Chicago, 1985: Yale ist ein junger Kunstexperte, der mit Feuereifer nach Neuerwerbungen für seine Galerie sucht. Gerade ist er einer Gemälde- sammlung auf der Spur, die seiner Karriere den entscheidenden Schub verleihen könnte. Er ahnt nicht, dass ein Virus, das gerade in Chicagos Boystown zu wüten begonnen hat, einen nach dem anderen seiner Freunde in den Abgrund reißen wird.
Paris, 2015: Fiona spürt ihrer Tochter nach, die sich offenbar nicht finden lassen will. Die Suche nach ihr gestaltet sich ebenso zu einer Reise in die eigene Vergangenheit, denn in Paris trifft sie auf alte Freunde aus Chicago, die sie an das Gefühls- chaos der Achtzigerjahre erinnern und sie mit einem großen Schmerz von damals konfrontieren.
Die Optimisten ist eine zutiefst bewegende Geschichte darüber, wie Liebe uns retten, aber ebenso vernichten kann, und wie uns traumatische Ereignisse ein Leben lang prägen, bis Heilung möglich wird.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Tobias Döring findet Rebecca Makkais Roman etwas zu lang. Am besten gefällt ihm der Teil, in dem sich die Autorin, gestützt auf genaue Recherche, wie Döring vermutet, mit der Partyszene im Chicago Mitte der 80er befasst, genauer mit der Schwulenszene und der aufkommenden AIDS-Welle. Dieser Teil dreht sich um einen jungen Galeristen, der mit dem Virus infiziert wird und dessen Leben aus dem Lot gerät. Der Autorin gelingt hier laut Döring ein "ereignisreiches" Zeitpanorama, das auch noch Gegenwartsbezüge zulässt, wie er findet. Der andere damit "locker verknüpfte" Teil, in dem eine Mutter-Tochter-Geschichte im Vordergrund steht, überzeugt Döring weniger. Weniger wäre hier mehr gewesen, glaubt er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.10.2020Wer hat sich nur dieses Virus ausgedacht?
Eine andere Pandemie: Rebecca Makkai erzählt vom Leben und Lieben in Zeiten von Aids.
Zahlen und Statistiken sind eine Sache, bei der man kaum je weiß, woran man ist. 75 Millionen Virus-Infizierte seit Beginn der Pandemie. Weltweit 32 Millionen Todesopfer, davon letztes Jahr knapp 700 000 sowie 1,7 Millionen Neuinfektionen. Das sind unvorstellbar hohe Zahlen. Und doch sind sie als gute Nachricht aufzufassen: Laut dem UN-Report, der sie verkündet, zeigen sie, dass die Infektionsrate seit ihrem Höhepunkt vor 22 Jahren um vierzig Prozent gesunken ist. Eine Erfolgsmeldung zweifellos, die aber den meisten von uns wenig sagt. Zahlen brauchen, um zu wirken, erst Gesichter und Geschichten.
Die Rede ist von HIV und Aids, jener Krankheit, die, 1983 erstmals festgestellt, sich rasant verbreitete, zunächst in amerikanischen Metropolen wie New York, Chicago oder San Francisco das hedonistische Befreiungsgefühl der siebziger Jahre jäh beendete, bald auch in vielen weiteren Großstädten in kurzer Zeit horrende Opfer forderte, milieubedingt besonders in der Schwulenszene, und die lange keiner aussichtsreichen medizinischen Behandlung zugänglich war. Ihr Ausbruch war daher fast schon ein Todesurteil. Doch lange vor dem körperlichen mussten viele Kranke den sozialen Tod erleiden, weil sie vor der Mehrheitsgesellschaft mit einem Makel gezeichnet waren. Und so wurde oft die wahre Todesursache peinlich verschwiegen, weil Hinterbliebene Scham und Schande fürchteten. Um solchem Schweigen zu begegnen, braucht es ebenfalls Geschichten.
