Im Land der Rentiere wird eine Gruppe von Kindern ihrer Welt entrissen und in ein entlegenes Internat verbracht, wo sie sich großen Herausforderungen stellen müssen. Eine unvergessliche Geschichte über dunkle Geheimnisse, Hoffnung und Zusammenhalt und die Rückkehr ins Licht.
Schweden in den 1950er Jahren. Else-Maj ist sieben Jahre alt, als sie das vertraute Leben im Sámi-Dorf und die wärmende Gegenwart ihrer geliebten Rentiere hinter sich lassen und in ein sogenanntes Nomadeninternat gehen muss. Hier trifft sie auf Jon-Ante, Marge und andere Sámi-Kinder, die wie Else-Maj von nun an all das verleugnen sollen, was sie von der Welt kennen. Allein die gutmütige Erzieherin Anna, eine Sámi wie sie, hält eine schützende Hand über die Kinder. Doch eines Tages verschwindet sie ohne jede Spur. Erst viele Jahre später erfahren die einstigen Schüler die Antwort und mit ihr endlich eine Chance auf Genugtuung – und Heilung.
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»Die Auseinandersetzung mit dem Unrecht einer in Schweden lange marginalisierten Volksgruppe - auf einer sehr persönlichen Ebene, die einen schnell in die Handlung zieht.« Agnes Bührig NDR Kultur
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die in Skandinavien lebenden Samen sind das letzte indigene Volk Europas, weiß Rezensent Stefan Opitz, Ann-Helén Laestadius hat einen Roman über den oftmals gewaltvollen Umgang mit ihnen geschrieben. Von den "Nomadenschulen" handelt das Buch und von den Kindern, die zwangsweise dort eingeschult wurden und denen man mit Prügel versucht, ihre Muttersprache auszutreiben, aber auch über ihr späteres Erwachsenenleben und ihr Umgang mit den Traumata wird Opitz berührend und eindringlich geschildert. Zu keinem Zeitpunkt verfällt die Autorin der Versuchung, alles Schwedische per se als schlecht darzustellen, stattdessen liest der Kritiker eine ausgewogene Auseinandersetzung, bei der ihn ausschließlich der unpassende deutsche Titel stört, für den wohl nicht die Übersetzer verantwortlich zeichnen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.05.2024Die Peinigerin als Pflegefall
Ann-Helén Laestadius erzählt in ihrem Roman "Die Zeit im Sommerlicht", wie die Samen in Schweden unterdrückt wurden
Wem gehören die nach wie vor sehr dünn besiedelten und für europäische Verhältnisse riesigen Regionen weit nördlich des Polarzirkels, und wer darf und soll von ihnen leben? Es ist die Gegend der Samen, der einzig überlebenden indigenen Menschen des ganz alten Europas. Ihre Auseinandersetzungen mit den Nationalstaaten Norwegen, Schweden und Finnland reichen weit zurück in die Geschichte und sind doch hochaktuell. Denn die wertvollen Bodenschätze des sehr hohen Nordens könnten für die Mobilitätswende Europas eine wichtige Rolle spielen. Was wird aber dann aus der Kultur der Rentierleute in Lappland (in dessen Namen noch die verächtliche Benennung der Samen erhalten ist).
Der neue Roman der 1971 geborenen Schriftstellerin, Journalistin. Kinderbuchautorin und Trägerin des August-Preises (der höchsten literarischen Auszeichnung Schwedens nach dem Nobelpreis) Ann-Helen Laestadius nimmt seine Leser mit in eine ebenso bedrückende wie berührende Geschichte in dieser Gegend. Schweden hatte in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts "Nomadskolor" (Nomadenschulen) eingerichtet, in die samische Kinder zwangseingewiesen wurden, um angemessen "schwedisiert" werden zu können. Die erzählte Zeit des Romans sind die erste Hälfte der Fünfzigerjahre und die Achtziger.
Das Schlimmste muss die Sprachunterdrückung in diesen Schulen gewesen sein. Die Kinder wurden unter Androhung und Ausübung schwerer Prügelstrafen von ihrer Muttersprache, den vielen samischen Sprachvarianten, entfremdet. In der Gegend einiges nördlich von Kiruna, aus der sie alle kommen, hatten sie Samisch gelernt, etwas Mienkiäli (eine finnische Varianz) und Finnisch, aber nie Schwedisch. Was bei ihren weiteren Sozialisationen zu nie zu bewältigenden soziokulturellen Traumata führte. Wovon im Roman die Kapitel erzählen, die in den Achtzigerjahren spielen. Wir begegnen den Kindern in den Schulen, und wir treffen sie wieder als Erwachsene in einem Leben, das viele von ihnen als stigmatisierend empfinden und in dem sie in vielen Teilen heimatlos sind. Was sich in Alkoholismus, Unfähigkeit zu lieben, Verdrängungen aller Spielarten niederschlägt. Man hatte ihnen sogar den Joik ausgetrieben, jene spezielle samische Art zu singen, sich draußen zu verständigen und Gefühle zu äußern.
