Album, Promotion, Tour. Beinahe zwanzig Jahre lang bestimmt die Dynamik des Musikbetriebs Judith Holofernes' Leben. In dieser Zeit wird sie, mit WIR SIND HELDEN und ihrem Soloprojekt, zu einer der bekanntesten und prägendsten Sängerinnen ihrer Generation. In ihren autobiografischen Texten blickt sie jetzt zurück - und zeigt sich als feinsinnige Erzählerin. Mit großer Klarheit und Zartheit und dem ihr eigenen Witz schreibt Holofernes über Fluch und Segen des frühen Erfolgs der HELDEN; über die Vereinbarkeit von Familie und Frontfrausein; über die öffentliche Wahrnehmung des eigenen Körpers, das Aufwachsen mit ihrer lesbischen Mutter in Freiburg; über die tiefen Einschnitte in ihrem Leben, die Krisen, den Schmerz. Immer wieder geht es auch um die Musikbranche, um das Verhältnis zu ihren Fans, die undankbarsten Konzerte der Welt, aber auch um die starren Mechanismen des Betriebs und den Sexismus. Und um den deutschen Pop, der heute vom Schlager so oft nicht mehr zu unterscheiden ist. Eindrücklich zeigt Judith Holofernes in DIE TRÄUME ANDERER LEUTE, wie sie sich nach und nach aus den kommerziellen Zwängen und der Enge des Musikbetriebs befreit hat. Wie sie zu der Künstlerin wurde, die sie so lange sein wollte - und damit ihr Leben zurückbekam. GUTEN TAG.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
In Judith Holofernes' "Die Träume anderer Leute" kann Rezensentin Elena Witzeck nachvollziehen, wie das ist, als junge Frau in einer Männerdomäne, der Musik, Erfolg zu haben, älter zu werden, Kinder und Krankheiten zu bekommen. Die Sängerin der Band "Wir sind Helden" spare dabei nicht an den Schwierigkeiten, die Comebacks, musikalische Veränderung und auch das Äußere betreffen. Die "Angst vor Grausamkeit", vor der ständigen Negativbewertung, begleite Holofernes dabei besonders und regt Witzeck auch zur Selbstreflexion an, was ihre eigene journalistische Arbeit und den Umgang mit Musikerinnen betrifft. Darüber hinaus lobt sie die meist sehr gelungene Sprache und auch den unterhaltenden Anteil dieser Memoiren.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2022Vorsicht vor dem harmlosesten Punk von Berlin
Wir müssen nur wollen: Judith Holofernes erzählt von ihrer Zeit in der Popindustrie und der Befürchtung, nie wieder cool zu sein.
Von Elena Witzeck
Auf ihren Konzerten erzählte Judith Holofernes Geschichten. Wer damals in der Provinz groß wurde, kannte Bands wie Tomte und Kettkar auf der Bühne, Männer in Lederjacken, schweigsame Männer mit Gitarren. Dass da eine Frau stand, breitbeinig, und Instrumente spielte, die sie, ganz Punk, nur mäßig beherrschte, dass sie in aller Ruhe von Freundinnen erzählte, die sich in sie verliebt hatten, weil, ist die Grenze zwischen Freundschaft und Liebe nicht ein Mysterium, war euphorisierend. So viel zu den frühen 2000ern.
Zehn Jahre später war Judith Holofernes Mitte dreißig, und ihre Band Wir sind Helden trennte sich, selbst noch jung und sehr erfolgreich. Sie hatte zwei Kinder, mit denen sie tourte, und eine ausgewachsene Depression. Seite fünfzig von "Die Träume anderer Leute", und es ist vorbei mit den Helden. Von hier an geht es darum, wie sich die Popkarriere einer Frau über die Jahre verändert. Mit Kindern. Mit dem Alter. Eine Vertiefung ihrer Blogbeiträge, zusammengehalten von der Frage: Wir kommt man würdevoll aus der Sache raus?
