. Es sind die Tagebücher der Freundin, Lenù liest sie trotz des Verbots und wieder klingt ein Motiv an, das den gesamten Zyklus strukturiert: das der Rivalität. Denn Lila, tief im Viertel ihrer Kindheit verankert, verfügt über eine ganz eigene Vitalität und eine ursprüngliche Sprachkraft, die der kultivierten Lenù komplett abhandengekommen zu sein scheint. Anders als Lenù scheint Lila die Weltaneignung immer wieder auf Anhieb zu gelingen. Außer sich vor Neid saugt Lenù diese Hefte erst auf, um sie dann entnervt vom Ponte Solferino in den Arno zu kippen.
In weit ausgreifenden epischen Bögen und mit dem gewohnten Gespür für Rhythmus und Tempoverschiebungen zeichnet Ferrante das Doppelschicksal der Freundinnen im sich wandelnden Italien nach. „Die Geschichte eines neuen Namens“ ist eine Mischung aus Ehe- und Gesellschaftsroman. Es gibt drastische Szenen über die Misshandlungen, mit denen Stefano seine sechzehnjährige Frau gefügig macht. Lila passt sich zunächst an, verlagert ihren Ehrgeiz ins Materielle und wird zu einer neapolitanischen Wiedergängerin von Madame Bovary. Sie kleidet sich ein, stattet die Wohnung aus, beherbergt Lenù, versorgt sie mit Schulbüchern, zahlt Stefanos Mitarbeiterinnen fürstliche Gehälter. Mit ihrer unternehmerischen Begabung gelingt es ihr, aus einer Zweigstelle von Stefanos Laden enormen Profit zu schlagen. Auch dem Schuhgeschäft der Solaras drückt sie ihren Stempel auf.
Unterdessen absolviert Lenù das Gymnasium, findet Unterstützung bei einer Lehrerin, schwankt zwischen ihrem eher einfältigen Freund Antonio und dem schillernden Abiturienten Nino Sarratore.
Nino steht dann auch im Mittelpunkt eines auf über zweihundert Seiten geschilderten Sommeraufenthaltes auf Ischia, zu dem Lenù ihre Freundin Lila begleitet – und es kommt, wie es kommen musste. Obwohl die Wendungen dem Muster von gegenseitigem Übertrumpfen und Ausstechen folgen, das einem aus dem ersten Band wohlvertraut ist, werden die Wirren der Jugendliebe sehr geschickt entfaltet. Ferrante bedient lustvoll einen süffigen Realismus, macht aus der tiefen Ambivalenz zwischen Lila und Lenù ein dynamisches Element und zeichnet zugleich die Folgen des Wirtschaftswunders nach. Lilas Ehe gerät in Turbulenzen; Lenù erleidet eine finale Demütigung.
Hier operiert Elena Ferrante mit den typischen Merkmalen des Bildungsromans, denn durch die Enttäuschung löst sich Lenù aus der Identifikation mit der Freundin; die Entfremdung wird zu einer emanzipatorischen Kraft. In Pisa schreibt sie sogar die Geschichte des Sommers von Ischia auf. Der Mutter ihres Verlobten gefällt der Text, und es wird ein Buch daraus, ihr literarisches Debüt.
Elena Ferrante wartet mit allem auf, was ihre Romanserie so packend macht: melodramatische Verstrickungen, ein plastisches Figurenensemble, das Psychogramm eines Opportunisten, Schilderungen der strukturellen Gewalt in Neapel und der Klassengegensätze, Beschreibungen der Arbeitswelt. Dass Lenù ihren Erzähl-Impuls aus den Heften ihrer Freundin bezieht, die sie ausgerechnet in den Arno wirft, hat eine literaturgeschichtliche Pointe. Mit einer „Spülung im Arno“, also im toskanischen Idiom, hatte der große Romancier des 19. Jahrhunderts Alessandro Manzoni seinen „Brautleuten“ den letzten Schliff verliehen.
Lenù ertränkt ihr Vorbild – erst dann gewinnt sie zumindest vorübergehend Deutungshoheit und findet ihre eigene Stimme. In der letzten Zeile attestiert ihr das ausgerechnet ein Mann, der windige Nino Sarratore. Ferrantes Verwirrspiel mit den vermeintlich weiblichen Erzählformen ist längst nicht vorbei.
MAIKE ALBATH
Dieser zweite Band der Serie
ist eine Mischung aus Ehe-
und Gesellschaftsroman
Wie oft im Bildungsroman
wird die Entfremdung
zur emanzipatorischen Kraft
Elena Ferrante: Die Geschichte eines neuen Namens. Roman. Aus dem Italienischen von Karin Krieger. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017.
