Als Elyssa, Gründerin und Königin von Karthago, auf eine Gruppe Schiffbrüchige trifft, erkennt sie im trojanischen Helden Aeneas, der aus seiner Heimat fliehen musste, ihr eigenes Schicksal. Unter der Regie von Eros entflammt eine Liebe zwischen den beiden, und sie träumen davon, Karthago in eine florierende Stadt ohne Gewalt, Niedertracht und Leid zu verwandeln. Doch die Götter haben andere Pläne und stellen Aeneas vor eine schwierige Entscheidung.
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»Eine glänzende Unterhalterin.« Rüdiger Schaper / Der Tagesspiegel Der Tagesspiegel
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Rezensentin Nora Karches ist überhaupt nicht enttäuscht, dass Irene Vallejo in ihrer Prosafassung von Aeneas und Dido keine moderne Motivdeutung vornimmt, sondern ganz nah am antiken Stoff und an Vergils "schwermütigem Ernst" und "hohem Ton" bleibt. Im Gegenteil: Karches schwelgt in der Tragik der behandelten Liebe. Und dann entdeckt sie doch eine Besonderheit. Vallejo zeichnet Dido als verletztliche Frau und Aeneas als traumatisierten Krieger, stellt sie fest. Eine Gegendarstellung aber ist das nicht, meint sie, auch wenn Vallejo Menschen statt Helden zeigt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2024Immer schön mit den Unterdrückten fühlen
Irene Vallejo wurde mit "Papyrus" berühmt, doch die Liebe zur Antike ist schon älter, wie "Elyssa" zeigt
Wie schon bei Hegel, so löst auch in Georg Lukács' "Theorie des Romans" (1916) die moderne Gattung des Romans das klassische Epos ab, das, so Lukács, noch nicht Ausdruck des Individuums, sondern einer geschlossenen Totalität des Kosmos und des Schicksals einer Gemeinschaft war. Diese Idee eines überindividuellen, ursprünglich mündlich vorgetragenen Epos wird in der westlichen Literatur eigentlich nur durch die homerischen Epen verkörpert. Bereits die "Aeneis" Vergils ist eine Art Kunstepos, das Produkt eines Autors, der seinen Text in bewussten Dialog mit der "Ilias" und der "Odyssee" brachte. Spätestens seit Vergil ist die Epik eine in hohem Maße intertextuelle Gattung, bei der die Leser aufgerufen sind, Anspielungen und Variationen von Motiven zu erkennen.
In "Elyssa - Königin von Karthago" transponiert die spanische Autorin Irene Vallejo Vergils "Aeneis", vor allem deren bekannteste Episode, die von der tragischen Liebesgeschichte zwischen Aeneas und Dido handelt, in die Form eines Romans. Bezeichnenderweise ist diese Affäre der Karthagerkönigin (ihr ursprünglicher Name war Elyssa) mit dem Schiffbrüchigen Aeneas selbst bereits eine Erfindung des römischen Dichters, die er mit der historischen Legende kombinierte und so aus der keuschen Witwe (ihr Ehemann Sychaeus wurde von ihrem Bruder Pygmalion, dem König von Tyros, ermordet) die unglückliche Frau macht, die in ihrer Leidenschaft für Aeneas "die Zeichen der alten Flamme" (IV. 32) der Liebe erkennt - und die schließlich, als Aeneas das Gestade Karthagos verlässt, in den Flammen des Feuers Selbstmord begeht.
Gerade diese Episode, das Zurücklassen der Karthagerkönigin durch Aeneas im Dienst einer höheren Bestimmung, der Gründung Roms, wurde in Mittelalter und Früher Neuzeit immer wieder aufgerufen und neu interpretiert, als ein der teleologischen Ausrichtung des imperialen Epos gegenläufiges Prinzip, so etwa bei Chaucer, Ariosto, Tasso, Spenser, in einem Drama Christopher Marlowes oder schließlich in der Oper Henry Purcells. Durchaus reizvoll ist es also, diesen epischen Stoff auch aus moderner Perspektive wiederzuerzählen - als Roman. Solche Adaptionen von Stoffen der antiken Literatur und Mythologie erfreuen sich derzeit großer Beliebtheit, zumal wenn es darum geht, den Fokus verstärkt auf die weiblichen Figuren zu richten, wie es in etwa in dem Bestseller "Ich bin Circe" von Madeline Miller der Fall ist.