Bekanntermaßen ist das Popbusiness kein gemütliches. Wenige Künstler sprechen darüber, jedenfalls nicht so, dass man es draußen verstehen würde. Manchmal klingt es larmoyant, manchmal unehrlich. In Deutschland noch dazu bestürzend unglamourös.
Judith Holofernes hat die richtigen Worte, das ist seit Heldenzeiten klar, seit den lyrischen, erschöpften Texten auf ihrem Album "Bring mich nach Hause". Bei der Sache mit Holofernes gibt es nur ein Problem. Alle glauben sie zu kennen, als Freundin, nahbar selbst in ihrer Bereitschaft zur Rebellion, der "harmloseste Punk von Berlin". Was will sie noch offenbaren? Muss man es wissen, will man es?
Als Judith Holofernes nach ihrem ersten Abschied zurück auf die Bühne kam, tat sie es mit Hochglanzbildern, Blumenschmuck und blondem Haar. Ihre Fans fühlten sich betrogen. Aber jedes Comeback hat seine eigene Dynamik. Davon, dass die Plattenfirma spontan entschied, das Album acht Wochen früher zu veröffentlichen, lässt sich jetzt lesen und davon, wie es dazu kam, dass auf einmal immer mehr Anfragen von Eltern- und Frauenzeitschriften kamen. Wie man ihr empfahl, die Gespräche über das Muttersein dankend anzunehmen, und sie dabei das Gefühl hatte, einen Dienst an der Menschheit zu tun. Bis es auf einmal hieß, sie habe sich aus ihrer Zielgruppe herausbewegt. Warum nur, wird sie dann von ihrem eigenen Team gefragt, werden deine Konzerte nicht mehr voll? "Ich hatte mich um mein glorioses arschcooles Comeback gebracht", schreibt Holofernes. "Ich würde nie wieder cool sein."
Und zugleich war Holofernes klug genug, alles zu durchschauen: "So ein Deal ist eine saubere Transaktion. Die Plattenfirma investiert einen Haufen Geld und Arbeit, um die Künstlerin bis in den hintersten Winkel der Republik sichtbar zu machen. Die Künstlerin verpflichtet sich im Gegenzug, diesen Aufwand wert zu sein. (...) Ein Produkt zu sein, das sich vermarkten lohnt." Nur dass am Ende das Produkt im Kerker sitzt.
Einmal leitete ihr Manager ihr eine Studie über ihre Bekanntheit weiter. Es stellte sich heraus, dass die Fans mit keiner ihrer Verfremdungen etwas anfangen konnten. Sie mochten Judith Holofernes eben ganz natürlich. Alles, was neu aussah, war unter kommerziellen Gesichtspunkten ein Flop. Um daraus auszubrechen, brauchte es eine amerikanische Feministin, die schon sehr viel Erfahrung im Untergraben von Erwartungen hatte, siehe Instagram, und in die ausnahmsweise Holofernes sich verlieben konnte: Amanda Palmer.
Die frühe Holofernes sah sich als Junge unter Jungen, und so trat sie auf mit ihrer Band. Und nun schreibt diese Frau über Schönheitsideale, schreibt darüber, wie sie begann, mit ihren Kameraleuten abzusprechen, von welcher Seite sie gefilmt werden soll, schreibt von der Angst vor Demütigung, Entblößung, Vernichtung. Und schließlich von der Frage, welcher Rockstar man sein will, wenn man älter wird. Patti Smith, die launische Joni Mitchell? Marianne Faithfull, der man rund um die Uhr ihr Gewicht auf die Nase band? "Sagte ich schon, dass ich Angst vor Grausamkeit hatte?" Und sie schien damit als Künstlerin nicht die Einzige zu sein. "Dazu schienen die meisten von ihnen etwa sechs Stunden am Tag Yoga zu machen, als Entschuldigung für die Dreistigkeit, immer noch da zu sein."
