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Sie heißen Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde. Sie kennen sich, weil das Schicksal ihre Lebenslinien überkreuzt. Als Kinder und Jugendliche erlebten sie den Fall der Mauer, und wo vorher Grenzen und Beschränkungen waren, ist nun die Freiheit. Doch Freiheit, müssen sie erkennen, ist nur eine andere Form von Zwang: der Zwang zu wählen. Fünf Frauen, die das Leben aus dem Vollen schöpfen. Fünf Frauen, die das Leben beugt, aber keinesfalls bricht.

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Produktbeschreibung
Sie heißen Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde. Sie kennen sich, weil das Schicksal ihre Lebenslinien überkreuzt. Als Kinder und Jugendliche erlebten sie den Fall der Mauer, und wo vorher Grenzen und Beschränkungen waren, ist nun die Freiheit. Doch Freiheit, müssen sie erkennen, ist nur eine andere Form von Zwang: der Zwang zu wählen. Fünf Frauen, die das Leben aus dem Vollen schöpfen. Fünf Frauen, die das Leben beugt, aber keinesfalls bricht.

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Autorenporträt
Daniela Krien, geboren 1975 in Neu-Kaliß, studierte Kulturwissenschaften und Kommunikations- und Medienwissenschaften in Leipzig. Seit 2010 ist sie freie Autorin. Ihre Romane ›Die Liebe im Ernstfall‹ und ›Der Brand‹ standen monatelang auf der Bestsellerliste und wurden in viele Sprachen übersetzt. Daniela Krien hat zwei Töchter und lebt in Leipzig.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.12.2020