624 Seiten, 25 Euro. E-Book 21,99 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.2017Was wird sich behaupten? Rebellion oder Fleiß?
Teil zwei des literarischen Welterfolgs: Elena Ferrante setzt den Zyklus der "Genialen Freundin" mit "Die Geschichte eines neuen Namens" fort.
Der zweite Teilroman der neapolitanischen Pseudonymlerin Elena Ferrante ist eine Enttäuschung. Nicht weil er schlechter geschrieben wäre, sparsamer mit den Milieu-Malaisen des Mezzogiorno hantierte oder weil wir jetzt dank der investigativen Heldentat von Claudio Gatti wissen, dass Elena Ferrante kein Mann ist. Nein. Einfach weil es nach der Schilderung einer zu Herzen gehenden Kindheit in ärmlichsten Nachkriegsverhältnissen mit dem Versprechen "Emanzipation durch Bildung" nun vorerst vorbei ist. Denn vieles, was die Kindheit trotz allen Gewaltexzessen verheißungsvoll (und für den Leser tröstlich) erscheinen ließ, ist mit dem Eintreten der Geschlechtsreife auf einmal zwei simplen Regeln unterworfen. Erstens: Seine Wurzeln wird man niemals los. Zweitens: Nur im Märchen können sich Geschichten unter Laborbedingungen entwickeln, das heißt schnurgerade Mobilität von arm zu reich, von böse zu gut, von unten nach oben. Die Geschichte vom Aschenbrödel, das aus einer gewalttätigen Schusterfamilie durch ungeahntes Designtalent sowie günstige Heirat den Aufstieg in die Liga der Schuhproduzenten schafft, muss zwar nicht nach den Regeln der Kunst, wohl aber nach denen des Lebens einen ziemlich hohen Preis haben.
Das Märchen hingegen schert sich nicht um geschundene Kinderpsychen, die später zu vernarbten Erwachsenenpsychen ausreifen und von da an hartnäckig das Schicksal ihrer Trägerinnen bestimmen. Die Märchenform ist ein symbolisches Erzählformat. Und weil Elena Ferrante zwar einerseits das realistische Porträt einer von Armut und Gewalt verrohten Gesellschaft gezeichnet hat, was ihr unter anderem den Vergleich mit Charles Dickens, Honoré de Balzac und Emile Zola eingebracht hat, ist ihr nebenbei eben vor allem ein Märchen von universaler Schönheit gelungen: eine Erzählung von Freundschaft und Bildung und Emanzipation.
Was bisher geschah: Zwei kleine Mädchen, die eine schlau, frech und frei (Lila), die andere fleißig, brav und angepasst (Elena alias Lenù), pflegen seit Kindheitstagen eine von Rivalitäten geprägte Freundschaft. Diese sowie die Hilfe feenhaft hilfsbereiter Lehrerinnen ermöglichen es ihnen, den Kreis der Ignoranz zu durchbrechen. Doch anders als es der erste Teil der Tetralogie über weite Strecken nahelegte, wird es nicht die rebellische Lila sein, die ihre Talente nutzt, um der sozialen Enge zu entkommen. Am Ende des ersten Teils von "Meine geniale Freundin" ist ausgerechnet sie es, die sich innerhalb und nicht außerhalb des Stadtteils, des "Rione", einzurichten versucht.
Durch die Ehe mit dem Sohn des ermordeten Camorra-Paten Don Achille hat sie den sozialen Aufstieg im Viertel geschafft. Doch - wie sollte es einer Querulantin ihres Formates auch anders ergehen? - nur, um dort todunglücklich zu werden. Elena hingegen, noch immer mit nur einem Bruchteil des Selbstbewusstseins ihrer genialen Freundin ausgestattet, besucht die weiterführende Schule, legt sich einen Studenten als Freund zu und verlässt den Rione, um in Pisa zu studieren. Am Ende des jetzt erschienenen zweiten Bandes mit dem Titel "Die Geschichte eines neuen Namens" wird Elena sogar erste Erfolge als Schriftstellerin in barer Münze ausbezahlt bekommen.
