Das Kieler Villenviertel Düsternbrook ist die ganze Welt. Hier wächst Axel behütet auf und fühlt sich doch oft fremd. Wie er versucht, sich zurechtzufinden und die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen, erzählt Axel Milberg mit Empathie, Humor und einem verträumten Ton. Als die populäre Theorie vom Wirken Außerirdischer die Stadt erreicht, scheint sie für Axel viele Merkwürdigkeiten zu erklären. Mit dem rätselhaften Verschwinden einiger Jungen wird die Heimat vollends unheimlich und der Wunsch auszubrechen übermächtig. Ein spannender Familien-, Adoleszenz- und Heimatroman, der die bürgerliche Welt als schützend und bedroht, liebevoll und düster darstellt.
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»Wunderbar fragil fügt (Axel Milberg) Szenen und Erinnerungen kaleidoskopartig zusammen, um zu ergründen, wie er als Kind, Jugendlicher, Student die Welt sah.« Hörzu 20190524
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.05.2019Der Junge mit dem Luftballon
Schmuddelkinder werden nicht geduldet, dafür gibt es Aliens und Schleckbrause in "Düsternbrook": Der Schauspieler Axel Milberg erinnert sich romanhaft an seine Kindheit in Kiel.
Axel Milberg spielt gern Figuren mit ein paar Macken oder schlimmeren Beschädigungen. Er war schon Killertunte mit hennaroten Haaren, Landarzt mit Blutphobie und natürlich Borowski, der eigenbrötlerische Kieler "Tatort"-Kommissar. Thomas Mann gehört eher nicht zu seinem Repertoire. "Düsternbrook" ist nicht der kleine Bruder der "Buddenbrooks", obwohl es auch hier um die Einsamkeit des heranwachsenden Künstlers in der bürgerlichen Krämerwelt geht. Milberg aber steht nicht am Ende einer langen Kette von Familientragödien und unaufhaltsamer Dekadenz und schreibt auch nie so gravitätisch ironisch wie der Herr aus Lübeck. "Düsternbrook" klingt nach Gothic Novel und ist tatsächlich unheimlich als Lebensform. Aber es ist keine Metapher, kein Bildungsroman, sondern das Villenviertel in Kiel, in dem der Autor aufwuchs. Und Milberg will weder Repräsentant noch Gewissen der Nation sein, sondern, als Kind wie als Kommissar, immer nur der stille, hellwache Beobachter am Rande. Die Menge ist ein Wasserkopf, und "wir sind was Besseres", das sog er schon mit der Muttermilch ein. Milberg ist zu stolz, eigensinnig und aufsässig, um mit der Masse mitzulaufen, aber er beobachtet das Leben der anderen mit Neugier, gespannter Aufmerksamkeit und leisem Witz und stellt es auch so dar; nach Bühne und Film jetzt auch im Buch und notfalls in Talkshows.
Adorf, Bierbichler, Berkel, Liefers, Meyerhoff, Tukur, sogar Andrea Sawatzki und Miroslav Nemec: Heute schreiben ja fast alle Schauspieler und namentlich Fernsehkommissare von Rang Romane oder wenigstens sachdienliche Kindheitserinnerungen. Die narzisstische Selbstbespiegelung in Künstleranekdoten, Kantinenklatsch und Kalenderweisheiten überlassen die Theaterprofis ungehobelten Gangsterrappern, Influencern und Profifußballern. Der noble Mime flicht sich lieber Kränze aus kreativer Authentizität und gesteigerter Lebenswahrheit. Oder wie es Matthias Brandt in seiner "Raumpatrouille" ausdrückte: "Alles, was ich erzähle, ist erfunden. Einiges davon habe ich erlebt."
