Winter 1963. An einem frostigen Dezembertag verschwindet ein dreizehnjähriges Mädchen spurlos aus dem abgeschiedenen Dorf Scardale in Derbyshire: Ahson Carter, die Stieftochter des Gutsherrn. Der junge Inspector George Bennett erhofft sich den ersten spektakulären Ermittlungserfolg seiner Laufbahn. Doch im Dorf Scardale, wo die Zeit stehengeblieben zu sein scheint, herrscht Mißtrauen - und tiefes Schweigen.Von Stunde zu Stunde, von Woche zu Woche mehren sich die Zeichen, daß Alison brutal ermordet wurde. Doch erst nach Monaten hartnäckigen Suchens und einem aufwühlenden Prozeß wird George Bennett den Fall zu den Akten legen - mit mehr offenen Fragen auf der Seele, als ihm lieb ist.Jahrzehnte später, im Jahre 1998, entschließt sich die junge Journalistin Catherine Heathcote, die Geschichte des berühmten "Mordfalls ohne Leiche" in einem Buch aufzuzeichnen. Kaum aber hat sie ihr Manuskript abgeschlossen, geschieht etwas völlig Unerwartetes: George Bennett verbietet die Veröffentlichung. Catherine wird von jetzt an selbst ermitteln und auf eine Wahrheit stoßen, die zerstörerisch ist - eine Wahrheit, die Leben vernichten oder aber retten kann. Die Entscheidung hegt bei ihr ...-
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.05.2000Geheimnisse von Scardale
Val McDermids Sechshundert-Seiten-Krimi
Man mag es nicht für Zufall halten: Kurz nacheinander erreichten uns zwei umfängliche Kriminalromane, die alles andere sind als hektische Thriller. Großangelegte epische Unternehmungen bescheren uns ein Paradox: Beide nehmen sechshundert Seiten ein, und beide nehmen uns den Atem.
Im Mittsommermord jagt Henning Mankells Kommissar Wallander aus Schweden mal wieder einen seiner düster kaputten Serienkiller. Mit Ein Ort für die Ewigkeit führt uns Val McDermid in ein Zwanzig-Seelen-Dorf im Norden Englands, in eine noch sehr viel mehr verstörende Welt von Racheschwüren und Inzest in der Einöde. Ystad und Scardale – zwei von der Phantasie ausgeheckte, will sagen: absolut realistische Mini-Biotope für Schuld und Sühne, mehr für Hass als für Liebe.
Wir müssen zweimal nach Scardale, in diesen im Deutschen so genannten „Ort für die Ewigkeit”; 1963 und 1998. Val McDermid will es so. Sie konzipiert ihre Rätsel-Story in zwei Teilen. Im ersten verschwindet Alison Carter, 13-jährig und Stieftochter des allmächtigen Gutsherren, spurlos, wie im Nichts. Der noch junge und sehr ehrgeizige Inspektor George Bennett übernimmt den Fall und fährt an einem frostigen Dezembertag ins Abgelegene. „Im fahlen Mondlicht sah George Felder mit üppigem Weideland. . . Schafe drückten sich gegen die Felswände, ihr Atem bildete kleine Dampfwolken in der eiskalten Luft. Dunklere Flecken erwiesen sich als kleine Waldstücke. George hatte so etwas noch nie gesehen. Es war eine geheimnisvolle, verborgene und abgeschiedene Welt. ”
Der erste Eindruck trifft und führt ins Schwarze. In diesem Kaff am Ende der Welt sind Nachforschungen unbeliebt, Fremde als Eindringlinge verhasst. Alle haben etwas zu verbergen. Alle sind miteinander versippt. Das zeigt eine Planskizze, die wie ein Relikt aus klassischen Agatha-Christie-Tagen als Orientierungshilfe dient: Neun Häuser, darunter das hochherrschaftliche „Scardale Manor”, gruppieren sich um einen Dorfplatz, auf dem die Zelle mit dem einzigen Telefon des Ortes steht. Die Mauer des Schweigens ist hoch. Bald kriegt sie, weil Bennett so leidenschaftlich nachfragt, Risse und Löcher. Alle Spuren deuten auf das Schlimmste: Vergewaltigung und Mord. Ein Schuldiger wird gefunden und rechtskräftig verurteilt; nur eine Leiche wird nicht gefunden.
