Wien im Jahre 1843: die rührige, unternehmungslustige und emanzipierte Schriftstellerin Ida Gräfin Hahn-Hahn (1805-1880) aus mecklenburgischem Uradel tritt ihre an den Obern Nil nach Wadi Halfa führende Orientreise an. Als Tochter des historischen „Theatergrafen“ Carl Friedrich Graf von Hahn-Neuhaus
war die berühmte Prosaistin, Lyrikerin und Liederdichterin in Rostock, Neubrandenburg und…mehrWien im Jahre 1843: die rührige, unternehmungslustige und emanzipierte Schriftstellerin Ida Gräfin Hahn-Hahn (1805-1880) aus mecklenburgischem Uradel tritt ihre an den Obern Nil nach Wadi Halfa führende Orientreise an. Als Tochter des historischen „Theatergrafen“ Carl Friedrich Graf von Hahn-Neuhaus war die berühmte Prosaistin, Lyrikerin und Liederdichterin in Rostock, Neubrandenburg und Greifswald zusammen mit ihrer geschiedenen Mutter sowie zwei jüngeren Schwestern aufgewachsen.
In seinem von authentischem Handlungsrahmen eingefaßten Erzählstoff um die gesellschaftsfähige und im 19. Jahrhundert vielgelesene Literatin Ida Gräfin Hahn-Hahn (Gräfin Faustine, 1841) hat der aus Köln gebürtige und in Dresden lebende Autor Ralf Günther zwei weibliche Emanzipationscharaktere kontrastiert, die in ihrer Lebensgeschichte schicksalhaft aneinandergeschmiedet sind. Während die den Balkan und Ägypten bereisende Gesellschafts- und Reiseliteratin Ida Gräfin Hahn-Hahn den erlebnis- und gefühlsgeladenen Abenteuern im Land der Pharaonen vollständig ergeben ist, hat zeitgleich die finanziell wenig bemittelte Wanderschauspielerin Marie auf dem heimatlichen Schloß Altenhoff, dem Stammsitz der Familie Hahn, eine Art „Zuflucht“ gefunden. Dort konnte sie sich „völlig neu erschaffen“.
Am Schluß der sehr wechselvollen und spannenden Handlung indes wahren beide Frauen ihre „Besitztümer“: Doch während die mit der gesellschaftlichen Rolle der „Theatergräfin“ liebäugelnde Marie triumphiert, ist die nach Hause zurückgeeilte Reisedichterin Ida auf tragische Weise in den Tod ihres Sohnes Wolf von Hahn an „Digitalis“ verwickelt. Ihr Bruder, Ferdinand von Hahn, sucht vergeblich „nach Erstaunen, nach Trauer im Blick der Schwester. Aber ihre Miene war unergründlich“ (S. 365). Am Schluß weiß Marie, die sich auf der Dreimastbark „Franklin“ nach New York einschifft, zu reüssieren: „Wer das Sterben [als Theaterschauspielerin, M.P.] so vortrefflich beherrschte wie sie, dem konnte das Leben keine Angst mehr einjagen“.
Der studierte Theaterwissenschaftler und Germanist Ralf Günther als Romanautor hat es vermocht, seinem Lesestoff ein Höchstmaß an historischer Authentizität beizubringen. Dazu hat Günther nicht nur ein reichhaltiges historisches Quellenreservoir ausgiebig gesichtet, ausgewertet und genutzt, sondern ist auch dem Reiseweg der couragierten, heute leider vielfach vergessenen Schriftstellerin Ida Gräfin Hahn-Hahn von 1843 auf der Fährte gefolgt.
So läßt Günther auf sehr bewegte, vor allem anspruchsvolle Weise eine Zeit wieder lebendig werden, die Zeugnis von einem uns völlig entrückten Gesellschaftsleben mit „Etikette“ des 19. Jahrhunderts ablegt. „Die Theatergräfin“ ist ein rundum gelungener, anspruchsvoller und gehaltvoller Roman. Ob der tragische Tod von Idas Sohn Wolf in dem Roman mit dem Tod von Idas geistesschwacher Tochter Antonie im Jahre 1853 in der Wirklichkeit in inhaltskausaler und beabsichtigter Konjunktion steht?