Gegen Ende des 18. Jahrhunderts machen sich zwei junge Deutsche an die Vermessung der Welt. Der eine, Alexander von Humboldt, kämpft sich durch Urwald und Steppe, befährt den Orinoko, kostet Gifte, zählt Kopfläuse, kriecht in Erdlöcher, besteigt Vulkane und begegnet Seeungeheuern und Menschenfressern. Der andere, der Mathematiker und Astronom Carl Friedrich Gauß, der sein Leben nicht ohne Frauen verbringen kann und doch in der Hochzeitsnacht aus dem Bett springt, um eine Formel zu notieren - er beweist auch im heimischen Göttingen, dass der Raum sich krümmt. Alt, berühmt und ein wenig sonderbar geworden, treffen sich die beiden 1828 in Berlin.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2012Auf den Gipfeln der Welt
Zum Beispiel beim Lesen der Bergpassagen in der "Vermessung der Welt" erkennt man die ganze Meisterschaft des Bestsellerautors Daniel Kehlmann
"Ein Erzähler operiert mit Wirklichkeiten", hat Daniel Kehlmann in seinem Essay "Wo ist Carlos Montúfar?" geschrieben. Das klingt plausibel und logisch und doch auch theoretisch und unglaubwürdig, weil diese Wirklichkeiten oftmals genau da aufhören, wo es interessant wird, wo es ungemütlich wird, wo es weh tut - kurz, wo man sich einen wie Kehlmann nicht vorstellen kann. Der 37-jährige Österreicher hat das Image eines realitätsverweigernden Nerds, eines superschlauen Strebers. Seinem Kollegen Thomas Glavinic scheint er damit dermaßen auf die Nerven gegangen zu sein, dass er ihn in "Das bin doch ich" als Romanfigur auftauchen lässt: Als nervender SMS-Schreiber Daniel Kehlmann, der unermüdlich mitteilt, wie sich seine Bücher verkaufen. Es gäbe also Gründe dafür, die Wirklichkeiten Daniel Kehlmanns in Frage zu stellen. Aber bevor man das tut, sollte man "Die Vermessung der Welt" aufschlagen, seinen erfolgreichsten Roman, und das Kapitel "Der Berg" lesen.
Alexander von Humboldt und sein Assistent Aimé Bonpland machen sich auf, den Chimborazo zu besteigen, einen Berg in Südamerika, dessen Gipfel damals, im Jahr 1802, als der höchste der Welt galt. Es ist ein wissenschaftliches, aber zugleich auch ein tollkühnes alpines Unternehmen, bei dem sie fast 6000 Meter erreichten und einen neuen Höhenrekord aufstellten. Eine Sensation. Zumal sie ohne Daunenjacken, Handschuhe, Seile und Steigeisen über den Gletscher stiegen und keine Ahnung hatten, wie sich die Höhe auf sie auswirken würde. Die erste zarte Andeutung, dass sich ihre Wahrnehmungen langsam verzerrten, liest sich bei Kehlmann so: "Wo sie jetzt gingen, gab es keine Pflanzen mehr, nur braungelbe Flechten auf den aus dem Schnee ragenden Steinen. Bonpland hörte sehr laut seinen eigenen Herzschlag und das Zischen des über die Schneedecke streichenden Windes. Als ein kleiner Schmetterling vor ihm aufflog, erschrak er." Wenig später, sie mögen auf etwa 4500 Metern gewesen sein, war die Luft so dünn, dass die Höhenkrankheit erste Halluzinationen hervorrief: "Er wolle kein Spielverderber sein, sagte Bonpland, aber etwas stimme nicht. Dort rechts von ihnen, nein, etwas weiter, nein, links, richtig, dort. Das Ding, das wie ein Stern aus Watte aussehe. Oder wie ein Haus. Er gehe wohl recht in der Annahme, daß das nur für ihn da sei?
Humboldt nickte."
Das Erstaunliche an dieser Beschreibung ist, dass sie der Wirklichkeit standhält. Reinhold Messner hat "Die Vermessung der Welt" in einer italienischen Sportzeitung als eine der realistischsten Beschreibungen des Bergsteigens gelobt. Völlig zu Recht. Denn wer schon einmal in großer Höhe war, der weiß, dass der Sauerstoffmangel Bewegungen und Denkvorgänge erschreckend verlangsamt und Halluzinationen die absurdesten Bilder produzieren. Höhenbergsteiger erzählen davon, dass sie kristallklar beobachtet haben, wie andere Bergsteiger vor ihren Augen davongeflogen und brennende Köpfe den Abhang hinuntergerollt sind.