In "Elyssa" treten als alternierende Ich-Erzähler der Kapitel auf: Aeneas, Elyssa, Ana (Elyssas Schwester) und der Gott Eros. Weitere Kapitel, mit dem Namen Vergils überschrieben, werden in der dritten Person erzählt. Wie sprechen nun die Figuren der "Aeneis" in der Version von Vallejo? Manchmal knüpfen sie in Rede und Stil direkt an das Vorbild an, wenn etwa Aeneas den Wortlaut aus Aeneis VI. 853 ("parcere subiectis et debellare superbos") übernimmt: "Und wenn die Kräfte ausreichen, wird meine Aufgabe darin bestehen, dort, wo ich eine friedvolle Heimstatt für meine Leute finde, den Hochmütigen niederzuzwingen und stets mit den Unterdrückten zu fühlen." Zumeist aber beschreiben die Figuren ihr unmittelbares Erleben und geben dabei Dialoge wieder. Vallejos Sprache, deren einfache Hauptsätze insgesamt eine Balance zwischen lyrischem Rhythmus und Alltagsprosa anstreben, kippt manchmal in eine wohl beabsichtigte Komik um, etwa wenn Aeneas' Sohn Iulus sich nach seinem Großvater erkundigt: "Wo ist eigentlich Opa? Kommt er bald zu uns?" Die Antwort: "Opa Anchises ist auf Sizilien gestorben, Iulus, weißt du das nicht mehr?" Pathos und Parodie, Aktualisierung und Banalisierung liegen oft eng beieinander, aber Vallejos multiperspektivische Darstellung entwickelt zweifellos eine dynamische, fließende Erzählung, die die Leidenschaften und Sichtweisen der Figuren ins Zentrum stellt und somit den Stoff Vergils neu beleuchtet.
Dem Gott Eros obliegt die Aufgabe, eine Liebe zwischen Aeneas und Dido zu entfachen (in der "Aeneis" waren hierfür die Göttinnen Venus als Aeneas' Mutter und Juno zuständig), und natürlich hat er auch einen Einblick in die Befindlichkeit des Helden: "Er ist es müde, zu fliehen und irgendwohin verschlagen zu werden, es kostet ihn viel Kraft, die Last des großen Reiches zu tragen, das er der Prophezeiung nach zu gründen hat. Ich flöße ihm den Wunsch ein, Unterschlupf zu finden, löse seine Muskeln, schwäche seine Pläne." Vallejo nimmt sich Freiheiten und entwickelt Aspekte, die bei Vergil höchstens angedeutet waren. So kommt es am Hofe Elyssas zu einer Verschwörung ihrer Ratgeber, die durch den Argwohn gegenüber den hier zunächst gastfreundlich aufgenommenen Trojanern beflügelt wird. Insbesondere die Figur von Ana wird weiterentwickelt: Hier ist sie eine junge Priesterin, die sich mit Iulus befreundet und davon träumt, mit ihm und Aeneas aufzubrechen.
Auch legt der Roman eine gewisse Parallele zwischen Vergil und seinem epischen Helden nahe. Während Aeneas mit seinem göttlichen Auftrag hadert, erscheint Vergil als ein Autor, der sich nur zögerlich in den Auftrag einer literarischen Glorifizierung des Herrschers Augustus fügt, womit die inneren Spannungen innerhalb seines epischen Gedichts erklärt werden: "Der Kaiser wird seine ersehnte Würdigung bekommen, aber das Epos wird die rebellische Melodie allen unerfüllten Strebens bergen." Damit klingt an, was Lukács als die "Grundgesinnung des Romans" gesehen hat, nämlich dass seine Protagonisten Suchende seien. Bei Vallejo geht es Aeneas darum, "meinen Weg zu finden", der Dichter hat am Schluss "meine Stimme gefunden". Solche Formen der Psychologisierung des Epischen sowie Themen wie die Aufnahme von Flüchtlingen und das Leiden des Krieges dienen der Autorin einer behutsamen - aber letztlich auch nicht besonders aufregenden - Modernisierung des Stoffes, wobei sich die Autorin, als leidenschaftliche Kennerin der antiken Literatur, auch anderer Texte bedient hat. Vallejos großer internationaler Sachbuch-Erfolg "Papyrus" (F.A.Z. vom 12. Oktober 2022) ist ein paar Jahre nach dem Erscheinen des spanischen Originals von "Elyssa" entstanden. Es scheint, dass sie erst damit ihre Stimme als Erzählerin gefunden hat. JOBST WELGE
Irene Vallejo: "Elyssa". Königin von Karthago. Roman.