Die bietet uns Rebecca Makkais epischer Roman. Angesiedelt in der Kunst- und Partyszene von Chicago Mitte der achtziger Jahre entrollt er ein figuren- und ereignisreiches Panorama jener Zeit, als Lebenslust und freie Männerliebe zunehmend schleichender Angst und apokalyptischer Untergangsstimmung wichen, da Virusverdächtigungen Liebes- und Gesellschaftsleben zunehmend zu vergiften drohten. Er beginnt mit der Beerdigung eines jungen Mannes, dessen Familie dem schwulen Freundeskreis keinen Zutritt geben will, so dass im Anschluss die eigentliche Trauerfeier unter Freunden stattfindet, auf der sich schon die nächsten Schicksalsschläge andeuten. Im Mittelpunkt steht Yale, ein Galerist und twentysomething, dessen langjährige Beziehung zerbricht, als er seinen Freund nicht nur der Infektion, sondern auch der Untreue verdächtigt. Obschon beruflich gerade sehr erfolgreich - ihm gelingt es, der Galerie die Schenkung einer privaten Kunstsammlung aus dem Paris der zwanziger Jahre zu sichern -, gerät Yale zunehmend ins Taumeln, verstrickt sich in eine eigentlich belanglose Affäre und muss bald selbst mit einem positiven Testergebnis leben lernen.
Rückhalt findet er bei einer Freundin namens Fiona. Sie ist die jüngere Schwester des anfangs Beerdigten und bewegt sich privat wie beruflich weiterhin in dessen Welt - "die heilige Fiona von Boystown", wie sie an einer Stelle genannt wird. Auf einer zweiten Erzählebene, die im November 2015 in Paris spielt, folgt der Roman ausführlich ihrer späteren Lebensgeschichte. Da ist Fiona Mitte fünfzig, geschieden und auf der Suche nach ihrer entfremdeten Tochter, die, einer ominösen christlichen Sekte entkommen, mittlerweile selbst Mutter geworden und in Paris untergetaucht ist. Dort leben unterdessen auch einige der alten Freunde aus glücklichen Chicagoer Zeiten, so dass Fionas Spurensuche unversehens zu einer Reise in die Vergangenheit wird, auf der sie sich mit eigenen Verlusten sowie neuen Hoffnungen konfrontiert sieht.
Verknüpft sind die beiden Handlungsebenen, die kapitelweise wechselnd präsentiert werden, eher locker durch ein paar Figuren sowie durch Spiegelungen von Motiven und Gefühlen. Der Hauptakzent und das Interesse richten sich gleichwohl sehr deutlich auf die achtziger Jahre mit dem Beginn der Aids-Krise, welche die amerikanische Autorin, Jahrgang 1978, offenbar gut recherchiert hat. "The Great Believers", so der Originaltitel, erschien vor zwei Jahren und wurde in den Vereinigten Staaten ein großer Verkaufs- und Publikumserfolg. Manches darin aber gewinnt jetzt, wo die deutsche Ausgabe in Bettina Abarbanells schöner Übersetzung vorliegt, noch ganz neue Resonanzen. Sätze wie "Bei einem so wahllos um sich greifenden Virus dürfe man keine Regeln aufstellen" oder "Woher sollten wir wissen, dass wir nicht alle Teil einer Verschwörung unserer Regierenden sind, die sich das Virus überhaupt erst ausgedacht hat?" sind heute unerwartet aktuell.
Die Lektüre lohnt denn auch am ehesten für die Lebens- und Leidensgeschichten, die der Roman gekonnt entfaltet und damit jeder trockenen Aids-Statistik Vorstellungswelten unterlegt. Am besten hätte Makkai es bei diesem Fokus auf den Männerschicksalen, denen sie mit Anteilnahme folgt, belassen sollen. Denn die weiteren Zutaten zu ihrem Roman - das Mutter-Tochter-Drama, der Sektenplot, diverse Liebes- und flüchtige Sexgeschichten, das Pariser Künstlermilieu der zwanziger Jahre, die Verstrickungen der Galerie mit ihren Geldgebern und Günstlingen, der islamistische Terror in Paris, Hamlet und Horatio und noch manches mehr - führen letztlich nur dazu, dass er deutlich zu viel auf einmal will. Obschon pointen- und gefühlssicher erzählt, mit Cliffhangern und bunter zeithistorischer Kulisse, bleibt er insgesamt diffus und nimmt nur streckenweise für seine Figuren ein, da etliche der Handlungsfäden unterwegs verlorengehen und nur einige zum Schluss, und dann mit reichlich Sentimentalität, abermals verknüpft werden. Vermutlich ist sein breites Figuren- und Ereignisgeflecht ohnehin schon auf das Serienformat angelegt, das derzeit in Arbeit ist; auf diesem Weg mag der Roman nur eine Durchgangsstation sein.
