España, 1937. Raffaele Cameroni, un voluntario italiano que lucha en el bando franquista, cae herido en combate. Durante su convalecencia se enamora de una joven enfermera española, con la que se casará y tendrá tres hijos. Raffaele, sin embargo, oculta un secreto que acabará estallando con consecuencias imprevisibles. Con sus dichas y desdichas, con momentos de dolor pero también de humor y, por supuesto, con los inevitables conflictos generacionales, "Dientes de leche" recorre medio siglo de la historia de la familia Cameroni y ofrece a la vez una crónica indirecta de la vida en España a lo largo del interminable franquismo y los últimos años de la década de los 70.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.05.2009Ein Mausoleum darf nicht hohl sein
Ignacio Martínez de Pisón und sein Roman „Milchzähne”
Die spanische Literatur hat den Bürgerkrieg mittlerweile domestiziert. Ignacio Martínez de Pisón gehört zu den Autoren, die sich dem Krieg zuwenden wie einem schlecht erzogenen Haustier, mit dem man leben muss. An das Tier hat man sich gewöhnt, man beachtet nurmehr, was es alles ruiniert hat. Der Bürgerkrieg hat das Leben spanischer Familien bis in die Gegenwart geprägt. Die Schützengräben, auch die rhetorischen, in denen Republikaner und Faschisten sich verschanzt hatten, sind verlassen. Die alte Feindschaft ist vorbei. Das Politische ist privat geworden.
Martínez de Pisóns Roman „Milchzähne” beginnt mit einer fabelhaften Episode. Sie ist umso fabelhafter, als sie tatsächlich stattgefunden hat, wenngleich nicht der Autor es war, der sie erlebte: Der alte italienische Faschist Raffaele, der in Spanien kämpfte und dann dort geblieben ist, nimmt alljährlich an einer pompös zelebrierten Veranstaltung zu Ehren der gefallenen italienischen Faschisten teil. Und als er endlich einen Enkel hat, nimmt er ihn mit. Alle Jahre wiederholt sich dieselbe Szene: Raffaeles Sohn, der für die Faschismusnostalgie seines Vaters nichts übrig hat, bekommt einen Tobsuchtsanfall, den seine Ehefrau mühsam beschwichtigt.
Als der Enkel älter wird, kommt ihm das Spektakel, zu dem er mitgenommen wird, allmählich peinlich vor, lächerlich, überflüssig. Aber sehr lange, bis 1981, bringt er es nicht über sich, dem Großvater die schrecklichen Worte zu sagen: „Ich mag nicht mitkommen”. Die ersten Seiten, die das jährliche Familiendrama, die jährliche Familienfarce beschreiben, sind großartig. Der Roman, den Martínez de Pisón verfasst hat, um schließlich in den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts wieder anzukommen, kann damit nicht ganz mithalten.
Das liegt gewiss nicht daran, dass dem Autor nichts eingefallen wäre. Es wird viel gestorben und geliebt in seinem Buch. Und aus dem Hintergrund tauchen immer mal wieder Faschisten auf, die den Ereignissen eine über sie selbst hinausweisende Aura geben. Schon seine Ehe hat Raffaele den spanischen Faschisten zu verdanken: Der italienische Soldat hat ein Auge auf die liebreizend-hilflose Isabelita geworfen.
Als Isabelitas Vater von den Franquisten gefangengenommen wird – seine Ermordung ist absehbar –, rettet Raffaele ihn mit einem schönen Trick. Die beiden heiraten gegen Ende der dreißiger Jahre und bekommen drei Söhne. Isabelita weiß nicht, dass ihr Mann in Italien eine erste Ehefrau und eine debile Tochter hat sitzen lassen. Sie ist enttäuscht, weil Raffaele ihren dritten Sohn, der geistig behindert zur Welt gekommen ist, nicht liebt. Sie kann nicht ahnen, wie sehr es ihn kränkt, dass seine Gene offenbar defekt sind.