Im Mittelpunkt der Geschichte stehen die Rentierzüchterkinder Jon-Ante, Else-Maj, Nilsa, Marge und Anne-Risten, die mit sieben Jahren aus ihren Familien genommen wurden. Die Geborgenheit der größeren samischen Familienverbände wurde ausgetauscht gegen eiskalte Disziplinübungen bei Verbot von allem, was Freude machte. Die Prügelei der "Hausmutter" Rita Olsson, einem wirklich sadistischen Ungeheuer, führt bei manchen zu körperlichen Verletzungen, die ein Leben lang zu spüren sind. Und alle versuchen dreißig Jahre später, zu überleben und die tiefsitzenden Wunden zu heilen. Was keinem richtig gelingt. Rita Olsson taucht gegen Schluss des Romans in einem Altersheim als Pflegefall wieder auf. Nilsa konfrontiert sie dort mit ihrer Vergangenheit als Schlägerin; sie umzubringen schafft er genau so wenig wie Anne-Risten und Marge, die für das Pflegeheim arbeiten. Sie sind erschüttert von der sturen Uneinsichtigkeit der Alten; sie führt ihnen ihr eigenes Leid nochmals brutal vor Augen.
Schwedens Umgang mit dieser Minorität ist ein inzwischen auch in der dortigen Gesellschaft als schwierig und bedrückend empfundenes Thema; massive Einwirkungsversuche auf die Samen gehen jedoch bis weit zurück in die Geschichte. Schon Gustav Wasa, Begründer der schwedischen Monarchie und des Zentralstaates, ließ Maßnahmen zur Schwedisierung der Samen ergreifen. Und die Kirche war immer engagiert mit dabei.
Man könnte durch die Lektüre des Romans verführt werden, alles Schwedische in ihm als das absolute Böse zu verstehen, durch Rita Olsson handgreiflich vor Augen geführt. Doch handelt der Roman auch davon, und das macht seinen versöhnlichen Schluss aus, wie die Welten zusammenkommen können und was man tun sollte, um sich gerecht und angemessen zu begegnen.
In jedem Fall ist der Roman berührend - so bedrückend manches in ihm auch sein mag. Überhaupt nicht berührend allerdings ist der Titel der deutschen Übersetzung (der sicher nicht von den beiden sehr guten Übersetzerinnen stammt) - "Die Zeit im Sommerlicht" transportiert nur Inga Lindström und Konsorten. Aber nichts, was der Titel des Originals mitteilt. Der lautet "Straff", was soviel wie Strafe, Bestrafung heißt und die beiden Dimensionen des Buchs klarmacht: die Notwendigkeit der Bestrafung von Leuten wie Rita Olsson und die Strafe, die die Kinder erlitten und mit der sie als Erwachsene fertig werden müssen. Abgesehen davon spielt der Roman auch mehr im Winterlicht. STEFAN OPITZ
Ann-Helen Laestadius: Die Zeit im Sommerlicht". Roman.
Aus dem Schwedischen von Maike Barth und Dagmar Mißfeldt. Hoffmann & Campe, Hamburg 2024. 480 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ann-Helén Laestadius erzählt in ihrem Roman "Die Zeit im Sommerlicht", wie die Samen in Schweden unterdrückt wurden
Wem gehören die nach wie vor sehr dünn besiedelten und für europäische Verhältnisse riesigen Regionen weit nördlich des Polarzirkels, und wer darf und soll von ihnen leben? Es ist die Gegend der Samen, der einzig überlebenden indigenen Menschen des ganz alten Europas. Ihre Auseinandersetzungen mit den Nationalstaaten Norwegen, Schweden und Finnland reichen weit zurück in die Geschichte und sind doch hochaktuell. Denn die wertvollen Bodenschätze des sehr hohen Nordens könnten für die Mobilitätswende Europas eine wichtige Rolle spielen. Was wird aber dann aus der Kultur der Rentierleute in Lappland (in dessen Namen noch die verächtliche Benennung der Samen erhalten ist).
