Unschuldig im Todestrakt In Seabrook, Florida wird der junge Anwalt Keith Russo erschossen. Der Mörder hinterlässt keine Spuren. Es gibt keine Zeugen, keine Verdächtigen, kein Motiv. Trotzdem wird Quincy Miller verhaftet, ein junger Afroamerikaner, der früher zu den Klienten des Anwalts zählte. Miller bekommt lebenslang und sitzt 22 Jahre im Gefängnis. Dann schreibt er einen Brief an die "Guardian Ministries" und der Anwalt Cullen Post übernimmt seinen Fall. Er ahnt nicht, dass er sich damit in Lebensgefahr begibt. Gekürzte Lesung mit Charles Brauer ca. 11h 53min
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.04.2020Sie sollten vorsichtig sein!
Die Guardian Ministries wollen unschuldig Verurteilte aus dem Gefängnis holen.
Das kann ein schmutziges Geschäft sein, wie John Grisham in seinem neuen Justizthriller „Die Wächter“ erzählt
VON GERHARD MATZIG
Dann reißt Quincy die Arme auseinander, June geht auf ihn zu. Er hält sie fest umschlungen, beide brechen in Tränen aus. Zwei Menschen, die drei Kinder miteinander gezeugt haben, ehe sie lernten, einander zu hassen, halten sich vor den Augen Fremder in den Armen.“ Wer auf Seite 424, also kurz vor dem Ende von John Grishams neuem Justizthriller „Die Wächter“, nicht in Tränen ausbricht, hat entweder ein grundsätzliches Problem mit der Empathie oder ein spezielles Problem mit dem Erzählhandwerk John Grishams.
Zwar ist an dieser Stelle immer noch nicht ganz klar, ob der unschuldig verurteilte Quincy Miller, ein Afroamerikaner, der seit 22 Jahren für den Mord eines anderen (eines weißen?) Täters einsitzt, nun endlich in einem spannend erzählten, ökonomisch durchdachten, trickreich komplexen und raffiniert mit weiteren Erzähl-, Fall-, Rechts- und Kriminalistikebenen korrespondierenden Wiederaufnahmeverfahren die Freiheit erhält.
Aber genau darum geht es John Grisham ja auch. Meist lässt er seine Leser bis zum entweder bitteren, halbbitteren oder auch happy-end-haften Ende darüber im Unklaren, ob seine Protagonisten, die recht haben, auch recht bekommen. Der Grat zwischen Recht und Unrecht ist schmal und somit der ideale Treibstoff für einen Krimi. In der Physik erzeugt Differenz Spannung, im Thriller ist das ebenso.
Der Autor (und ehemalige Strafverteidiger), dessen dreißig Romane, Bestseller allesamt, in mehr als vierzig Sprachen übersetzt wurden, lebt genau von diesem kleinen Unterschied. Das Recht ist einerseits als zivilisatorische Übereinkunft ein immer auch interpretierbares, somit für Fehler anfälliges Konstrukt der Rechtsprechung. Andererseits ist das Recht aber auch im rechtsphilosophischen Sinn etwas Unveräußerliches. Etwas Wahres. Daher kann man zugleich recht haben und dennoch vor Gericht Unrecht erleiden.
Dieses Dilemma verbindet John Grisham meist mit einer Art Manufactum-Theorie des Krimi-Genres: Es gibt sie noch, die guten Thriller. Denn ein guter Thriller ist konstruiert wie ein guter Stuhl, der von handwerklichem Können zeugt. John Grishams Bücher muss man ebenso beurteilen – wie eine Backsteinmauer, die ohne große Geheimnisse ist, aber stets davon erzählt, ob der Maurer ein Meister oder ein Stümper ist. Die Justizthriller von John Grisham, die generell auf eine kluge Weise formelhaft sind, die mal mehr, mal weniger Thrill erzeugen (zuletzt etwas weniger, jetzt wieder mehr), sind immer selbstbewusste Zeugnisse des erzählenden Handwerks. Auch „Die Wächter“ ist ein richtig guter Stuhl, eine richtig gute Backsteinmauer und eben auch ein richtig guter Justizthriller. Wobei auch diesmal Biografisches einfließt.
