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Leipzig, nach dem Zeitenwechsel des Jahres 1989. Eine junge Frau in einer Altbauwohnung, mit Blick auf den größten Kopfbahnhof Europas. In einer hochsommerlichen Nacht beginnt sie, die Tapeten vergangener Generationen von den Wänden zu reißen; das robuste Sofa wird wie ein großes Tier zur Strecke gebracht. Alles soll anders werden. Auf und davon fliegt sie, gen Westen, in die geöffnete Welt. Amerika von Minneapolis bis San Francisco im Überflug, der fast schon endet in einem Secondhandladen voller alter Kleider der kurzen amerikanischen Geschichte. Doch die Überfliegerin muss weiter nach…mehr

Produktbeschreibung
Leipzig, nach dem Zeitenwechsel des Jahres 1989. Eine junge Frau in einer Altbauwohnung, mit Blick auf den größten Kopfbahnhof Europas. In einer hochsommerlichen Nacht beginnt sie, die Tapeten vergangener Generationen von den Wänden zu reißen; das robuste Sofa wird wie ein großes Tier zur Strecke gebracht. Alles soll anders werden. Auf und davon fliegt sie, gen Westen, in die geöffnete Welt. Amerika von Minneapolis bis San Francisco im Überflug, der fast schon endet in einem Secondhandladen voller alter Kleider der kurzen amerikanischen Geschichte. Doch die Überfliegerin muss weiter nach Westen, so lange bis der Westen wieder Osten wird: in Moskau, im chaotischen Rußland. »Angela Krauß´ Reise um die Welt gleicht einer Odyssee ohne Nostalgie«, schrieb die Neue Züricher Zeitung, und die Weltwoche urteilte: »Ein kleines literarisches Meisterwerk.«

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Autorenporträt
Angela Krauß wurde am 2. Mai 1950 in Chemnitz geboren. Sie studierte an der Fachhochschule für Werbung und Gestaltung in Berlin und arbeitete dort für Messen und Ausstellungen. Von 1976 bis 1979 besuchte sie das Literaturinstitut »J.R. Becher« in Leipzig. Seit Anfang der 1980er Jahre veröffentlicht sie Prosawerke. Vortrags- und Lesereisen führten sie unter anderem an Universitäten in den USA und Kanada. An der Universität Paderborn war Angela Krauß Gastdozentin für Poetik. Sie ist Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste und Mitglied der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Im Sommersemester 2004 hielt sie die Poetik-Vorlesung an der Universität Frankfurt unter dem Titel Die Gesamtliebe und die Einzelliebe. 2013 erhielt sie den Wilhelm-Müller-Preis des Landes Sachsen-Anhalt für ihr schriftstellerisches Gesamtwerk. 2024 wurde sie mit dem Sächsischen Literaturpreis ausgezeichnet. Sie lebt als freie Schriftstellerin in Leipzig.
Rezensionen
Ist es lautes Meditieren oder gar ein Sprechgesang? Jedenfalls ist es betörend, wenn Angela Krauß ihre Texte liest ... Sehr individuelle Romane, die zu poetischen Kraftzentren werden, magisch inszeniert von der Autorin.

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.1995

Wälder mit Briefkästen
Angela Krauß fliegt weiter Von Ulrich Weinzierl

Nachwendezeit, das neue Deutschland, schon sind die Russen fort: "Alle um mich herum handeln längst", bemerkt die Ich-Erzählerin. "Die Zeitungen sind voll von Taten handelnder Menschen." Wer wollte da abseits stehen? Nur weil man weit droben wohnt, im letzten Stock eines Altbaus am Leipziger Hauptbahnhof, gibt es in der Schule des Lebens keine Ferien. Helfen Ersatzhandlungen? Vielleicht für kurze Zeit: Tapeten werden von den Wänden gerissen, ein ererbtes Sofa wird bis zum Skelett ausgeweidet, der Liebhaber auf später vertröstet. Der Blick aus dem Fenster, so weit nach unten und so hoch in den Himmel, läßt seufzen: "Fliegen wäre schön." Wie im Märchen geht der Wunsch in Erfüllung. Also nichts wie weg, auf und davon.