Zwei junge Frauen, zwei Wege, ein neuer Nachname. Spätestens mit der Heirat von Lila endet die Parabel von den ungleichen Freundinnen. Das widerspenstige Kind hat sich in eine Megäre weiterentwickelt. Die nibelungentreue Freundin zeigt Anzeichen von Masochismus, nicht nur, wenn sie der reichen Freundin in den Ferien auf Ischia die Strandtasche hinterhertragen muss, sondern auch, als diese mit Nino Sarratore, Lenùs großer Liebe seit Kindheitstagen, am Strand poussiert: ",Ich kann es nicht andauernd Lila recht machen', sagte ich mir."
Die Heirat mit Stefano entpuppt sich für Lila schon bald als dramatische Fehlentscheidung. Eingesperrt in ihr Unglück, mit einem Mann zu leben, den sie nicht liebt, muss Lila auch noch die Schläge des Gedemütigten hinnehmen, den wiederum sie nach Herzenslust in der Öffentlichkeit beschimpft. Irgendwie tun einem beide leid. Denn keiner kann aus seiner Haut. Und nach wie vor ist es für die Frauen dieser ehrenwerten Gesellschaft vornehmste Pflicht, "gegen keine der vielfältigen Männerregeln zu verstoßen". Das alles ist nun überhaupt nicht mehr hoffnungsfroh, und man fühlt sich um das Märchen vom rebellischen kleinen Mädchen mit der großen Zukunft betrogen.
Da sitzt sie nun, schwanger von Nino, der fernab aller Konventionen mit ihr in einer Mietskaserne zusammenlebt wie weiland Alexej Wronski mit seiner Anna. Doch bald fühlt er sich von dem launischen Weib abgestoßen und lässt sie sitzen. Lila, fortan nicht mehr reich, sondern arm, geht nun den Weg der Verstoßenen. Erst im dritten Teil wird ihre Geschichte weitererzählt und auch die des politischen Italiens. Zunächst langweilt die Autorin ihre Leser mit ausgewalzten Schilderungen der Ferien auf Ischia, in denen ständig irgendjemand "schlechter Laune" oder "guter Stimmung" ist und jede Anspielung auf frühere Ereignisse mit nachholender Akribie eingeordnet wird. Auf Ischia kommt es nicht nur zu Annäherungen zwischen Elena und Nino, sondern nach dem enttäuschenden Abdriften des Letzteren in Richtung Lila auch zwischen Elena und Donato Sarratore. Ninos Vater wird die Sache mit der Entjungferung übernehmen. Wenigstens in dieser Hinsicht herrscht zwischen den Freundinnen wieder Gleichstand.
Doch bei allem Auf und Ab, Ferrantes Welt bleibt eine bipolare. Es gibt das Gute und das Böse. Manchmal verkörpert in ein und derselben Person und doch jeweils klar voneinander unterschieden. Das von Ferrante beschriebene Elend ist buchstäblich ein erlesenes. Die Emanzipationsgeschichte sorgt für den versöhnlichen Ton. Dass es nun zwei Wege der Befreiung geben kann, wurde im ersten Teil durchgespielt: Rebellion oder Fleiß heißen die Alternativen. Und man ahnt früh, welche Strategie am Ende erfolgreicher sein wird. Als Lila ihre Freundin einmal zu einer waghalsigen Tour in Richtung des unbekannten Meers verführt, bricht sie die Aktion kurz vor dem Ziel ab: "Lila hatte ihren eigenen Plan abrupt bereut, verzichtete auf das Meer und wollte in die Grenzen unseres Rione zurück. Ich wurde nicht klug aus ihr."
Die Lehre, die es aus Elena Ferrantes neapolitanischer Saga zum jetzigen Zeitpunkt zu ziehen gilt, ist diese: Es ist leichter, etwas hinter sich zu lassen, als es von innen heraus zu verändern. Doch wer etwas hinter sich lässt, der verrät unter Umständen seine Herkunft. Zwei weitere Teile des Zyklus werden die Konsequenzen dieser unterschiedlichen Wege sowie die großen sozialen und politischen Umwälzungen im Italien der sechziger und siebziger Jahre beleuchten. Dort, wo das Märchen von der Emanzipation durch Bildung aufhört, setzt der Roman vom Lebensweg zweier junger Frauen aus ärmlichen süditalienischen Verhältnissen ein.
KATHARINA TEUTSCH
Elena Ferrante: "Die Geschichte eines neuen Namens". Roman.
Aus dem Italienischen von Karin Krieger. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 624 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Teil zwei des literarischen Welterfolgs: Elena Ferrante setzt den Zyklus der "Genialen Freundin" mit "Die Geschichte eines neuen Namens" fort.