Daniel Kehlmann ist in München geboren und in Wien aufgewachsen, beides Städte, die die Berge vor der Haustür haben. Kehlmann ist kein Bergsteiger, aber Bergwanderer, "nicht ganz schwindelfrei" und, "sobald es wirklich schwierig wird, nicht mehr ganz trittsicher", wie er eingesteht. Er war als Kind mit seinen Eltern oft am Dachstein, aber an einem Seil sei er noch nie gegangen und wirkliches Klettern käme für ihn nicht in Betracht, "leider". Tatsächlich aber spielen die Berge auch in seinen anderen Büchern eine Rolle. In "Ich und Kaminski" zieht sich ein grantiger Künstler in die Alpen zurück, und auch das Cover von "Ruhm" zeigt verschneite Gipfel. Er könne ganz gut Ski fahren, sagt Kehlmann, doch seine höchsten Gipfel waren solche, auf die eine Seilbahn fährt. Er gibt sich bescheiden, räumt ein, dass er nie in "extremen Umständen" in den Bergen unterwegs war und sich im Berg-Kapitel eine "Ungenauigkeit der Phantasie" erlaubt habe. Die Kombination aus Ungenauigkeit und Phantasie kommt der alpinen Realität auf 5000 Metern sehr nahe. Kehlmann jedenfalls weiß genau, wie hochalpines Terrain aussieht und wie es sich anfühlt: "Vorgebeugt stapften sie an zu Säulen gespaltenen Felsmauern entlang. Hoch droben, für Momente erkennbar, dann wieder verschwunden, führte ein verschneiter Grat zum Gipfel. Instinktiv neigten sie sich beim Gehen nach links, wo der Abhang schräg und frostverglast abfiel. Zu ihrer Rechten öffnete sich senkrecht die Schlucht."
Man findet in der deutschsprachigen Literatur nicht viele Texte, die eine Extremsituation am Berg ähnlich realistisch und glaubwürdig darstellen. Humboldts Originaltext "Ueber einen Versuch den Gipfel des Chimborazo zu ersteigen" gibt es natürlich, ein Text, den Kehlmann sehr genau gelesen hat. "Wir stiegen sehr hoch, höher, als ich gehofft hatte", schrieb Humboldt. "In uns kam ein Schimmer von Hoffnung auf, den Gipfel erreichen zu können. Aber eine große Spal-. . ." - und dann unterbricht Humboldt seine Aufzeichnungen andeutungsvoll.
Der hüfthohe Schnee, die Orientierungslosigkeit, das Nasenbluten und die Nahtoderfahrung erinnern auch an das "Schnee"-Kapitel in Thomas Manns Zauberberg und auch an Büchners "Lenz", der im fortschreitenden Wahnsinn durchs Gebirge irrt: "Er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nichts am Weg, bald auf-, bald abwärts. Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehn konnte." Bei Kehlmann heißt es: "Nun änderte es nichts daran, daß dort, wo der Himmel sein sollte, jetzt der Erdboden hing und sie verkehrt herum, also mit dem Kopf nach unten, abwärts gingen."
Die alpine Ästhetik rückt Kehlmanns Text in die Nähe von Marlen Haushofers "Die Wand", und die Dramatik des Höhenbergsteigens ist allenfalls in Ludwig Hohls "Bergfahrt" und Christoph Ransmayrs "Der fliegende Berg" zu finden. Ransmayr ist extra für diesen Roman mit seinem Freund Reinhold Messner in die Berge gestiegen. Kehlmann war nie mit Messner unterwegs, hat aber dessen Bücher sehr genau gelesen, wie er sagt - um sich ein Bild von den in der Höhe auftretenden Halluzinationen zu machen. Als Messner 1978 gemeinsam mit dem Österreicher Peter Habeler erstmals ohne künstlichen Sauerstoff auf den Everest gestiegen ist, hat er auf einem Tonbandgerät sämtliche Dialoge aufgezeichnet und in dem Buch "Everest - Expedition zum Endpunkt" unverändert aufgeschrieben. Es sind lange, irrsinnige Dialoge über Mützen und Bärte, die an jenes Kehlmannsche Gespräch zwischen Humboldt und Bonpland erinnern, als sie auf fast 6000 Meter Höhe vor einer riesigen Gletscherspalte stehen und realisieren, dass sie umkehren müssen:
"Sie seien beide nicht mehr bei Sinnen. Wenn sie jetzt nicht abstiegen, kämen sie nie zurück.
Man könnte, sagte Bonpland, auch einfach behaupten, man wäre oben gewesen.
Humboldt sagte, er wolle das nicht gehört haben.
Er habe das auch nicht gesagt. Das sei der andere gewesen!
Überprüfen könne es ja keiner, sagte Humboldt nachdenklich.
Eben, sagte Bonpland.
Er habe das nicht gesagt, rief Humboldt. Was gesagt, fragte Bonpland.
Sie sahen einander ratlos an."