Aber der größte Verrat ihrer Karriere war für Holofernes der an der Konsumkritik, den Verweigerungspraktiken, der Antileistungsethik, die sie in ihren frühen Songs besang und die so viele feierten. Sie war überall: "Müssen nur wollen", "Die Konkurrenz", "Guten Tag", "Soundso". Sie war es, schreibt Holofernes, "die ironischerweise unseren Erfolg und unsere zwölf Jahre andauernde, durchgängige Geschäftigkeit besiegelt hatte".
Warum also ein solches Buch außer zur Selbsterkundung? Weil es nicht immer, aber oft genug das hält, was ein Holofernes-Produkt verspricht. Lyrische, hintersinnige Sätze: "Ich hörte zu und dehnte den Muskel meines Herzens, bis sich die ersten Risse zeigten." Und Unterhaltung, zum Glück. Einen feinen Spott, wenn es etwa um die dadaistischen Gesprächsverläufe des Managers geht.
Ansonsten ist "Die Träume anderer Leute" kein einfacher Stoff, auch und gerade für Journalisten nicht, weil man sich natürlich ständig fragt, wie viel man selbst bei der Projektion von Themen, beim Transfer der Kunst auf Künstler falsch macht. Weil eine Figur, die so viel Widersprüchliches in sich trägt, Angst und Mut, Auf und Ab, Eigensinn und Bescheidenheit und Produktivität, von der deutschen Popindustrie beinah zermalmt wurde, der Industrie, die bei einer Preisverleihung Helge Schneider zusammen mit Placebo nominiert und die Grenze zwischen Pop und Schlager dümmlich grinsend verwischt. Ebenjene, die eine freundliche Sängerin von nebenan in ihrem Buch sehr befriedigend dekonstruiert.
Judith Holofernes: "Die Träume anderer Leute".
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2022. 416 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wir müssen nur wollen: Judith Holofernes erzählt von ihrer Zeit in der Popindustrie und der Befürchtung, nie wieder cool zu sein.
Von Elena Witzeck
Auf ihren Konzerten erzählte Judith Holofernes Geschichten. Wer damals in der Provinz groß wurde, kannte Bands wie Tomte und Kettkar auf der Bühne, Männer in Lederjacken, schweigsame Männer mit Gitarren. Dass da eine Frau stand, breitbeinig, und Instrumente spielte, die sie, ganz Punk, nur mäßig beherrschte, dass sie in aller Ruhe von Freundinnen erzählte, die sich in sie verliebt hatten, weil, ist die Grenze zwischen Freundschaft und Liebe nicht ein Mysterium, war euphorisierend. So viel zu den frühen 2000ern.
Zehn Jahre später war Judith Holofernes Mitte dreißig, und ihre Band Wir sind Helden trennte sich, selbst noch jung und sehr erfolgreich. Sie hatte zwei Kinder, mit denen sie tourte, und eine ausgewachsene Depression. Seite fünfzig von "Die Träume anderer Leute", und es ist vorbei mit den Helden. Von hier an geht es darum, wie sich die Popkarriere einer Frau über die Jahre verändert. Mit Kindern. Mit dem Alter. Eine Vertiefung ihrer Blogbeiträge, zusammengehalten von der Frage: Wir kommt man würdevoll aus der Sache raus?
Bekanntermaßen ist das Popbusiness kein gemütliches. Wenige Künstler sprechen darüber, jedenfalls nicht so, dass man es draußen verstehen würde. Manchmal klingt es larmoyant, manchmal unehrlich. In Deutschland noch dazu bestürzend unglamourös.
Judith Holofernes hat die richtigen Worte, das ist seit Heldenzeiten klar, seit den lyrischen, erschöpften Texten auf ihrem Album "Bring mich nach Hause". Bei der Sache mit Holofernes gibt es nur ein Problem. Alle glauben sie zu kennen, als Freundin, nahbar selbst in ihrer Bereitschaft zur Rebellion, der "harmloseste Punk von Berlin". Was will sie noch offenbaren? Muss man es wissen, will man es?