Auch bei seinem Kommissarkollegen Milberg gehen Dichtung und Wahrheit, Erfundenes und Erlebtes munter durcheinander. Was Schauspiel und Rollenprosa, Inszenierung oder echte Ausdrucksnot ist, bleibt offen; es spielt aber auch eigentlich keine Rolle. Milbergs Vater war nicht gerade Bundeskanzler, aber ein bekannter Scheidungsanwalt in Kiel; den Werbeslogan "Kannst du deine Frau nicht leiden, geh zu Milberg, lass dich scheiden" hat aber wohl doch sein Sohn erfunden. Die Mutter tunkte mittags einmal den Kopf eines Suppenkasperkindes resolut in Spinat; ob es der Bruder oder die Schwester war, weiß Axel heute nicht mehr so genau.
Im Hause Milberg gingen Grafen, Generaldirektoren und weltläufige Dandys aus und ein; die vornehme Welt der Herrensitze, Salons und Treibjagden war Axel von Kindesbeinen an geläufig. Der kleine Junge lauscht atemlos Don Fernandos Geschichten von Krieg und Liebe in Mexiko und roch gern das "Pengföng" seines schwulen Patenonkels Carl-Oscar Ritter von Georg. Aber als 1956 geborenes Nachkriegskind kannte er auch die Abgründe und Ängste des Kleinbürgers, "Schnippedillerich" und andere verschämte Wörter für den Piephahn und später als Rebell ohne Grund den Überdruss an bundesdeutschem Spießertum und speziell norddeutscher Gefühlsarmut. 1968 kam für ihn zu früh, aber 1977 heftete Milberg sich dann einen RAF-Button an den Parka. Er hatte eine glückliche, behütete Kindheit, aber für ihn stand früh fest, dass er in Düsternbrook nicht bleiben konnte.
Düsternbrook war ein Idyll, ein Hort von Wohlstand, Sicherheit und Geborgenheit: "Es gab niemanden, der diese Welt hätte ändern wollen. Warum auch? So zu leben, wie wir lebten, wollten das nicht die meisten Menschen auf der Erde?" Aber Axel war ein sensibles, zu Verschwörungstheorien neigendes Kind, und damals lauerte Düsternis unter allen Treppen und Teppichen, die Gespenster einer unbewältigten Vergangenheit, das Grauen des Kriegs. Auch bei Milbergs wurden Schmuddelkinder nicht geduldet, Not und Tod, Geheimnis und Verbrechen beschwiegen und verdrängt. Dabei trieb sich im Wald doch ein Serienmörder herum, und Axels Freund Kalle verschwand einmal spurlos und hing Tage später übel zerschlagen an der Teppichstange von Frau Knüppel. Axel wird in seinen Albträumen von einem sadistischen Zwerg verfolgt. Ein Vortrag von Erich von Däniken erhärtet seinen Verdacht: Die Aliens leben längst mitten unter uns.
Er fühlt sich selbst oft als Außerirdischer, auch nach seinem Umzug nach Süden noch. München leuchtete, aber die Universität erwies sich als Missverständnis: "Wer Literatur liebt, sollte nicht Literaturwissenschaft studieren." Bleibt nur noch das Theater: "Das machen, was man will. Sich nicht schämen, für nichts mehr schämen." Mit vierzehn schreibt Milberg sein erstes Theaterstück ("Der Wilde Westen wie er wirklich war"), mit sechzehn hat er im Schultheater seinen ersten großen Auftritt als Apotheker Laberdan in Heinar Kipphardts "Die Stühle des Herrn Szmil". Mit neunzehn ermuntert ihn der große Gert Fröbe, seinen Traum von der Schauspielerei wahr zu machen. Im Theater ist alles möglich, auch das Dehnen, Zurückspulen und Anhalten der Zeit. Milbergs Kindheitserinnerungen schließen daher mit der Aufnahmeprüfung in der Otto-Falckenberg-Schule.
