„Walter war eine hochbetagte Ratte. Er lebte bei der Schriftstellerin Amanda Pomeroy. Miss Pomeroy wusste nicht, dass Walter bei ihr wohnte, denn er ließ sich nur nachts blicken, Walter jedoch gefiel Miss Pomeroys Haus am besten von allen Häusern, in denen er sich je aufgehalten hatte. Das lag
daran, dass sie Schriftstellerin war und Hunderte von Büchern besaß.
Aus Gründen, die er nicht zu…mehr„Walter war eine hochbetagte Ratte. Er lebte bei der Schriftstellerin Amanda Pomeroy. Miss Pomeroy wusste nicht, dass Walter bei ihr wohnte, denn er ließ sich nur nachts blicken, Walter jedoch gefiel Miss Pomeroys Haus am besten von allen Häusern, in denen er sich je aufgehalten hatte. Das lag daran, dass sie Schriftstellerin war und Hunderte von Büchern besaß.
Aus Gründen, die er nicht zu erklären wusste, war Walter mit einer besonderen Fähigkeit auf die Welt gekommen – er konnte lesen. Ihm war noch keine andere Ratte begegnet, die über diese Fähigkeit verfügte, er aber konnte seit dem Tag, an dem er seine Augen aufgeschlagen hatte, gedruckte Worte entziffern. In jungen Jahren hatte er in der Nähe der städtischen Müllhalde gelebt und dort ein vollständiges Taschenwörterbuch sowie zwei Bücher eines gewissen Sir Walter Scott gelesen. Wie die meisten Ratten besaß er keinen eigenen Namen, doch an jenem Tag beschloss er, sich selbst Walter zu taufen. Scott war offenbar ein bedeutender Mann, denn seine Bücher waren zwar zerfleddert, aber in Leder gebunden. Walter fraß den größten Teil des Leders, ließ jedoch die Buchseiten unversehrt.
Danach las er, was immer ihm unter die Augen kam – Comic-Heftchen, Liebesromane und ein Buch mit Abhandlungen eines Mannes namens Leonard Woolf. Walter hatte einen Gruselroman von Stephen King gelesen und drei Gedichte von Edna St. Vincent Millay, den letzten Akt eines Theaterstücks von Tennessee Williams und eine Biografie über Eleanor Roosevelt, die Gattin eines früheren amerikanischen Präsidenten. Die Beliebigkeit dieser Auswahl war nicht seine Schuld. Er las, was er sich vom Müll beschaffen konnte oder vom Flohmarkt der Bücherei, der im Frühling draußen veranstaltet wurde.“
Bücher sind Walters Leben. Wie glücklich ist er also, dass ihn der Zufall in das Haus einer Schriftstellerin geführt hat, in der eine riesige Bibliothek darauf wartet, von ihm – heimlich, nachts – gelesen zu werden. Dabei ist er überaus vorsichtig und darauf bedacht, nicht gesehen zu werden. Schließlich ist er schon eine sehr alte Ratte und hat in seinem Leben reichlich Erfahrungen gesammelt. Was ihn traurig machte, war, dass die Menschen Ratten so verabscheuten…
"Walter hatte niemals verstanden, weshalb sein Anblick und der seiner Artgenossen den Menschen derartige Abscheu einflößte. Es waren doch dieselben Leute, die Hamster und Meerschweinchen als Haustiere hielten. Dieselben Kinder, die weiße Mäuse liebten. Es waren ebendiese Leute, die Eichhörnchen im Park fütterten und kleine Hündchen an der Leine spazieren führten. Wäre es nach Walter gegangen, so hätte man alle Tiere gleichermaßen wichtig nehmen sollen.“
Als Walter bei einem seiner nächtlichen Lesestreifzüge herausfindet, dass Miss Pomeroy eine Kinderbuchreihe geschrieben hat, deren Helden ausgerechnet Mäuse sind, ist er wie vom Donner gerührt. Doch dies wäre keine schöne Weihnachtsgeschichte, wenn es nicht für Walter ein gutes Ende geben würde…
Eine herrliche Geschichte ist das! Das Buch wohnt schon einige Jahre bei mir und ich hole es in jeder Weihnachtszeit hervor und lese es. Warmherzig und humorvoll ist es genau richtig für einen gemütlichen Abend und für Leser (fast) jeden Alters geeignet. Jüngeren Lesern wird einfach die Geschichte dieser ausgesprochen liebenswerten Ratte gefallen, wer schon Gelegenheit hatte, einige „Lesenserfahrung“ zu sammeln, wird sich über die vielen eingestreuten Hinweise auf Bücher und Schriftsteller freuen. Dazu gibt es wunderschöne schwarzweiß-Zeichnungen – wer danach immer noch eine Abneigung gegen Ratten hat, dem ist absolut nicht zu helfen. Auch die Sprache ist für jeden geeignet, vollbringt den Kunstgriff, Kindern verständlich zu sein und gleichzeitig erwachsenen Lesern zu gefallen.
Fazit: Wer also jetzt noch eine nette und stimmungsvolle Weihnachtsgeschichte sucht, dem möchte ich dieses Buch ans Herz legen. Es hat nur 60 Seiten, belastet also keinen SuB und ist einfach schön.