Als Judith Holofernes nach ihrem ersten Abschied zurück auf die Bühne kam, tat sie es mit Hochglanzbildern, Blumenschmuck und blondem Haar. Ihre Fans fühlten sich betrogen. Aber jedes Comeback hat seine eigene Dynamik. Davon, dass die Plattenfirma spontan entschied, das Album acht Wochen früher zu veröffentlichen, lässt sich jetzt lesen und davon, wie es dazu kam, dass auf einmal immer mehr Anfragen von Eltern- und Frauenzeitschriften kamen. Wie man ihr empfahl, die Gespräche über das Muttersein dankend anzunehmen, und sie dabei das Gefühl hatte, einen Dienst an der Menschheit zu tun. Bis es auf einmal hieß, sie habe sich aus ihrer Zielgruppe herausbewegt. Warum nur, wird sie dann von ihrem eigenen Team gefragt, werden deine Konzerte nicht mehr voll? "Ich hatte mich um mein glorioses arschcooles Comeback gebracht", schreibt Holofernes. "Ich würde nie wieder cool sein."
Und zugleich war Holofernes klug genug, alles zu durchschauen: "So ein Deal ist eine saubere Transaktion. Die Plattenfirma investiert einen Haufen Geld und Arbeit, um die Künstlerin bis in den hintersten Winkel der Republik sichtbar zu machen. Die Künstlerin verpflichtet sich im Gegenzug, diesen Aufwand wert zu sein. (...) Ein Produkt zu sein, das sich vermarkten lohnt." Nur dass am Ende das Produkt im Kerker sitzt.
Einmal leitete ihr Manager ihr eine Studie über ihre Bekanntheit weiter. Es stellte sich heraus, dass die Fans mit keiner ihrer Verfremdungen etwas anfangen konnten. Sie mochten Judith Holofernes eben ganz natürlich. Alles, was neu aussah, war unter kommerziellen Gesichtspunkten ein Flop. Um daraus auszubrechen, brauchte es eine amerikanische Feministin, die schon sehr viel Erfahrung im Untergraben von Erwartungen hatte, siehe Instagram, und in die ausnahmsweise Holofernes sich verlieben konnte: Amanda Palmer.
Die frühe Holofernes sah sich als Junge unter Jungen, und so trat sie auf mit ihrer Band. Und nun schreibt diese Frau über Schönheitsideale, schreibt darüber, wie sie begann, mit ihren Kameraleuten abzusprechen, von welcher Seite sie gefilmt werden soll, schreibt von der Angst vor Demütigung, Entblößung, Vernichtung. Und schließlich von der Frage, welcher Rockstar man sein will, wenn man älter wird. Patti Smith, die launische Joni Mitchell? Marianne Faithfull, der man rund um die Uhr ihr Gewicht auf die Nase band? "Sagte ich schon, dass ich Angst vor Grausamkeit hatte?" Und sie schien damit als Künstlerin nicht die Einzige zu sein. "Dazu schienen die meisten von ihnen etwa sechs Stunden am Tag Yoga zu machen, als Entschuldigung für die Dreistigkeit, immer noch da zu sein."
Aber der größte Verrat ihrer Karriere war für Holofernes der an der Konsumkritik, den Verweigerungspraktiken, der Antileistungsethik, die sie in ihren frühen Songs besang und die so viele feierten. Sie war überall: "Müssen nur wollen", "Die Konkurrenz", "Guten Tag", "Soundso". Sie war es, schreibt Holofernes, "die ironischerweise unseren Erfolg und unsere zwölf Jahre andauernde, durchgängige Geschäftigkeit besiegelt hatte".
Warum also ein solches Buch außer zur Selbsterkundung? Weil es nicht immer, aber oft genug das hält, was ein Holofernes-Produkt verspricht. Lyrische, hintersinnige Sätze: "Ich hörte zu und dehnte den Muskel meines Herzens, bis sich die ersten Risse zeigten." Und Unterhaltung, zum Glück. Einen feinen Spott, wenn es etwa um die dadaistischen Gesprächsverläufe des Managers geht.