Da sind gut zwei Drittel der Geschichte erzählt. Doch wenn ein Buch sechshundert Seiten hat und auf Seite 400 ein grässlicher Prozess mit einem eindeutigen Urteil beendet wird, weiss man: „Das kann doch nicht alles gewesen sein. ” Genau so ist es. 35 Jahre später rollt eine junge Journalistin, in der Recherche so ehrgeizig wie einst der Mann von der Polizei, den Fall noch einmal auf. Der neue Einstieg ist so willkommen wie raffiniert; kann die Autorin doch nun, nach dem Wechsel der Erzählperspektive, ihr erbarmungsloses Spiel mit den Lesern weitertreiben. Die erfahren immer genau so viel, dass sie den Faden nicht verlieren, aber nie genug, um den wahren Zusammenhängen auf die Spur zu kommen.
Die Lektüre von Krimis wird einem oft durch die dummschlaue Ankündigung vermiest, dass am Schluss eine Riesenüberraschung – Unschuldsengel in Wahrheit Teufelin! – auf den Leser warte. Bei Val McDermid ist das anders. Sie hat nicht nur eine, sondern, ganz im Sinne von Billy Wilders Zeugin der Anklage, zwei Schlusspointen parat, und weil sie das Ganze so sorgfältig konstruiert hat, braucht sie nur wenige Seiten, und alle Puzzle-Teile fügen sich zum schönen, also schrecklichen Bild.
Die Übersetzung von Doris Styron hat immer da ihre Meriten, wo verkarstete Landschaften beschrieben, saloppe oder drängende, auch schwarzhumorige Gespräche geführt werden. Umständliches, ja Unverständliches macht einem beim lesen immer dann zu schaffen, wenn deutsch-verschachtelte Satzungetüme dies angelsächsische Ausgeruhte des Tonfalls torpedieren. Mit den Problemen des „You” kommt Doris Styron besser klar. Sie macht mit viel Gehör und Gespür kenntlich, wann ein „Du” sich verbietet, wann es selbstverständlich ist und wie es möglich wird, wenn im Laufe der langen Geschichte die Hierarchien aufweichen. In Ermessensfragen hilft die anglophile, einem on dit zufolge im Kosmos der Zeit-Redaktion unumgängliche Anrede mit Vornamen und Sie.
Sorgen macht nur der Titel. Im Deutschen also heißt das Buch Ein Ort für die Ewigkeit, und das klingt so verwaschen poetisch wie bildschirmtauglich. Das originale A Place Of Execution ist sehr viel konkreter, unerbittlicher, angemessener. Außerdem folgt es den Spuren Chandlers, der gern schon im Titel einen Hinweis auf die Lösung versteckt. Wer ist sie wirklich, diese „Lady im See”? Wie harmlos ist die „Kleine Schwester”? Fällt da jemand aus dem „Hohen Fenster” oder wird er „gestoßen”, und vor allem: Wie lang ist dieser „Lange Abschied”?
WERNER BURKHARDT
VAL McDERMID: Ein Ort für die Ewigkeit. Roman. Aus dem Englischen von Doris Styron. Droemer Verlag, München 2000. 588 Seiten, 39,90 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Val McDermids Sechshundert-Seiten-Krimi
Man mag es nicht für Zufall halten: Kurz nacheinander erreichten uns zwei umfängliche Kriminalromane, die alles andere sind als hektische Thriller. Großangelegte epische Unternehmungen bescheren uns ein Paradox: Beide nehmen sechshundert Seiten ein, und beide nehmen uns den Atem.