Der neue Roman der 1971 geborenen Schriftstellerin, Journalistin. Kinderbuchautorin und Trägerin des August-Preises (der höchsten literarischen Auszeichnung Schwedens nach dem Nobelpreis) Ann-Helen Laestadius nimmt seine Leser mit in eine ebenso bedrückende wie berührende Geschichte in dieser Gegend. Schweden hatte in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts "Nomadskolor" (Nomadenschulen) eingerichtet, in die samische Kinder zwangseingewiesen wurden, um angemessen "schwedisiert" werden zu können. Die erzählte Zeit des Romans sind die erste Hälfte der Fünfzigerjahre und die Achtziger.
Das Schlimmste muss die Sprachunterdrückung in diesen Schulen gewesen sein. Die Kinder wurden unter Androhung und Ausübung schwerer Prügelstrafen von ihrer Muttersprache, den vielen samischen Sprachvarianten, entfremdet. In der Gegend einiges nördlich von Kiruna, aus der sie alle kommen, hatten sie Samisch gelernt, etwas Mienkiäli (eine finnische Varianz) und Finnisch, aber nie Schwedisch. Was bei ihren weiteren Sozialisationen zu nie zu bewältigenden soziokulturellen Traumata führte. Wovon im Roman die Kapitel erzählen, die in den Achtzigerjahren spielen. Wir begegnen den Kindern in den Schulen, und wir treffen sie wieder als Erwachsene in einem Leben, das viele von ihnen als stigmatisierend empfinden und in dem sie in vielen Teilen heimatlos sind. Was sich in Alkoholismus, Unfähigkeit zu lieben, Verdrängungen aller Spielarten niederschlägt. Man hatte ihnen sogar den Joik ausgetrieben, jene spezielle samische Art zu singen, sich draußen zu verständigen und Gefühle zu äußern.
Im Mittelpunkt der Geschichte stehen die Rentierzüchterkinder Jon-Ante, Else-Maj, Nilsa, Marge und Anne-Risten, die mit sieben Jahren aus ihren Familien genommen wurden. Die Geborgenheit der größeren samischen Familienverbände wurde ausgetauscht gegen eiskalte Disziplinübungen bei Verbot von allem, was Freude machte. Die Prügelei der "Hausmutter" Rita Olsson, einem wirklich sadistischen Ungeheuer, führt bei manchen zu körperlichen Verletzungen, die ein Leben lang zu spüren sind. Und alle versuchen dreißig Jahre später, zu überleben und die tiefsitzenden Wunden zu heilen. Was keinem richtig gelingt. Rita Olsson taucht gegen Schluss des Romans in einem Altersheim als Pflegefall wieder auf. Nilsa konfrontiert sie dort mit ihrer Vergangenheit als Schlägerin; sie umzubringen schafft er genau so wenig wie Anne-Risten und Marge, die für das Pflegeheim arbeiten. Sie sind erschüttert von der sturen Uneinsichtigkeit der Alten; sie führt ihnen ihr eigenes Leid nochmals brutal vor Augen.
Schwedens Umgang mit dieser Minorität ist ein inzwischen auch in der dortigen Gesellschaft als schwierig und bedrückend empfundenes Thema; massive Einwirkungsversuche auf die Samen gehen jedoch bis weit zurück in die Geschichte. Schon Gustav Wasa, Begründer der schwedischen Monarchie und des Zentralstaates, ließ Maßnahmen zur Schwedisierung der Samen ergreifen. Und die Kirche war immer engagiert mit dabei.
Man könnte durch die Lektüre des Romans verführt werden, alles Schwedische in ihm als das absolute Böse zu verstehen, durch Rita Olsson handgreiflich vor Augen geführt. Doch handelt der Roman auch davon, und das macht seinen versöhnlichen Schluss aus, wie die Welten zusammenkommen können und was man tun sollte, um sich gerecht und angemessen zu begegnen.
In jedem Fall ist der Roman berührend - so bedrückend manches in ihm auch sein mag. Überhaupt nicht berührend allerdings ist der Titel der deutschen Übersetzung (der sicher nicht von den beiden sehr guten Übersetzerinnen stammt) - "Die Zeit im Sommerlicht" transportiert nur Inga Lindström und Konsorten. Aber nichts, was der Titel des Originals mitteilt. Der lautet "Straff", was soviel wie Strafe, Bestrafung heißt und die beiden Dimensionen des Buchs klarmacht: die Notwendigkeit der Bestrafung von Leuten wie Rita Olsson und die Strafe, die die Kinder erlitten und mit der sie als Erwachsene fertig werden müssen. Abgesehen davon spielt der Roman auch mehr im Winterlicht. STEFAN OPITZ
Ann-Helen Laestadius: Die Zeit im Sommerlicht". Roman.
Aus dem Schwedischen von Maike Barth und Dagmar Mißfeldt. Hoffmann & Campe, Hamburg 2024. 480 S., geb., 26,- Euro.
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