Geschenke für den Kopf (Fortsetzung Seite 20)
Willi Winkler
EIN GROSSER SPASS
Das Buch des Jahres, diese Nachkriegsgeschichte des Geistes: Andersch, Heidegger, Adorno, Holthusen, Guggenheimer, Schelsky, Enzensberger, Ortega y Gasset und der eitle Sieburg, der seine Titelgeschichte im Spiegel gleich selber schreiben will. Spoiler: Man (Frau eher nicht) konnte damals vom Feuilleton leben!
Axel Schildt: Medienintellektuelle in der Bundesrepublik. Wallstein, Göttingen 2020. 896 Seiten, 46 Euro.
EINE HILFE
Ein Reigen wie damals bei Schnitzler: Paula, Ludger, Detlev, Jorinde und die anderen. Als Dreingabe: „West und Ost waren Zeichen einer richtigen und einer falschen Lebensweise geworden.“
Daniela Krien: Die Liebe im Ernstfall. Roman. Diogenes, Zürich 2019, jetzt als Taschenbuch: 288 Seiten, 13 Euro.
EIN GENUSS
Als Begleitprogramm zu „Babylon Berlin“: Pflanzenarchitektur, Fotomalerei, Zeitungskunst und dazwischen Oskar Maria Graf, den Daumen im Hosenträger und zwei Bleistifte in der Jackentasche.
Kathrin Baumstark, Ulrich Pohlmann: Welt im Umbruch. Kunst der 20er Jahre. Hirmer, München 2019. 264 S., 39,90 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
Die Geschichte des Guiness-Erben Tara Browne, der im Beatles-Song „A Day In the Life“ stirbt.
Paul Howard: I read the news today, oh boy. Picador, London 2016. 376 S., 18 Euro.
Reinhard J. Brembeck
EINE HILFE
...fürs Leben ist Michel Houellebecq immer, auch in dieser Textsammlung, in der er sich als sympathisch witziger Konservativer (nicht Reaktionär) feiert – gerade wenn er den französischen Staat und ein Krankenhaus anklagt, einen Wachkomapatienten letztlich umgebracht zu haben.
Michel Houellebecq: Ein bisschen schlechter. Neue Interventionen. Essays. Dumont, Köln, 2020, 23 Euro.
EIN LIEBESBEWEIS
In diesem verpfuschten Beethoven-Jahr: die Live-Einspielung sämtlicher Streichquartette, weltumspannend aufgenommen auf allen fünf Kontinenten, und so gut wie von noch niemanden gespielt. Visionär, wild, zart, tyrannenmörderisch.
Beethoven Around the World. The Complete Stringquartets. Quatuor Ébène. Erato.
EIN GENUSS
Dieser witzige Roman von Mieko Kawakami liefert viel mehr, als sein verkaufsfördernder Machotitel verspricht: alles zwischen Hartz IV, Kapitalismus und Baby.
Mieko Kawakami: Brüste und Eier. Aus dem Japanischen von Katja Busson. Dumont, Köln, 2020. 494 Seiten, 24 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
...sind die 10370 Scholien, mit denen der radikal reaktionäre Privatgelehrte und Modernefeind Gómez Dávila (1913-1994) die ganze Welt in Aphorismen erklärt.
Nicolás Gómez Dávila: Sämtliche Scholien zu einem inbegriffenen Text. Aus dem Spanischen von Thomas Knefeli u.a. Karolinger, Wien 2020. 920 Seiten, 48 Euro.
Susan Vahabzadeh
EIN GENUSS
Es ist nur ein schmales Bändchen, und doch öffnet Kristen Roupenian in ihrem Buch „Milkwishes“ die Fenster in drei Seelen. Es sind drei Kurzgeschichten, in denen es um Wahrnehmung und Erinnerung geht.
Kristen Roupenian: Milkwishes. Aus dem Englischen von Nella Beljan. Aufbau, Berlin 2020. 80 Seiten, 12 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
Vor dem wahren Genie liegt die Zukunft wie ein offenes Buch. Umberto Eco hatte solch seherische Fähigkeiten – das wird einem klar, liest man die Essays, die er in den Neunzigern geschrieben hat, beispielsweise jenes darüber, woran man einen wiederauferstehenden Faschismus erkennen wird. Er ahnte sogar, dass eine gewisse Verwirrtheit dabei im Spiel sein würde.
Umberto Eco: Der ewige Faschismus.
Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. Mit einem Vorwort von Roberto Saviano. Hanser 2020, 80 Seiten, 10 Euro.
EIN GROSSER SPASS