Auf dem Gletscher des Chimborazo, zwischen Spalten und Schneebrücken, zwischen Halluzination und Sauerstoffmangel, zwischen Heldentum und Scheitern, schafft es Kehlmann sogar noch, mit der charmanten Möglichkeit zu spielen, dass Humboldt und Bonpland damals über eine Gipfellüge nachgedacht haben könnten.
Ist Daniel Kehlmann ein Berg-Spezialist? Er ist ein Spezialist in allen Dingen, über die er schreibt. Er kennt die Welt der Wirklichkeit so gut wie die der Literatur. Und die Nähe, die Wahrhaftigkeit und Schönheit, mit der er darüber schreibt, das ist seine große Kunst.
ANDREAS LESTI
"Die Vermessung der Welt" ist als Taschenbuch bei rororo erschienen (9,99 Euro).
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zum Beispiel beim Lesen der Bergpassagen in der "Vermessung der Welt" erkennt man die ganze Meisterschaft des Bestsellerautors Daniel Kehlmann
"Ein Erzähler operiert mit Wirklichkeiten", hat Daniel Kehlmann in seinem Essay "Wo ist Carlos Montúfar?" geschrieben. Das klingt plausibel und logisch und doch auch theoretisch und unglaubwürdig, weil diese Wirklichkeiten oftmals genau da aufhören, wo es interessant wird, wo es ungemütlich wird, wo es weh tut - kurz, wo man sich einen wie Kehlmann nicht vorstellen kann. Der 37-jährige Österreicher hat das Image eines realitätsverweigernden Nerds, eines superschlauen Strebers. Seinem Kollegen Thomas Glavinic scheint er damit dermaßen auf die Nerven gegangen zu sein, dass er ihn in "Das bin doch ich" als Romanfigur auftauchen lässt: Als nervender SMS-Schreiber Daniel Kehlmann, der unermüdlich mitteilt, wie sich seine Bücher verkaufen. Es gäbe also Gründe dafür, die Wirklichkeiten Daniel Kehlmanns in Frage zu stellen. Aber bevor man das tut, sollte man "Die Vermessung der Welt" aufschlagen, seinen erfolgreichsten Roman, und das Kapitel "Der Berg" lesen.
Alexander von Humboldt und sein Assistent Aimé Bonpland machen sich auf, den Chimborazo zu besteigen, einen Berg in Südamerika, dessen Gipfel damals, im Jahr 1802, als der höchste der Welt galt. Es ist ein wissenschaftliches, aber zugleich auch ein tollkühnes alpines Unternehmen, bei dem sie fast 6000 Meter erreichten und einen neuen Höhenrekord aufstellten. Eine Sensation. Zumal sie ohne Daunenjacken, Handschuhe, Seile und Steigeisen über den Gletscher stiegen und keine Ahnung hatten, wie sich die Höhe auf sie auswirken würde. Die erste zarte Andeutung, dass sich ihre Wahrnehmungen langsam verzerrten, liest sich bei Kehlmann so: "Wo sie jetzt gingen, gab es keine Pflanzen mehr, nur braungelbe Flechten auf den aus dem Schnee ragenden Steinen. Bonpland hörte sehr laut seinen eigenen Herzschlag und das Zischen des über die Schneedecke streichenden Windes. Als ein kleiner Schmetterling vor ihm aufflog, erschrak er." Wenig später, sie mögen auf etwa 4500 Metern gewesen sein, war die Luft so dünn, dass die Höhenkrankheit erste Halluzinationen hervorrief: "Er wolle kein Spielverderber sein, sagte Bonpland, aber etwas stimme nicht. Dort rechts von ihnen, nein, etwas weiter, nein, links, richtig, dort. Das Ding, das wie ein Stern aus Watte aussehe. Oder wie ein Haus. Er gehe wohl recht in der Annahme, daß das nur für ihn da sei?
Humboldt nickte."
Das Erstaunliche an dieser Beschreibung ist, dass sie der Wirklichkeit standhält. Reinhold Messner hat "Die Vermessung der Welt" in einer italienischen Sportzeitung als eine der realistischsten Beschreibungen des Bergsteigens gelobt. Völlig zu Recht. Denn wer schon einmal in großer Höhe war, der weiß, dass der Sauerstoffmangel Bewegungen und Denkvorgänge erschreckend verlangsamt und Halluzinationen die absurdesten Bilder produzieren. Höhenbergsteiger erzählen davon, dass sie kristallklar beobachtet haben, wie andere Bergsteiger vor ihren Augen davongeflogen und brennende Köpfe den Abhang hinuntergerollt sind.