Wenn Frauen widersprechen
Mit Nachsicht nimmt Isabelita zur Kenntnis, dass Raffaele in der Bäckerei, die er von ihrem Vater übernimmt, die exhumierten Leichen italienischer Bürgerkriegssoldaten aufbewahrt – man wartet auf die Fertigstellung des Mausoleums. Dass Raffaele mit faschistischen Verwaltungsbeamten korrupte Geschäfte treibt, erfährt sie nicht. Ernstlich unglücklich wird sie erst, als sie und ihr Mann einander eines Tages nichts mehr zu sagen haben und sie ihn nur noch als autoritären Hausvater wahrnimmt. Die Leser dürfen sich denken, dass es der Faschismus war, der Raffaele so zugerichtet hat. Isabelitas gesunde Söhne, keine Faschisten, sind jedenfalls ganz anders: anständig, liebenswürdig, aufgeschlossen, zugewandt. Und um ihren geistig zurückgebliebenen Bruder kümmern sie sich mit heiligmäßiger Geduld.
Weil Martínez de Pisón nicht bloß die schlechte Ehe von Isabelita und Raffaele schildert, sondern auch die Lieben und Aktivitäten der drei Söhne, gibt es viel zu erzählen. Anfangs ist die Lektüre ein Vergnügen. Je mehr indes der Spanische Bürgerkrieg nur mehr Vergangenheit ist und das rein Familiäre in den Vordergrund tritt, kommt eine kleine Not auf. Irgendwann macht sich der Gedanke breit, es sei dies Buch vor allem dafür geeignet, verfilmt zu werden: Die Figuren werden geschildert, wie es in einem guten Drehbuch üblich ist.
Anders gesagt: Die Figuren werden geschildert, wie Hobbypsychologen ihre Nachbarn beschreiben, nachdem sie eine Weile lang durch die Wand mitangehört haben, was sich bei denen tut, und auch zwei- oder dreimal nebenan eingeladen waren. Raffaele hat „das Gefühl, dass ihm seine Frau systematisch” widerspricht. Isabelita ist „eine der Frauen, die den Eindruck erwecken, viel mehr zu tun, als sie in Wirklichkeit zu tun haben”. Über Charakterisierungen dieser Art geht Martínez de Pisón nicht hinaus. Sein Buch ist nicht nur in psychologischer, sondern auch in literarischer Hinsicht konventioneller als das Seelenleben der Menschen, von denen es handelt.
Alle Leser, die sich von diesem Roman mehr als eine flüssig erzählte Familiengeschichte erwarten, lässt der Autor im Stich. Eine Familiensaga, die alle Beteiligten nur oberflächlich schildert: Für ein Drehbuch genügt das, für einen Roman nicht. Ignacio Martínez de Pisón ist ein angesehener Autor. „Milchzähne” ist sein vierzehntes Buch. Vielleicht hat er zu viel Routine. FRANZISKA AUGSTEIN
IGNACIO MARTÍNEZ DE PISÓN: Milchzähne. Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Sybille Martin. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2009. 383 Seiten, 19,95 Euro.
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Ignacio Martínez de Pisón und sein Roman „Milchzähne”
Die spanische Literatur hat den Bürgerkrieg mittlerweile domestiziert. Ignacio Martínez de Pisón gehört zu den Autoren, die sich dem Krieg zuwenden wie einem schlecht erzogenen Haustier, mit dem man leben muss. An das Tier hat man sich gewöhnt, man beachtet nurmehr, was es alles ruiniert hat. Der Bürgerkrieg hat das Leben spanischer Familien bis in die Gegenwart geprägt. Die Schützengräben, auch die rhetorischen, in denen Republikaner und Faschisten sich verschanzt hatten, sind verlassen. Die alte Feindschaft ist vorbei. Das Politische ist privat geworden.
Martínez de Pisóns Roman „Milchzähne” beginnt mit einer fabelhaften Episode. Sie ist umso fabelhafter, als sie tatsächlich stattgefunden hat, wenngleich nicht der Autor es war, der sie erlebte: Der alte italienische Faschist Raffaele, der in Spanien kämpfte und dann dort geblieben ist, nimmt alljährlich an einer pompös zelebrierten Veranstaltung zu Ehren der gefallenen italienischen Faschisten teil. Und als er endlich einen Enkel hat, nimmt er ihn mit. Alle Jahre wiederholt sich dieselbe Szene: Raffaeles Sohn, der für die Faschismusnostalgie seines Vaters nichts übrig hat, bekommt einen Tobsuchtsanfall, den seine Ehefrau mühsam beschwichtigt.
Als der Enkel älter wird, kommt ihm das Spektakel, zu dem er mitgenommen wird, allmählich peinlich vor, lächerlich, überflüssig. Aber sehr lange, bis 1981, bringt er es nicht über sich, dem Großvater die schrecklichen Worte zu sagen: „Ich mag nicht mitkommen”. Die ersten Seiten, die das jährliche Familiendrama, die jährliche Familienfarce beschreiben, sind großartig. Der Roman, den Martínez de Pisón verfasst hat, um schließlich in den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts wieder anzukommen, kann damit nicht ganz mithalten.
