Christian Krachts neuer Roman führt uns mitten in die wilden, fiebrigen Jahre der Weimarer Republik, als die Filmkultur ihre frühe Blüte erlebte. In Berlin versucht ein Schweizer Filmregisseur, angestachelt von Siegfried Kracauer und Lotte Eisner, den UFA-Tycoon Hugenberg zur Finanzierung eines Film zu überreden, genauer gesagt: eines Gruselfilms, genauer gesagt: in Japan. Das überschneidet sich mit ebensolchen Plänen im dortigen Kaiserreich, mit denen man dem entstehenden Hollywood-Imperium Paroli bieten will. Pläne, die durch den Nationalsozialismus, der am Himmel von Berlin dämmert, eine völlig neue Wendung bekommen. Ein Roman, der das Geheimnis des Films als Kunstwerk der Moderne genauso feiert wie seine großen Meister – von Charlie Chaplin über Heinz Rühmann bis Fritz Lang.
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buecher-magazin.deDas Fiktive und das Faktische, das Historische und das Hippe bilden im Werk des umtriebigen Christian Kracht seit jeher eine unauflösliche Allianz. Jetzt umkreist er beziehungsreich das Thema Film. Die Handlung spielt in den Dreißigerjahren, zum Teil in Deutschland, zum Teil in Japan, um schließlich in Hollywood zu (ver-)enden: Der Schweizer Filmregisseur Emil Nägeli reist nach Nazi-Berlin, um mit dem Propagandaminister einen Filmdeal einzutüten. Der Film soll in Japan gedreht werden, wo Nägelis deutsche Geliebte Ida sich bereits aufhält. Ida aber hat dort eine Affäre mit Nägelis japanischem Gegenstück Amakasu angefangen, eine Affäre so heiß, dass dem armen Emil nur noch bleibt, den Geschlechtsakt heimlich auf Zelluloid zu bannen, um damit Filmgeschichte zu ?schreiben. Während sich eher nebenbei dieses Liebesdreieck entfaltet, geben prominente Figuren der Filmgeschichte Cameo-Auftritte, vor allem Vertreter der sich gerade in ein Emigranten- und ein Angepassten-Segment aufspaltenden deutschen Filmszene der Dreißigerjahre. Auch Chaplin tritt auf: zum einen als er selbst, zum anderen als fiktive Figur, der für die Handlung eine geradezu fatale Rolle zukommt. Und der Tod steht sowohl am Ende als auch am Anfang des Romans, was dann irgendwie wohl auch seinen Titel rechtfertigt.
© BÜCHERmagazin, Katharina Granzin (kgr)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.09.2016Auf Sushimessers Schneide
Früher begann der Tag mit einem Harakiri: Christian Kracht erprobt in seinem Roman "Die Toten", wie sich Bildgewalt aufs Erzählen übertragen lässt.
In Christian Krachts dandyhaften Reiseberichten aus Asien, die im Jahr 2000 in dem Band "Der gelbe Bleistift" erschienen, findet sich ein Text mit dem Titel "Lob des Schattens". Er spielt auf Junichiro Tanizakis gleichnamigen Essay von 1933 an, der bis heute als maßgeblicher Text der japanischen Ästhetik in Auseinandersetzung mit jener des Westens gilt. Der Witz des damaligen Kracht-Texts war, dass sein Verfasser Tanizakis Essay noch gar nicht kannte und über Japan sagte: "Das Land hat mich noch nie interessiert."
Inzwischen hat Kracht offenbar seine Meinung geändert und seine Hausaufgaben gemacht. Seinem neuen Roman ist ein Motto von Tanizaki vorangestellt. Er handelt zum Teil in Japan und ist tief geprägt von japanischer Kultur, ja, er setzt sogar stellenweise japanische Begriffe voraus, die der Nichtkundige nachschlagen muss. Der Roman beginnt mit der minutiösen Schilderung eines Seppuku, eines ritualisierten Suizids mit einem Dolch.
Auch dieses Buch handelt vom Zusammenprall westlicher und japanischer Kultur - nämlich ebenfalls um das Jahr 1933. Kracht, der sich schon lange im Genre der Historien-Farce mit Schwerpunkt Kolonialismus wohlfühlt, hat wieder einiges zusammengerührt. Diesmal geht es um eine Kolonisierung durch Bilder. In seiner Geschichte über das Kino als kulturelle Deutungsmacht in weltgeschichtlich brisanter Zeit treten Figuren wie der UFA-Chef Alfred Hugenberg, die Schauspieler Charlie Chaplin und Heinz Rühmann sowie die Kritiker Siegfried Kracauer und Lotte Eisner in Nebenrollen auf, während die beiden Hauptfiguren erfundene sind: ein Schweizer Filmregisseur namens Emil Nägeli und ein japanischer Kulturbeamter namens Masahiko Amakasu. Dieser hat einen Plan ausgeheckt. Er möchte eine "zelluloidene Achse" zwischen Berlin und Tokio herstellen, um mit deutscher Filmkunst dem amerikanischen Kulturimperialismus Einhalt zu gebieten, der sich besonders in Gestalt des von ihm verachteten Tonfilms "virengleich über das Kaiserreich der Showa-Herrschaft ausgebreitet" habe. Der Beamte wünscht sich, dass ein Arnold Fanck oder Fritz Lang mit Zeiss-Objektiven und Agaf-Flm nach Japan käme, um dem dortigen Kino die "hölderlinsche Zone" zu erschließen und es zu einer Waffe im Kulturkampf zu machen. Doch es kommen nicht die Wunschkandidaten, sondern Nägeli, über dessen fiktiven Film "Die Windmühle" es immerhin heißt, er habe "innerhalb der Ereignislosigkeit das Heilige" aufgezeigt.
Der erste Teil des Romans widmet sich den Lebensläufen Nägelis und Amakasus, erklärt gewissermaßen ihre Persönlichkeiten aus Einblicken in beider schlimme Kindheiten, die selbst filmischen, teils albtraumhaften Charakter haben. Im Mittelteil nehmen die Geschehnisse Fahrt auf. Es kommt zur Begegnung der beiden, zwischen denen Nägelis Verlobte steht, eine junge deutsche Schauspielerin namens Ida mit großen Ambitionen. Der Schlussteil lässt dann Charlie Chaplin überraschend zum Mörder werden und schickt Ida nach Hollywood auf den Boulevard der zerbrochenen Träume.
Krachts Text ist gespickt mit Verweisen und Anspielungen auf Filme, wimmelt von Namen zwischen Ozu, Murnau, Dowschenko, Vigo und Bresson und verarbeitet auch historische Ereignisse wie das Attentat auf den japanischen Premierminister Inukai Tsuyoshi am 15. Mai 1932, dem der damals in Japan weilende Chaplin angeblich beinahe mit zum Opfer fiel. Und mittels Krachtscher Phantasie landen dann auch Kracauer, Eisner und Fritz Lang auf ihrer Flucht aus Deutschland im selben Zug nach Paris, um sich im Speisewagen zu betrinken.