Alles ist in Milbergs hellwacher Erinnerung wieder da: der erste neugierige Blick aus dem Kinderwagen, das Barockzimmer im ersten Stock, die Aalverkäufer und Matchboxautos, Bäcker Iwersens Pflaumenkuchen, Frau Möllers Schleckbrause, Tante Irmis Rinderrouladen und natürlich Lilli, die erste große Liebe. Milberg beschreibt Düsternbrook samt Förde, Düster-Wald, Karstadt, Sternwarte, Psychiatrie und Tennisplätzen so exakt wie auf seinen Kinderzeichnungen im Umschlag. Sich selbst lässt er dabei eher im Dunkeln; schließlich will er seine Kindheitserlebnisse nicht mit den Worten und Wertungen des Erwachsenen verfälschen. Er trifft den naiven, staunenden Kinderblick von damals oft sehr gut, etwa wenn Klein-Axel eine Frau "auf vielleicht fünfunddreißig, mindestens aber sechzig" schätzt oder die Öffnungszeiten im Elternhaus benennt: "Papa hatte seine acht Stunden im Büro und mittags eine Stunde geschlossen, Mama hatte nie geschlossen". Aber wenn der Jüngling dann im klapprigen Peugeot 404 nach Frankreich fährt, um mit einer adjanihaften Francesca, viel Rotwein und Gitanes ein sommerlich-flirrendes "Oh là là"-Liebesglück zu erleben, verrutscht er, wahr oder nicht, doch ins Eric-Rohmer-Klischee.
"Düsternbrook" ist ein stilistisch und formal heterogenes Zwischending zwischen Roman, Memoir und Familienalbum. Es enthält, mal in Ich-, mal in Er-Form, Kindergeschichten, Schulanekdoten, Porträts, Milbergs Abiturrede, Radiodialoge, Traumprotokolle und nahezu kafkaeske Erzählungen. Das ist eine Menge an Sprüngen, Brüchen und schwarzen Löchern, aber eine kontinuierlich-kompakte Autobiographie will das Buch ja auch gar nicht sein. Milberg schreibt so trocken, nüchtern, ernst- und rätselhaft, wie er spielt, immer ein wenig verschmitzt, aber frei von bräsiger Nostalgie, Ironie und später Besserwisserei. Er stellt sein Licht unter den Scheffel und sonnt sich lieber selig in einem Strahlenkranz von Momentaufnahmen und Erinnerungssplittern. Das ewige Kind aus Düsternbrook ist nie ganz im Hellen oder gar im Zentrum des Geschehens, aber immer voll da. Auf dem schwarz-weißen Cover steht es breitbeinig verlegen, misstrauisch und trotzig vor einer Klinkerwand, auf dem Kopf eine Schiebermütze, im Mund ein Daumen, in der Hand ein roter Luftballon, fast wie bei Banksy. Wenn das Bild nicht echt ist, ist es jedenfalls gut erfunden.
MARTIN HALTER
Axel Milberg: "Düsternbrook". Roman.
Piper Verlag, München 2019. 283 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schmuddelkinder werden nicht geduldet, dafür gibt es Aliens und Schleckbrause in "Düsternbrook": Der Schauspieler Axel Milberg erinnert sich romanhaft an seine Kindheit in Kiel.
Axel Milberg spielt gern Figuren mit ein paar Macken oder schlimmeren Beschädigungen. Er war schon Killertunte mit hennaroten Haaren, Landarzt mit Blutphobie und natürlich Borowski, der eigenbrötlerische Kieler "Tatort"-Kommissar. Thomas Mann gehört eher nicht zu seinem Repertoire. "Düsternbrook" ist nicht der kleine Bruder der "Buddenbrooks", obwohl es auch hier um die Einsamkeit des heranwachsenden Künstlers in der bürgerlichen Krämerwelt geht. Milberg aber steht nicht am Ende einer langen Kette von Familientragödien und unaufhaltsamer Dekadenz und schreibt auch nie so gravitätisch ironisch wie der Herr aus Lübeck. "Düsternbrook" klingt nach Gothic Novel und ist tatsächlich unheimlich als Lebensform. Aber es ist keine Metapher, kein Bildungsroman, sondern das Villenviertel in Kiel, in dem der Autor aufwuchs. Und Milberg will weder Repräsentant noch Gewissen der Nation sein, sondern, als Kind wie als Kommissar, immer nur der stille, hellwache Beobachter am Rande. Die Menge ist ein Wasserkopf, und "wir sind was Besseres", das sog er schon mit der Muttermilch ein. Milberg ist zu stolz, eigensinnig und aufsässig, um mit der Masse mitzulaufen, aber er beobachtet das Leben der anderen mit Neugier, gespannter Aufmerksamkeit und leisem Witz und stellt es auch so dar; nach Bühne und Film jetzt auch im Buch und notfalls in Talkshows.