Im Mittsommermord jagt Henning Mankells Kommissar Wallander aus Schweden mal wieder einen seiner düster kaputten Serienkiller. Mit Ein Ort für die Ewigkeit führt uns Val McDermid in ein Zwanzig-Seelen-Dorf im Norden Englands, in eine noch sehr viel mehr verstörende Welt von Racheschwüren und Inzest in der Einöde. Ystad und Scardale – zwei von der Phantasie ausgeheckte, will sagen: absolut realistische Mini-Biotope für Schuld und Sühne, mehr für Hass als für Liebe.
Wir müssen zweimal nach Scardale, in diesen im Deutschen so genannten „Ort für die Ewigkeit”; 1963 und 1998. Val McDermid will es so. Sie konzipiert ihre Rätsel-Story in zwei Teilen. Im ersten verschwindet Alison Carter, 13-jährig und Stieftochter des allmächtigen Gutsherren, spurlos, wie im Nichts. Der noch junge und sehr ehrgeizige Inspektor George Bennett übernimmt den Fall und fährt an einem frostigen Dezembertag ins Abgelegene. „Im fahlen Mondlicht sah George Felder mit üppigem Weideland. . . Schafe drückten sich gegen die Felswände, ihr Atem bildete kleine Dampfwolken in der eiskalten Luft. Dunklere Flecken erwiesen sich als kleine Waldstücke. George hatte so etwas noch nie gesehen. Es war eine geheimnisvolle, verborgene und abgeschiedene Welt. ”
Der erste Eindruck trifft und führt ins Schwarze. In diesem Kaff am Ende der Welt sind Nachforschungen unbeliebt, Fremde als Eindringlinge verhasst. Alle haben etwas zu verbergen. Alle sind miteinander versippt. Das zeigt eine Planskizze, die wie ein Relikt aus klassischen Agatha-Christie-Tagen als Orientierungshilfe dient: Neun Häuser, darunter das hochherrschaftliche „Scardale Manor”, gruppieren sich um einen Dorfplatz, auf dem die Zelle mit dem einzigen Telefon des Ortes steht. Die Mauer des Schweigens ist hoch. Bald kriegt sie, weil Bennett so leidenschaftlich nachfragt, Risse und Löcher. Alle Spuren deuten auf das Schlimmste: Vergewaltigung und Mord. Ein Schuldiger wird gefunden und rechtskräftig verurteilt; nur eine Leiche wird nicht gefunden.
Da sind gut zwei Drittel der Geschichte erzählt. Doch wenn ein Buch sechshundert Seiten hat und auf Seite 400 ein grässlicher Prozess mit einem eindeutigen Urteil beendet wird, weiss man: „Das kann doch nicht alles gewesen sein. ” Genau so ist es. 35 Jahre später rollt eine junge Journalistin, in der Recherche so ehrgeizig wie einst der Mann von der Polizei, den Fall noch einmal auf. Der neue Einstieg ist so willkommen wie raffiniert; kann die Autorin doch nun, nach dem Wechsel der Erzählperspektive, ihr erbarmungsloses Spiel mit den Lesern weitertreiben. Die erfahren immer genau so viel, dass sie den Faden nicht verlieren, aber nie genug, um den wahren Zusammenhängen auf die Spur zu kommen.
Die Lektüre von Krimis wird einem oft durch die dummschlaue Ankündigung vermiest, dass am Schluss eine Riesenüberraschung – Unschuldsengel in Wahrheit Teufelin! – auf den Leser warte. Bei Val McDermid ist das anders. Sie hat nicht nur eine, sondern, ganz im Sinne von Billy Wilders Zeugin der Anklage, zwei Schlusspointen parat, und weil sie das Ganze so sorgfältig konstruiert hat, braucht sie nur wenige Seiten, und alle Puzzle-Teile fügen sich zum schönen, also schrecklichen Bild.