Filmstar Fabienne (Cathérine Deneuve) hat ihre Memoiren geschrieben, und dabei ist sie so großzügig mit den Tatsachen umgegangen, dass es ihre Tochter (Juliette Binoche) auf die Palme bringt. Hirokazu Kore-edas „La Vérité – Leben und lügen lassen“ ist komisch, rührend – und ein traumhaftes Spielfeld für zwei der ganz großen Damen des französischen Kinos.
La Vérité, mit Ethan Hawke und Ludivine Sagnier. Prokino, DVD oder Blue-ray.
Marie Schmidt
EIN LIEBESBEWEIS
Nancy Cunard, britisches Intello-It-Girl und Verlegerin der literarischen Moderne, verliebte sich 1926 in den schwarzen Pianisten Henry Crowder, war beeindruckt, was sie mit ihm erlebte und ruinierte sich nahezu durch diese Anthologie afroamerikanischer Kunst und Kultur. Hier stilvoll aktualisiert, übersetzt, bebildert.
Karl Bruckmaier (Hg.): Nancy Cunards Negro. Mit einem Fotoessay von Olaf Unverzart.Kursbuch.edition, Hamburg 2020.227 Seiten, 24 Euro.
EIN VERMÖGEN
Eines ganzen, glamourösen, träumerischen, tragischen Lebens Geschichten, von gefühlvoll verstiegen bis parabelhaft präzise. Die kurze ist Clarice Lispectors größte Form: Diese famose Übersetzung neben Kafka ins Regal ordnen.
Clarice Lispector: Sämtliche Erzählungen. I: Tagtraum und Trunkenheit einer jungen Frau. II: Aber es wird regnen. Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Luis Ruby. Penguin, München 2019/20. 415 und 281 Seiten, je 24 Euro.
EINE HILFE
Für jeden Klassiker, den jeder schon gelesen hat, kommt der Moment, ihn auch selber zu lesen. Dieses Jahr ist es leider Zeit für Susan Sontags Gedanken, dass auch Viren keinen Sinn haben, aber trotzdem dauernd welchen produzieren.
Susan Sontag: Krankheit als Metapher. Aids und seine Metaphern. Aus dem Englischen von Karin Kersten, Caroline Neubaur, Holger Fliessbach. S. Fischer, Frankfurt a.M. 2003. 148 Seiten, 9,90 Euro.
Tobias Kniebe
EIN GROSSER SPASS
Die Lacher des Jahres steckten in dieser Verfilmung des halb autobiografischen Romans „How To Build A Girl“ von Caitlin Moran. Ein 16-jähriges Arbeiterklasse-Mädchen auf dem holprigen Weg zur scharfzüngigsten und lustigsten Feministin Englands. Mit Rock’n’Roll, Klassenkampf, Sex und Selbsterkenntnis. Da will man dann auch gleich die Vorlage lesen.
Johanna – Eine (un)gewöhliche Heldin. Regie Coky Giedroyc, mit Beanie Feldstein. Amazon Prime, iTunes etc., 4,99 Euro.
Caitlin Moran: All About A Girl. Aus dem Englischen von Regina Rawlinson. Carl’s Books, 2015. 299 Seiten, 18,99 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG
Mit diesem Buch von Ibrahim X. Kendi ergaben die ganzen wütenden Debatten über Rassismus und Cancel Culture auf einmal eine tieferen Sinn. Fast eine Autobiografie, aber nebenbei versteht man die philosophischen Grundlagen der neuen Anti-Rassismus-Diskurse, ihre Vorstellung von Macht – und warum sie aus Gründen der Kohärenz mit einem Fundamentalangriff auf das bisherige wissenschaftliche Denken einhergehen.
Ibrahim X. Kendi: How To Be An Anti-Racist. Aus dem Engl. von Alina Schmidt, btb Verlag 2020. 416 Seiten, 22 Euro.
EINE HILFE
Das Sortieren von Dingen in die wunderschönen, nachhaltig produzierten Ordner und Folder der Mappenmanufaktur hat im Lockdown für jene innere Klarheit gesorgt, die man sich von Kunst oft wünscht. Mappenmanufaktur.com
Andrian Kreye
EIN GENUSS
In einem normalen Jahr wäre der südafrikanische Jazz-Pianist Nduduzo Makhathini live mit seinen Band-Ritualen, hymnischen Harmonien und frenetischen Improvisationen ein Star geworden. Sein erstes internationales Album ist der Beweis.
Nduduzo Makhathini: Modes of Communication. Blue Note, CD ca. 15 Euro.
EIN GROSSER SPASS
Ella Fitzgeralds Grundeinstellung war bis ins Alter „frisch verliebt“. Nicht im Backfischmodus des Pop in Jungs. Ins Leben, in die Musik. Und in Berlin. Das Live-Album, das die Sängerin dort 1960 aufnahm war ein Höhepunkt. Zwei Jahre später kam sie wieder. Die Aufnahme, die nun von diesem Abend herauskam gehört zum Bestgelaunten in der Geschichte des Jazz.