Drei Kapitel enthält die neue Erzählung von Angela Krauß. Der Titel, "Die Überfliegerin", könnte den Eindruck einer recht oberflächlichen Geschichte erwecken. Davon ist indes keine Rede. Die Leipziger Autorin hat ein leichtes, ein listiges und gescheites Buch geschrieben. Naturgemäß fliegt die Überfliegerin gen Westen - so lange, bis sie schließlich wieder im Osten ankommt: in Moskau, also im wilden Westen des Kapitalismus. Herzlichst nimmt Amerika, das Land der Verheißung, den Gast aus Deutschland auf. Freundliche Unbekannte schicken die junge Frau weiter zu freundlichen Unbekannten. Vieles wirkt drüben sehr fremd. Doch die Überfliegerin kritisiert und karikiert nicht, sie erzählt. Sie berichtet einfach und lakonisch, mit dem Blick des Staunens, wer und was ihr begegnet. Das genau beobachtete Detail sagt über das Ganze mehr aus als umständliche Beschreibungen. Wie hübsch zum Beispiel die Formulierung von den "Wäldern, die dort Briefkästen haben"! In San Francisco verirrt sie sich in einen Alt-Kleiderladen, den zwei prächtige Transvestiten führen. Gebannt schaut sie den beiden zu, versteckt sich im Glitzertrödel. Sie wird aufgestöbert: "Eure Wahrheit liegt in der Mitte, erklärte ich, und da möchte ich auch gerne bleiben."

Der dritte Teil spielt in Rußland. In der Kindheit hatte sie eine Brieffreundin aus Sibirien. Toma ist jetzt verheiratet, lebt in der Hauptstadt, "vor der Haustür steht ein Chrysler mit Chauffeur und Mobiltelefon". Das fortwährende Chaos aus Uralt und ganz Neu läßt die Überfliegerin stolpern. Mit der Mentalität hat sie offenbar auch Schwierigkeiten. Nach einem Rieseneinkauf sinnloser Konsumgüter folgt der nächste Programmpunkt: "Vorwärts! rief Toma, nun müssen wir eilen, glücklich zu sein!" Die Erzählerin flüchtet. Auf der rasenden Fahrt zum Flughafen hebt der Chrysler vom Boden ab: Bruchlandung. Wie hatte ihr der Chauffeur kurz zuvor zugerufen: "Wir Russen hängen nicht so am Leben!"

Angela Krauß hat ihren Text fein gesponnen und gewebt: aus Erinnerungsfäden, Bildern, autobiographischen Einsprengseln und Überblendungen. Daß bei vielen in der ehemaligen DDR der Identitätsverlust, die Verstörung in Herz und Hirn, immer noch groß und schmerzhaft ist, bleibt darin unbestritten. Die Erzählerin beklagt sich darüber nicht und klagt niemanden an, sondern macht es bloß deutlich - auf ihre eigene, heiter-traurige, poetische Weise. In früheren Tagen bescheinigte man Angela Krauß des öfteren mit leicht abfälligem Unterton, sie verstehe ihr literarisches Handwerk, sie habe es ja gelernt. Über solch zwiespältiges Lob scheint die Sprachkünstlerin Krauß längst erhaben.

Angela Krauß: "Die Überfliegerin". Erzählung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995. 124 S., geb., 34,- DM.

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»Die Erzählung packt, weil Angela Krauß sich in der Erzählerin selbst hervorwagt, statt sich zu verleugnen, weil sie mit allen Unwägbarkeiten ihre Peron im literarischen Bild Bestand haben lässt. ... Das holt dem Erzählen etwas zurück, das sich als Authentizität bezeichnen läßt, eine Authentizität, die dem Erzählen mehr und mehr verlorengegangen ist.« Heinrich Vormweg Süddeutsche Zeitung 19951010