Gleich vorweg: Ich habe dieses Buch verschlungen, inhaliert, in mich aufgesaugt - dieses Buch hat meine Seele erreicht.
Faszinierend war für mich vor allem, dass ich mich im Laufe des Lesens immer wieder gefragt habe: Wie viel von dem, was da erzählt wird, ist Fiktion, wie viel davon erzählt die
Erinnerungen des Autors selbst? Ich hatte während des ganzen Buches das Gefühl, der Autor IST Amir,…mehrGleich vorweg: Ich habe dieses Buch verschlungen, inhaliert, in mich aufgesaugt - dieses Buch hat meine Seele erreicht.
Faszinierend war für mich vor allem, dass ich mich im Laufe des Lesens immer wieder gefragt habe: Wie viel von dem, was da erzählt wird, ist Fiktion, wie viel davon erzählt die Erinnerungen des Autors selbst? Ich hatte während des ganzen Buches das Gefühl, der Autor IST Amir, er hat all das tatsächlich erlebt. Wie sonst könnte er auf diese Art und Weise beschreiben, wie Amir fühlt, denkt, handelt.... so, dass es mich derart gefangen nahm, dass ich jede einzelne Szene mit gelebt habe? Wie ich im Anhang dann lesen konnte, liege ich gar nicht so falsch damit. Khaled Hosseini hat wohl so ähnlich empfunden, als er nach 27 Jahren Kabul erneut besucht und auf den Spuren seines Protagonisten wandelte.
Schon die Sprache des Buches hat bei mir ins Schwarze getroffen. Das ist es, genau das! Diese Art der Beschreibung, Aufzählungen einfach aneinander zu hängen, die Eindringlichkeit, die dadurch erreicht wird... genial! Und immer wieder blumige Vergleiche und Erklärungen, Parabeln....Um nur eine davon zu nennen: Die Geschichte von Rostem und Suhrab, dem Vater, der seinen verlorenen Sohn im Kampf tötet.
Die afghanische Mentalität, was wusste man über sie? Nichts oder zumindest nicht viel! Unser Afghanistan-Bild ist geprägt von dem, was über die derzeitige Situation berichtet wird, über den Krieg, über die Taliban. Aber wie viel erfahren wir dabei über die Afghanen selbst? Und wie viel ist von dem, was Afghanistan und seine Menschen ausmachte heute noch übrig? Für mich war dieses Buch eine sprudelnde Quelle von Informationen über eine fremde Kultur, über das afghanische Verständnis vom Leben, ihrer Umwelt und von dem, was sich für einen Afghanen gehört und was nicht.
"Drachenläufer" ist eine Geschichte um Freundschaft, um Schuld und um Wiedergutmachung. Man mag Amir verurteilen dafür, dass er Hassan nicht zu Hilfe geeilt ist, aber man muss sich fragen: Hätte man selbst den Mut dazu gehabt, sich gegen diese drei anderen zu stellen? Viel mehr noch hat mich aber bewegt, wie Amir anschließend mit diesem schlimmen Erlebnis und mit Hassan umgegangen ist. Seine Schuldgefühle, seine Wut über die eigene Feigheit, seine Hilflosigkeit gegenüber der Situation und dem Bewusstsein des eigenen Versagens münden in ein Verhalten, das ihm immer mehr die Gelegenheit nimmt, sich aus dieser Schuld zu befreien und er rutscht immer weiter in eine Spirale aus Lügen, Abwehr und Gemeinheiten gegenüber Hassan. 25 Jahre verfolgt ihn diese Schuld. Dann kommt der Tag, an dem ihm die Chance zur Wiedergutmachung gegeben wird und dennoch zögert er, sie zu ergreifen. Aus Feigheit? Aus der aufkeimenden Erkenntnis heraus, dass es da Menschen gibt, die von dieser Schuld wissen und ihn dennoch nicht verurteilt haben? Aus der plötzlichen Gewissheit heraus, dass sein Vater, dem die Wahrheit über alles ging, ihm so wichtiges vorenthalten hatte? Die Zerrissenheit Amirs ist fast greifbar....
Fazit: Grandios! Dieses war eines der bewegendsten, schönsten, ergreifendsten und sprachlich ansprechendsten Bücher, die ich seit langem oder sogar jemals gelesen habe.