Der am kommenden Donnerstag erscheinende Roman heißt "Die Toten", wie eine Geschichte von James Joyce, er könnte aber auch wie ein Kinofilm von David Cronenberg heißen: "A History of Violence". Denn im Mittelpunkt fast jeder einzelnen Erzählepisode stehen Szenen der Gewalt, und zwar vor allem solche durch das Medium des Films vermittelte. Auch der japanische Suizid gehört dazu, er wird nämlich durch ein Loch in der Wand gefilmt. Der Leser wird so zum Voyeur der Voyeure, wenn er die Wirkung des Films auf Figuren des Romans verfolgt.
Die Macht der Bilder beim Aufstieg des Nationalsozialismus ist natürlich ein Aspekt, der bei diesem Sujet auf der Hand liegt, und Kracht fügt entsprechende Szenen aus dem hakenkreuzbeflaggten Berlin ein. Er spart nicht mit diabolischen Zuschreibungen bei der Rolle Alfred Hugenbergs, der im Roman als "deutsches Monster", "grinsepolternder" Tycoon und als antisemitisches Schwein beschrieben wird. Er bezeichnet den Film als "Schießpulver für die Augen". Aber über die historische Dimension hinaus scheint das Buch sich manchmal auch an unsere mediale Gegenwart zu wenden, die in noch nie dagewesenem Maße von bewegten Gewaltbildern geprägt ist. So heißt es einmal: "Es gab bestimmte Dinge, die man nicht abbilden durfte, nicht vervielfältigen, es gab Geschehnisse, an denen wir uns mitschuldig machten, wenn wir deren Wiedergabe betrachteten."
Eine Pointe des Romans ist, dass Nägeli aus Japan weder eine propagandistische Komödie mitbringt, wie von Hugenberg gewünscht, noch einen Gruselfilm wie zwischendurch geplant, sondern ein impressionistisches Werk aus verwackelten, unscharfen Tieren, einer dunklen Rumpelkammer mit Tand und dem verschneiten Kegel eines erloschenen Vulkans. Der Film, bei dessen Vorführung nicht alle Zuschauer wach bleiben, trägt - auch das eine für Kracht typische Meta-Spielerei - den gleichen Titel wie der Roman.
Nun allerdings muss auch noch etwas zum Stil des Erzählens gesagt werden, denn wenn man nur die an sich schon reichen und verwirrenden Inhalte berücksichtigte, hätte man doch das Wichtigste noch nicht erwähnt. In gewisser Weise macht Kracht schon seit mehreren Büchern das, was ganz am Schluss vom "Lob des Schattens" als Tanizakis Vermächtnis steht: Er versucht, eine "halbverlorene Welt" wenigstens im Bereich des literarischen Werks wiederaufleben zu lassen, und erlaubt sich, dafür "das elektrische Licht abzuschalten".
Genau dieses Gefühl hat man auch bei Krachts Sprache, die so antiquiert ist wie eine Talgkerze. Es gibt sie noch, die kostbaren Worte. Kracht schreibt nicht "morgens" sondern "des Morgens", er schreibt "ihm träumte", er liebt Wörter wie Trottoir oder Firmament, und es kommt vor, dass jemand "sotto voce aus einem verfaulten, obsidianfarbenen Gebiss" spricht oder ein "Bouquet von Exkrementen" erschnüffelt.
Der Popliterat des Generationenbuchs "Faserland" (1995) ist längst bei einem ridikülisierten Dandy-Stil der vorvorigen Jahrhundertwende angekommen, der schon bei seinem umstrittenen Buch "Imperium" (2012) viele an Thomas Mann erinnert hat. Es ist aber oft auch ein empfindsamer und romantischer Ton - nicht umsonst wird im neuen Roman etwa Eichendorff erwähnt, es gibt auch Passagen, die an Wackenroders "Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders" erinnern. Dieser Stil hat die Kracht-Rezeption schon länger gespalten, und auch hier kann man sagen: Manchmal wirkt er einfach überzuckert, manchmal beeindruckend witzig und ironisch. Der Ironieverdacht setzt auch die zahlreichen Klischees des Romans, die todessehnsüchtigen Deutschen und die pflichtbewussten Japaner etwa, ins Zwielicht.
Verstörend wird dieser Stil, wenn er mit dem Grundkonzept des Romans zusammenwirkt: nämlich mit der Ästhetisierung des Schrecklichen. Der Stich in die Eingeweide des Selbstmörders zu Beginn lässt eine Blutfontäne auf eine "unendlich zart getuschte" Bildrolle spritzen; der über Bord Geworfene, der am Ende des unrettbar im Ozean treibt, vernimmt noch sterbend in den Wellen ein "versunkenes Oszillieren", ja das "Meistergeräusch dieses Planeten", während sich über ihm "in atemlosem Blau das endlose Geschenk des Himmels" spannt. Darf man so beschreiben, wie einer übelst krepiert? Dass der Dandy seine Coolness am besten an Entsetzlichem bewährt, indem er auch ihm noch ästhetische Haltungen abgewinnt, ist als Antwort wohl nicht erschöpfend.
Der Verweis auf das Theatralische, der dem Buch als weitere Meta-Ebene in der Struktur des No-Theaters eingeschrieben ist, mag solche Verkünstelung mit erklären. Aber dennoch: Die Herausforderung einer Ästhetik des Grauens ist von Baudelaires programmatischem Gedicht "Une Charogne" ("Ein Stück Aas") bis zu den Filmen Quentin Tarantinos keine geringere geworden. Kracht ruft diese Ästhetik in seinem Roman nicht nur thematisch auf, durch die Bezüge auf Horrorfilme und japanische Rituale, sondern er gibt ihr auch eine Stimme, nämlich die seines Erzählers.
Der charakteristische Tonfall dieses Erzählers ist im Grunde derselbe wie jener des Vorgängerwerks "Imperium", und er erzeugt dasselbe Unbehagen wie die oft grausame Geschichte um den Kokovoren und Lebensreformer August Engelhardt: weil der Tonfall nämlich verharmlosend und verniedlichend wirkt.
Die Verwechslung dieses Erzählers mit dem Autor Kracht war mit ein Grund für die bis zur Dummheit mutwillige Fehlinterpretation von "Imperium", in der Kracht unter Einbeziehung seines Gesamtwerks als "Türsteher der rechten Gedanken" bezeichnet wurde. Aber wenn man eines inzwischen begriffen haben sollte, dann, dass bei Kracht (wie überhaupt in der Literatur seit ewigen Zeiten) auch der Erzähler eine Figur sein kann, die provokant zur Schau gestellt wird - und sei es als eine, die in ulkig-niedlichen Sprachkaskaden vom Schrecklichsten erzählt.
