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Plattformen wie YouTube, Facebook, Twitter oder Amazon sind die neuen sozialen Magneten - Clanbildner einer sich anbahnenden globalen digitalen Stammesgesellschaft. Während die herkömmlichen sozialen Bindungskräfte von Familien, Institutionen, Parteien, Verbänden und Staaten zunehmend schwinden, entstehen um digitale Plattformen wimmelnde Kollektive, die sich wie Schwärme oder Horden ausnehmen. Ihre Benutzer sind "Follower", digitale Gefolgschaft hält die neuen Clans zusammen. Der Philosoph Christoph Türcke zeigt in einer brisanten Analyse, wohin die Dynamik der Digitalisierung führt. Sein…mehr

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Produktbeschreibung
Plattformen wie YouTube, Facebook, Twitter oder Amazon sind die neuen sozialen Magneten - Clanbildner einer sich anbahnenden globalen digitalen Stammesgesellschaft. Während die herkömmlichen sozialen Bindungskräfte von Familien, Institutionen, Parteien, Verbänden und Staaten zunehmend schwinden, entstehen um digitale Plattformen wimmelnde Kollektive, die sich wie Schwärme oder Horden ausnehmen. Ihre Benutzer sind "Follower", digitale Gefolgschaft hält die neuen Clans zusammen. Der Philosoph Christoph Türcke zeigt in einer brisanten Analyse, wohin die Dynamik der Digitalisierung führt. Sein neues Buch ist ein Augenöffner. Plattformen knechten ihre Nutzer nicht. Sie saugen sie an. Doch damit machen sie sie abhängiger als jede politisch-militärische Gewalt. Sie entfesseln ihr Wunschleben algorithmisch in einer bestimmten Richtung. Dabei steht das neue Erfolgsmodell der Plattform erst am Anfang seiner Wirkungsmacht. Schon arbeiten die großen Player daran, das Gesundheits-, das Bildungs- und das Verkehrssystem, letztlich die gesamte Wirtschaft nach dem Prinzip der Plattform umzubauen. Auch die Politik gerät in diesen Sog. Donald Trump behandelt die USA nicht nur wie eine Firma. Er macht mit Twitter Politik und sieht in den Bürgern Gefolgsleute oder Gegner. Doch es gibt auch Gegenkräfte und Gegenentwürfe. Sie haben das letzte Wort in diesem Buch, das zeigt, dass der Weg in die digitale Hölle mit lauterverheißungsvollen Errungenschaften gepflastert ist. © Verlag C.H.Beck oHG, München 2019. Umschlaggestaltung: Kunst oder Reklame, München. Umschlagabbildungen: © Shutterstock

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Autorenporträt
Christoph Türcke ist Professor em. für Philosophie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.03.2019