Ella Fitzgerald: The Lost Berlin Tapes. Verve, CD ca. 16, Vinyl ca. 22 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG
Liebreiz und Streichersätze sind im Jazz eine Zumutung. Auch Gitarrist Pat Metheny hat damit Schindluder getrieben. Doch diesmal gelingt ihm damit Ultra-Ästhetik.
Pat Metheny: From This Place. Nonesuch, CD ca. 14, Vinyl ca. 22 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
Fünfzig Jahre vor Black Lives Matter inspirierte Martin Luther King Herbie Hancock zu einem „politischen Statement aus Musik“ mit coolem Jazz-Nonett. Das gibt es nun als audiophile Neuauflage in der wunderbaren „Tone Poet“-Serie auf Vinyl.
Herbie Hancock: The Prisoner. Blue Note, Vinyl ca. 35 Euro.
Alex Rühle
EINE HERAUSFORDERUNG
Romane, die versuchen, den Klimawandel zu thematisieren, läppern sich meist zu Parsprotode – wie soll eine einzige Geschichte ein derart globales Problemkonglomerat veranschaulichen? John Freeman hat stattdessen 43 Autorinnen und Autoren gebeten, Essays, Erzählungen, Reportagen aus ihren jeweiligen Weltgegenden zu schreiben. Margaret Atwood schickt ein dystopisches Gedicht aus Kanada, in dem plötzlich extrem trockene Sommer die Ernten zu Staub verwandeln. Burundi, Island, Haiti, Nigeria. Laurent Goff, Sjón, Gaël Faye. Alle spüren sie längst den Wandel, und die kondensierten, jeweils lokal verortbaren Texte ergeben das Mosaik eines riesigen, winzigen blauen Tropfens Erde, der viel zu fragil für die Pandemie namens Mensch ist.
Tales of two Planets, hg. v. John Freeman. Penguin, London. 320 Seiten, 11,99 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
Eine Kulturgeschichte der DDR, kundig und witzig, immer auf Seiten der Verdrängten, Verstummten, mit Blick fürs Skurrile (der Starindianer Gojko Mitić) wie Tragische. Selten so viele Namen notiert, die man jetzt aber unbedingt mal lesen muss: Erich Arendt. Chaim Noll. Oh, und die Gedichte von Inge Müller! Schatzkarte und Reiseführer in eine untergegangene Welt, zugleich ein Antidot gegen Ostalgie und die „Täternähe der deutschen Innerlichkeit“ (Hans Sahl).
Marko Martin: Die verdrängte Zeit. Vom Verschwinden und Entdecken der Kultur des Ostens. Tropen, Berlin 2020. 426 Seiten, 24 Euro.
Felix Stephan
EIN LIEBESBEWEIS
Von Europa als Idee ist oft die Rede, von Europa als ménage à trois aber nur hier: Orlando Figes erzählt anhand dreier Biografien vom Urknall der Moderne als genuin europäischer Angelegenheit. Die Opernsängerin Pauline Viardot, ihren Ehemann Louis Viardot und Turgeniew gründen Europa gewissermaßen nebenbei.
Orlando Figes: Die Europäer. Aus dem Englischen von Bernd Rullkötter. Hanser Berlin, Berlin 2020. 640 Seiten, 34 Euro.
EIN GENUSS
War Flaubert der größte Romancier aller Zeiten? Die Antwort ist womöglich hier zu finden, in Elisabeth Edls Neuübersetzung der „Éducation sentimentale“.
Gustave Flaubert: Lehrjahre der Männlichkeit. Aus dem Französischen von Elisabeth Edl. Carl Hanser Verlag, München 2020, 800 Seiten, 42 Euro.
EINE HILFE
Apropos „Lehrjahre der Männlichkeit“: Niemand schreibt derzeit so erhellend über sein Leben als Mann wie der amerikanische Schriftsteller Ben Lerner.
Ben Lerner: Die Topeka Schule. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Suhrkamp, Berlin 2020. 395 Seiten, 24 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
An den Skandal, dass die Gedichte von Elke Erb jahrelang praktisch vergriffen waren, hatte man sich fast gewöhnt. Jetzt gibt es endlich eine neue Sammlung.
Elke Erb: Das ist hier der Fall. Ausgewählte Gedichte. Suhrkamp, Berlin 2020. 210 Seiten, 20 Euro.
Claudia Tieschky
EIN LIEBESBEWEIS
Keiner kann ständig kochen. Gegen den Entzug hilft lesen. Bill Buford, früher Redakteur beim New Yorker, der 2006 seine Abenteuer als Küchen-Picaro in Italien („Hitze“) niederschrieb, zieht nun in „Dreck“ aus, um die französische Küche zu verstehen. Man könnte natürlich auch Alexandre Dumas’ irres „Wörterbuch der Kochkunst“ von 1873 lesen. Aber Bufords Mischung aus Erfahrungsgier und Snobismus ist amüsanter – und perfekt wiedergegeben übrigens in der Stimme von Wiglaf Droste, der „Hitze“ als Hörbuch einsprach.
