Eine dreistimmige Lesung so kraftvoll und emotional wie ein Raketenstart Die USA fiebern dem Start des Spaceshuttles Challenger entgegen. Gleichzeitig besuchen drei Geschwister in Delaware, Texas, die 7. Klasse und sind auf ihren eigenen Umlaufbahnen unterwegs: Der zwölfjährige Fitch verbringt jeden Nachmittag mit Flipperspielen und kämpft gegen sein explosives Temperament. Bird, seine Zwillingsschwester, träumt davon, die erste Shuttle-Kommandantin der NASA zu werden. Und ihr dreizehnjähriger Bruder Cash droht, ein zweites Mal in der 7. Klasse durchzurasseln. Als die Raumfähre in den Himmel abhebt und sich die Katastrophe ereignet, verändert sich das Leben der drei und bringt sie auf unerwartete Weise zusammen, enger als je zuvor. Erin Entrada Kellys neuer Roman zeigt, dass manche sozialen, familiären und emotionalen Kämpfe zeitlos und Träume unendlich sind.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Lena Bopp bestaunt die "existenzielle Wucht", mit der Erin Entrada Kelly in ihrem Jugendbuch die Konflikte in einer Großfamilie in Delaware im Jahr 1986 entfaltet. Vor dem Hintergrund des Challenger-Starts entwickelt die Autorin ihre Geschichte um die Träume und Widerstände im Leben ihrer Figuren in knappen Kapiteln und mit viel Zuneigung für gesellschaftliche Außenseiter, erklärt Bopp.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.08.2022Das All sind wir
Erin Entrada Kelly blickt nach ganz oben
In Familien ist es wie am Sternenhimmel - aus der Ferne betrachtet, sieht alles sehr schön aus. Doch so wie manche Sterne längst erloschen sind, wenn sie auf der Erde noch leuchten, ist es auch in manchen Familien. In den dunklen Januartagen des Jahres 1986 werfen die hell erleuchteten Fenster des Hauses der Familie Nelson Thomas ein warmes Licht auf die Straße von Park, einem Städtchen im amerikanischen Delaware. So heimelig es von außen aussieht, fühlt es sich drinnen allerdings für niemanden der fünf Nelsons an, die zusammen zwar einen Mikrokosmos bilden, jedoch einen, dessen Sterne auf je eigenen Umlaufbahnen immer weiter auseinanderdriften.
In dem neuen Buch von Erin Entrada Kelly, die vor ein paar Jahren für "Vier Wünsche ans Universum" mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet worden ist, dient der Weltraum wieder als schöne Metapher zur Beschreibung einer vollkommen zerrütteten Familie. Zugleich bildet der Traum vom Aufbruch ins All in ihrem jüngstem Werk auch die Rahmenhandlung einer Geschichte, die voller irdischer Probleme ist. "Die Nelsons greifen nach den Sternen" erzählt in kurzen Kapiteln von den Wochen vor dem Start der Challenger-Raumfähre am 28. Januar 1986. Die Challenger sollte sieben Astronauten in den Weltraum bringen, fünf Männer und zwei Frauen. Eine von ihnen war die Grundschullehrerin Christa McAuliffe, die unter Tausenden Bewerbern des Programms "Teacher in Space" ausgewählt worden war und die wie alle anderen Insassen ums Leben kam, als die Raumfähre kurz nach dem Start explodierte. Kinder überall in den Vereinigten Staaten hatten diese Explosion damals vor eigens aufgestellten Fernsehern in ihren Schulen mit angesehen.