Verortet wird der Krimi, wie so oft seit der „Firma“, im amerikanischen Süden (John Grisham lebt in Oxford, Mississippi, sowie in Charlottesville, Virginia). Erzählt wird die Geschichte des nicht mehr ganz jungen, aber immer noch studentisch abgebrannten Anwalts Cullen Post, der zugleich Prediger und moralische Instanz ist – wie John Grisham, der Baptist ist und als Demokrat auch eine Moral des Politischen predigt.
Cullen Post, der von Quincy Millers Unschuld überzeugt ist und den wahren Täter finden will, arbeitet für die Initiative „Die Wächter“ (im Original: „Guardian Ministries“), die unschuldig Verurteilten hilft. Man könnte diesen frauenarmen, antialkoholischen, gesund sich ernährenden, seine Mutter gern besuchenden, herzlich guten Gutmenschen Cullen Post, der kein Geld hat und keines will, der keinen Sex hat und keinen will (bis er diese charmante FBI-Agentin trifft, die aber trotzdem ihr Abendessen selbst zahlen muss), der unentwegt dem Bösen den Kampf ansagt und den Unschuldigen, Armen, Missachteten dieser Welt zur Seite steht, auch als Robin-Hood-Karikatur der Justiz entblößen. Diesen Fehler aber macht John Grisham nicht. Die Figur bleibt tatsächlich angenehm ambivalent, denn „Justizopfer aus dem Gefängnis zu holen“, ist, wie es einmal heißt, „mitunter ein schmutziges Geschäft“. Und der Saubermann Cullen Post macht sich eigentlich ganz gern die Hände schmutzig.
Der Fall des zu Unrecht Verurteilten ist viel komplexer als zunächst vermutet. Das gilt auch für die Erzählung, in die etliche Seitenaspekte, Nebenfälle und Hintergrundfiguren wie Intarsien eingefügt sind, allesamt so durchdacht ausgestaltet, dass sie den Fluss der Geschichte mitanschwellen lassen – ohne ihn verwirrend zu verästeln. Das ist von verblüffender erzählerischer Strenge und konzeptioneller Eleganz.
Nur ganz selten denkt man sich als Leser: Schon gut, ich hab’s kapiert, zum Beispiel, dass die Sache gefährlich ist, weshalb Cullen Post auf Seite 27 erfährt: „Du wirst vielleicht ein paar sehr unangenehmen Zeitgenossen auf die Füße treten.“ Und auf Seite 95: „Das klingt sehr riskant, Post.“ Auf Seite 107 erfährt er: „Sie sollten vorsichtig sein.“ Und auf Seite 147: „Sie bringen sich da in eine schlimme Lage.“
Einige Redundanzen gibt es auch anderswo. Von der schönen Eigentumswohnung, die einem Bösen gehört, heißt es auf Seite 156, sie sei rund 1,6 Millionen Dollar wert, „nicht schlecht für einen Staatsdiener, der nie mehr als sechzigtausend Dollar im Jahr verdient hat“. Exakt fünfzig Seiten später lebt dieser Staatsdiener in einer schönen Eigentumswohnung, „deren Wert (…) mit 1,6 Millionen Dollar veranschlagt wurde (…) nicht schlecht für einen Sheriff, der zu seinen besten Zeiten sechzigtausend im Jahr verdient hat“.
John Grisham setzt solche Redundanzen möglicherweise bewusst ein (oder hätte andernfalls ein besseres Redigat verdient): Immer wieder wird dem Leser klargemacht, wo er sich gerade befindet, wer was wann wie und weshalb tut. Das ist hilfreich dort, wo die Geschichte kompliziert wird, stört aber dort, wo das Einfache nun überdeutlich und explizit gerät. Abseits einiger weniger Überflüssigkeiten liegt aber die besondere Kunst von John Grisham ohnehin darin, das Komplexe einfach zu machen, ohne es zu versimpeln.
Entscheidend bleibt die große Frage: Bekommt der, der recht hat, auch wirklich recht? Dass man als Leser das bis zur letzten Seite der „Wächter“ zunehmend nervös wissen will im Fall des Quincy Miller, macht aus einem Thriller einen Thriller aus der Manufaktur.