Bill Buford: Dreck. Übersetzung von Sabine Hübner, Hanser. München 2020. 511 Seiten, 26 Euro. und Bill Buford: Hitze, gekürzte Lesung mit Wiglaf Droste, Hörverlag, München 2008. 4h 5min, 13,95 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
Dieses elegante, kalte Leben schreibender Großstädter der vordigitalen Zeit, erzählt im Jahr 1976 in umwerfend lakonischen Skizzen und Fragmenten. Dazwischen eine erinnerte Emigranten-Vergangenheit. Kann man bei klarstem Verstand irrlichtern, sich in ein anderes Foto von sich selbst denken? Aber ja.
Renata Adler: Rennboot. Aus dem Englischen von Marianne Frisch. Suhrkamp, Berlin 2014. 241 Seiten, 19,95 Euro.
EIN GENUSS
Glenn Gould: So you want to write a fugue? Sozusagen eine Anleitung zum Selbermachen. Weihnachtsmusik für dysfunktionale Zeiten: https://www.youtube.com/watch?v=HkxU6LdSGdY
Alexander Gorkow
EINE WIEDERENTDECKUNG
19 Jahre währte die Liebe zwischen Nadeschda und Ossip Mandelstam unter dem Terror Stalins, bis der Dichter in Sibirien starb. Die neue Übersetzung der „Erinnerungen“ Nadeschda Mandelstams durch Ursula Keller ist ein Schatz; er zeigt die Autorin in der Beobachtung der Schergen und Schleimer als große Reporterin. Nichts bleibt verborgen, auch nicht die mitunter im Schrecken zuckende Komik.
Nadeschda Mandelstam: Erinnerungen an das Jahrhundert der Wölfe. Die Andere Bibliothek, Berlin 2020. 785 S., 44 Euro.
EIN LIEBESBEWEIS
„Wie das sexuelle Verlangen ist auch die Erinnerung endlos. Sie stellt Lebende und Tote nebeneinander, reale und imaginäre Personen, eigene Träume und die Geschichte.“ Schmerzhaft, schön und klar erklärt Annie Ernaux in „Die Jahre“ das Wesen des Memoirs. Im nun nachgereichten Band „Die Scham“ glänzt Ernaux erneut in großer, genauer Lakonie.
Annie Ernaux: Die Scham. Aus dem Französischen von Sonja Finck. Bibliothek Suhrkamp, 111 Seiten, 18 Euro.
EIN GENUSS
50 grandiose Miniaturen zur deutschen Dichtkunst; luzide, respektlos, immer wieder auch schwer zum Piepen. Die Zielgruppe ist gewaltig: Wer meint, nicht nur gerne zu lesen, sondern auch gut zu schreiben, sollte sich in dieses Buch versenken. #supportyourlocalbookstore
Michael Maar: Die Schlange im Wolfspelz – Das Geheimnis großer Literatur, Rowohlt, 650 Seiten, 34 Euro.
Sonja Zekri
EINE WIEDERENTDECKUNG
Burhan Qurbani verlegt den Fall des Franz Biberkopf als Flüchtlingsdrama in den Drogenkiez der Hasenheide. Drei Stunden dauert der Trip aus Farben, Musik und Männerliebe. Über allem: Albrecht Schuch als Reinhold, ein Psychopath mit Laktoseintoleranz.
„Berlin Alexanderplatz“ von Burhan Qurbani, DVD (Universal).
EIN AUFREGER
Zwanglos über Kannibalismus schreiben? Geht, die japanische Schriftstellerin Sayaka Murata macht es vor. „Das Seidenraupenzimmer“ ist eine entgleiste Reise in die Kindheit und die Suche nach dem utopischen Ort Pohapipinpopopia.
Sayaka Murata: Das Seidenraupenzimmer. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Aufbau, Berlin 2020, 256 Seiten, 20 Euro.
EIN GENUSS
Ein Buch über Lotto, Südsee, Zucker, kurz, über das Begehren. Dorothee Elmiger fügt Literatur, Kino und Geschichte zu einem sinnlichen Tagtraum zusammen.
Dorothee Elmiger: Aus der Zuckerfabrik. Hanser, München 2020. 272 S., 23 Euro.
EINE HILFE:
So hängt das also alles zusammen: globales Geld und Häuserkampf, Rendite und Entmietungsschikane. Wolfgang Schorlaus Ermittler trifft in Berlin unter anderem auf eindrucksvolle Kleinsäugetiere.
Wolfgang Schorlau: Kreuzberg Blues. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020, 416 Seiten, 22 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.03.2019