Ansonsten ist "Die Träume anderer Leute" kein einfacher Stoff, auch und gerade für Journalisten nicht, weil man sich natürlich ständig fragt, wie viel man selbst bei der Projektion von Themen, beim Transfer der Kunst auf Künstler falsch macht. Weil eine Figur, die so viel Widersprüchliches in sich trägt, Angst und Mut, Auf und Ab, Eigensinn und Bescheidenheit und Produktivität, von der deutschen Popindustrie beinah zermalmt wurde, der Industrie, die bei einer Preisverleihung Helge Schneider zusammen mit Placebo nominiert und die Grenze zwischen Pop und Schlager dümmlich grinsend verwischt. Ebenjene, die eine freundliche Sängerin von nebenan in ihrem Buch sehr befriedigend dekonstruiert.
Judith Holofernes: "Die Träume anderer Leute".
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2022. 416 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»[Holofernes erzählt] auf eine Weise, die berührt, die einen zum Lachen und Weinen bringen kann. Ein außergewöhnlich gut geschriebenes Buch.« Matthias Kugler SWR 3 20221201
Vorsicht vor dem harmlosesten Punk von Berlin
Wir müssen nur wollen: Judith Holofernes erzählt von ihrer Zeit in der Popindustrie und der Befürchtung, nie wieder cool zu sein.
Von Elena Witzeck
Auf ihren Konzerten erzählte Judith Holofernes Geschichten. Wer damals in der Provinz groß wurde, kannte Bands wie Tomte und Kettkar auf der Bühne, Männer in Lederjacken, schweigsame Männer mit Gitarren. Dass da eine Frau stand, breitbeinig, und Instrumente spielte, die sie, ganz Punk, nur mäßig beherrschte, dass sie in aller Ruhe von Freundinnen erzählte, die sich in sie verliebt hatten, weil, ist die Grenze zwischen Freundschaft und Liebe nicht ein Mysterium, war euphorisierend. So viel zu den frühen 2000ern.
Zehn Jahre später war Judith Holofernes Mitte dreißig, und ihre Band Wir sind Helden trennte sich, selbst noch jung und sehr erfolgreich. Sie hatte zwei Kinder, mit denen sie tourte, und eine ausgewachsene Depression. Seite fünfzig von "Die Träume anderer Leute", und es ist vorbei mit den Helden. Von hier an geht es darum, wie sich die Popkarriere einer Frau über die Jahre verändert. Mit Kindern. Mit dem Alter. Eine Vertiefung ihrer Blogbeiträge, zusammengehalten von der Frage: Wir kommt man würdevoll aus der Sache raus?
Bekanntermaßen ist das Popbusiness kein gemütliches. Wenige Künstler sprechen darüber, jedenfalls nicht so, dass man es draußen verstehen würde. Manchmal klingt es larmoyant, manchmal unehrlich. In Deutschland noch dazu bestürzend unglamourös.
Judith Holofernes hat die richtigen Worte, das ist seit Heldenzeiten klar, seit den lyrischen, erschöpften Texten auf ihrem Album "Bring mich nach Hause". Bei der Sache mit Holofernes gibt es nur ein Problem. Alle glauben sie zu kennen, als Freundin, nahbar selbst in ihrer Bereitschaft zur Rebellion, der "harmloseste Punk von Berlin". Was will sie noch offenbaren? Muss man es wissen, will man es?