JAN WIELE
Christian Kracht: "Die Toten". Roman.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016. 212 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Früher begann der Tag mit einem Harakiri: Christian Kracht erprobt in seinem Roman "Die Toten", wie sich Bildgewalt aufs Erzählen übertragen lässt.
In Christian Krachts dandyhaften Reiseberichten aus Asien, die im Jahr 2000 in dem Band "Der gelbe Bleistift" erschienen, findet sich ein Text mit dem Titel "Lob des Schattens". Er spielt auf Junichiro Tanizakis gleichnamigen Essay von 1933 an, der bis heute als maßgeblicher Text der japanischen Ästhetik in Auseinandersetzung mit jener des Westens gilt. Der Witz des damaligen Kracht-Texts war, dass sein Verfasser Tanizakis Essay noch gar nicht kannte und über Japan sagte: "Das Land hat mich noch nie interessiert."
Inzwischen hat Kracht offenbar seine Meinung geändert und seine Hausaufgaben gemacht. Seinem neuen Roman ist ein Motto von Tanizaki vorangestellt. Er handelt zum Teil in Japan und ist tief geprägt von japanischer Kultur, ja, er setzt sogar stellenweise japanische Begriffe voraus, die der Nichtkundige nachschlagen muss. Der Roman beginnt mit der minutiösen Schilderung eines Seppuku, eines ritualisierten Suizids mit einem Dolch.
Auch dieses Buch handelt vom Zusammenprall westlicher und japanischer Kultur - nämlich ebenfalls um das Jahr 1933. Kracht, der sich schon lange im Genre der Historien-Farce mit Schwerpunkt Kolonialismus wohlfühlt, hat wieder einiges zusammengerührt. Diesmal geht es um eine Kolonisierung durch Bilder. In seiner Geschichte über das Kino als kulturelle Deutungsmacht in weltgeschichtlich brisanter Zeit treten Figuren wie der UFA-Chef Alfred Hugenberg, die Schauspieler Charlie Chaplin und Heinz Rühmann sowie die Kritiker Siegfried Kracauer und Lotte Eisner in Nebenrollen auf, während die beiden Hauptfiguren erfundene sind: ein Schweizer Filmregisseur namens Emil Nägeli und ein japanischer Kulturbeamter namens Masahiko Amakasu. Dieser hat einen Plan ausgeheckt. Er möchte eine "zelluloidene Achse" zwischen Berlin und Tokio herstellen, um mit deutscher Filmkunst dem amerikanischen Kulturimperialismus Einhalt zu gebieten, der sich besonders in Gestalt des von ihm verachteten Tonfilms "virengleich über das Kaiserreich der Showa-Herrschaft ausgebreitet" habe. Der Beamte wünscht sich, dass ein Arnold Fanck oder Fritz Lang mit Zeiss-Objektiven und Agaf-Flm nach Japan käme, um dem dortigen Kino die "hölderlinsche Zone" zu erschließen und es zu einer Waffe im Kulturkampf zu machen. Doch es kommen nicht die Wunschkandidaten, sondern Nägeli, über dessen fiktiven Film "Die Windmühle" es immerhin heißt, er habe "innerhalb der Ereignislosigkeit das Heilige" aufgezeigt.
Der erste Teil des Romans widmet sich den Lebensläufen Nägelis und Amakasus, erklärt gewissermaßen ihre Persönlichkeiten aus Einblicken in beider schlimme Kindheiten, die selbst filmischen, teils albtraumhaften Charakter haben. Im Mittelteil nehmen die Geschehnisse Fahrt auf. Es kommt zur Begegnung der beiden, zwischen denen Nägelis Verlobte steht, eine junge deutsche Schauspielerin namens Ida mit großen Ambitionen. Der Schlussteil lässt dann Charlie Chaplin überraschend zum Mörder werden und schickt Ida nach Hollywood auf den Boulevard der zerbrochenen Träume.
Krachts Text ist gespickt mit Verweisen und Anspielungen auf Filme, wimmelt von Namen zwischen Ozu, Murnau, Dowschenko, Vigo und Bresson und verarbeitet auch historische Ereignisse wie das Attentat auf den japanischen Premierminister Inukai Tsuyoshi am 15. Mai 1932, dem der damals in Japan weilende Chaplin angeblich beinahe mit zum Opfer fiel. Und mittels Krachtscher Phantasie landen dann auch Kracauer, Eisner und Fritz Lang auf ihrer Flucht aus Deutschland im selben Zug nach Paris, um sich im Speisewagen zu betrinken.
Der am kommenden Donnerstag erscheinende Roman heißt "Die Toten", wie eine Geschichte von James Joyce, er könnte aber auch wie ein Kinofilm von David Cronenberg heißen: "A History of Violence". Denn im Mittelpunkt fast jeder einzelnen Erzählepisode stehen Szenen der Gewalt, und zwar vor allem solche durch das Medium des Films vermittelte. Auch der japanische Suizid gehört dazu, er wird nämlich durch ein Loch in der Wand gefilmt. Der Leser wird so zum Voyeur der Voyeure, wenn er die Wirkung des Films auf Figuren des Romans verfolgt.
Die Macht der Bilder beim Aufstieg des Nationalsozialismus ist natürlich ein Aspekt, der bei diesem Sujet auf der Hand liegt, und Kracht fügt entsprechende Szenen aus dem hakenkreuzbeflaggten Berlin ein. Er spart nicht mit diabolischen Zuschreibungen bei der Rolle Alfred Hugenbergs, der im Roman als "deutsches Monster", "grinsepolternder" Tycoon und als antisemitisches Schwein beschrieben wird. Er bezeichnet den Film als "Schießpulver für die Augen". Aber über die historische Dimension hinaus scheint das Buch sich manchmal auch an unsere mediale Gegenwart zu wenden, die in noch nie dagewesenem Maße von bewegten Gewaltbildern geprägt ist. So heißt es einmal: "Es gab bestimmte Dinge, die man nicht abbilden durfte, nicht vervielfältigen, es gab Geschehnisse, an denen wir uns mitschuldig machten, wenn wir deren Wiedergabe betrachteten."
Eine Pointe des Romans ist, dass Nägeli aus Japan weder eine propagandistische Komödie mitbringt, wie von Hugenberg gewünscht, noch einen Gruselfilm wie zwischendurch geplant, sondern ein impressionistisches Werk aus verwackelten, unscharfen Tieren, einer dunklen Rumpelkammer mit Tand und dem verschneiten Kegel eines erloschenen Vulkans. Der Film, bei dessen Vorführung nicht alle Zuschauer wach bleiben, trägt - auch das eine für Kracht typische Meta-Spielerei - den gleichen Titel wie der Roman.