Rundherum Scherben

Die Probe auf den Befund eines gesellschaftlichen Zerfalls: Eine Begegnung in Leipzig mit der Schriftstellerin Daniela Krien zum Erscheinen ihres Romans "Die Liebe im Ernstfall".

Der Morgen hätte nicht viel besser beginnen können für Daniela Krien als mit diesem Anruf aus der Schweiz: Die Startauflage ihres an diesem Tag erschienenen Romans "Die Liebe im Ernstfall" (Diogenes Verlag, Zürich) ist bereits weitgehend vergriffen, der erste Nachdruck werde bald folgen. Kein Wunder, dass die dreiundvierzigjährige Schriftstellerin bestens gelaunt zum Treffen ins sonnendurchstrahlte Café Telegraph in Leipzig kommt - einem Ort, der in ihrem Roman kurz Erwähnung findet.

Daniela Krien lebt seit genau zwanzig Jahren in Leipzig, und hier spielt auch das neue Buch, in dem die Autorin die Bemühungen von fünf Frauen ungefähr ihres eigenen Alters verfolgt, ein Leben zu führen, das dem gesellschaftlichen Idealbild von Familie oder zumindest trauter Zweisamkeit entspricht - wobei die Haltungen der fünf Frauen dazu ebenso unterschiedlich sind wie ihre individuellen Liebesenttäuschungen. Was hier erst einmal klingen mag wie ein Kolportageroman, ist ein virtuos gebauter Geschichtenreigen, bei dem jeweils die kleine Erwähnung einer der Frauen das ihr gewidmete nächste Kapitel vorbereitet. "In meinen Büchern soll es nicht nur um Storytelling gehen", sagt Daniela Krien, "sie sollen nicht um jeden Preis Handlung machen, sondern mir sind Sprache, Rhythmus und Form wichtig." Diesen Anspruch löst sie ein. Und mit den fünf vielfach ineinander verwobenen Einzelschicksalen ist auch noch fast heimlich ein Stadtporträt von Leipzig verflochten, das just jene letzten fünfzehn Jahre umfasst, in denen die sächsische Stadt sich mindestens so sehr neu erfunden hat wie Kriens Heldinnen.

Aufgewachsen ist die Autorin jedoch im Vogtland, und dort hatte auch ihr erster Roman, "Irgendwann werden wir uns alles erzählen", seinen Schauplatz. Mit dieser im Sommer 1990 angesiedelten Erzählung von der bedingungslosen Liebe einer jungen Frau aus einem kleinen thüringischen Dorf zu einem zwanzig Jahre älteren Nachbarbauern landete die zuvor völlig unbekannte Autorin 2011 einen Bestseller. Ein Zufallsprodukt, denn das zuvor von zehn Verlagen abgelehnte Manuskript war durch eine Kette von persönlichen Beziehungen, die selbst schon Stoff für einen Roman abgäbe, nur wenige Monate zuvor in die Hände von Tanja Graf gekommen, die in ihrem damals gerade einmal ein Jahr alten Kleinverlag noch kurzfristig einen Programmplatz zu füllen hatte. Kein Zufall aber, dass dieser Roman über das Erwachen erwachsener Liebe in den letzten Tage der DDR Erfolg hatte. Er bot mit der Szenerie eines sich durch äußere Einflüsse ändernden ländlichen Lebens thematisch schon manches, was das Publikum vier Jahre später an Dörte Hansens "Altem Land" begeisterte.

Kriens Erzählungsband "Muldental" folgte 2014; diesmal war die gleichnamige Landschaft in der Nähe von Leipzig Hauptschauplatz, und alle zehn Geschichten erzählten von den Folgen der Wendezeit. Dadurch war auch dieses Buch schon mehr Reigen als bloße Sammlung von Erzählungen: Die Figuren sind von unterschiedlichstem Charakter, aber auf der Makroebene gibt es zahlreiche Verbindungen. Man spürt die Faszination der Autorin für die russische Literatur, mit der sie aufgewachsen ist: Tschechow, Gogol, Tolstoi, vor allem aber Dostojewski, dessen "Brüder Karamasow" Krien alle paar Jahre wieder liest. Der Titel ihres ersten Romans variiert eine Stelle daraus.

"Dass ich Schriftstellerin werden wollte, das weiß ich schon seit meiner Kindheit, seit meine Mutter mir als kleines Mädchen vorgelesen hat." Aber Daniela Krien nahm erst einmal ein Studium der Kulturwissenschaften auf, in dessen Verlauf sie in kurzem Abstand zwei Töchter bekam. "Meinen ersten Roman schrieb ich dann aus Verzweiflung heraus: Ich konnte wegen der aufwendigen Pflege meiner schwerbehinderten jüngeren Tochter meine Abschlussarbeit in Kulturwissenschaften nicht fertigstellen und stand beruflich vor dem Nichts. Also habe ich mich hingesetzt und geschrieben. Und ich habe mir gesagt: ,Wenn ein Verlag dieses Buch will, dann werde ich Schriftstellerin.'" So geschah es.