Das liegt gewiss nicht daran, dass dem Autor nichts eingefallen wäre. Es wird viel gestorben und geliebt in seinem Buch. Und aus dem Hintergrund tauchen immer mal wieder Faschisten auf, die den Ereignissen eine über sie selbst hinausweisende Aura geben. Schon seine Ehe hat Raffaele den spanischen Faschisten zu verdanken: Der italienische Soldat hat ein Auge auf die liebreizend-hilflose Isabelita geworfen.
Als Isabelitas Vater von den Franquisten gefangengenommen wird – seine Ermordung ist absehbar –, rettet Raffaele ihn mit einem schönen Trick. Die beiden heiraten gegen Ende der dreißiger Jahre und bekommen drei Söhne. Isabelita weiß nicht, dass ihr Mann in Italien eine erste Ehefrau und eine debile Tochter hat sitzen lassen. Sie ist enttäuscht, weil Raffaele ihren dritten Sohn, der geistig behindert zur Welt gekommen ist, nicht liebt. Sie kann nicht ahnen, wie sehr es ihn kränkt, dass seine Gene offenbar defekt sind.
Wenn Frauen widersprechen
Mit Nachsicht nimmt Isabelita zur Kenntnis, dass Raffaele in der Bäckerei, die er von ihrem Vater übernimmt, die exhumierten Leichen italienischer Bürgerkriegssoldaten aufbewahrt – man wartet auf die Fertigstellung des Mausoleums. Dass Raffaele mit faschistischen Verwaltungsbeamten korrupte Geschäfte treibt, erfährt sie nicht. Ernstlich unglücklich wird sie erst, als sie und ihr Mann einander eines Tages nichts mehr zu sagen haben und sie ihn nur noch als autoritären Hausvater wahrnimmt. Die Leser dürfen sich denken, dass es der Faschismus war, der Raffaele so zugerichtet hat. Isabelitas gesunde Söhne, keine Faschisten, sind jedenfalls ganz anders: anständig, liebenswürdig, aufgeschlossen, zugewandt. Und um ihren geistig zurückgebliebenen Bruder kümmern sie sich mit heiligmäßiger Geduld.
Weil Martínez de Pisón nicht bloß die schlechte Ehe von Isabelita und Raffaele schildert, sondern auch die Lieben und Aktivitäten der drei Söhne, gibt es viel zu erzählen. Anfangs ist die Lektüre ein Vergnügen. Je mehr indes der Spanische Bürgerkrieg nur mehr Vergangenheit ist und das rein Familiäre in den Vordergrund tritt, kommt eine kleine Not auf. Irgendwann macht sich der Gedanke breit, es sei dies Buch vor allem dafür geeignet, verfilmt zu werden: Die Figuren werden geschildert, wie es in einem guten Drehbuch üblich ist.
Anders gesagt: Die Figuren werden geschildert, wie Hobbypsychologen ihre Nachbarn beschreiben, nachdem sie eine Weile lang durch die Wand mitangehört haben, was sich bei denen tut, und auch zwei- oder dreimal nebenan eingeladen waren. Raffaele hat „das Gefühl, dass ihm seine Frau systematisch” widerspricht. Isabelita ist „eine der Frauen, die den Eindruck erwecken, viel mehr zu tun, als sie in Wirklichkeit zu tun haben”. Über Charakterisierungen dieser Art geht Martínez de Pisón nicht hinaus. Sein Buch ist nicht nur in psychologischer, sondern auch in literarischer Hinsicht konventioneller als das Seelenleben der Menschen, von denen es handelt.
Alle Leser, die sich von diesem Roman mehr als eine flüssig erzählte Familiengeschichte erwarten, lässt der Autor im Stich. Eine Familiensaga, die alle Beteiligten nur oberflächlich schildert: Für ein Drehbuch genügt das, für einen Roman nicht. Ignacio Martínez de Pisón ist ein angesehener Autor. „Milchzähne” ist sein vierzehntes Buch. Vielleicht hat er zu viel Routine. FRANZISKA AUGSTEIN
IGNACIO MARTÍNEZ DE PISÓN: Milchzähne. Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Sybille Martin. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2009. 383 Seiten, 19,95 Euro.
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