Daniel Kehlmann ist in München geboren und in Wien aufgewachsen, beides Städte, die die Berge vor der Haustür haben. Kehlmann ist kein Bergsteiger, aber Bergwanderer, "nicht ganz schwindelfrei" und, "sobald es wirklich schwierig wird, nicht mehr ganz trittsicher", wie er eingesteht. Er war als Kind mit seinen Eltern oft am Dachstein, aber an einem Seil sei er noch nie gegangen und wirkliches Klettern käme für ihn nicht in Betracht, "leider". Tatsächlich aber spielen die Berge auch in seinen anderen Büchern eine Rolle. In "Ich und Kaminski" zieht sich ein grantiger Künstler in die Alpen zurück, und auch das Cover von "Ruhm" zeigt verschneite Gipfel. Er könne ganz gut Ski fahren, sagt Kehlmann, doch seine höchsten Gipfel waren solche, auf die eine Seilbahn fährt. Er gibt sich bescheiden, räumt ein, dass er nie in "extremen Umständen" in den Bergen unterwegs war und sich im Berg-Kapitel eine "Ungenauigkeit der Phantasie" erlaubt habe. Die Kombination aus Ungenauigkeit und Phantasie kommt der alpinen Realität auf 5000 Metern sehr nahe. Kehlmann jedenfalls weiß genau, wie hochalpines Terrain aussieht und wie es sich anfühlt: "Vorgebeugt stapften sie an zu Säulen gespaltenen Felsmauern entlang. Hoch droben, für Momente erkennbar, dann wieder verschwunden, führte ein verschneiter Grat zum Gipfel. Instinktiv neigten sie sich beim Gehen nach links, wo der Abhang schräg und frostverglast abfiel. Zu ihrer Rechten öffnete sich senkrecht die Schlucht."
Man findet in der deutschsprachigen Literatur nicht viele Texte, die eine Extremsituation am Berg ähnlich realistisch und glaubwürdig darstellen. Humboldts Originaltext "Ueber einen Versuch den Gipfel des Chimborazo zu ersteigen" gibt es natürlich, ein Text, den Kehlmann sehr genau gelesen hat. "Wir stiegen sehr hoch, höher, als ich gehofft hatte", schrieb Humboldt. "In uns kam ein Schimmer von Hoffnung auf, den Gipfel erreichen zu können. Aber eine große Spal-. . ." - und dann unterbricht Humboldt seine Aufzeichnungen andeutungsvoll.
Der hüfthohe Schnee, die Orientierungslosigkeit, das Nasenbluten und die Nahtoderfahrung erinnern auch an das "Schnee"-Kapitel in Thomas Manns Zauberberg und auch an Büchners "Lenz", der im fortschreitenden Wahnsinn durchs Gebirge irrt: "Er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nichts am Weg, bald auf-, bald abwärts. Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehn konnte." Bei Kehlmann heißt es: "Nun änderte es nichts daran, daß dort, wo der Himmel sein sollte, jetzt der Erdboden hing und sie verkehrt herum, also mit dem Kopf nach unten, abwärts gingen."
Die alpine Ästhetik rückt Kehlmanns Text in die Nähe von Marlen Haushofers "Die Wand", und die Dramatik des Höhenbergsteigens ist allenfalls in Ludwig Hohls "Bergfahrt" und Christoph Ransmayrs "Der fliegende Berg" zu finden. Ransmayr ist extra für diesen Roman mit seinem Freund Reinhold Messner in die Berge gestiegen. Kehlmann war nie mit Messner unterwegs, hat aber dessen Bücher sehr genau gelesen, wie er sagt - um sich ein Bild von den in der Höhe auftretenden Halluzinationen zu machen. Als Messner 1978 gemeinsam mit dem Österreicher Peter Habeler erstmals ohne künstlichen Sauerstoff auf den Everest gestiegen ist, hat er auf einem Tonbandgerät sämtliche Dialoge aufgezeichnet und in dem Buch "Everest - Expedition zum Endpunkt" unverändert aufgeschrieben. Es sind lange, irrsinnige Dialoge über Mützen und Bärte, die an jenes Kehlmannsche Gespräch zwischen Humboldt und Bonpland erinnern, als sie auf fast 6000 Meter Höhe vor einer riesigen Gletscherspalte stehen und realisieren, dass sie umkehren müssen:
"Sie seien beide nicht mehr bei Sinnen. Wenn sie jetzt nicht abstiegen, kämen sie nie zurück.
Man könnte, sagte Bonpland, auch einfach behaupten, man wäre oben gewesen.
Humboldt sagte, er wolle das nicht gehört haben.
Er habe das auch nicht gesagt. Das sei der andere gewesen!
Überprüfen könne es ja keiner, sagte Humboldt nachdenklich.
Eben, sagte Bonpland.
Er habe das nicht gesagt, rief Humboldt. Was gesagt, fragte Bonpland.
Sie sahen einander ratlos an."
Auf dem Gletscher des Chimborazo, zwischen Spalten und Schneebrücken, zwischen Halluzination und Sauerstoffmangel, zwischen Heldentum und Scheitern, schafft es Kehlmann sogar noch, mit der charmanten Möglichkeit zu spielen, dass Humboldt und Bonpland damals über eine Gipfellüge nachgedacht haben könnten.