Die Pflege der heute dreizehnjährigen Jüngeren sorgt mit dafür, dass Daniela Krien trotz ihres Erfolgs nur selten auftritt. Die am 24. März auf der lit.Cologne beginnende Lesereise mit dem neuen Buch ist eine Ausnahme, zumal Krien keine Schriftstellerin ist, die außerhalb ihrer Bücher wahrgenommen werden will. Sosehr sie das Engagement mancher Kollegen in politischen Fragen respektiert, sowenig schätzt sie eine allein durch Ruhm suggerierte Kompetenz. Dabei wäre gerade ihre Stimme eine Bereicherung in manchen heiklen Fragen deutscher Befindlichkeit, vor allem weil sie qua eigener Biographie die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland genau registriert: "Ostdeutsche kennen im Gegensatz zu Westdeutschen beide großen konkurrierenden Systeme, Kapitalismus und Sozialismus, von innen. Der Zusammenbruch des mit höchstem moralischen Anspruch begonnenen Sozialismus hat sie gelehrt, dass kein System auf ewige Dauer gestellt ist." In Westdeutschland sei man sich der Überlegenheit der liberalen Demokratie so sicher, dass man versäume, für sie zu kämpfen. Und der wachsende Individualismus sei nicht geeignet, Zuwanderer aus traditionell geprägten Gesellschaften für die Vorzüge der unsrigen zu begeistern.

In gewisser Weise stellt "Die Liebe im Ernstfall" die Probe auf diesen Befund dar, obwohl es darin gar keine multikulturellen Konflikte gibt. Das Personal des Romans rekrutiert sich aus Deutschen, aber die Lebensentwürfe der stets ostdeutsch sozialisierten Frauen unterscheiden sich diametral von denen der zumindest teilweise aus dem Westen stammenden Männer. Und wie es etwa Daniela Krien gelingt, im eher nebenbei erzählten Wandel des Vaters zweier ihrer fünf Frauen vom angepassten DDR-Kulturbürger zum provozierenden Gesellschaftsskeptiker ein Soziogramm des Protestwählers zu entwerfen, das darf im als so heikel beurteilten sächsischen Landtagswahljahr Interesse über die eigentliche Handlung hinaus beanspruchen. Dass Krien mit dieser Figur höchst sensibel, ja am Schluss geradezu zärtlich umgeht, ist alles andere als selbstverständlich. Die Vorliebe ihrer älteren Tochter für Bücher mit Happy Ending habe da Wirkung gezeigt - wenn die Vierzehnjährige sich auch gar nicht für die Literatur der Mutter interessiert.

Daniela Krien schöpft aus ihren Erfahrungen, aber sie erzählt nicht aus ihrem Leben; den Plan eines umfangreichen Romans der eigenen Familiengeschichte hat sie vor zwei Jahren wieder aufgegeben. Lieber hört sie als stummer Gast Gesprächen anderer zu und lässt sich dadurch zu ihren Stoffen anregen: "Das Leben ist so prall gefüllt, da muss ich mir nichts ausdenken. Und nur einmal habe ich gehört: ,Achtung, hier sitzt eine Schriftstellerin mit am Tisch!' Aber diese Warnung war auch schnell wieder vergessen."

Was "Die Liebe im Ernstfall" dennoch höchstpersönlich macht, zeigt sich in einer Bemerkung seiner Autorin zur Themenwahl des Romans: "In meinem engeren Freundeskreis hat nur eine Beziehung bis heute gehalten. Ansonsten: rundherum Scherben." Darin bezieht Daniela Krien sich selbst mit ein, ihre Töchter erzieht sie seit sieben Jahren ohne den Vater. Die Sehnsucht aber nach Beständigkeit der Liebe bleibe, auch wenn die Bedingungen im Zeitalter von Dating-Apps längst andere seien und Sicherheit - da kommt der ostdeutsche Erfahrungshorizont dieser Autorin wieder zum Tragen - eine Illusion darstelle. "Literatur", so sagt sie, "sollte deshalb in erster Linie Fragen stellen. Die Antworten muss jeder Leser für sich finden."

ANDREAS PLATTHAUS

Daniela Krien: "Die Liebe im Ernstfall". Roman.

Diogenes Verlag, Zürich 2019. 288 S., geb., 22,- [Euro].

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