Adorf, Bierbichler, Berkel, Liefers, Meyerhoff, Tukur, sogar Andrea Sawatzki und Miroslav Nemec: Heute schreiben ja fast alle Schauspieler und namentlich Fernsehkommissare von Rang Romane oder wenigstens sachdienliche Kindheitserinnerungen. Die narzisstische Selbstbespiegelung in Künstleranekdoten, Kantinenklatsch und Kalenderweisheiten überlassen die Theaterprofis ungehobelten Gangsterrappern, Influencern und Profifußballern. Der noble Mime flicht sich lieber Kränze aus kreativer Authentizität und gesteigerter Lebenswahrheit. Oder wie es Matthias Brandt in seiner "Raumpatrouille" ausdrückte: "Alles, was ich erzähle, ist erfunden. Einiges davon habe ich erlebt."
Auch bei seinem Kommissarkollegen Milberg gehen Dichtung und Wahrheit, Erfundenes und Erlebtes munter durcheinander. Was Schauspiel und Rollenprosa, Inszenierung oder echte Ausdrucksnot ist, bleibt offen; es spielt aber auch eigentlich keine Rolle. Milbergs Vater war nicht gerade Bundeskanzler, aber ein bekannter Scheidungsanwalt in Kiel; den Werbeslogan "Kannst du deine Frau nicht leiden, geh zu Milberg, lass dich scheiden" hat aber wohl doch sein Sohn erfunden. Die Mutter tunkte mittags einmal den Kopf eines Suppenkasperkindes resolut in Spinat; ob es der Bruder oder die Schwester war, weiß Axel heute nicht mehr so genau.
Im Hause Milberg gingen Grafen, Generaldirektoren und weltläufige Dandys aus und ein; die vornehme Welt der Herrensitze, Salons und Treibjagden war Axel von Kindesbeinen an geläufig. Der kleine Junge lauscht atemlos Don Fernandos Geschichten von Krieg und Liebe in Mexiko und roch gern das "Pengföng" seines schwulen Patenonkels Carl-Oscar Ritter von Georg. Aber als 1956 geborenes Nachkriegskind kannte er auch die Abgründe und Ängste des Kleinbürgers, "Schnippedillerich" und andere verschämte Wörter für den Piephahn und später als Rebell ohne Grund den Überdruss an bundesdeutschem Spießertum und speziell norddeutscher Gefühlsarmut. 1968 kam für ihn zu früh, aber 1977 heftete Milberg sich dann einen RAF-Button an den Parka. Er hatte eine glückliche, behütete Kindheit, aber für ihn stand früh fest, dass er in Düsternbrook nicht bleiben konnte.
Düsternbrook war ein Idyll, ein Hort von Wohlstand, Sicherheit und Geborgenheit: "Es gab niemanden, der diese Welt hätte ändern wollen. Warum auch? So zu leben, wie wir lebten, wollten das nicht die meisten Menschen auf der Erde?" Aber Axel war ein sensibles, zu Verschwörungstheorien neigendes Kind, und damals lauerte Düsternis unter allen Treppen und Teppichen, die Gespenster einer unbewältigten Vergangenheit, das Grauen des Kriegs. Auch bei Milbergs wurden Schmuddelkinder nicht geduldet, Not und Tod, Geheimnis und Verbrechen beschwiegen und verdrängt. Dabei trieb sich im Wald doch ein Serienmörder herum, und Axels Freund Kalle verschwand einmal spurlos und hing Tage später übel zerschlagen an der Teppichstange von Frau Knüppel. Axel wird in seinen Albträumen von einem sadistischen Zwerg verfolgt. Ein Vortrag von Erich von Däniken erhärtet seinen Verdacht: Die Aliens leben längst mitten unter uns.