Der zweite Teilroman der neapolitanischen Pseudonymlerin Elena Ferrante ist eine Enttäuschung. Nicht weil er schlechter geschrieben wäre, sparsamer mit den Milieu-Malaisen des Mezzogiorno hantierte oder weil wir jetzt dank der investigativen Heldentat von Claudio Gatti wissen, dass Elena Ferrante kein Mann ist. Nein. Einfach weil es nach der Schilderung einer zu Herzen gehenden Kindheit in ärmlichsten Nachkriegsverhältnissen mit dem Versprechen "Emanzipation durch Bildung" nun vorerst vorbei ist. Denn vieles, was die Kindheit trotz allen Gewaltexzessen verheißungsvoll (und für den Leser tröstlich) erscheinen ließ, ist mit dem Eintreten der Geschlechtsreife auf einmal zwei simplen Regeln unterworfen. Erstens: Seine Wurzeln wird man niemals los. Zweitens: Nur im Märchen können sich Geschichten unter Laborbedingungen entwickeln, das heißt schnurgerade Mobilität von arm zu reich, von böse zu gut, von unten nach oben. Die Geschichte vom Aschenbrödel, das aus einer gewalttätigen Schusterfamilie durch ungeahntes Designtalent sowie günstige Heirat den Aufstieg in die Liga der Schuhproduzenten schafft, muss zwar nicht nach den Regeln der Kunst, wohl aber nach denen des Lebens einen ziemlich hohen Preis haben.
Das Märchen hingegen schert sich nicht um geschundene Kinderpsychen, die später zu vernarbten Erwachsenenpsychen ausreifen und von da an hartnäckig das Schicksal ihrer Trägerinnen bestimmen. Die Märchenform ist ein symbolisches Erzählformat. Und weil Elena Ferrante zwar einerseits das realistische Porträt einer von Armut und Gewalt verrohten Gesellschaft gezeichnet hat, was ihr unter anderem den Vergleich mit Charles Dickens, Honoré de Balzac und Emile Zola eingebracht hat, ist ihr nebenbei eben vor allem ein Märchen von universaler Schönheit gelungen: eine Erzählung von Freundschaft und Bildung und Emanzipation.
Was bisher geschah: Zwei kleine Mädchen, die eine schlau, frech und frei (Lila), die andere fleißig, brav und angepasst (Elena alias Lenù), pflegen seit Kindheitstagen eine von Rivalitäten geprägte Freundschaft. Diese sowie die Hilfe feenhaft hilfsbereiter Lehrerinnen ermöglichen es ihnen, den Kreis der Ignoranz zu durchbrechen. Doch anders als es der erste Teil der Tetralogie über weite Strecken nahelegte, wird es nicht die rebellische Lila sein, die ihre Talente nutzt, um der sozialen Enge zu entkommen. Am Ende des ersten Teils von "Meine geniale Freundin" ist ausgerechnet sie es, die sich innerhalb und nicht außerhalb des Stadtteils, des "Rione", einzurichten versucht.
Durch die Ehe mit dem Sohn des ermordeten Camorra-Paten Don Achille hat sie den sozialen Aufstieg im Viertel geschafft. Doch - wie sollte es einer Querulantin ihres Formates auch anders ergehen? - nur, um dort todunglücklich zu werden. Elena hingegen, noch immer mit nur einem Bruchteil des Selbstbewusstseins ihrer genialen Freundin ausgestattet, besucht die weiterführende Schule, legt sich einen Studenten als Freund zu und verlässt den Rione, um in Pisa zu studieren. Am Ende des jetzt erschienenen zweiten Bandes mit dem Titel "Die Geschichte eines neuen Namens" wird Elena sogar erste Erfolge als Schriftstellerin in barer Münze ausbezahlt bekommen.
Zwei junge Frauen, zwei Wege, ein neuer Nachname. Spätestens mit der Heirat von Lila endet die Parabel von den ungleichen Freundinnen. Das widerspenstige Kind hat sich in eine Megäre weiterentwickelt. Die nibelungentreue Freundin zeigt Anzeichen von Masochismus, nicht nur, wenn sie der reichen Freundin in den Ferien auf Ischia die Strandtasche hinterhertragen muss, sondern auch, als diese mit Nino Sarratore, Lenùs großer Liebe seit Kindheitstagen, am Strand poussiert: ",Ich kann es nicht andauernd Lila recht machen', sagte ich mir."