Die Übersetzung von Doris Styron hat immer da ihre Meriten, wo verkarstete Landschaften beschrieben, saloppe oder drängende, auch schwarzhumorige Gespräche geführt werden. Umständliches, ja Unverständliches macht einem beim lesen immer dann zu schaffen, wenn deutsch-verschachtelte Satzungetüme dies angelsächsische Ausgeruhte des Tonfalls torpedieren. Mit den Problemen des „You” kommt Doris Styron besser klar. Sie macht mit viel Gehör und Gespür kenntlich, wann ein „Du” sich verbietet, wann es selbstverständlich ist und wie es möglich wird, wenn im Laufe der langen Geschichte die Hierarchien aufweichen. In Ermessensfragen hilft die anglophile, einem on dit zufolge im Kosmos der Zeit-Redaktion unumgängliche Anrede mit Vornamen und Sie.
Sorgen macht nur der Titel. Im Deutschen also heißt das Buch Ein Ort für die Ewigkeit, und das klingt so verwaschen poetisch wie bildschirmtauglich. Das originale A Place Of Execution ist sehr viel konkreter, unerbittlicher, angemessener. Außerdem folgt es den Spuren Chandlers, der gern schon im Titel einen Hinweis auf die Lösung versteckt. Wer ist sie wirklich, diese „Lady im See”? Wie harmlos ist die „Kleine Schwester”? Fällt da jemand aus dem „Hohen Fenster” oder wird er „gestoßen”, und vor allem: Wie lang ist dieser „Lange Abschied”?
WERNER BURKHARDT
VAL McDERMID: Ein Ort für die Ewigkeit. Roman. Aus dem Englischen von Doris Styron. Droemer Verlag, München 2000. 588 Seiten, 39,90 Mark.
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Ein Rätsel und Lehrstück zugleich
Ein Lehr- ja ein Schauerstück über die Fragwürdigkeit logischer Schlussfolgerungen. Menschen und Dinge sind nicht das, was sie zu sein scheinen - einige jedenfalls.
Mit großem Geschick ordnet Val McDermid die Mosaiksteine der Handlung zu einem stimmigen Bild, schüttelt sie durcheinander, und ein neues Szenario erscheint, ebenso glaubwürdig wie das erste - und das ist noch nicht das Ende der Geschichte. Wie alle wirklich guten Krimis ist jedoch auch dieser mehr als nur ein raffiniert verschachteltes Ratespiel - Whodunit?
Ex-Journalistin McDermid recherchiert und berichtet von der Kriegsfront einer kleinen, humanen Gemeinschaft und das versöhnliche Ende entlastet uns nur ein weniges von dem Wissen, dass - entkleidet von Ort und Zeit - der Schrecken von Scardale auch bei uns um die Ecke haust.
(Michaela Pelz, www.krimi-forum.de)
Ein Lehr- ja ein Schauerstück über die Fragwürdigkeit logischer Schlussfolgerungen. Menschen und Dinge sind nicht das, was sie zu sein scheinen - einige jedenfalls.
Mit großem Geschick ordnet Val McDermid die Mosaiksteine der Handlung zu einem stimmigen Bild, schüttelt sie durcheinander, und ein neues Szenario erscheint, ebenso glaubwürdig wie das erste - und das ist noch nicht das Ende der Geschichte. Wie alle wirklich guten Krimis ist jedoch auch dieser mehr als nur ein raffiniert verschachteltes Ratespiel - Whodunit?
Ex-Journalistin McDermid recherchiert und berichtet von der Kriegsfront einer kleinen, humanen Gemeinschaft und das versöhnliche Ende entlastet uns nur ein weniges von dem Wissen, dass - entkleidet von Ort und Zeit - der Schrecken von Scardale auch bei uns um die Ecke haust.
(Michaela Pelz, www.krimi-forum.de)