Auch Bernadette, die im Buch von allen nur Bird genannt wird, sieht den Traum von der bemannten Raumfahrt zerbersten. Aus ihrer sowie aus der Perspektive ihrer Brüder Fitch und Cash sind die Kapitel im Buch von Erin Entrada Kelly abwechselnd geschrieben. Bird ist die einzige von den dreien, die eine echte Leidenschaft für die Weltraummission der NASA entwickelt hat. Sie kennt die Namen der Astronauten auswendig, hängt ihrer weltraumverrückten Lehrerin an den Lippen und widmet sich als weibliches role model mit Vorliebe der Lösung technischer Probleme. Die Wochen vor dem Start verbringt sie damit, allerlei Geräte auseinanderzubauen und deren Innenleben zu skizzieren. Videorekorder, Spieldosen, Musikkassetten und Röntgengeräte funktionieren - oder nicht. Falls nicht, lassen sie sich reparieren. Und Bird möchte nichts lieber, als in einer Umgebung zu leben, in der alles reibungslos läuft, so wie bei ihrer Freundin Dani Logan, die sich mit ihren Eltern zum Abendessen an einen Tisch setzt, an dem geredet, zugehört, gelacht und sogar ein Mädchen ermutigt wird, das davon träumt, die erste weibliche Shuttle-Kommandantin der Geschichte zu werden.
Mit den eigenen Menschen ist es hingegen nicht so einfach. Als "Fehlfunktionen" bezeichnet Bird die Streitereien ihrer Eltern, die sich um die immer gleichen Fragen von Wer-macht-was und Warum-hast-du-nicht drehen. Auch die Brüder sind voll und ganz mit sich selbst beschäftigt - Fitch vor allem damit, Vierteldollarmünzen für die Automaten in der Spielhalle von Mr. Hindley aufzutreiben; und ihr dreizehn Jahre alter Zwillingsbruder Cash, der wegen schlechter Noten und fehlender Sprungtechnik aus der Basketballmannschaft der Schule geflogen ist, mit der Frage, ob es überhaupt irgendetwas gibt, was er gut kann. Wie in ihrem Vorgängerroman sind die Figuren auch in Kellys jüngstem Buch wieder Außenseiter, deren Probleme (und Lösungen), erzählerisch sehr geschickt, immer drängender werden, je näher der Start der Challenger-Raumfähre rückt. Es geht ums Hübsch- und Schlausein, um Wutausbrüche und Gewissensbisse sowie um die Frage, wie man allen Widerständen zum Trotz eine Familie werden kann. Es geht um alltägliche Sorgen dreier Jugendlicher in Park, Delaware, und um die Zukunft der Menschheit im Weltraum. Und alles zusammen entfaltet bei Erin Entrada Kelly klugerweise die gleiche existenzielle Wucht. LENA BOPP
Erin Entrada Kelly: "Die Nelsons greifen nach den Sternen". Roman.
Aus dem Englischen von Beate Schäfer. Dtv, München 2022. 304 S., geb., 14,- Euro. Ab 11 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erin Entrada Kelly blickt nach ganz oben
In Familien ist es wie am Sternenhimmel - aus der Ferne betrachtet, sieht alles sehr schön aus. Doch so wie manche Sterne längst erloschen sind, wenn sie auf der Erde noch leuchten, ist es auch in manchen Familien. In den dunklen Januartagen des Jahres 1986 werfen die hell erleuchteten Fenster des Hauses der Familie Nelson Thomas ein warmes Licht auf die Straße von Park, einem Städtchen im amerikanischen Delaware. So heimelig es von außen aussieht, fühlt es sich drinnen allerdings für niemanden der fünf Nelsons an, die zusammen zwar einen Mikrokosmos bilden, jedoch einen, dessen Sterne auf je eigenen Umlaufbahnen immer weiter auseinanderdriften.