"Jeder weiß, wie kurz das Leben ist", erklärt ein Überlebender zum Schluss. "Aber niemand spricht je davon, wie lang es ist. Dabei - also, ich weiß nicht, ob das Sinn ergibt, aber jedes Leben ist zu kurz, selbst ein langes, und trotzdem ist das Leben mancher Menschen auch zu lang." Ob das für Menschenleben gilt, bleibt wohl dahingestellt; für diesen langen Roman aber trifft es zu.
TOBIAS DÖRING
Rebecca Makkai: "Die Optimisten". Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch von Bettina Abarbanell. Edition Eisele, München 2020. 624 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine andere Pandemie: Rebecca Makkai erzählt vom Leben und Lieben in Zeiten von Aids.
Zahlen und Statistiken sind eine Sache, bei der man kaum je weiß, woran man ist. 75 Millionen Virus-Infizierte seit Beginn der Pandemie. Weltweit 32 Millionen Todesopfer, davon letztes Jahr knapp 700 000 sowie 1,7 Millionen Neuinfektionen. Das sind unvorstellbar hohe Zahlen. Und doch sind sie als gute Nachricht aufzufassen: Laut dem UN-Report, der sie verkündet, zeigen sie, dass die Infektionsrate seit ihrem Höhepunkt vor 22 Jahren um vierzig Prozent gesunken ist. Eine Erfolgsmeldung zweifellos, die aber den meisten von uns wenig sagt. Zahlen brauchen, um zu wirken, erst Gesichter und Geschichten.
Die Rede ist von HIV und Aids, jener Krankheit, die, 1983 erstmals festgestellt, sich rasant verbreitete, zunächst in amerikanischen Metropolen wie New York, Chicago oder San Francisco das hedonistische Befreiungsgefühl der siebziger Jahre jäh beendete, bald auch in vielen weiteren Großstädten in kurzer Zeit horrende Opfer forderte, milieubedingt besonders in der Schwulenszene, und die lange keiner aussichtsreichen medizinischen Behandlung zugänglich war. Ihr Ausbruch war daher fast schon ein Todesurteil. Doch lange vor dem körperlichen mussten viele Kranke den sozialen Tod erleiden, weil sie vor der Mehrheitsgesellschaft mit einem Makel gezeichnet waren. Und so wurde oft die wahre Todesursache peinlich verschwiegen, weil Hinterbliebene Scham und Schande fürchteten. Um solchem Schweigen zu begegnen, braucht es ebenfalls Geschichten.
Die bietet uns Rebecca Makkais epischer Roman. Angesiedelt in der Kunst- und Partyszene von Chicago Mitte der achtziger Jahre entrollt er ein figuren- und ereignisreiches Panorama jener Zeit, als Lebenslust und freie Männerliebe zunehmend schleichender Angst und apokalyptischer Untergangsstimmung wichen, da Virusverdächtigungen Liebes- und Gesellschaftsleben zunehmend zu vergiften drohten. Er beginnt mit der Beerdigung eines jungen Mannes, dessen Familie dem schwulen Freundeskreis keinen Zutritt geben will, so dass im Anschluss die eigentliche Trauerfeier unter Freunden stattfindet, auf der sich schon die nächsten Schicksalsschläge andeuten. Im Mittelpunkt steht Yale, ein Galerist und twentysomething, dessen langjährige Beziehung zerbricht, als er seinen Freund nicht nur der Infektion, sondern auch der Untreue verdächtigt. Obschon beruflich gerade sehr erfolgreich - ihm gelingt es, der Galerie die Schenkung einer privaten Kunstsammlung aus dem Paris der zwanziger Jahre zu sichern -, gerät Yale zunehmend ins Taumeln, verstrickt sich in eine eigentlich belanglose Affäre und muss bald selbst mit einem positiven Testergebnis leben lernen.