Nun allerdings muss auch noch etwas zum Stil des Erzählens gesagt werden, denn wenn man nur die an sich schon reichen und verwirrenden Inhalte berücksichtigte, hätte man doch das Wichtigste noch nicht erwähnt. In gewisser Weise macht Kracht schon seit mehreren Büchern das, was ganz am Schluss vom "Lob des Schattens" als Tanizakis Vermächtnis steht: Er versucht, eine "halbverlorene Welt" wenigstens im Bereich des literarischen Werks wiederaufleben zu lassen, und erlaubt sich, dafür "das elektrische Licht abzuschalten".
Genau dieses Gefühl hat man auch bei Krachts Sprache, die so antiquiert ist wie eine Talgkerze. Es gibt sie noch, die kostbaren Worte. Kracht schreibt nicht "morgens" sondern "des Morgens", er schreibt "ihm träumte", er liebt Wörter wie Trottoir oder Firmament, und es kommt vor, dass jemand "sotto voce aus einem verfaulten, obsidianfarbenen Gebiss" spricht oder ein "Bouquet von Exkrementen" erschnüffelt.
Der Popliterat des Generationenbuchs "Faserland" (1995) ist längst bei einem ridikülisierten Dandy-Stil der vorvorigen Jahrhundertwende angekommen, der schon bei seinem umstrittenen Buch "Imperium" (2012) viele an Thomas Mann erinnert hat. Es ist aber oft auch ein empfindsamer und romantischer Ton - nicht umsonst wird im neuen Roman etwa Eichendorff erwähnt, es gibt auch Passagen, die an Wackenroders "Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders" erinnern. Dieser Stil hat die Kracht-Rezeption schon länger gespalten, und auch hier kann man sagen: Manchmal wirkt er einfach überzuckert, manchmal beeindruckend witzig und ironisch. Der Ironieverdacht setzt auch die zahlreichen Klischees des Romans, die todessehnsüchtigen Deutschen und die pflichtbewussten Japaner etwa, ins Zwielicht.
Verstörend wird dieser Stil, wenn er mit dem Grundkonzept des Romans zusammenwirkt: nämlich mit der Ästhetisierung des Schrecklichen. Der Stich in die Eingeweide des Selbstmörders zu Beginn lässt eine Blutfontäne auf eine "unendlich zart getuschte" Bildrolle spritzen; der über Bord Geworfene, der am Ende des unrettbar im Ozean treibt, vernimmt noch sterbend in den Wellen ein "versunkenes Oszillieren", ja das "Meistergeräusch dieses Planeten", während sich über ihm "in atemlosem Blau das endlose Geschenk des Himmels" spannt. Darf man so beschreiben, wie einer übelst krepiert? Dass der Dandy seine Coolness am besten an Entsetzlichem bewährt, indem er auch ihm noch ästhetische Haltungen abgewinnt, ist als Antwort wohl nicht erschöpfend.
Der Verweis auf das Theatralische, der dem Buch als weitere Meta-Ebene in der Struktur des No-Theaters eingeschrieben ist, mag solche Verkünstelung mit erklären. Aber dennoch: Die Herausforderung einer Ästhetik des Grauens ist von Baudelaires programmatischem Gedicht "Une Charogne" ("Ein Stück Aas") bis zu den Filmen Quentin Tarantinos keine geringere geworden. Kracht ruft diese Ästhetik in seinem Roman nicht nur thematisch auf, durch die Bezüge auf Horrorfilme und japanische Rituale, sondern er gibt ihr auch eine Stimme, nämlich die seines Erzählers.
Der charakteristische Tonfall dieses Erzählers ist im Grunde derselbe wie jener des Vorgängerwerks "Imperium", und er erzeugt dasselbe Unbehagen wie die oft grausame Geschichte um den Kokovoren und Lebensreformer August Engelhardt: weil der Tonfall nämlich verharmlosend und verniedlichend wirkt.
Die Verwechslung dieses Erzählers mit dem Autor Kracht war mit ein Grund für die bis zur Dummheit mutwillige Fehlinterpretation von "Imperium", in der Kracht unter Einbeziehung seines Gesamtwerks als "Türsteher der rechten Gedanken" bezeichnet wurde. Aber wenn man eines inzwischen begriffen haben sollte, dann, dass bei Kracht (wie überhaupt in der Literatur seit ewigen Zeiten) auch der Erzähler eine Figur sein kann, die provokant zur Schau gestellt wird - und sei es als eine, die in ulkig-niedlichen Sprachkaskaden vom Schrecklichsten erzählt.
JAN WIELE
Christian Kracht: "Die Toten". Roman.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016. 212 S., geb., 20,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Zum "raffinierten Realismus" adelt Moritz Baßler die kontrastreiche Prosa Christian Krachts, der komplex und doch süffig Fakten und Fiktion mische, den "Glauben ans Unechte" mit der Liebe zum obskuren Detail verbinde und dabei auch noch alle Gegenstimmen zu Wort kommen lasse. Für Baßler ist das große Kunst und vor allem ein Kontrapunkt zu dem, was er als den "banalen Realismus" der Nachkriegsliteratur brandmarkt. Wem dagegen der literaturgeschichtlich und popkulturell aufgeladene Plot um Nazis und Film, Japan und Seppuku in den dreißiger Jahren nicht geheuer ist, der verwechsele Literatur mit Identitätspolitik, bescheidet Baßler möglichen Verächtern. Kracht nämlich verweigere dem Wirklichen das Anrecht auf die Sprache, stellt der Kritiker klar, der dies auch "links-politisch-korrekten" oder "pegidesk-empörten" Lesern empfiehlt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.09.2016Bitte oszillieren Sie
Der neue Roman von Christian Kracht, „Die Toten“, spielt
in der Filmindustrie zur Zeit der Machtergreifung der Nazis. Und alle
Welt darf wieder grübeln: Ist das ernst oder ironisch gemeint?
VON JENS-CHRISTIAN RABE
Jetzt ist es also doch wieder passiert. An diesem Donnerstag erscheint der neue Roman „Die Toten“ von Christian Kracht, und der Autor der deutschen Gegenwartsliteratur, der sich am hartnäckigsten konkreten Fragen zu seinen Büchern zu entziehen scheint (sogar seine Lesungen finden in der Regel kommentarlos statt), steht schon wieder turmhoch vor seinem Buch. Man darf also Methode vermuten. Und muss hier erst mal mit dem Mann beginnen, um zum Werk zu kommen. Genauer: mit dem Dandy mit den immer einen Hauch nachlässig getragenen feinen Schals und Tweedsakkos, der mit „Faserland“ in den Neunzigern berühmt wurde und mit seinem 2012 erschienenen Roman „Imperium“ endgültig zu einem der bedeutendsten deutschsprachigen Gegenwartsautoren promoviert wurde.
Denn welcher Schriftsteller, der wirklich nur sein Werk sprechen lassen wollte, ließe die Berichterstattung mit einem Vorab-Fernsehinterview in den Hollywood Hills (vergangene Woche in der ARD bei Denis Scheck) beginnen? Und mit einem Vorab-Zeitungsporträt, aufgezeichnet bei Rindertartar im Züricher Café Odeon, in dem einst auch schon James Joyce und Italo Svevo verkehrten (im Feuilleton der Zeit)?