Ist Daniel Kehlmann ein Berg-Spezialist? Er ist ein Spezialist in allen Dingen, über die er schreibt. Er kennt die Welt der Wirklichkeit so gut wie die der Literatur. Und die Nähe, die Wahrhaftigkeit und Schönheit, mit der er darüber schreibt, das ist seine große Kunst.
ANDREAS LESTI
"Die Vermessung der Welt" ist als Taschenbuch bei rororo erschienen (9,99 Euro).
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.09.2005Da lacht der Preuße, und der Franzose staunt
Unglaublich, was der junge Mann so alles kann: Daniel Kehlmanns heiterer Roman von der „Vermessung der Welt”
Die Stimmung ist gespannt. Die Wildheit der Natur kann jederzeit auf die Mannschaft überspringen. Dann droht die rohe Gewalt, der Aufruhr, die Insubordination. Erste murrende Anzeichen von Auflehnung sind Alexander von Humboldt nicht entgangen. Aber von seinem Ziel lässt sich der preußische Beamte und geniale Naturforscher nicht abbringen. Er will vom Orinoko zum Amazonas durchstoßen, mitten durch den Dschungel. Dafür muss er in jeder Minute seine Autorität gegen die Mannschaft behaupten. Selbst sein Begleiter Bonpland lässt es immer wieder an der nötigen Haltung und Disziplin fehlen. Jetzt fahren sie auf dem Rio Negro. Immerhin hat die Moskitoqual abgenommen. Die angeheuerte Mannschaft, einfache Burschen, fragt, ob Humboldt ihnen nicht zum Zeitvertreib Geschichten erzählen wolle. Humboldt winkt ab. Das Erzählen sei nicht so seine Sache, man möge verstehen. Er könne aber, wie es dann im neuen Roman von Daniel Kehlmann heißt, er könne „das schönste deutsche Gedicht vortragen, frei ins Spanische übersetzt. Oberhalb aller Bergspitzen sei es still, in den Bäumen kein Wind zu fühlen, auch die Vögel seien ruhig, und bald werde man tot sein. Alle sahen ihn an. Fertig, sagte Humboldt. Ja wie, fragte Bonpland. Humboldt griff nach dem Sextanten. Entschuldigung, sagte Julio. Das könne doch nicht alles gewesen sein.”
Der Schriftsteller Daniel Kehlmann hat in einem Interview mit dem Standard von einem „typisch lateinamerikanischen Erzählgestus” gesprochen, der ihn beeindrucke. Er nennt ihn „das Wegwerfen von Geschichten”. García Márquez etwa erzähle, als wäre die Welt so voll von Geschichten und als hätte man selbst unendlich viele dieser Geschichten zur Verfügung, dass man es sich leisten könnte, diese mit wenigen Sätzen zusammenzufassen, ehe man sie achtlos fallen ließe.
Daniel Kehlmann, die größte Begabung der jüngeren deutschen Literatur, hat für seinen neuen Roman „Die Vermessung der Welt” dieses Verfahren nicht kopiert, aber etwas Ähnliches unternommen: Das Wegwerfen ist bei ihm vor allem ein Weglassen. Kein Einfall wird hier breit ausgetreten, sondern jeweils aufs Allerknappeste zu seiner Pointe geführt. Kehlmanns Buch baut sich aus vielen kurzen, kompakten, anekdotenhaften Situationen auf, die er mit wenigen, aber entschiedenen Strichen zeichnet. Wenn man diesen Roman mit einem Wort charakterisieren wollte, dann müsste man ihn lakonisch nennen.
Der Zahlenteufel ist los
Lakonie ist eine Attitüde des blasierten Scharfsinns. Zu müde, alles auszubuchstabieren, setzt sie einen Adressaten voraus, dem Anspielungen genügen. Jedes Mehr wäre undelikat. Mit den Leerstellen, die die Lakonie lässt, schafft sie Raum für eine süffisante Komik. Daniel Kehlmann hat den komischsten deutschen Roman dieses Jahres geschrieben. Das sei, wird man einwenden, nicht sehr schwer. Stimmt, es gelingt hier aber auch in absoluten Maßstäben brillant.
Den Preußen Humboldt, von Kindesbeinen an in die Weimarer Klassik hineinsozialisiert, und Bonpland, seinen französischen Begleiter, trennen so manche kulturelle Differenzen. Als sie mitten im Urwald auf den wahnsinnigen Imperator Aguirre zu sprechen kommen, heißt es: „Dieser traurige Mann habe gar nichts erforscht, sagte Humboldt. Ebensowenig erforsche ein Vogel die Luft oder ein Fisch das Wasser. Oder ein Deutscher den Humor, sagte Bonpland. Humboldt sah ihn mit gerunzelten Brauen an. Nur ein Witz, sagte Bonpland. Aber ein ungerechter. Ein Preuße könne sehr wohl lachen. In Preußen werde viel gelacht. Man solle nur an die Romane von Wieland denken oder die vortrefflichen Komödien von Gryphius. Auch Herder wisse einen guten Scherz wohl zu setzen. Daran zweifle er nicht, sagte Bonpland müde.” Dieses „sagte Bonpland müde” - ist es nicht hinreißend?
