„Als das schönste Gefühl der Welt“, so beschrieb ein Filmemacher die Erfahrung, eine Bindung mit einem wilden Geschöpf zu entwickeln.“ … „Der Kampf, der ihr oft herausforderndes Leben ist, scheint ihm sein eigenes Leben widerzuspiegeln, …“ S. 81
Und doch hat mich der Plot des Romans von Sigrid
Nunez fast abgeschreckt. Ein Papagei ist allein in einer New Yorker Wohnung, weil die Familie während…mehr„Als das schönste Gefühl der Welt“, so beschrieb ein Filmemacher die Erfahrung, eine Bindung mit einem wilden Geschöpf zu entwickeln.“ … „Der Kampf, der ihr oft herausforderndes Leben ist, scheint ihm sein eigenes Leben widerzuspiegeln, …“ S. 81
Und doch hat mich der Plot des Romans von Sigrid Nunez fast abgeschreckt. Ein Papagei ist allein in einer New Yorker Wohnung, weil die Familie während der Corona-Pandemie von einer Reise an die Westküste nicht in die Stadt zurückkehren darf. Die namenlose Erzählerin, eine Schriftstellerin mit Schreibblockade im Rentenalter und Freundin der Familie, nimmt sich des Tiers und der Wohnung an und sieht sich plötzlich in einer Zwangs-Wohngemeinschaft mit einem jungen Mann, der aus den Erwartungen seines Elternhauses geflohen ist und von dem sie sich so gestört fühlt, dass Sie ihn Giersch nennt. Ein Wildtier in Gefangenschaft, ein Spät-Pubertierender und Corona? Wirklich? JA unbedingt, weil es Sigrid Nunez ist und sie mich noch nie enttäuscht hat.
Denn die Handlung bildet zwar den Rahmen der Geschichte, doch ihr wahrer Wert liegt in den Gedanken, durch die die Erzählerin mäandert, die Lebenslinien, die sie verfolgt. Wie sie ihr Schreiben und ihre Schreibblockade aufdröselt, die verlorene Verbindung zu sich selbst, zu den Worten, zur Natur durchleuchtet. Die Verletzlichkeit, mit der wir als Lebewesen geschlagen, aber auch gesegnet sind, darstellt. Sie hüpft leicht und fragmentarisch durch Themen wie Männlichkeit, das Älterwerden, Feminismus, baut Entwurf auf Gegenentwurf, beginnt Erzählungen und verwirft sie wieder, erinnert und enttarnt Erinnerungen. Auch hier: eine Suche. Was ist wichtig? Was ist das, was bleibt? Und was bedeutet es zu schreiben?
Die Pandemie erscheint als eine Metapher für die Verletzlichkeit des natürlichen Gleichgewichts. Eingesperrt in unseren Wohnungen im Logdown fühlen wir uns abgeschnitten und entfremdet und suchen Halt und Trost in der Verbindung mit anderen Lebewesen und der Natur.
Und so wird die Aufgabe, sich um den verlassenen Papageien zu kümmern „eins der wenigen Dinge, das zu erledigen (sie) sich zutraute, ohne sich fragen zu müssen: Warum tue ich das?“ Wird sie so ihr Gleichgewicht und ihre Worte wiederfinden?
Voller Witz und Selbstironie, aber auch Melancholie und Verlassenheit stromert sie durch die großen Fragen des Lebens. Lakonisch und unaufgeregt, ein ruhiges Wandern durch Ansichten, Einsichten, die Literatur von Virginia Woolf, Joan Didion und anderen.
Sie schneidet viele Themen an, fast wirkt es wie ein persönliches Essay. Ein Buch zum langsam lesen. Zum Markieren und Notieren. Zum Nachdenken und Nachhallen lassen.
„Autobiografie mit einer dünnen Schicht Fiktion oder Fiktion mit einer Schicht Autobiografie?“ S. 215
Lasst Euch überraschen, was Ihr findet, denn ich glaube, das kann für jede*n etwas anderes sein.
„Das Leben ist nicht das, was man erlebt hat, sondern woran man sich erinnert und wie man sich erinnert, um es zu erzählen.“ GABRIEL GARCIA MARQUEZ (Motto)