Im Fernsehen trägt Krachtauch noch einen Vollbart samt angezwirbeltem Schnauzer, und seine Haare sehen beinahe so aus wie die von Emil Nägeli, der einen Hauptfigur, von der es im neuen Buch heißt: Ihm „gingen die hellblonden Haare aus, sowohl über der Stirn als auch am Hinterkopf; er hatte begonnen, sich eine langgewachsene Strähne von der Schläfe her seitwärts über die so verleugnete Glatze herüberzukämmen.“ Und als „mrchristiankracht“ hat der Autor dann ja auch noch für eine Woche den Instagram-Account seines Verlags Kiepenheuer & Witsch übernommen. Als Erstes postete er ein elegisches Foto von sich selbst, seitlich, vor dem golden schimmernden Fenster einer prunkvollen alten Villa.
Andererseits sieht man den großen Ironiker Kracht schon vor sich, wie er sich dieser Tage bei der Durchsicht der Kritiken und Reaktionen still amüsiert über jeden Rezensenten, der stolz mit dem Literaturkritik-Einmaleins herumwedelt und beflissen darauf hinweist, dass man den Erzähler Kracht auf keinen Fall mit dem Autor Kracht verwechseln dürfe: Ach ja, wirklich, interessant, darf man nicht, ist das so?
Also schleunigst ein paar Worte zum Buch. Es spielt um 1933. Und in drei Teilen führen 46 selten mehr als fünf Seiten lange Kapitel die zwei Hauptfiguren aufeinander zu, den Schweizer Filmregisseur Emil Nägeli und den japanischen Kulturbeamten Masahiko Amakasu, die es beide in ihrem Leben nicht leicht hatten. Amakasu verachtet den aufkommenden Tonfilm und möchte eine „zelluloidene Achse“ zwischen Berlin und Tokio gegen den aggressiven amerikanischen Kulturimperialismus in Stellung bringen, „dessen Ausformungen sich virengleich über das Kaiserreich der Showa-Herrschaft ausgebreitet“ hätten. Es sollen also deutsche „Fachleute“ in Japan „mit den exzellenten Objektiven von Carl Zeiss und dem allem überlegenen Agfa-Filmverfahren“ einen Film drehen. Angeführt am besten vom Bergfilm-Pionier Arnold Fanck, den es tatsächlich gab, oder wenigstens von Fritz Lang. Daraus wird jedoch nichts, aber er bekommt Emil Nägeli, der in seinem Film „Die Windmühle“ immerhin, wie Amakasu bemerkt, „innerhalb der Ereignislosigkeit das Heilige“ aufgezeigt habe.
Figuren und Handlung bilden dabei letztlich vor allem Rampen für ein wildes Programm von Anspielungen, Verweisen, Chameo-Auftritten, Umdichtungen und delikaten Kracht-Spleens aller Art, für die Schilderung von Winkelzügen klassischer Großmachtdiplomatie, für Charlie Chaplin als Mörder und sonstiges mehr oder weniger glorreiches Filmhistorisches, für ein Attentat auf Japans Premierminister, für Erörterungen über Ritual-Selbstmorde und eine chinesische Todesfoltervariante namens Lingchi, für den legendären deutschen Filmkritiker Siegfried Kracauer, für Heinz Rühmann und Lotte Eisner, für Hollywood, die Schweiz und den antisemitischen deutschen Medien-Tycoon Alfred Hugenberg und für Berliner Szenen aus der Zeit der Machtergreifung der Nazis und judenfeindliche „Taxischofföre“.
Was den literarischen Stil betrifft, so bleibt der einstige Reduktionist Kracht beim Thomas-Mann-haften, prätentiös-ausladenden, aber nicht immer ganz stilsicheren und rhythmisch etwas unzuverlässigen Plauderton, der schon die beiden Vorgänger „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ und „Imperium“ auszeichnete: „Der Samen war also gepflanzt, einer schlafenden Rakete gleich, und nichts sollte sein dereinstiges Wachstum, seinen Sternenflug ersticken können, weder Masahikos vordergründige Verachtung der westlichen Welt noch die ganz offensichtlich auf Expansion und auf Erniedrigung anderer Völker ausgerichtete Seele Deutschlands, die der junge Mann so genau erfühlen konnte, als habe er wiederum seine Seele mittels ätherischer Konduktoren in sie eingestöpselt.“ Sonst ist Krachts Prosa diesmal gespickt mit Adjektiven, und zwar sprachconnaisseurhaft bis über die Grenze zur Parodie: Gebisse sind „obsidianfarben“, Atem ist „alraunig“, eine Kehle „kaminös“, Polizisten „kretinös“.
Das Vertrackte ist nun, dass man mit all dem Überfluss weder glücklich wird, wenn man diese Prosa zu abgezockt ironisch liest, noch, wenn man sie zu ernst nimmt. Im ersteren Fall geht es dann irgendwann um gar nichts mehr außer um die nächste Runde auf der Geisterbahn der Uneigentlichkeit. Im letzteren geht einem der allzu ambitionierte Manierismus irgendwann doch ein wenig auf die zarten Nerven, und man beginnt wie Claudius Seidl in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung etwas arg unfroh an Grammatikfehlern und sonstigen irritierend offen ausgestellten stilistischen Unstimmigkeiten herumzuklügeln. Was tun?
Tja, womöglich hat man das größte Vergnügen mit den „Toten“, wenn man beim Lesen bereit ist zum mittleren Oszillieren.Wenn man also zulässt, nicht einfach nur souverän, distanziert zu lesen, sondern sich eher so hin- und herschwingen zu lassen zwischen Ironie und Ernst, zwischen Ästhetizismus und Albernheit, zwischen literarischem, cineastischem und zeitgeschichtlichem Spezialistentum und mutwilliger Fahrlässigkeit, zwischen Historischem und Fiktivem, Brüchen und derHeilung von Brüchen, zwischen dem Spielen eines Spiels und seiner Sabotage. Mark Twain stellte dem „Huckleberry Finn“ einst die Bemerkung voran: „Wer versucht, in dieser Erzählung ein Motiv zu finden, wird gerichtlich verfolgt; wer versucht, eine Moral darin zu finden, wird des Landes verwiesen; wer versucht, eine schlüssige Handlung darin zu finden, wird erschossen.“
Der Drang zur Vereindeutigung der Lektüre bringt einen bei den „Toten“ genauso geradewegs in Teufels Küche wie etwa schon beim 2006 erschienenen Essay „Die totale Erinnerung“ über Krachts Besuch in Nordkorea, seinem bis heute wohl härtesten Flirt mit dem Totalitären. Das Land faszinierte ihnvor allem als virtuose Staatsinszenierung, als gigantischer Bluff, als „manischstes Projekt der Menschheit, ja als ihr größtes Kunstwerk“.