Als Judith Holofernes nach ihrem ersten Abschied zurück auf die Bühne kam, tat sie es mit Hochglanzbildern, Blumenschmuck und blondem Haar. Ihre Fans fühlten sich betrogen. Aber jedes Comeback hat seine eigene Dynamik. Davon, dass die Plattenfirma spontan entschied, das Album acht Wochen früher zu veröffentlichen, lässt sich jetzt lesen und davon, wie es dazu kam, dass auf einmal immer mehr Anfragen von Eltern- und Frauenzeitschriften kamen. Wie man ihr empfahl, die Gespräche über das Muttersein dankend anzunehmen, und sie dabei das Gefühl hatte, einen Dienst an der Menschheit zu tun. Bis es auf einmal hieß, sie habe sich aus ihrer Zielgruppe herausbewegt. Warum nur, wird sie dann von ihrem eigenen Team gefragt, werden deine Konzerte nicht mehr voll? "Ich hatte mich um mein glorioses arschcooles Comeback gebracht", schreibt Holofernes. "Ich würde nie wieder cool sein."
Und zugleich war Holofernes klug genug, alles zu durchschauen: "So ein Deal ist eine saubere Transaktion. Die Plattenfirma investiert einen Haufen Geld und Arbeit, um die Künstlerin bis in den hintersten Winkel der Republik sichtbar zu machen. Die Künstlerin verpflichtet sich im Gegenzug, diesen Aufwand wert zu sein. (...) Ein Produkt zu sein, das sich vermarkten lohnt." Nur dass am Ende das Produkt im Kerker sitzt.
Einmal leitete ihr Manager ihr eine Studie über ihre Bekanntheit weiter. Es stellte sich heraus, dass die Fans mit keiner ihrer Verfremdungen etwas anfangen konnten. Sie mochten Judith Holofernes eben ganz natürlich. Alles, was neu aussah, war unter kommerziellen Gesichtspunkten ein Flop. Um daraus auszubrechen, brauchte es eine amerikanische Feministin, die schon sehr viel Erfahrung im Untergraben von Erwartungen hatte, siehe Instagram, und in die ausnahmsweise Holofernes sich verlieben konnte: Amanda Palmer.
Die frühe Holofernes sah sich als Junge unter Jungen, und so trat sie auf mit ihrer Band. Und nun schreibt diese Frau über Schönheitsideale, schreibt darüber, wie sie begann, mit ihren Kameraleuten abzusprechen, von welcher Seite sie gefilmt werden soll, schreibt von der Angst vor Demütigung, Entblößung, Vernichtung. Und schließlich von der Frage, welcher Rockstar man sein will, wenn man älter wird. Patti Smith, die launische Joni Mitchell? Marianne Faithfull, der man rund um die Uhr ihr Gewicht auf die Nase band? "Sagte ich schon, dass ich Angst vor Grausamkeit hatte?" Und sie schien damit als Künstlerin nicht die Einzige zu sein. "Dazu schienen die meisten von ihnen etwa sechs Stunden am Tag Yoga zu machen, als Entschuldigung für die Dreistigkeit, immer noch da zu sein."
Aber der größte Verrat ihrer Karriere war für Holofernes der an der Konsumkritik, den Verweigerungspraktiken, der Antileistungsethik, die sie in ihren frühen Songs besang und die so viele feierten. Sie war überall: "Müssen nur wollen", "Die Konkurrenz", "Guten Tag", "Soundso". Sie war es, schreibt Holofernes, "die ironischerweise unseren Erfolg und unsere zwölf Jahre andauernde, durchgängige Geschäftigkeit besiegelt hatte".
Warum also ein solches Buch außer zur Selbsterkundung? Weil es nicht immer, aber oft genug das hält, was ein Holofernes-Produkt verspricht. Lyrische, hintersinnige Sätze: "Ich hörte zu und dehnte den Muskel meines Herzens, bis sich die ersten Risse zeigten." Und Unterhaltung, zum Glück. Einen feinen Spott, wenn es etwa um die dadaistischen Gesprächsverläufe des Managers geht.