Der abgebrannte Anwalt
ernährt sich gesund und kämpft
stets gegen das Böse
Nuancen der Unschuld: Ist das Recht wirklich in der Lage, Schuld von Unschuld zu unterscheiden?
Foto: dini_/Unsplash
John Grisham: Die Wächter. Aus dem Amerikanischen von Kristiana Dorn-Ruhl, Bea Reiter, Imke Walsh-Araya. Wilhelm Heyne Verlag, München 2020. 448 Seiten, 24 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Die Guardian Ministries wollen unschuldig Verurteilte aus dem Gefängnis holen.
Das kann ein schmutziges Geschäft sein, wie John Grisham in seinem neuen Justizthriller „Die Wächter“ erzählt
VON GERHARD MATZIG
Dann reißt Quincy die Arme auseinander, June geht auf ihn zu. Er hält sie fest umschlungen, beide brechen in Tränen aus. Zwei Menschen, die drei Kinder miteinander gezeugt haben, ehe sie lernten, einander zu hassen, halten sich vor den Augen Fremder in den Armen.“ Wer auf Seite 424, also kurz vor dem Ende von John Grishams neuem Justizthriller „Die Wächter“, nicht in Tränen ausbricht, hat entweder ein grundsätzliches Problem mit der Empathie oder ein spezielles Problem mit dem Erzählhandwerk John Grishams.
Zwar ist an dieser Stelle immer noch nicht ganz klar, ob der unschuldig verurteilte Quincy Miller, ein Afroamerikaner, der seit 22 Jahren für den Mord eines anderen (eines weißen?) Täters einsitzt, nun endlich in einem spannend erzählten, ökonomisch durchdachten, trickreich komplexen und raffiniert mit weiteren Erzähl-, Fall-, Rechts- und Kriminalistikebenen korrespondierenden Wiederaufnahmeverfahren die Freiheit erhält.
Aber genau darum geht es John Grisham ja auch. Meist lässt er seine Leser bis zum entweder bitteren, halbbitteren oder auch happy-end-haften Ende darüber im Unklaren, ob seine Protagonisten, die recht haben, auch recht bekommen. Der Grat zwischen Recht und Unrecht ist schmal und somit der ideale Treibstoff für einen Krimi. In der Physik erzeugt Differenz Spannung, im Thriller ist das ebenso.
Der Autor (und ehemalige Strafverteidiger), dessen dreißig Romane, Bestseller allesamt, in mehr als vierzig Sprachen übersetzt wurden, lebt genau von diesem kleinen Unterschied. Das Recht ist einerseits als zivilisatorische Übereinkunft ein immer auch interpretierbares, somit für Fehler anfälliges Konstrukt der Rechtsprechung. Andererseits ist das Recht aber auch im rechtsphilosophischen Sinn etwas Unveräußerliches. Etwas Wahres. Daher kann man zugleich recht haben und dennoch vor Gericht Unrecht erleiden.
Dieses Dilemma verbindet John Grisham meist mit einer Art Manufactum-Theorie des Krimi-Genres: Es gibt sie noch, die guten Thriller. Denn ein guter Thriller ist konstruiert wie ein guter Stuhl, der von handwerklichem Können zeugt. John Grishams Bücher muss man ebenso beurteilen – wie eine Backsteinmauer, die ohne große Geheimnisse ist, aber stets davon erzählt, ob der Maurer ein Meister oder ein Stümper ist. Die Justizthriller von John Grisham, die generell auf eine kluge Weise formelhaft sind, die mal mehr, mal weniger Thrill erzeugen (zuletzt etwas weniger, jetzt wieder mehr), sind immer selbstbewusste Zeugnisse des erzählenden Handwerks. Auch „Die Wächter“ ist ein richtig guter Stuhl, eine richtig gute Backsteinmauer und eben auch ein richtig guter Justizthriller. Wobei auch diesmal Biografisches einfließt.
Verortet wird der Krimi, wie so oft seit der „Firma“, im amerikanischen Süden (John Grisham lebt in Oxford, Mississippi, sowie in Charlottesville, Virginia). Erzählt wird die Geschichte des nicht mehr ganz jungen, aber immer noch studentisch abgebrannten Anwalts Cullen Post, der zugleich Prediger und moralische Instanz ist – wie John Grisham, der Baptist ist und als Demokrat auch eine Moral des Politischen predigt.