Dass die „Vermessung der Welt” zum Genre des komischen Romans gehört, ist nun keinesfalls zufällig, sondern hängt mit der darin entwickelten Weltsicht aufs Innigste zusammen. Der Roman erzählt von zwei Ausnahmebegabungen. Neben Alexander von Humboldt ist es Carl Friedrich Gauß, Astronom und Mathematiker, einer der größten. Beide haben dem menschlichen Wissen völlig neue Horizonte erschlossen. Zugleich könnten sie als Charaktere nicht verschiedener sein. Während der eine die ganze Welt umreist, in jede Höhle kriecht, jeden Gipfel bezwingt und keinen Berg unbemessen lässt, hat der andere das Fürstentum Hannover kaum je verlassen - und ist doch bis ins Unendliche des Raumes vorgedrungen, dorthin, wo sich die Parallelen berühren, und hat die euklidische Geometrie widerlegt.
Kehlmann ist Jahrgang 1975. „Die Vermessung der Welt” ist bereits sein fünfter Roman. Die Naturwissenschaft und die Mathematik haben auch in fast allen seiner früheren Bücher schon eine wichtige Rolle gespielt. Die Wissenschaft ist dabei immer an einer Grenze angesiedelt, wo sie vom Medium der Transparenz und Rationalität ins metaphysisch Irrsinnige umzukippen droht - wo plötzlich gewissermaßen der Zahlenteufel los ist.
„Wann immer”, sagt Kehlmanns Humboldt, „einen die Dinge erschreckten, sei es eine gute Idee, sie zu messen.” Das ist die tröstliche Seite der Zahlen. Als psychologischen Fall betrachtet, betreibt Humboldt Wissenschaft als Existenzberuhigung. Die äußere Welt wird vermessen, um den inneren Abgrund zu überdecken. „Es erfüllte Humboldt stets mit Hochgefühl, wenn etwas gemessen wurde.” Auch bei Gauss gibt es den inneren Abgrund, aber wie anders geht er damit um. Abstrakt gesagt: Beide Wissenschaftler werden getrieben von der Disproportionalität von Körper, Geist und Welt. Die Genialität ihres Geistes nämlich steht in eklatanter Diskrepanz zur Kreatürlichkeit des Körpers. Beide, Körper und Geist, tun sich deshalb schwer, ihren Platz in der Welt zu finden. Humboldt wählt die Ordnungsstrategie: Er ignoriert seinen Körper, tötet dessen Regungen ab, hält auf Form und Etikette noch am Nullpunkt der Zivilisation („Beamter der preußischen Krone”), vergibt sich nichts und begegnet dem Chaos der Natur durch die Ordnung der Zahlen.
Gauss dagegen nimmt die Diskrepanz zwischen Geist und Körper offensiv an. Er affirmiert die Peinlichkeit. Seinen Zahnschmerzen gibt er sich hin. Ins Bordell geht er regelmäßig. Er flucht und schimpft, ist ungerecht gegen seinen Sohn und schlägt ihn aus Gereiztheit. Dass der Mensch nicht zu Anmut und Würde geschaffen wurde, ist diesem Antiidealisten (der einen manchmal an Lichtenbergs Buckel denken lässt) ohnehin klar. Voller anthropologischem Pessimismus wird er, der so viel für den Fortschritt getan hat, zu einem knorzigen Misanthropen. Wo Humboldt noch im Dschungel zum Pompösen neigt, ist Gauss die Inkarnation des Antipathos.
Komik entsteht aus der Diskrepanz von Idealität und Realität. Das Bewusstsein, sagt Baudelaire, weder Tier noch Gott zu sein, bringe den Menschen zum Lachen: Dass er seit Adam fällt, obwohl er doch der Idee nach Gottes Ebenbild ist. „Die Vermessung der Welt” erzählt von zwei Lebensstrategien, mit dieser Diskrepanz umzugehen. Es konnte gar nichts anderes als ein komischer Roman werden.