Die Heirat mit Stefano entpuppt sich für Lila schon bald als dramatische Fehlentscheidung. Eingesperrt in ihr Unglück, mit einem Mann zu leben, den sie nicht liebt, muss Lila auch noch die Schläge des Gedemütigten hinnehmen, den wiederum sie nach Herzenslust in der Öffentlichkeit beschimpft. Irgendwie tun einem beide leid. Denn keiner kann aus seiner Haut. Und nach wie vor ist es für die Frauen dieser ehrenwerten Gesellschaft vornehmste Pflicht, "gegen keine der vielfältigen Männerregeln zu verstoßen". Das alles ist nun überhaupt nicht mehr hoffnungsfroh, und man fühlt sich um das Märchen vom rebellischen kleinen Mädchen mit der großen Zukunft betrogen.
Da sitzt sie nun, schwanger von Nino, der fernab aller Konventionen mit ihr in einer Mietskaserne zusammenlebt wie weiland Alexej Wronski mit seiner Anna. Doch bald fühlt er sich von dem launischen Weib abgestoßen und lässt sie sitzen. Lila, fortan nicht mehr reich, sondern arm, geht nun den Weg der Verstoßenen. Erst im dritten Teil wird ihre Geschichte weitererzählt und auch die des politischen Italiens. Zunächst langweilt die Autorin ihre Leser mit ausgewalzten Schilderungen der Ferien auf Ischia, in denen ständig irgendjemand "schlechter Laune" oder "guter Stimmung" ist und jede Anspielung auf frühere Ereignisse mit nachholender Akribie eingeordnet wird. Auf Ischia kommt es nicht nur zu Annäherungen zwischen Elena und Nino, sondern nach dem enttäuschenden Abdriften des Letzteren in Richtung Lila auch zwischen Elena und Donato Sarratore. Ninos Vater wird die Sache mit der Entjungferung übernehmen. Wenigstens in dieser Hinsicht herrscht zwischen den Freundinnen wieder Gleichstand.
Doch bei allem Auf und Ab, Ferrantes Welt bleibt eine bipolare. Es gibt das Gute und das Böse. Manchmal verkörpert in ein und derselben Person und doch jeweils klar voneinander unterschieden. Das von Ferrante beschriebene Elend ist buchstäblich ein erlesenes. Die Emanzipationsgeschichte sorgt für den versöhnlichen Ton. Dass es nun zwei Wege der Befreiung geben kann, wurde im ersten Teil durchgespielt: Rebellion oder Fleiß heißen die Alternativen. Und man ahnt früh, welche Strategie am Ende erfolgreicher sein wird. Als Lila ihre Freundin einmal zu einer waghalsigen Tour in Richtung des unbekannten Meers verführt, bricht sie die Aktion kurz vor dem Ziel ab: "Lila hatte ihren eigenen Plan abrupt bereut, verzichtete auf das Meer und wollte in die Grenzen unseres Rione zurück. Ich wurde nicht klug aus ihr."
Die Lehre, die es aus Elena Ferrantes neapolitanischer Saga zum jetzigen Zeitpunkt zu ziehen gilt, ist diese: Es ist leichter, etwas hinter sich zu lassen, als es von innen heraus zu verändern. Doch wer etwas hinter sich lässt, der verrät unter Umständen seine Herkunft. Zwei weitere Teile des Zyklus werden die Konsequenzen dieser unterschiedlichen Wege sowie die großen sozialen und politischen Umwälzungen im Italien der sechziger und siebziger Jahre beleuchten. Dort, wo das Märchen von der Emanzipation durch Bildung aufhört, setzt der Roman vom Lebensweg zweier junger Frauen aus ärmlichen süditalienischen Verhältnissen ein.
KATHARINA TEUTSCH
Elena Ferrante: "Die Geschichte eines neuen Namens". Roman.
Aus dem Italienischen von Karin Krieger. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 624 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Andreas Fanizadeh landet mit dem zweiten Band von Elena Ferrantes Neapelsaga in den 1960er Jahren. Thema ist laut Rezensent der Männlichkeitskult und die Armut der unteren Schichten und der Versuch einer Frau, sich dem durch Bildung zu entziehen. Für Fanizadeh ist das spannender als jede noch so gute TV-Serie. Mit Vergnügen folgt er den Figuren auf ihrer verwirrenden Suche nach echter Radikalität und Subjektivität.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Wer immer das geschrieben hat ... gehört zu den besten Wortkünstlern, Menschengestaltern, Geschichtenerzählern unserer Zeit. ... Wieder in der wunderbaren Übersetzung von Karin Krieger.« Martin Ebel Süddeutsche Zeitung 20170912