Cullen Post, der von Quincy Millers Unschuld überzeugt ist und den wahren Täter finden will, arbeitet für die Initiative „Die Wächter“ (im Original: „Guardian Ministries“), die unschuldig Verurteilten hilft. Man könnte diesen frauenarmen, antialkoholischen, gesund sich ernährenden, seine Mutter gern besuchenden, herzlich guten Gutmenschen Cullen Post, der kein Geld hat und keines will, der keinen Sex hat und keinen will (bis er diese charmante FBI-Agentin trifft, die aber trotzdem ihr Abendessen selbst zahlen muss), der unentwegt dem Bösen den Kampf ansagt und den Unschuldigen, Armen, Missachteten dieser Welt zur Seite steht, auch als Robin-Hood-Karikatur der Justiz entblößen. Diesen Fehler aber macht John Grisham nicht. Die Figur bleibt tatsächlich angenehm ambivalent, denn „Justizopfer aus dem Gefängnis zu holen“, ist, wie es einmal heißt, „mitunter ein schmutziges Geschäft“. Und der Saubermann Cullen Post macht sich eigentlich ganz gern die Hände schmutzig.
Der Fall des zu Unrecht Verurteilten ist viel komplexer als zunächst vermutet. Das gilt auch für die Erzählung, in die etliche Seitenaspekte, Nebenfälle und Hintergrundfiguren wie Intarsien eingefügt sind, allesamt so durchdacht ausgestaltet, dass sie den Fluss der Geschichte mitanschwellen lassen – ohne ihn verwirrend zu verästeln. Das ist von verblüffender erzählerischer Strenge und konzeptioneller Eleganz.
Nur ganz selten denkt man sich als Leser: Schon gut, ich hab’s kapiert, zum Beispiel, dass die Sache gefährlich ist, weshalb Cullen Post auf Seite 27 erfährt: „Du wirst vielleicht ein paar sehr unangenehmen Zeitgenossen auf die Füße treten.“ Und auf Seite 95: „Das klingt sehr riskant, Post.“ Auf Seite 107 erfährt er: „Sie sollten vorsichtig sein.“ Und auf Seite 147: „Sie bringen sich da in eine schlimme Lage.“
Einige Redundanzen gibt es auch anderswo. Von der schönen Eigentumswohnung, die einem Bösen gehört, heißt es auf Seite 156, sie sei rund 1,6 Millionen Dollar wert, „nicht schlecht für einen Staatsdiener, der nie mehr als sechzigtausend Dollar im Jahr verdient hat“. Exakt fünfzig Seiten später lebt dieser Staatsdiener in einer schönen Eigentumswohnung, „deren Wert (…) mit 1,6 Millionen Dollar veranschlagt wurde (…) nicht schlecht für einen Sheriff, der zu seinen besten Zeiten sechzigtausend im Jahr verdient hat“.
John Grisham setzt solche Redundanzen möglicherweise bewusst ein (oder hätte andernfalls ein besseres Redigat verdient): Immer wieder wird dem Leser klargemacht, wo er sich gerade befindet, wer was wann wie und weshalb tut. Das ist hilfreich dort, wo die Geschichte kompliziert wird, stört aber dort, wo das Einfache nun überdeutlich und explizit gerät. Abseits einiger weniger Überflüssigkeiten liegt aber die besondere Kunst von John Grisham ohnehin darin, das Komplexe einfach zu machen, ohne es zu versimpeln.
Entscheidend bleibt die große Frage: Bekommt der, der recht hat, auch wirklich recht? Dass man als Leser das bis zur letzten Seite der „Wächter“ zunehmend nervös wissen will im Fall des Quincy Miller, macht aus einem Thriller einen Thriller aus der Manufaktur.
Der abgebrannte Anwalt
ernährt sich gesund und kämpft
stets gegen das Böse
Nuancen der Unschuld: Ist das Recht wirklich in der Lage, Schuld von Unschuld zu unterscheiden?
Foto: dini_/Unsplash
John Grisham: Die Wächter. Aus dem Amerikanischen von Kristiana Dorn-Ruhl, Bea Reiter, Imke Walsh-Araya. Wilhelm Heyne Verlag, München 2020. 448 Seiten, 24 Euro.
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