*** Dieses Buch wurde mir kostenfrei vom Verlag zur Verfügung gestellt. ***
Seishi Yokomizo, in Japan eine Krimi-Institution wie bei uns etwa Agatha Christie, siedelt seine „rätselhaften Honjin-Morde“ 1937 in der Provinz Settsu, zwischen Osaka und Okayama an. Ein jungverheiratetes Ehepaar wird in
seiner Hochzeitsnacht bestialisch ermordet, doch wer ist der Mörder? Zwar führen Fußspuren zum von…mehr*** Dieses Buch wurde mir kostenfrei vom Verlag zur Verfügung gestellt. ***
Seishi Yokomizo, in Japan eine Krimi-Institution wie bei uns etwa Agatha Christie, siedelt seine „rätselhaften Honjin-Morde“ 1937 in der Provinz Settsu, zwischen Osaka und Okayama an. Ein jungverheiratetes Ehepaar wird in seiner Hochzeitsnacht bestialisch ermordet, doch wer ist der Mörder? Zwar führen Fußspuren zum von innen verriegelten Haus, in dem der Mord geschah, aber es führen keine wieder hinaus und die Mordwaffe steckt draußen im Schnee. Die Polizei tappt im Dunkeln, nur der Onkel der Braut hat das Gefühl, dass nicht alle Beteiligten die Wahrheit sagen. Er lässt seinen Ziehsohn, den berühmten Detektiv Kosuke Kindaichi holen, der mit scharfer Beobachtungsgabe und messerscharfem Verstand das raffinierte Verbrechen aufdeckt.
Übersetzt wurde der Roman von der derzeit besten japanischen Übersetzerin Ursula Graefe, der es gelingt, die Atmosphäre in dem etwas rückständigen Dorf und der in überkommenen Traditionen verhafteten Familie Ichiyanagi auch im Deutschen sehr gut wiederzugeben. Japanische Begriffe werden kurz eingeführt und dann konsequent verwendet, was der Geschichte weitere Authentizität verleiht. Für vergessliche Leser gibt es ein Glossar im Anhang.
Yokomizo erzählt die Geschichte aus der Sicht eines fiktiven Autors, der sie nicht selber erlebt hat, sondern im Nachhinein Recherchen anstellt. Dafür zieht er Berichte und Aussagen von Beteiligten heran, was einerseits Abwechslung in den Ablauf bringt, andererseits etwas heterogen wirkt, da die Übergänge zu den romanhaften Teilen fließend sind und man sich als Leser fragt, wo die externe Quelle endet und wo der Ich-Erzähler eigene Interpretationen anstellt. Auch gibt es viele Dialoge und kleinteilig beobachtete Reaktionen Einzelner, was ein wenig im Widerspruch zum faktisch unbeteiligten Autor steht, der dies höchstens aus Berichten Dritter wissen könnte. Yokomizo schreibt in einem für Japan typischen Stil, mit kurzen Sätzen und einer sehr expliziten Beschreibung der Gefühlslage der Beteiligten. Anders als die westlichen Kriminalautoren, die Yokomizos große Vorbilder sind, werden die inneren Ansichten der Figuren nicht nur indirekt angedeutet, sondern Yokomizo lässt sie sehr ausführlich darüber reden und gibt dem Leser damit kaum Freiraum bei der Interpretation. Mein Eindruck war, dass er die Mechanismen des psychologischen Kriminalromans westlicher Prägung nicht wirklich verstanden, aber ein „japanisiertes“ Äquivalent dafür geschaffen hat. Ein schönes Beispiel für die erzwungene Kontrolle über die Interpretation der Geschichte findet sich am Schluss, als Yokomizo mit einer etwas oberlehrerhaften Attitüde darauf hinweist, dass er den Leser nie in die Irre führen wollte, nur um einen Halbsatz später detailliert zu erklären, wie er ihn absichtlich in die Irre geführt hat. Das ist ein bisschen wie bei den Leuten, die die Pointe von einem Witz erklären.
Was mich an der Geschichte sehr gefesselt hat, waren die antiquierten Umgangsformen in der Familie Ichiyanagi, die den alten Samuraizeiten nachtrauert, obwohl ihr Stern längst gesunken ist. Auf dem Land haben sich Sitten und Gebräuche viel länger gehalten als in den Städten und aus der Kollision dieser Traditionen bezieht der Roman auch sein Konfliktpotenzial. Dass Yokomizo die Charaktereigenschaften seiner Figuren manchmal mit dem Holzhammer ins Hirn des Lesers drischt, ist ein Phänomen, das ich schon öfter in japanischen Romanen beobachtet habe und das mich umso mehr überrascht, als dass die Japaner im gesellschaftlichen Umgang genau das Gegenteil praktizieren: Man muss die Gefühle des Gegenübers erahnen, ohne dass er sie überhaupt ausspricht. Das ist die oberste Regel des Omotenashi, der japanischen Kunst der Aufmerksamkeit ...