IJOMA MANGOLD
DANIEL KEHLMANN: Die Vermessung der Welt. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2005. 303 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Unglaublich, was der junge Mann so alles kann: Daniel Kehlmanns heiterer Roman von der „Vermessung der Welt”
Die Stimmung ist gespannt. Die Wildheit der Natur kann jederzeit auf die Mannschaft überspringen. Dann droht die rohe Gewalt, der Aufruhr, die Insubordination. Erste murrende Anzeichen von Auflehnung sind Alexander von Humboldt nicht entgangen. Aber von seinem Ziel lässt sich der preußische Beamte und geniale Naturforscher nicht abbringen. Er will vom Orinoko zum Amazonas durchstoßen, mitten durch den Dschungel. Dafür muss er in jeder Minute seine Autorität gegen die Mannschaft behaupten. Selbst sein Begleiter Bonpland lässt es immer wieder an der nötigen Haltung und Disziplin fehlen. Jetzt fahren sie auf dem Rio Negro. Immerhin hat die Moskitoqual abgenommen. Die angeheuerte Mannschaft, einfache Burschen, fragt, ob Humboldt ihnen nicht zum Zeitvertreib Geschichten erzählen wolle. Humboldt winkt ab. Das Erzählen sei nicht so seine Sache, man möge verstehen. Er könne aber, wie es dann im neuen Roman von Daniel Kehlmann heißt, er könne „das schönste deutsche Gedicht vortragen, frei ins Spanische übersetzt. Oberhalb aller Bergspitzen sei es still, in den Bäumen kein Wind zu fühlen, auch die Vögel seien ruhig, und bald werde man tot sein. Alle sahen ihn an. Fertig, sagte Humboldt. Ja wie, fragte Bonpland. Humboldt griff nach dem Sextanten. Entschuldigung, sagte Julio. Das könne doch nicht alles gewesen sein.”
Der Schriftsteller Daniel Kehlmann hat in einem Interview mit dem Standard von einem „typisch lateinamerikanischen Erzählgestus” gesprochen, der ihn beeindrucke. Er nennt ihn „das Wegwerfen von Geschichten”. García Márquez etwa erzähle, als wäre die Welt so voll von Geschichten und als hätte man selbst unendlich viele dieser Geschichten zur Verfügung, dass man es sich leisten könnte, diese mit wenigen Sätzen zusammenzufassen, ehe man sie achtlos fallen ließe.
Daniel Kehlmann, die größte Begabung der jüngeren deutschen Literatur, hat für seinen neuen Roman „Die Vermessung der Welt” dieses Verfahren nicht kopiert, aber etwas Ähnliches unternommen: Das Wegwerfen ist bei ihm vor allem ein Weglassen. Kein Einfall wird hier breit ausgetreten, sondern jeweils aufs Allerknappeste zu seiner Pointe geführt. Kehlmanns Buch baut sich aus vielen kurzen, kompakten, anekdotenhaften Situationen auf, die er mit wenigen, aber entschiedenen Strichen zeichnet. Wenn man diesen Roman mit einem Wort charakterisieren wollte, dann müsste man ihn lakonisch nennen.
Der Zahlenteufel ist los
Lakonie ist eine Attitüde des blasierten Scharfsinns. Zu müde, alles auszubuchstabieren, setzt sie einen Adressaten voraus, dem Anspielungen genügen. Jedes Mehr wäre undelikat. Mit den Leerstellen, die die Lakonie lässt, schafft sie Raum für eine süffisante Komik. Daniel Kehlmann hat den komischsten deutschen Roman dieses Jahres geschrieben. Das sei, wird man einwenden, nicht sehr schwer. Stimmt, es gelingt hier aber auch in absoluten Maßstäben brillant.
Den Preußen Humboldt, von Kindesbeinen an in die Weimarer Klassik hineinsozialisiert, und Bonpland, seinen französischen Begleiter, trennen so manche kulturelle Differenzen. Als sie mitten im Urwald auf den wahnsinnigen Imperator Aguirre zu sprechen kommen, heißt es: „Dieser traurige Mann habe gar nichts erforscht, sagte Humboldt. Ebensowenig erforsche ein Vogel die Luft oder ein Fisch das Wasser. Oder ein Deutscher den Humor, sagte Bonpland. Humboldt sah ihn mit gerunzelten Brauen an. Nur ein Witz, sagte Bonpland. Aber ein ungerechter. Ein Preuße könne sehr wohl lachen. In Preußen werde viel gelacht. Man solle nur an die Romane von Wieland denken oder die vortrefflichen Komödien von Gryphius. Auch Herder wisse einen guten Scherz wohl zu setzen. Daran zweifle er nicht, sagte Bonpland müde.” Dieses „sagte Bonpland müde” - ist es nicht hinreißend?
Dass die „Vermessung der Welt” zum Genre des komischen Romans gehört, ist nun keinesfalls zufällig, sondern hängt mit der darin entwickelten Weltsicht aufs Innigste zusammen. Der Roman erzählt von zwei Ausnahmebegabungen. Neben Alexander von Humboldt ist es Carl Friedrich Gauß, Astronom und Mathematiker, einer der größten. Beide haben dem menschlichen Wissen völlig neue Horizonte erschlossen. Zugleich könnten sie als Charaktere nicht verschiedener sein. Während der eine die ganze Welt umreist, in jede Höhle kriecht, jeden Gipfel bezwingt und keinen Berg unbemessen lässt, hat der andere das Fürstentum Hannover kaum je verlassen - und ist doch bis ins Unendliche des Raumes vorgedrungen, dorthin, wo sich die Parallelen berühren, und hat die euklidische Geometrie widerlegt.