Genießerhaft verwies jener Text darauf, dass die Züge der U-Bahn in Pjöngjang vom Typ „Gisela“ seien, einst hergestellt von „der Fabrik Vereinigter Schienenfahrzeugbau der DDR – VEB Lokomotivbau – Elektrotechnische Werke ,Hans Beimler‘ – Stammbetrieb Hennigsdorf, die im Ost-Berlin der Deutschen Demokratischen Republik (Typ ,Dora‘ in West-Berlin) zum Einsatz kamen“. Man erfuhr, dass Kim Jong Il, „wie auch sein Vater Kim Il Sung“, starke Flugangst hat, und dass seine Lieblingsmusik, „und dies wird kaum überraschen“, Pink Floyd ist. War das in seiner blasierten Lakonie nun eine Kritik an der Bombast-Kitsch-Band Pink Floyd? Oder an Kim Jong Il? Oder an beiden? Oder an gar nichts? Bitte oszillieren Sie.
Es hilft fürs Erste aber auch schon, sich bei Gelegenheit einen Eindruck vom Rezitator Kracht zu machen, der etwa auf dem Münchner Literaturfest vor ein paar Jahren angelsächsische Lyrik von T. S. Eliots „Wüstem Land“ bis Allan Ginsbergs letztem Gedicht „Things I’ll Not Do (Nostalgias)“ im Original vortrug. Oder vom Vorleser Kracht, der im Hörbuch Truman Capotes „Frühstück bei Tiffany“ fast tonlos liest, betont gleichmütig, und es dabei doch fertigbringt, schamanenhaft eindringlich zu bleiben. Kein geborener Fabulierer ist da am Werk, sondern ein feierlicher Nivellierer, ein fast zwanghafter Veruneindeutiger.
Man kann deshalb auch gut verstehen, warum Christian Kracht kein „Pop-Autor“ sein möchte. Also keiner von denen, die Ende der Neunziger dazu ernannt wurden, weil in ihren eher konventionell erzählten Texten irgendwie Leben und Werk so munter zusammen- und ein paar angesagte Marken- und Bandnamen vorkamen (auch bei Denis Scheck kam die scheinbar ewige Trottel-Frage der deutschen Literaturkritik wieder auf; Kracht drückte sich natürlich formvollendet um die Antwort).
Ein Hardcore-Popist allerdings ist Kracht durch und durch. Das heißt: Er ist kein Spieler, sondern ein Anspieler, kein verbissener Durchdringer, sondern ein strahlender Überbringer, kein Bergender, sondern ein Borgender, kein Entdecker, sondern ein Wiederentdecker, kein Schöpfer im Rampenlicht des Genieverdachts, sondern ein Arrangeur mit Faible für die Erleuchtung, die das Zwielicht verspricht.
Und als ein solcher Popist weiß er (der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen hat mit „Über Pop-Musik“ in Krachts Verlag Kiepenheuer & Witsch vor zwei Jahren ein ganzes Buch darüber geschrieben) natürlich auch ganz genau, dass nicht nur Pop-Musik mehr ist als bloß Musik, sondern im Grunde jede zeitgenössische Kunst längst mehr ist als bloß Kunst. Also auch die deutsche Gegenwartsliteratur, die ja nicht nur aus Büchern besteht, sondern längst ein Zusammenhang ist aus vielen Kunststücken, aus Büchern und Bildern, aus Interviews und Auftritten, aus Mode und Haaren. Und damit ein Format, das nicht nur vom Autor selbst, sondern von allen Beteiligten – von Autor, Verleger, Journalisten und Lesern – aus seinen Teilen immer wieder neu zusammengesetzt wird. Ob man das nun will oder nicht. Oder um es in einen leider sehr unkrachtigen Satz zu fassen: Die je individuelle Wahrnehmung des Kunstwerks ist selbst wesentlicher Teil des Kunstwerks. Allerdings nicht im trivialen theoretischen Sinn der guten alten Postmoderne. Sondern im medialen Echtzeit-Sperrfeuer der Gegenwart.
Und wenn man das noch beeinflussen will, ist es eben nicht genug, einfach nur ein Buch zu schreiben. Dies ernst zu nehmen, und es damit trotzdem weder sich noch den Lesern leicht zu machen, obwohl die Oberfläche doch erst mal so schaurig und gemütlich funkelt (Chaplin! Die Dreißiger! Film-Tycoone! Kulturimperialismus! Die Machtergreifung der Nazis! Japanischer Ritual-Selbstmord! Hollywood!), das macht die Größe Krachts aus. Mit anderen Worten: Wer sich von diesem Autor in den Ohrensessel locken lässt, sollte sich nicht wundern, wenn das hübsche Möbel langsam aus dem Leim geht.
Zu seinem zweiten Instagram-Bild, einer Szene mit ausgestopften Wölfen vor gemaltem Bergpanorama, notierte er übrigens einen Satz der amerikanischen Konzeptkünstlerin Jenny Holzer: „Symbols are more meaningful than things themselves.“ Symbole sind bedeutsamer als die Dinge selbst. Genau das ist die Poetik von Christian Kracht.
Der Stil ist prätentiös?
„Ach, ja? Wirklich? Interessant“,
würde Kracht antworten
Ein Arrangeur ist hier am Werk
mit Faible für die Erleuchtung,
die das Zwielicht verspricht
Delikate Spleens aller Art, gerne auch Erörterungen über chinesische Todesfoltervarianten oder japanische Ritual-Selbstmorde. – Zeichnung eines rituellen Selbstmords von Tsukioka Yoshitoshi, um 1880.
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Christian Kracht wurde 1966 in der Schweiz geboren und schrieb für die Zeitschrift Tempo, bevor er mit seinem Debütroman „Faserland“ 1995 als Schriftsteller berühmt wurde.
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Der neue Roman von Christian Kracht, „Die Toten“, spielt
in der Filmindustrie zur Zeit der Machtergreifung der Nazis. Und alle
Welt darf wieder grübeln: Ist das ernst oder ironisch gemeint?
VON JENS-CHRISTIAN RABE
Jetzt ist es also doch wieder passiert. An diesem Donnerstag erscheint der neue Roman „Die Toten“ von Christian Kracht, und der Autor der deutschen Gegenwartsliteratur, der sich am hartnäckigsten konkreten Fragen zu seinen Büchern zu entziehen scheint (sogar seine Lesungen finden in der Regel kommentarlos statt), steht schon wieder turmhoch vor seinem Buch. Man darf also Methode vermuten. Und muss hier erst mal mit dem Mann beginnen, um zum Werk zu kommen. Genauer: mit dem Dandy mit den immer einen Hauch nachlässig getragenen feinen Schals und Tweedsakkos, der mit „Faserland“ in den Neunzigern berühmt wurde und mit seinem 2012 erschienenen Roman „Imperium“ endgültig zu einem der bedeutendsten deutschsprachigen Gegenwartsautoren promoviert wurde.
