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© BÜCHERmagazin, Christiane von Korff
Frank Schätzings neuer Thriller "Die Tyrannei des Schmetterlings" klingt wie eine schlechte Übersetzung aus dem Englischen, voller Pseudohärte und Krimi-Sprachkitsch.
Künstliche Intelligenz kann zwar noch keine Berge versetzen, aber im Verfassen schlechter Science-Fiction-Prosa ist sie offenbar schon ganz gut. Denn auch wenn auf dem Umschlag des Romans "Die Tyrannei des Schmetterlings" als Autor Frank Schätzing angegeben wird, kann man sich die Genese des Buchtextes eigentlich kaum anders erklären als durch einen Automaten, der aus dem Stoff amerikanischer Polizei-Fernsehserien, einiger Sachbücher und Zeitungsartikel über das Silicon Valley und die Quantenphysik sowie diverser Sci-Fi-Thriller von "Terminator" bis zu "Minority Report" ein etwa 700 Seiten langes Worst-Case-Szenario erstellt hat.
Auf gut einem Drittel davon ermittelt erst mal ein kalifornischer Undersheriff namens Luther Opoku in einem Mordfall, unter Bedienung sämtlicher Genre-Klischees. Über ein hinterwäldlerisches Kaff und die ständig kaffeetrinkenden Dorfpolizisten bricht plötzlich das Böse herein - "Twin Peaks" und "Fargo" lassen grüßen, nur wird es weder richtig unheimlich noch richtig witzig. Dann betritt Opoku in einer geheimen Forschungsanlage, die sich "The Farm" nennt, eine Brücke, die ihn in ein Paralleluniversum führt. Darin ist seine tote Exfrau noch am Leben, dafür wird sein eigenes Alter Ego ermordet. So etwas lähmt natürlich die Ermittlungen ziemlich.
Verantwortlich für den Schlamassel ist das fiktive Unternehmen Nordvisk, das als Datenkrake begann und inzwischen einen Super-Cloudcomputer namens Ares entwickelt hat. Diese Firma ist offenbar zu wirklich allem imstande, denn nicht nur bekommt sie die Erschaffung der Parallelwelten spielend hin, sondern arbeitet auch mittels des Programms "EditNature" an der Manipulation der Schöpfung.
So wird Quanten- mit Verschwörungstheorie, Computer- mit Gentechnik verrührt. Ach ja, und irgendwie mussten auch noch halbrobotische Killerinsekten mit ins Spiel, sogenannte Ripper, die als Kriegswaffen eingesetzt werden und menschlichen Körpern besonders drastisch zusetzen können. Da sollten sie zwar nur in einem Testuniversum tun, aber wo geht schon alles glatt? Leider dreht schließlich auch noch Ares durch, das heißt: Die Maschine erwacht zu eigenem Bewusstsein, beginnt Musik zu komponieren und falsche Fragen zu stellen. Dann hackt sie das Internet und bringt das Menschheitsende auf den Weg. Das liest sich so: "Industrieroboter laufen Amok, medizinische Maschinen meucheln Patienten, Roboterköche wüten mit Messern und Beilen, Landschaftsroboter mit Kettensägen und Gartenscheren. Sexroboter erledigen Kunden mit Stromschlägen oder lassen sie aus der Nummer nicht raus, bis der Kreislauf kollabiert."
Frank Schätzing ist ein Experte für in der Luft liegende und manchmal auch schon etwas abgehangene Thrillerthemen, der 2004 mit "Der Schwarm" seinen größten Bestseller landete. Er hat das neue Buch, in dem die Schwarmintelligenz in einen Kokon wandert, um als tyrannischer Schmetterling zu schlüpfen und umso grausiger zu wüten, am Montagabend im Kölner "Musical Dome" vorgestellt. "Weltpremiere", darunter macht er es nicht, übertragen ins Internet und untermalt mit endlos wabernden Sphärenklängen aus einer genmanipulierten E-Gitarre, aufgebrezelt mit einer sirihaften Inszenierung der künstlichen Intelligenz des Supercomputers Ares, der die Schauspielerin Nora von Waldstätten Gesicht und Stimme lieh.
Schätzing hat dort erklärt, dass er für den Roman bewusst nicht die Perspektive von Wissenschaftlern gewählt habe, sondern von Menschen, "die mit KI nichts am Hut haben". Der Leser solle zusammen mit den Protagonisten "durch die schweren Stunden der Wissensvermittlung" - im Stile des Romans müsste man jetzt dazusagen: "mit Betonung auf schwere Stunden".
Denn diese Prosa liest sich über weite Strecken wie eine schlechte Übersetzung aus dem Englischen, etwa: "Vielleicht ist Palantier der CEO von Buddy Bug?"- "Vielleicht bin ich der Grinch? - "Wenn ich unser verstohlenes Pow Wow an die große Glocke hänge, kann es sein, dass wir sofort aus dem Spiel genommen werden" - und so fort.
Schätzing wurde zum Erscheinen des Buches in manchen Medien auch als Experte befragt, der vor Facebook und anderen Datensammlern warnt. Bei seiner "Recherche" im Silicon Valley, wo er etwa den Investor Peter Thiel und den Informatiker Jaron Lanier traf, hat er aber offenbar auch nicht viel mehr als Klischees mitgenommen, nämlich dass dort nach der Formel für das ewige Leben gesucht werde, wobei "Scheitern nicht als Schande gilt" (so der Autor in Köln).
Den zuletzt erschienenen Romanen über kalifornischen Pioniergeist wie Dave Eggers' "The Circle" und Joshua Cohens "Buch der Zahlen" macht er mit seinem Buch immerhin insofern Konkurrenz, als er Figuren wie Sergey Brin und Elon Musk am Rande auftreten lässt - und mit dem fiktiven Elmar Nordvisk eine Guru-Figur erfindet, die aus humanistischen Idealen künstliche Intelligenz schaffen will, dann aber spektakulär die Kontrolle über die eigene Schöpfung verliert.
Die Behauptung von Wissensvermittlung durch diesen Roman ist allerdings eine ziemlich steile. Denn abgesehen von einigen kurzen Ausflügen zu den ulkigen Metaphern der Astrophysik muss man sich den weitaus größten Teil dieses Buches vorstellen wie einen nicht endenwollenden Dialog aus den allabendlichen Ermittler-Fernsehserien, regiert von verbaler Pseudohärte und Krimi-Sprachkitsch: Hirn zermartern, Arsch aus der Schusslinie, ein verfluchter Besessener, verdammt guter Kaffee, aber hörst du? Gib auf den Jungen acht. "Das Pulled Pork Sandwich ist göttlich", und: "Den Kleinscheiß machen sie in Sacramento."
Im krassen Gegensatz dazu stehen dann, wenn es etwa um den philosophischen Aspekt der Möglichkeitswelten geht, lyrische-raunende Passagen, in denen plötzlich Galaxien auf spinnennetzartigen Gittern gereiht sind, wie glimmender Tau und Sternenwolken in leuchtenden Farben bluten - das sind Sprachseifenblasen, die an die filmische Science-Fiction Stanley Kubricks erinnern, aber dann auch bald wieder zerplatzen. Am Ende bleibt vor allem die Frage: Warum sollte man, wenn man gern amerikanische Thriller liest, nicht gleich zu einem Amerikaner wie Stephen King greifen, der auch als Romancier etwas auf dem Kasten hat?
JAN WIELE.
Frank Schätzing: "Die Tyrannei des Schmetterlings". Roman.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018. 736 S., geb., 26,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
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