In dem neuen Buch von Erin Entrada Kelly, die vor ein paar Jahren für "Vier Wünsche ans Universum" mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet worden ist, dient der Weltraum wieder als schöne Metapher zur Beschreibung einer vollkommen zerrütteten Familie. Zugleich bildet der Traum vom Aufbruch ins All in ihrem jüngstem Werk auch die Rahmenhandlung einer Geschichte, die voller irdischer Probleme ist. "Die Nelsons greifen nach den Sternen" erzählt in kurzen Kapiteln von den Wochen vor dem Start der Challenger-Raumfähre am 28. Januar 1986. Die Challenger sollte sieben Astronauten in den Weltraum bringen, fünf Männer und zwei Frauen. Eine von ihnen war die Grundschullehrerin Christa McAuliffe, die unter Tausenden Bewerbern des Programms "Teacher in Space" ausgewählt worden war und die wie alle anderen Insassen ums Leben kam, als die Raumfähre kurz nach dem Start explodierte. Kinder überall in den Vereinigten Staaten hatten diese Explosion damals vor eigens aufgestellten Fernsehern in ihren Schulen mit angesehen.
Auch Bernadette, die im Buch von allen nur Bird genannt wird, sieht den Traum von der bemannten Raumfahrt zerbersten. Aus ihrer sowie aus der Perspektive ihrer Brüder Fitch und Cash sind die Kapitel im Buch von Erin Entrada Kelly abwechselnd geschrieben. Bird ist die einzige von den dreien, die eine echte Leidenschaft für die Weltraummission der NASA entwickelt hat. Sie kennt die Namen der Astronauten auswendig, hängt ihrer weltraumverrückten Lehrerin an den Lippen und widmet sich als weibliches role model mit Vorliebe der Lösung technischer Probleme. Die Wochen vor dem Start verbringt sie damit, allerlei Geräte auseinanderzubauen und deren Innenleben zu skizzieren. Videorekorder, Spieldosen, Musikkassetten und Röntgengeräte funktionieren - oder nicht. Falls nicht, lassen sie sich reparieren. Und Bird möchte nichts lieber, als in einer Umgebung zu leben, in der alles reibungslos läuft, so wie bei ihrer Freundin Dani Logan, die sich mit ihren Eltern zum Abendessen an einen Tisch setzt, an dem geredet, zugehört, gelacht und sogar ein Mädchen ermutigt wird, das davon träumt, die erste weibliche Shuttle-Kommandantin der Geschichte zu werden.
Mit den eigenen Menschen ist es hingegen nicht so einfach. Als "Fehlfunktionen" bezeichnet Bird die Streitereien ihrer Eltern, die sich um die immer gleichen Fragen von Wer-macht-was und Warum-hast-du-nicht drehen. Auch die Brüder sind voll und ganz mit sich selbst beschäftigt - Fitch vor allem damit, Vierteldollarmünzen für die Automaten in der Spielhalle von Mr. Hindley aufzutreiben; und ihr dreizehn Jahre alter Zwillingsbruder Cash, der wegen schlechter Noten und fehlender Sprungtechnik aus der Basketballmannschaft der Schule geflogen ist, mit der Frage, ob es überhaupt irgendetwas gibt, was er gut kann. Wie in ihrem Vorgängerroman sind die Figuren auch in Kellys jüngstem Buch wieder Außenseiter, deren Probleme (und Lösungen), erzählerisch sehr geschickt, immer drängender werden, je näher der Start der Challenger-Raumfähre rückt. Es geht ums Hübsch- und Schlausein, um Wutausbrüche und Gewissensbisse sowie um die Frage, wie man allen Widerständen zum Trotz eine Familie werden kann. Es geht um alltägliche Sorgen dreier Jugendlicher in Park, Delaware, und um die Zukunft der Menschheit im Weltraum. Und alles zusammen entfaltet bei Erin Entrada Kelly klugerweise die gleiche existenzielle Wucht. LENA BOPP
Erin Entrada Kelly: "Die Nelsons greifen nach den Sternen". Roman.
Aus dem Englischen von Beate Schäfer. Dtv, München 2022. 304 S., geb., 14,- Euro. Ab 11 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es geht um alltägliche Sorgen dreier Jugendliche in Park, Delaware, und um die Zukunft der Menschheit im Weltraum. Und alles zusammen entfaltet bei Erin Entrada Kelly klugerweise die gleiche existentielle Wucht. Lena Bopp FAZ 20220818