Kehlmann ist Jahrgang 1975. „Die Vermessung der Welt” ist bereits sein fünfter Roman. Die Naturwissenschaft und die Mathematik haben auch in fast allen seiner früheren Bücher schon eine wichtige Rolle gespielt. Die Wissenschaft ist dabei immer an einer Grenze angesiedelt, wo sie vom Medium der Transparenz und Rationalität ins metaphysisch Irrsinnige umzukippen droht - wo plötzlich gewissermaßen der Zahlenteufel los ist.
„Wann immer”, sagt Kehlmanns Humboldt, „einen die Dinge erschreckten, sei es eine gute Idee, sie zu messen.” Das ist die tröstliche Seite der Zahlen. Als psychologischen Fall betrachtet, betreibt Humboldt Wissenschaft als Existenzberuhigung. Die äußere Welt wird vermessen, um den inneren Abgrund zu überdecken. „Es erfüllte Humboldt stets mit Hochgefühl, wenn etwas gemessen wurde.” Auch bei Gauss gibt es den inneren Abgrund, aber wie anders geht er damit um. Abstrakt gesagt: Beide Wissenschaftler werden getrieben von der Disproportionalität von Körper, Geist und Welt. Die Genialität ihres Geistes nämlich steht in eklatanter Diskrepanz zur Kreatürlichkeit des Körpers. Beide, Körper und Geist, tun sich deshalb schwer, ihren Platz in der Welt zu finden. Humboldt wählt die Ordnungsstrategie: Er ignoriert seinen Körper, tötet dessen Regungen ab, hält auf Form und Etikette noch am Nullpunkt der Zivilisation („Beamter der preußischen Krone”), vergibt sich nichts und begegnet dem Chaos der Natur durch die Ordnung der Zahlen.
Gauss dagegen nimmt die Diskrepanz zwischen Geist und Körper offensiv an. Er affirmiert die Peinlichkeit. Seinen Zahnschmerzen gibt er sich hin. Ins Bordell geht er regelmäßig. Er flucht und schimpft, ist ungerecht gegen seinen Sohn und schlägt ihn aus Gereiztheit. Dass der Mensch nicht zu Anmut und Würde geschaffen wurde, ist diesem Antiidealisten (der einen manchmal an Lichtenbergs Buckel denken lässt) ohnehin klar. Voller anthropologischem Pessimismus wird er, der so viel für den Fortschritt getan hat, zu einem knorzigen Misanthropen. Wo Humboldt noch im Dschungel zum Pompösen neigt, ist Gauss die Inkarnation des Antipathos.
Komik entsteht aus der Diskrepanz von Idealität und Realität. Das Bewusstsein, sagt Baudelaire, weder Tier noch Gott zu sein, bringe den Menschen zum Lachen: Dass er seit Adam fällt, obwohl er doch der Idee nach Gottes Ebenbild ist. „Die Vermessung der Welt” erzählt von zwei Lebensstrategien, mit dieser Diskrepanz umzugehen. Es konnte gar nichts anderes als ein komischer Roman werden.
IJOMA MANGOLD
DANIEL KEHLMANN: Die Vermessung der Welt. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2005. 303 Seiten, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Hubert Spiegel ist von diesem Roman so "subtil, intelligent und witzig" unterhalten worden, wie er es mit deutschsprachiger Literatur nur selten erlebt hat. Doch das ist seinen begeisterten Ausführungen zufolge nur einer der vielen lobenswerten Punkte an Daniel Kehlmanns Roman über die Brüder Humboldt und den Mathematiker Friedrich Gauß. Kehlmann gehe zum Beispiel der Frage nach, wann das glanzvolle Projekt der Aufklärung in die "Entzauberung der Welt" umgeschlagen sei. Das Schöne an Kehlmanns Ansatz ist für den Rezensenten, dass er sich als Leser "mit einem Lächeln" auf diese Frage gestoßen sieht. Neben hoher Kunstfertigkeit bescheinigt Spiegel dem Autor außerdem ein humoristisches Talent. Zudem beeindruckt ihn, wie elegant Kehlmann dem Nicht-Naturwissenschaftler die mathematische Fragestellung von Gauss verständlich zu machen versteht, wie er seine Figuren zeichne und die Dialoge führe. Nur eines vermisst der Rezensent, und zwar das "Ungebärdige" großer Kunst, was immer das auch heißen mag.
© Perlentaucher Medien GmbH
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