Denn welcher Schriftsteller, der wirklich nur sein Werk sprechen lassen wollte, ließe die Berichterstattung mit einem Vorab-Fernsehinterview in den Hollywood Hills (vergangene Woche in der ARD bei Denis Scheck) beginnen? Und mit einem Vorab-Zeitungsporträt, aufgezeichnet bei Rindertartar im Züricher Café Odeon, in dem einst auch schon James Joyce und Italo Svevo verkehrten (im Feuilleton der Zeit)?
Im Fernsehen trägt Krachtauch noch einen Vollbart samt angezwirbeltem Schnauzer, und seine Haare sehen beinahe so aus wie die von Emil Nägeli, der einen Hauptfigur, von der es im neuen Buch heißt: Ihm „gingen die hellblonden Haare aus, sowohl über der Stirn als auch am Hinterkopf; er hatte begonnen, sich eine langgewachsene Strähne von der Schläfe her seitwärts über die so verleugnete Glatze herüberzukämmen.“ Und als „mrchristiankracht“ hat der Autor dann ja auch noch für eine Woche den Instagram-Account seines Verlags Kiepenheuer & Witsch übernommen. Als Erstes postete er ein elegisches Foto von sich selbst, seitlich, vor dem golden schimmernden Fenster einer prunkvollen alten Villa.
Andererseits sieht man den großen Ironiker Kracht schon vor sich, wie er sich dieser Tage bei der Durchsicht der Kritiken und Reaktionen still amüsiert über jeden Rezensenten, der stolz mit dem Literaturkritik-Einmaleins herumwedelt und beflissen darauf hinweist, dass man den Erzähler Kracht auf keinen Fall mit dem Autor Kracht verwechseln dürfe: Ach ja, wirklich, interessant, darf man nicht, ist das so?
Also schleunigst ein paar Worte zum Buch. Es spielt um 1933. Und in drei Teilen führen 46 selten mehr als fünf Seiten lange Kapitel die zwei Hauptfiguren aufeinander zu, den Schweizer Filmregisseur Emil Nägeli und den japanischen Kulturbeamten Masahiko Amakasu, die es beide in ihrem Leben nicht leicht hatten. Amakasu verachtet den aufkommenden Tonfilm und möchte eine „zelluloidene Achse“ zwischen Berlin und Tokio gegen den aggressiven amerikanischen Kulturimperialismus in Stellung bringen, „dessen Ausformungen sich virengleich über das Kaiserreich der Showa-Herrschaft ausgebreitet“ hätten. Es sollen also deutsche „Fachleute“ in Japan „mit den exzellenten Objektiven von Carl Zeiss und dem allem überlegenen Agfa-Filmverfahren“ einen Film drehen. Angeführt am besten vom Bergfilm-Pionier Arnold Fanck, den es tatsächlich gab, oder wenigstens von Fritz Lang. Daraus wird jedoch nichts, aber er bekommt Emil Nägeli, der in seinem Film „Die Windmühle“ immerhin, wie Amakasu bemerkt, „innerhalb der Ereignislosigkeit das Heilige“ aufgezeigt habe.
Figuren und Handlung bilden dabei letztlich vor allem Rampen für ein wildes Programm von Anspielungen, Verweisen, Chameo-Auftritten, Umdichtungen und delikaten Kracht-Spleens aller Art, für die Schilderung von Winkelzügen klassischer Großmachtdiplomatie, für Charlie Chaplin als Mörder und sonstiges mehr oder weniger glorreiches Filmhistorisches, für ein Attentat auf Japans Premierminister, für Erörterungen über Ritual-Selbstmorde und eine chinesische Todesfoltervariante namens Lingchi, für den legendären deutschen Filmkritiker Siegfried Kracauer, für Heinz Rühmann und Lotte Eisner, für Hollywood, die Schweiz und den antisemitischen deutschen Medien-Tycoon Alfred Hugenberg und für Berliner Szenen aus der Zeit der Machtergreifung der Nazis und judenfeindliche „Taxischofföre“.
Was den literarischen Stil betrifft, so bleibt der einstige Reduktionist Kracht beim Thomas-Mann-haften, prätentiös-ausladenden, aber nicht immer ganz stilsicheren und rhythmisch etwas unzuverlässigen Plauderton, der schon die beiden Vorgänger „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ und „Imperium“ auszeichnete: „Der Samen war also gepflanzt, einer schlafenden Rakete gleich, und nichts sollte sein dereinstiges Wachstum, seinen Sternenflug ersticken können, weder Masahikos vordergründige Verachtung der westlichen Welt noch die ganz offensichtlich auf Expansion und auf Erniedrigung anderer Völker ausgerichtete Seele Deutschlands, die der junge Mann so genau erfühlen konnte, als habe er wiederum seine Seele mittels ätherischer Konduktoren in sie eingestöpselt.“ Sonst ist Krachts Prosa diesmal gespickt mit Adjektiven, und zwar sprachconnaisseurhaft bis über die Grenze zur Parodie: Gebisse sind „obsidianfarben“, Atem ist „alraunig“, eine Kehle „kaminös“, Polizisten „kretinös“.
Das Vertrackte ist nun, dass man mit all dem Überfluss weder glücklich wird, wenn man diese Prosa zu abgezockt ironisch liest, noch, wenn man sie zu ernst nimmt. Im ersteren Fall geht es dann irgendwann um gar nichts mehr außer um die nächste Runde auf der Geisterbahn der Uneigentlichkeit. Im letzteren geht einem der allzu ambitionierte Manierismus irgendwann doch ein wenig auf die zarten Nerven, und man beginnt wie Claudius Seidl in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung etwas arg unfroh an Grammatikfehlern und sonstigen irritierend offen ausgestellten stilistischen Unstimmigkeiten herumzuklügeln. Was tun?
Tja, womöglich hat man das größte Vergnügen mit den „Toten“, wenn man beim Lesen bereit ist zum mittleren Oszillieren.Wenn man also zulässt, nicht einfach nur souverän, distanziert zu lesen, sondern sich eher so hin- und herschwingen zu lassen zwischen Ironie und Ernst, zwischen Ästhetizismus und Albernheit, zwischen literarischem, cineastischem und zeitgeschichtlichem Spezialistentum und mutwilliger Fahrlässigkeit, zwischen Historischem und Fiktivem, Brüchen und derHeilung von Brüchen, zwischen dem Spielen eines Spiels und seiner Sabotage. Mark Twain stellte dem „Huckleberry Finn“ einst die Bemerkung voran: „Wer versucht, in dieser Erzählung ein Motiv zu finden, wird gerichtlich verfolgt; wer versucht, eine Moral darin zu finden, wird des Landes verwiesen; wer versucht, eine schlüssige Handlung darin zu finden, wird erschossen.“
Der Drang zur Vereindeutigung der Lektüre bringt einen bei den „Toten“ genauso geradewegs in Teufels Küche wie etwa schon beim 2006 erschienenen Essay „Die totale Erinnerung“ über Krachts Besuch in Nordkorea, seinem bis heute wohl härtesten Flirt mit dem Totalitären. Das Land faszinierte ihnvor allem als virtuose Staatsinszenierung, als gigantischer Bluff, als „manischstes Projekt der Menschheit, ja als ihr größtes Kunstwerk“.