Aus dem Spanischen
von Kristin Lohmann und Luis Ruby. Diogenes Verlag, Zürich 2024.
319 S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Irene Vallejo wurde mit "Papyrus" berühmt, doch die Liebe zur Antike ist schon älter, wie "Elyssa" zeigt
Wie schon bei Hegel, so löst auch in Georg Lukács' "Theorie des Romans" (1916) die moderne Gattung des Romans das klassische Epos ab, das, so Lukács, noch nicht Ausdruck des Individuums, sondern einer geschlossenen Totalität des Kosmos und des Schicksals einer Gemeinschaft war. Diese Idee eines überindividuellen, ursprünglich mündlich vorgetragenen Epos wird in der westlichen Literatur eigentlich nur durch die homerischen Epen verkörpert. Bereits die "Aeneis" Vergils ist eine Art Kunstepos, das Produkt eines Autors, der seinen Text in bewussten Dialog mit der "Ilias" und der "Odyssee" brachte. Spätestens seit Vergil ist die Epik eine in hohem Maße intertextuelle Gattung, bei der die Leser aufgerufen sind, Anspielungen und Variationen von Motiven zu erkennen.
In "Elyssa - Königin von Karthago" transponiert die spanische Autorin Irene Vallejo Vergils "Aeneis", vor allem deren bekannteste Episode, die von der tragischen Liebesgeschichte zwischen Aeneas und Dido handelt, in die Form eines Romans. Bezeichnenderweise ist diese Affäre der Karthagerkönigin (ihr ursprünglicher Name war Elyssa) mit dem Schiffbrüchigen Aeneas selbst bereits eine Erfindung des römischen Dichters, die er mit der historischen Legende kombinierte und so aus der keuschen Witwe (ihr Ehemann Sychaeus wurde von ihrem Bruder Pygmalion, dem König von Tyros, ermordet) die unglückliche Frau macht, die in ihrer Leidenschaft für Aeneas "die Zeichen der alten Flamme" (IV. 32) der Liebe erkennt - und die schließlich, als Aeneas das Gestade Karthagos verlässt, in den Flammen des Feuers Selbstmord begeht.
Gerade diese Episode, das Zurücklassen der Karthagerkönigin durch Aeneas im Dienst einer höheren Bestimmung, der Gründung Roms, wurde in Mittelalter und Früher Neuzeit immer wieder aufgerufen und neu interpretiert, als ein der teleologischen Ausrichtung des imperialen Epos gegenläufiges Prinzip, so etwa bei Chaucer, Ariosto, Tasso, Spenser, in einem Drama Christopher Marlowes oder schließlich in der Oper Henry Purcells. Durchaus reizvoll ist es also, diesen epischen Stoff auch aus moderner Perspektive wiederzuerzählen - als Roman. Solche Adaptionen von Stoffen der antiken Literatur und Mythologie erfreuen sich derzeit großer Beliebtheit, zumal wenn es darum geht, den Fokus verstärkt auf die weiblichen Figuren zu richten, wie es in etwa in dem Bestseller "Ich bin Circe" von Madeline Miller der Fall ist.