Die neueste Droge
Christoph Türcke liest dem „global village“ die Leviten
Zu den seltsamsten Erbschaften des zwanzigsten Jahrhunderts gehört die obsessive Bindung avancierter Medientheorien an archaische Bildwelten. Eine der schlagkräftigsten Formeln Herbert Marshall McLuhans ist aus dieser Obsession hervorgegangen. Das „global village“, in dem die Bewohner der durch Telegraf und Telefon elektrisch vernetzten Welt zu hochfrequenten, direkten und intimen Kommunikationsgemeinschaften zusammenwachsen, war als Wiederkehr der Stammesgesellschaft gedacht. McLuhan sah das „globale Dorf“ nicht erst mit dem Computer heraufziehen, als Stammestrommel der modernen Welt identifizierte er das Radio, das Stimme und Ohr wieder in ihre alten, durch das Bündnis von Auge, Schrift, Alphabetisierung und Buchdruck bestrittenen Rechte einsetzte.
Christoph Türcke, emeritierter Professor für Philosophie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, beginnt sein neues Buch „Digitale Gefolgschaft“ mit einer Polemik gegen McLuhan als „Teleromantiker“, der davon geträumt habe, „dass die ganze Menschheit dank Mikroelektronik zu vertraulich solidarischer Nähe zusammenrückt“. Auch Türcke sieht die Welt „auf dem Weg in eine neue Stammesgesellschaft“, nur bietet die zu Euphorie keinerlei Anlass. Sie ist ein „High-Tech-Dschungel“, in dem unangefochten die großen Plattformen – vor allem die Suchmaschine Google und Facebook, die Agentur des „strukturellen Narzissmus“ – herrschen und ihre Nutzer scheinbar zwanglos an sich binden.
In den Ritualen archaischer Gesellschaften wurden nicht selten Drogen als Medien sozialer Bindung eingesetzt. Türcke beschreibt das Verhältnis von Google und Facebook zu seinen Nutzern nicht im Modell von Herr und Knecht, sondern von Dealern und Drogenabhängigen. Sein Buch ist eine Streitschrift, es attackiert die Pathologien der digitalen Kommunikation, warnt vor den Risiken des Zerfalls der repräsentativen Öffentlichkeit für die Demokratie, erkennt in den „suchtbasierten Gefolgschaften globaler Plattformen“ und den neu wachsenden Infrastrukturen einer „neuen Form direkter Demokratie ohne res publica“ die Quellen der Politikverdrossenheit und der Aushöhlung des Staates, der immer mehr Funktionen an die nicht-staatlichen Akteure verliert.
Anders als Türcke nahelegt, war McLuhans Medientheorie keineswegs nur euphorisch-adventistisch gestimmt. Sein historisches Beispiel für die Macht der modernen Stammestrommel, des Radios, „die Seele und die Gemeinschaft in eine einzige Echokammer zu verwandeln“, waren die Rundfunkansprachen Hitlers, und sein Bild des zu neuer Vitalität erwachten „Afrika in uns“, das in dieser Echokammer wiederkehrte, war durch Joseph Conrads „Heart of Darkness“ bestimmt.
Die Medien der Telekommunikation, Telegrafie und Radio, tragen, so McLuhan, die Botschaft der Verbindung und Zusammenführung als Tarnkappe, aber sie „beschwören furchtbare Geister aus der Stammeswelt herauf“, und dieser Befund mündet in die Analogie von atomarer Verseuchung und unkontrollierter Mediendynamik: „Genauso wie wir heute versuchen, den atomare Fallout unter Kontrolle zu bekommen, werden wir eines Tages versuchen, die schädlichen Nebenwirkungen der Medien zu kontrollieren“. An diesen McLuhan, den apokalyptischen Zwillingsbruder des Propheten der elektronischen Welt, knüpft Türckes Streitschrift an.
Wo McLuhan im „global village“ unersättliche „Bedürfnisse nach Klatsch, Gerüchten und persönlichen Bosheiten“ aufkommen sah, attackiert Türcke die Pest des Dauerrankings, den Siegeszug der Bewertungsportale, die „Ausspähung, Überwachung, Indiskretion“, die nicht Hauptzweck der Suchtmaschine Google und der Narzissmusagentur Facebook sein mögen, aber ihre unvermeidlichen Nebeneffekte. Seine Streitschrift radikalisiert das Unbehagen, das derzeit zu Sezessionsbewegungen aus den sozialen Medien führt.
Doch will Türcke nicht lediglich McLuhans Warnungen vor „schädlichen Nebenwirkungen der Medien“ aktualisieren. Er will zugleich aufzeigen, wohin die Reise geht. Sein Buch ist Streitschrift und Prognose zugleich. An den Umschlagspunkten von Polemik in Prognose aber wird ein Nachteil der Koppelung von Zeitdiagnostik und anthropologisch orientierter Langzeitperspektive deutlich. Allzu glatt gehen die Analogien von archaischer und künftiger „Stammesgesellschaft“ auf, allzu widerstandslos erscheinen das Gleiten durch Kaskaden von Links und die „Unterbrechungslogik“, die der fokussierten Aufmerksamkeit „tiefer“ Lektüre Konkurrenz macht, als Wiederkehr der nomadischen Existenz des Homo Sapiens vor der Sesshaftwerdung, für den es lebenswichtig war, „auf jede kleine seismographische Erschütterung, jedes plötzliche Geräusch, jede Licht-, Temperatur – und Geruchsveränderung genauestens zu achten“.
Analogien wie diese, die mit einer heftigen Kritik an „Dauerüberreizung“ und geringen Aufmerksamkeitsspannen verbunden ist, sind suggestiv, aber von begrenztem Erkenntniswert. Das zeigt sich an einem zentralen Kapitel Türckes, seiner Diagnose der „Auflösung der Öffentlichkeit“. Sie lebt von der Rückbindung der modernen Öffentlichkeit, die sich in der Frühen Neuzeit herausbildete, an die archaische Kultgemeinde, in die man nur durch den Filter eines Rituals gelangen konnte. Die repräsentative Öffentlichkeit, die mit dem neuen Medium Zeitung entstand, ersetzte, so die These, die sakralen Filter durch säkulare. Und nun, da an die Stelle der sozialen Filter der technisch hergestellte Direktzugang getreten ist, zerfällt die Öffentlichkeit in das Patchwork aus algorithmusgesteuerten Blasen und schlechter Unendlichkeit all dessen, was irgendwer mit ein paar Klicks ins Netz stellt.
Das Problem an diesem Bild ist seine Homogenität. Es unterstellt eine ungehemmte, widerspruchslose Dynamik, in der die mächtigen Plattformen der digitalen Kommunikation „zur Strukturierungsmacht der gesamten sozialen Realität werden“. Es gibt bei Türcke nur wenige Lichtblicke im digitalen „Dschungel“, etwa die Online-Enzyklopädie Wikipedia oder Akteure, die im Twittern ein Medium des schnellen, aphoristischen intellektuellen Räsonnements entdecken.
Aber das bleiben Randphänomene, machtlos gegenüber der Gesamtdrift. Denn wenig Sinn hat Türcke für die nicht-archaischen Wiedergänger der digitalen Welt. Einer der interessantesten ist der Abonnent. Er verhilft derzeit einem klassischen, mit vielen Filtern ausgestatteten Medium wie der New York Times zu neuer Vitalität. Der Abonnent trat historisch als Junkie, der nach News gierte, auf den Plan und wurde zur Stütze repräsentativer Öffentlichkeit.
Vielleicht hat er keinen Auftritt, weil hier die Medientheorie, wie so häufig, zum letzten Asyl der Geschichtsphilosophie wird. Sie prophezeit, wieder einmal, das Absterben des Staates – und das Ende der kapitalistischen Produktionsweise. Der Siegeszug der 3D-Drucker wird die Vergesellschaftung – nicht mehr nur Verstaatlichung – der Produktionsmittel ermöglichen. Die künftige Stammesgesellschaft wird eine Gesellschaft der Selbstversorger sein So bewährt sich die Digitalisierung, wie schon bei McLuhan, als Quelle spekulativer Energien.
LOTHAR MÜLLER
Christoph Türcke:
Digitale Gefolgschaft.
Auf dem Weg in eine neue Stammesgesellschaft. Verlag C.H. Beck,
München 2019.
251 Seiten, 16,95 Euro.
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"Nahezu unbekanntes Terrain erschließt Weber mit ihren Archivfunden."
zdf.kultur, Bernhard Schulz

"Christoph Türcke liest dem 'global village' die Leviten."
Süddeutsche Zeitung, Lothar Müller