Genießerhaft verwies jener Text darauf, dass die Züge der U-Bahn in Pjöngjang vom Typ „Gisela“ seien, einst hergestellt von „der Fabrik Vereinigter Schienenfahrzeugbau der DDR – VEB Lokomotivbau – Elektrotechnische Werke ,Hans Beimler‘ – Stammbetrieb Hennigsdorf, die im Ost-Berlin der Deutschen Demokratischen Republik (Typ ,Dora‘ in West-Berlin) zum Einsatz kamen“. Man erfuhr, dass Kim Jong Il, „wie auch sein Vater Kim Il Sung“, starke Flugangst hat, und dass seine Lieblingsmusik, „und dies wird kaum überraschen“, Pink Floyd ist. War das in seiner blasierten Lakonie nun eine Kritik an der Bombast-Kitsch-Band Pink Floyd? Oder an Kim Jong Il? Oder an beiden? Oder an gar nichts? Bitte oszillieren Sie.
Es hilft fürs Erste aber auch schon, sich bei Gelegenheit einen Eindruck vom Rezitator Kracht zu machen, der etwa auf dem Münchner Literaturfest vor ein paar Jahren angelsächsische Lyrik von T. S. Eliots „Wüstem Land“ bis Allan Ginsbergs letztem Gedicht „Things I’ll Not Do (Nostalgias)“ im Original vortrug. Oder vom Vorleser Kracht, der im Hörbuch Truman Capotes „Frühstück bei Tiffany“ fast tonlos liest, betont gleichmütig, und es dabei doch fertigbringt, schamanenhaft eindringlich zu bleiben. Kein geborener Fabulierer ist da am Werk, sondern ein feierlicher Nivellierer, ein fast zwanghafter Veruneindeutiger.
Man kann deshalb auch gut verstehen, warum Christian Kracht kein „Pop-Autor“ sein möchte. Also keiner von denen, die Ende der Neunziger dazu ernannt wurden, weil in ihren eher konventionell erzählten Texten irgendwie Leben und Werk so munter zusammen- und ein paar angesagte Marken- und Bandnamen vorkamen (auch bei Denis Scheck kam die scheinbar ewige Trottel-Frage der deutschen Literaturkritik wieder auf; Kracht drückte sich natürlich formvollendet um die Antwort).
Ein Hardcore-Popist allerdings ist Kracht durch und durch. Das heißt: Er ist kein Spieler, sondern ein Anspieler, kein verbissener Durchdringer, sondern ein strahlender Überbringer, kein Bergender, sondern ein Borgender, kein Entdecker, sondern ein Wiederentdecker, kein Schöpfer im Rampenlicht des Genieverdachts, sondern ein Arrangeur mit Faible für die Erleuchtung, die das Zwielicht verspricht.
Und als ein solcher Popist weiß er (der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen hat mit „Über Pop-Musik“ in Krachts Verlag Kiepenheuer & Witsch vor zwei Jahren ein ganzes Buch darüber geschrieben) natürlich auch ganz genau, dass nicht nur Pop-Musik mehr ist als bloß Musik, sondern im Grunde jede zeitgenössische Kunst längst mehr ist als bloß Kunst. Also auch die deutsche Gegenwartsliteratur, die ja nicht nur aus Büchern besteht, sondern längst ein Zusammenhang ist aus vielen Kunststücken, aus Büchern und Bildern, aus Interviews und Auftritten, aus Mode und Haaren. Und damit ein Format, das nicht nur vom Autor selbst, sondern von allen Beteiligten – von Autor, Verleger, Journalisten und Lesern – aus seinen Teilen immer wieder neu zusammengesetzt wird. Ob man das nun will oder nicht. Oder um es in einen leider sehr unkrachtigen Satz zu fassen: Die je individuelle Wahrnehmung des Kunstwerks ist selbst wesentlicher Teil des Kunstwerks. Allerdings nicht im trivialen theoretischen Sinn der guten alten Postmoderne. Sondern im medialen Echtzeit-Sperrfeuer der Gegenwart.
Und wenn man das noch beeinflussen will, ist es eben nicht genug, einfach nur ein Buch zu schreiben. Dies ernst zu nehmen, und es damit trotzdem weder sich noch den Lesern leicht zu machen, obwohl die Oberfläche doch erst mal so schaurig und gemütlich funkelt (Chaplin! Die Dreißiger! Film-Tycoone! Kulturimperialismus! Die Machtergreifung der Nazis! Japanischer Ritual-Selbstmord! Hollywood!), das macht die Größe Krachts aus. Mit anderen Worten: Wer sich von diesem Autor in den Ohrensessel locken lässt, sollte sich nicht wundern, wenn das hübsche Möbel langsam aus dem Leim geht.
Zu seinem zweiten Instagram-Bild, einer Szene mit ausgestopften Wölfen vor gemaltem Bergpanorama, notierte er übrigens einen Satz der amerikanischen Konzeptkünstlerin Jenny Holzer: „Symbols are more meaningful than things themselves.“ Symbole sind bedeutsamer als die Dinge selbst. Genau das ist die Poetik von Christian Kracht.
Der Stil ist prätentiös?
„Ach, ja? Wirklich? Interessant“,
würde Kracht antworten
Ein Arrangeur ist hier am Werk
mit Faible für die Erleuchtung,
die das Zwielicht verspricht
Delikate Spleens aller Art, gerne auch Erörterungen über chinesische Todesfoltervarianten oder japanische Ritual-Selbstmorde. – Zeichnung eines rituellen Selbstmords von Tsukioka Yoshitoshi, um 1880.
Foto: picture alliance/CPA Media Co.
Christian Kracht wurde 1966 in der Schweiz geboren und schrieb für die Zeitschrift Tempo, bevor er mit seinem Debütroman „Faserland“ 1995 als Schriftsteller berühmt wurde.
Foto: Kiepenheuer & Witsch
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»Großes Kino zwischen Buchdeckeln. [...] Der Roman ist ein erzählerisches Experiment. Die Struktur hat Kracht dem japanischen No-Theater entliehen. Allein dieser Aufbau ist die Lektüre wert und unterschiedet Krachts Roman ohne Frage von allen diesjährigen Neuerscheinungen auf dem deutschen Buchmarkt.« Deutschlandradio Kultur