In "Elyssa" treten als alternierende Ich-Erzähler der Kapitel auf: Aeneas, Elyssa, Ana (Elyssas Schwester) und der Gott Eros. Weitere Kapitel, mit dem Namen Vergils überschrieben, werden in der dritten Person erzählt. Wie sprechen nun die Figuren der "Aeneis" in der Version von Vallejo? Manchmal knüpfen sie in Rede und Stil direkt an das Vorbild an, wenn etwa Aeneas den Wortlaut aus Aeneis VI. 853 ("parcere subiectis et debellare superbos") übernimmt: "Und wenn die Kräfte ausreichen, wird meine Aufgabe darin bestehen, dort, wo ich eine friedvolle Heimstatt für meine Leute finde, den Hochmütigen niederzuzwingen und stets mit den Unterdrückten zu fühlen." Zumeist aber beschreiben die Figuren ihr unmittelbares Erleben und geben dabei Dialoge wieder. Vallejos Sprache, deren einfache Hauptsätze insgesamt eine Balance zwischen lyrischem Rhythmus und Alltagsprosa anstreben, kippt manchmal in eine wohl beabsichtigte Komik um, etwa wenn Aeneas' Sohn Iulus sich nach seinem Großvater erkundigt: "Wo ist eigentlich Opa? Kommt er bald zu uns?" Die Antwort: "Opa Anchises ist auf Sizilien gestorben, Iulus, weißt du das nicht mehr?" Pathos und Parodie, Aktualisierung und Banalisierung liegen oft eng beieinander, aber Vallejos multiperspektivische Darstellung entwickelt zweifellos eine dynamische, fließende Erzählung, die die Leidenschaften und Sichtweisen der Figuren ins Zentrum stellt und somit den Stoff Vergils neu beleuchtet.
Dem Gott Eros obliegt die Aufgabe, eine Liebe zwischen Aeneas und Dido zu entfachen (in der "Aeneis" waren hierfür die Göttinnen Venus als Aeneas' Mutter und Juno zuständig), und natürlich hat er auch einen Einblick in die Befindlichkeit des Helden: "Er ist es müde, zu fliehen und irgendwohin verschlagen zu werden, es kostet ihn viel Kraft, die Last des großen Reiches zu tragen, das er der Prophezeiung nach zu gründen hat. Ich flöße ihm den Wunsch ein, Unterschlupf zu finden, löse seine Muskeln, schwäche seine Pläne." Vallejo nimmt sich Freiheiten und entwickelt Aspekte, die bei Vergil höchstens angedeutet waren. So kommt es am Hofe Elyssas zu einer Verschwörung ihrer Ratgeber, die durch den Argwohn gegenüber den hier zunächst gastfreundlich aufgenommenen Trojanern beflügelt wird. Insbesondere die Figur von Ana wird weiterentwickelt: Hier ist sie eine junge Priesterin, die sich mit Iulus befreundet und davon träumt, mit ihm und Aeneas aufzubrechen.
Auch legt der Roman eine gewisse Parallele zwischen Vergil und seinem epischen Helden nahe. Während Aeneas mit seinem göttlichen Auftrag hadert, erscheint Vergil als ein Autor, der sich nur zögerlich in den Auftrag einer literarischen Glorifizierung des Herrschers Augustus fügt, womit die inneren Spannungen innerhalb seines epischen Gedichts erklärt werden: "Der Kaiser wird seine ersehnte Würdigung bekommen, aber das Epos wird die rebellische Melodie allen unerfüllten Strebens bergen." Damit klingt an, was Lukács als die "Grundgesinnung des Romans" gesehen hat, nämlich dass seine Protagonisten Suchende seien. Bei Vallejo geht es Aeneas darum, "meinen Weg zu finden", der Dichter hat am Schluss "meine Stimme gefunden". Solche Formen der Psychologisierung des Epischen sowie Themen wie die Aufnahme von Flüchtlingen und das Leiden des Krieges dienen der Autorin einer behutsamen - aber letztlich auch nicht besonders aufregenden - Modernisierung des Stoffes, wobei sich die Autorin, als leidenschaftliche Kennerin der antiken Literatur, auch anderer Texte bedient hat. Vallejos großer internationaler Sachbuch-Erfolg "Papyrus" (F.A.Z. vom 12. Oktober 2022) ist ein paar Jahre nach dem Erscheinen des spanischen Originals von "Elyssa" entstanden. Es scheint, dass sie erst damit ihre Stimme als Erzählerin gefunden hat. JOBST WELGE
Irene Vallejo: "Elyssa". Königin von Karthago. Roman.
Aus dem Spanischen
von Kristin Lohmann und Luis Ruby. Diogenes Verlag, Zürich 2024.
319 S., geb., 25,- Euro.
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