»Schließlich hob Toni die transparente Tüte an, in der das Foto steckte. Als er es umdrehte und der Frau ins Gesicht blickte, stockte ihm der Atem. Für einen Moment stand die Welt still, kein Laut drang zu ihm durch. Auch wenn die katzengrünen Augen verweint waren, auch wenn sich die Flügel ihrer
feinen Nase blähten, auch wenn sie ihre Lippen schürzte, konnte es keinen Zweifel geben. Er hatte ihr…mehr»Schließlich hob Toni die transparente Tüte an, in der das Foto steckte. Als er es umdrehte und der Frau ins Gesicht blickte, stockte ihm der Atem. Für einen Moment stand die Welt still, kein Laut drang zu ihm durch. Auch wenn die katzengrünen Augen verweint waren, auch wenn sich die Flügel ihrer feinen Nase blähten, auch wenn sie ihre Lippen schürzte, konnte es keinen Zweifel geben. Er hatte ihr schönes Antlitz sofort wiedererkannt. Das war nicht die Ehefrau des Mordopfers, das war seine eigene Ehefrau, das war Sofie.«
Schon einmal hatte für Hauptkommissar Toni Sanftleben die Welt stillgestanden: Sechzehn Jahre zuvor, sechzehn Jahre bevor er in der Brieftasche eines aufgefundenen Mordopfers das Foto seiner Frau Sofie fand, war diese während eines wunderschönen gemeinsamen Abends auf dem Baumblütenfest in Werder spurlos verschwunden. Seit diesem verhängnisvollen Abend war Tonis Leben von der Suche nach Sofie bestimmt, er hatte keinen Stein auf dem anderen gelassen, Himmel und Hölle in Bewegung versetzt. Und nun dieses Foto in der Tasche eines Mordopfers!
Toni ist klar, dass er sich wegen Befangenheit aus diesem Fall heraushalten müsste, doch passiv auf andere Menschen zu vertrauen, ist nicht sein Ding. Und eins ist ihm klar: Findet er den Täter, findet er auch endlich einen Hinweis darauf, was mit seiner Frau geschehen ist.
»Toni griff sich an die Wange und stellte fest, dass seine Fingerspitzen nass waren. Er hätte nicht gedacht, dass er noch weinen konnte. In den vergangenen sechzehn Jahren war er zu einem Funktionszombie geworden, aber jetzt, in diesem Moment, löste sich ein Klumpen in ihm.«
Interessant! Der Ansatz dieses Krimis war mal ein ganz anderer, allein das war schon reizvoll. Aber auch die Umsetzung brachte Spannung und Überraschungen, was den Krimigenuss richtig rund machte. Ich habe praktisch von der ersten Seite an gerätselt und spekuliert, die wildesten gedanklichen Szenarien inszeniert und durfte mich trotzdem von der Auflösung überraschen lassen. Klasse, so muss es sein!
Natürlich geht es nicht nur um den Fall (der übrigens herrlich verstrickt ist und ein ordentliches Ausmaß erlangt), sondern auch Tonis Privatleben ist ein Schwerpunkt. Wie lebt er schon seit so vielen Jahren mit einer solchen Ungewissheit? Zumal er und Sofie zum Zeitpunkt ihres Verschwindens einen erst einjährigen Sohn hatten, den er nun alleine großziehen musste. Mit dem nun 17jährigen Aroon gibt es einige Vater-Sohn-Konflikte, die ich besonders gut beschrieben fand.
Tim Pieper, dessen historische Krimis ich liebe, konnte mich auch mit seinem ersten Gegenwartskrimi überzeugen. Ich würde mich freuen, wenn es weitere Fälle für Toni geben würde.
Fazit: Spannend und bis zum Ende überraschend – das freut das Herz des Krimifreunds :)