Ansonsten ist "Die Träume anderer Leute" kein einfacher Stoff, auch und gerade für Journalisten nicht, weil man sich natürlich ständig fragt, wie viel man selbst bei der Projektion von Themen, beim Transfer der Kunst auf Künstler falsch macht. Weil eine Figur, die so viel Widersprüchliches in sich trägt, Angst und Mut, Auf und Ab, Eigensinn und Bescheidenheit und Produktivität, von der deutschen Popindustrie beinah zermalmt wurde, der Industrie, die bei einer Preisverleihung Helge Schneider zusammen mit Placebo nominiert und die Grenze zwischen Pop und Schlager dümmlich grinsend verwischt. Ebenjene, die eine freundliche Sängerin von nebenan in ihrem Buch sehr befriedigend dekonstruiert.
Judith Holofernes: "Die Träume anderer Leute".
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2022. 416 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wir müssen nur wollen: Judith Holofernes erzählt von ihrer Zeit in der Popindustrie und der Befürchtung, nie wieder cool zu sein.
Von Elena Witzeck
Auf ihren Konzerten erzählte Judith Holofernes Geschichten. Wer damals in der Provinz groß wurde, kannte Bands wie Tomte und Kettkar auf der Bühne, Männer in Lederjacken, schweigsame Männer mit Gitarren. Dass da eine Frau stand, breitbeinig, und Instrumente spielte, die sie, ganz Punk, nur mäßig beherrschte, dass sie in aller Ruhe von Freundinnen erzählte, die sich in sie verliebt hatten, weil, ist die Grenze zwischen Freundschaft und Liebe nicht ein Mysterium, war euphorisierend. So viel zu den frühen 2000ern.
Zehn Jahre später war Judith Holofernes Mitte dreißig, und ihre Band Wir sind Helden trennte sich, selbst noch jung und sehr erfolgreich. Sie hatte zwei Kinder, mit denen sie tourte, und eine ausgewachsene Depression. Seite fünfzig von "Die Träume anderer Leute", und es ist vorbei mit den Helden. Von hier an geht es darum, wie sich die Popkarriere einer Frau über die Jahre verändert. Mit Kindern. Mit dem Alter. Eine Vertiefung ihrer Blogbeiträge, zusammengehalten von der Frage: Wir kommt man würdevoll aus der Sache raus?
Bekanntermaßen ist das Popbusiness kein gemütliches. Wenige Künstler sprechen darüber, jedenfalls nicht so, dass man es draußen verstehen würde. Manchmal klingt es larmoyant, manchmal unehrlich. In Deutschland noch dazu bestürzend unglamourös.
Judith Holofernes hat die richtigen Worte, das ist seit Heldenzeiten klar, seit den lyrischen, erschöpften Texten auf ihrem Album "Bring mich nach Hause". Bei der Sache mit Holofernes gibt es nur ein Problem. Alle glauben sie zu kennen, als Freundin, nahbar selbst in ihrer Bereitschaft zur Rebellion, der "harmloseste Punk von Berlin". Was will sie noch offenbaren? Muss man es wissen, will man es?
Als Judith Holofernes nach ihrem ersten Abschied zurück auf die Bühne kam, tat sie es mit Hochglanzbildern, Blumenschmuck und blondem Haar. Ihre Fans fühlten sich betrogen. Aber jedes Comeback hat seine eigene Dynamik. Davon, dass die Plattenfirma spontan entschied, das Album acht Wochen früher zu veröffentlichen, lässt sich jetzt lesen und davon, wie es dazu kam, dass auf einmal immer mehr Anfragen von Eltern- und Frauenzeitschriften kamen. Wie man ihr empfahl, die Gespräche über das Muttersein dankend anzunehmen, und sie dabei das Gefühl hatte, einen Dienst an der Menschheit zu tun. Bis es auf einmal hieß, sie habe sich aus ihrer Zielgruppe herausbewegt. Warum nur, wird sie dann von ihrem eigenen Team gefragt, werden deine Konzerte nicht mehr voll? "Ich hatte mich um mein glorioses arschcooles Comeback gebracht", schreibt Holofernes. "Ich würde nie wieder cool sein."