Rückhalt findet er bei einer Freundin namens Fiona. Sie ist die jüngere Schwester des anfangs Beerdigten und bewegt sich privat wie beruflich weiterhin in dessen Welt - "die heilige Fiona von Boystown", wie sie an einer Stelle genannt wird. Auf einer zweiten Erzählebene, die im November 2015 in Paris spielt, folgt der Roman ausführlich ihrer späteren Lebensgeschichte. Da ist Fiona Mitte fünfzig, geschieden und auf der Suche nach ihrer entfremdeten Tochter, die, einer ominösen christlichen Sekte entkommen, mittlerweile selbst Mutter geworden und in Paris untergetaucht ist. Dort leben unterdessen auch einige der alten Freunde aus glücklichen Chicagoer Zeiten, so dass Fionas Spurensuche unversehens zu einer Reise in die Vergangenheit wird, auf der sie sich mit eigenen Verlusten sowie neuen Hoffnungen konfrontiert sieht.
Verknüpft sind die beiden Handlungsebenen, die kapitelweise wechselnd präsentiert werden, eher locker durch ein paar Figuren sowie durch Spiegelungen von Motiven und Gefühlen. Der Hauptakzent und das Interesse richten sich gleichwohl sehr deutlich auf die achtziger Jahre mit dem Beginn der Aids-Krise, welche die amerikanische Autorin, Jahrgang 1978, offenbar gut recherchiert hat. "The Great Believers", so der Originaltitel, erschien vor zwei Jahren und wurde in den Vereinigten Staaten ein großer Verkaufs- und Publikumserfolg. Manches darin aber gewinnt jetzt, wo die deutsche Ausgabe in Bettina Abarbanells schöner Übersetzung vorliegt, noch ganz neue Resonanzen. Sätze wie "Bei einem so wahllos um sich greifenden Virus dürfe man keine Regeln aufstellen" oder "Woher sollten wir wissen, dass wir nicht alle Teil einer Verschwörung unserer Regierenden sind, die sich das Virus überhaupt erst ausgedacht hat?" sind heute unerwartet aktuell.
Die Lektüre lohnt denn auch am ehesten für die Lebens- und Leidensgeschichten, die der Roman gekonnt entfaltet und damit jeder trockenen Aids-Statistik Vorstellungswelten unterlegt. Am besten hätte Makkai es bei diesem Fokus auf den Männerschicksalen, denen sie mit Anteilnahme folgt, belassen sollen. Denn die weiteren Zutaten zu ihrem Roman - das Mutter-Tochter-Drama, der Sektenplot, diverse Liebes- und flüchtige Sexgeschichten, das Pariser Künstlermilieu der zwanziger Jahre, die Verstrickungen der Galerie mit ihren Geldgebern und Günstlingen, der islamistische Terror in Paris, Hamlet und Horatio und noch manches mehr - führen letztlich nur dazu, dass er deutlich zu viel auf einmal will. Obschon pointen- und gefühlssicher erzählt, mit Cliffhangern und bunter zeithistorischer Kulisse, bleibt er insgesamt diffus und nimmt nur streckenweise für seine Figuren ein, da etliche der Handlungsfäden unterwegs verlorengehen und nur einige zum Schluss, und dann mit reichlich Sentimentalität, abermals verknüpft werden. Vermutlich ist sein breites Figuren- und Ereignisgeflecht ohnehin schon auf das Serienformat angelegt, das derzeit in Arbeit ist; auf diesem Weg mag der Roman nur eine Durchgangsstation sein.
"Jeder weiß, wie kurz das Leben ist", erklärt ein Überlebender zum Schluss. "Aber niemand spricht je davon, wie lang es ist. Dabei - also, ich weiß nicht, ob das Sinn ergibt, aber jedes Leben ist zu kurz, selbst ein langes, und trotzdem ist das Leben mancher Menschen auch zu lang." Ob das für Menschenleben gilt, bleibt wohl dahingestellt; für diesen langen Roman aber trifft es zu.
TOBIAS DÖRING
Rebecca Makkai: "Die Optimisten". Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch von Bettina Abarbanell. Edition Eisele, München 2020. 624 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rebecca Makkai hat einen großen Roman mit langem Atem geschrieben, der nie ins Lamento abdriftet. Elke Heidenreich Die Zeit