Er fühlt sich selbst oft als Außerirdischer, auch nach seinem Umzug nach Süden noch. München leuchtete, aber die Universität erwies sich als Missverständnis: "Wer Literatur liebt, sollte nicht Literaturwissenschaft studieren." Bleibt nur noch das Theater: "Das machen, was man will. Sich nicht schämen, für nichts mehr schämen." Mit vierzehn schreibt Milberg sein erstes Theaterstück ("Der Wilde Westen wie er wirklich war"), mit sechzehn hat er im Schultheater seinen ersten großen Auftritt als Apotheker Laberdan in Heinar Kipphardts "Die Stühle des Herrn Szmil". Mit neunzehn ermuntert ihn der große Gert Fröbe, seinen Traum von der Schauspielerei wahr zu machen. Im Theater ist alles möglich, auch das Dehnen, Zurückspulen und Anhalten der Zeit. Milbergs Kindheitserinnerungen schließen daher mit der Aufnahmeprüfung in der Otto-Falckenberg-Schule.
Alles ist in Milbergs hellwacher Erinnerung wieder da: der erste neugierige Blick aus dem Kinderwagen, das Barockzimmer im ersten Stock, die Aalverkäufer und Matchboxautos, Bäcker Iwersens Pflaumenkuchen, Frau Möllers Schleckbrause, Tante Irmis Rinderrouladen und natürlich Lilli, die erste große Liebe. Milberg beschreibt Düsternbrook samt Förde, Düster-Wald, Karstadt, Sternwarte, Psychiatrie und Tennisplätzen so exakt wie auf seinen Kinderzeichnungen im Umschlag. Sich selbst lässt er dabei eher im Dunkeln; schließlich will er seine Kindheitserlebnisse nicht mit den Worten und Wertungen des Erwachsenen verfälschen. Er trifft den naiven, staunenden Kinderblick von damals oft sehr gut, etwa wenn Klein-Axel eine Frau "auf vielleicht fünfunddreißig, mindestens aber sechzig" schätzt oder die Öffnungszeiten im Elternhaus benennt: "Papa hatte seine acht Stunden im Büro und mittags eine Stunde geschlossen, Mama hatte nie geschlossen". Aber wenn der Jüngling dann im klapprigen Peugeot 404 nach Frankreich fährt, um mit einer adjanihaften Francesca, viel Rotwein und Gitanes ein sommerlich-flirrendes "Oh là là"-Liebesglück zu erleben, verrutscht er, wahr oder nicht, doch ins Eric-Rohmer-Klischee.
"Düsternbrook" ist ein stilistisch und formal heterogenes Zwischending zwischen Roman, Memoir und Familienalbum. Es enthält, mal in Ich-, mal in Er-Form, Kindergeschichten, Schulanekdoten, Porträts, Milbergs Abiturrede, Radiodialoge, Traumprotokolle und nahezu kafkaeske Erzählungen. Das ist eine Menge an Sprüngen, Brüchen und schwarzen Löchern, aber eine kontinuierlich-kompakte Autobiographie will das Buch ja auch gar nicht sein. Milberg schreibt so trocken, nüchtern, ernst- und rätselhaft, wie er spielt, immer ein wenig verschmitzt, aber frei von bräsiger Nostalgie, Ironie und später Besserwisserei. Er stellt sein Licht unter den Scheffel und sonnt sich lieber selig in einem Strahlenkranz von Momentaufnahmen und Erinnerungssplittern. Das ewige Kind aus Düsternbrook ist nie ganz im Hellen oder gar im Zentrum des Geschehens, aber immer voll da. Auf dem schwarz-weißen Cover steht es breitbeinig verlegen, misstrauisch und trotzig vor einer Klinkerwand, auf dem Kopf eine Schiebermütze, im Mund ein Daumen, in der Hand ein roter Luftballon, fast wie bei Banksy. Wenn das Bild nicht echt ist, ist es jedenfalls gut erfunden.
MARTIN HALTER
Axel Milberg: "Düsternbrook". Roman.
Piper Verlag, München 2019. 283 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main