Und zugleich war Holofernes klug genug, alles zu durchschauen: "So ein Deal ist eine saubere Transaktion. Die Plattenfirma investiert einen Haufen Geld und Arbeit, um die Künstlerin bis in den hintersten Winkel der Republik sichtbar zu machen. Die Künstlerin verpflichtet sich im Gegenzug, diesen Aufwand wert zu sein. (...) Ein Produkt zu sein, das sich vermarkten lohnt." Nur dass am Ende das Produkt im Kerker sitzt.
Einmal leitete ihr Manager ihr eine Studie über ihre Bekanntheit weiter. Es stellte sich heraus, dass die Fans mit keiner ihrer Verfremdungen etwas anfangen konnten. Sie mochten Judith Holofernes eben ganz natürlich. Alles, was neu aussah, war unter kommerziellen Gesichtspunkten ein Flop. Um daraus auszubrechen, brauchte es eine amerikanische Feministin, die schon sehr viel Erfahrung im Untergraben von Erwartungen hatte, siehe Instagram, und in die ausnahmsweise Holofernes sich verlieben konnte: Amanda Palmer.
Die frühe Holofernes sah sich als Junge unter Jungen, und so trat sie auf mit ihrer Band. Und nun schreibt diese Frau über Schönheitsideale, schreibt darüber, wie sie begann, mit ihren Kameraleuten abzusprechen, von welcher Seite sie gefilmt werden soll, schreibt von der Angst vor Demütigung, Entblößung, Vernichtung. Und schließlich von der Frage, welcher Rockstar man sein will, wenn man älter wird. Patti Smith, die launische Joni Mitchell? Marianne Faithfull, der man rund um die Uhr ihr Gewicht auf die Nase band? "Sagte ich schon, dass ich Angst vor Grausamkeit hatte?" Und sie schien damit als Künstlerin nicht die Einzige zu sein. "Dazu schienen die meisten von ihnen etwa sechs Stunden am Tag Yoga zu machen, als Entschuldigung für die Dreistigkeit, immer noch da zu sein."
Aber der größte Verrat ihrer Karriere war für Holofernes der an der Konsumkritik, den Verweigerungspraktiken, der Antileistungsethik, die sie in ihren frühen Songs besang und die so viele feierten. Sie war überall: "Müssen nur wollen", "Die Konkurrenz", "Guten Tag", "Soundso". Sie war es, schreibt Holofernes, "die ironischerweise unseren Erfolg und unsere zwölf Jahre andauernde, durchgängige Geschäftigkeit besiegelt hatte".
Warum also ein solches Buch außer zur Selbsterkundung? Weil es nicht immer, aber oft genug das hält, was ein Holofernes-Produkt verspricht. Lyrische, hintersinnige Sätze: "Ich hörte zu und dehnte den Muskel meines Herzens, bis sich die ersten Risse zeigten." Und Unterhaltung, zum Glück. Einen feinen Spott, wenn es etwa um die dadaistischen Gesprächsverläufe des Managers geht.
Ansonsten ist "Die Träume anderer Leute" kein einfacher Stoff, auch und gerade für Journalisten nicht, weil man sich natürlich ständig fragt, wie viel man selbst bei der Projektion von Themen, beim Transfer der Kunst auf Künstler falsch macht. Weil eine Figur, die so viel Widersprüchliches in sich trägt, Angst und Mut, Auf und Ab, Eigensinn und Bescheidenheit und Produktivität, von der deutschen Popindustrie beinah zermalmt wurde, der Industrie, die bei einer Preisverleihung Helge Schneider zusammen mit Placebo nominiert und die Grenze zwischen Pop und Schlager dümmlich grinsend verwischt. Ebenjene, die eine freundliche Sängerin von nebenan in ihrem Buch sehr befriedigend dekonstruiert.
Judith Holofernes: "Die Träume anderer Leute".
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2022. 416 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main