Er ist jung, anständig und fleißig, er revoltiert ein einziges Mal: Marcus Messner beginnt 1951 sein Studium am College in Ohio. Während der Koreakrieg ins zweite Jahr geht, durchlebt Marcus eine Geschichte, die von Unerfahrenheit handelt, von Widerstand, Sex, Mut - und vom Tod. (Laufzeit: 1h 28)
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.02.2009Amerika in der Hölle
Nachwort zu Bush: Der neue Roman von Philip Roth
Dicht gefügt wie eine klassische Novelle und unaufhaltsam wie eine Schicksalstragödie kommt Philip Roths kurzer, wuchtiger Roman „Empörung” daher. Der erste lange Satz, der Geschichte und Autobiographie verkettet, klingt nach neunzehntem Jahrhundert: „Ungefähr zweieinhalb Monate nachdem die gutausgebildeten, von den Sowjets und den chinesischen Kommunisten mit Waffen ausgerüsteten Divisionen Nordkoreas am 25. Juni 1950 über den 38. Breitengrad vorgedrungen waren und mit dem Einmarsch in Südkorea das große Leid des Koreakrieges begonnen hatte, kam ich aufs Robert Treat, ein kleines College in Newark, benannt nach dem Mann, der die Stadt im siebzehnten Jahrhundert gegründet hatte.”
Die Tragödie, die sich auf den folgenden zweihundert Seiten entwickelt, besteht aus der Engführung der beiden Linien dieses ersten Satzes: Der Ich-Erzähler muss nach Korea, wo er beim ersten Kriegseinsatz verblutet und als knapp Zwanzigjähriger stirbt. Dass er überhaupt eingezogen wird, verdankt er seiner vorzeitigen Entlassung aus einem College – es ist ein anderes als das „Treat” des ersten Satzes –, dessen bigotten Regelwerken er sich nicht zu fügen vermochte. Und dass Marcus Messner, der todgeweihte Held von „Empörung”, überhaupt auf die ihm nicht gemäße Hochschule im fernen Ohio geflohen ist, ist die Schuld seines liebenden Vaters, dessen pathologische Besorgtheit der junge Marcus nicht ertrug.
Den uhrwerkhaften Plot dieser Geschichte kann man vom Anfang oder vom Ende her erzählen, er dreht sich im Kreis wie der „König Ödipus” des Sophokles: Der erste Beweggrund ist grenzenlose, verrückte Vaterliebe, die das Unheil, das sie fürchtet, erst in Gang setzt. Marcus Messners Vater, ein fleißiger koscherer Metzger, erträgt den Gedanken an die tausendfältigen Gefahren nicht, denen sein begabter, liebenswürdiger und gleichfalls eisern arbeitsamer Sohn beim Erwachsenwerden und beim Aufsteigen in einen akademischen Beruf ausgesetzt sein könnte: Also beginnt er ihn zu überwachen und einzusperren, zu fesseln und zu kontrollieren, sodass dieser keinen anderen Ausweg sieht, als die freundlich schützende Hülle seiner kleinbürgerlichen jüdischen Herkunftswelt vorzeitig zu verlassen und sein Glück auf einer Hochschule im fernen Ohio, mitten im „Bible Belt” des mittleren Westens, zu suchen. Dort trifft er auf genau die Gefahren, vor denen sein Vater ihn hatte schützen wollen.
Dabei weiß Marcus, der nichts lieber täte, als den Wünschen seines Vaters zu entsprechen, dass nur unbezweifelbarer Erfolg und beste Noten ihn vor der Einberufung auf den neuen Kriegsschauplatz schützen können, die er nicht weniger fürchtet als sein Vater. Aber auch hier wirkt die tragische Handlungslogik: Die Vorsicht, mit der Marcus sich von seiner Umwelt abschließt, um sich ganz auf seinen Studienerfolg konzentrieren zu können, macht ihn einer christlichen Universitätsleitung auffällig, die auch Außenseiter in ein von Gebetsstunden skandiertes Gemeinschaftsleben einbinden möchte.
Dazu kommen die sexuellen Nöte in einer von Keuschheit geprägten Lebensform, die jede voreheliche Annäherung zwischen den Geschlechtern als Sünde brandmarkt. Das fromme Gesetz von Gemeinschaft und Enthaltsamkeit, das in Ohio herrscht, bringt die beiden ungeheuren Begebenheiten hervor, die das Leben von Marcus auf die Katastrophe zustürzen lassen: Den weltanschaulichen Ausbruch bei einer fürsorglichen Vernehmung durch den Dekan der Universität, dem Marcus seitenlange wörtliche Zitate aus Bertrand Russels Essay „Warum ich kein Christ bin” entgegenschleudert; und die rauschhafte Erfahrung eines Blowjobs, den ihm eine begehrte Mitstudentin überraschend gewährt.
Die Affäre mit der Studentin, die psychisch krank und selbstmordgefährdet ist, fällt ebenso auf wie die atheistische Aufsässigkeit. Aber weder das eine noch das andere sind Entlassungsgründe. Die Relegation, der Weg in den Tod, hat in dieser Welt der Bigotterie einen viel beiläufigeren Anlass: Bei einer wöchentlich verpflichtenden christlichen Andacht lässt Marcus Messner gegen ein kleines Entgelt einen Stellvertreter in seinem Namen auftreten, was nur auffällt, weil er als Person zuvor selbst so auffällig geworden war. Der Ticketschwindel, nicht Bertrand Russel oder der Blowjob bringt das Todesurteil. Wieder ein klassisches Motiv: Die tragische Notwendigkeit bedient sich eines dummen Fehlers, eigentlich des Zufalls.
Man dürfte dem Leser diese furchtbare Geschichte nicht so detailliert vorwegerzählen, wenn ihr Räderwerk das Wesentliche dieses schmalen Buches ausmachte, das an diesem Mittwoch auch in Deutschland erscheint (Philip Roth: Empörung. Roman. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Carl Hanser Verlag, München 2009. 201 Seiten, 17,90 Euro). So beeindruckend, bis ins Detail ausgefeilt seine Konstruktion ist, viel wichtiger ist die mit minimalem Aufwand erzeugte überwältigende Düsternis seiner Atmosphäre und die geschichtliche Diagnose, die sie enthält. Die beiläufig daherkommende Meisterschaft, die der erfahrenste Schriftsteller Amerikas beweist, kommt vor allem einem geschärften historischen Bewusstsein zugute. „Empörung” ist nach „Verschwörung gegen Amerika” von 2004 das zweite Buch, in dem Philip Roth die Bilanz der Ära Bush zieht.
In der Alternativgeschichte, die Roth in „Verschwörung gegen Amerika” erzählte, entwickelte er die Möglichkeit eines amerikanischen Faschismus, den Sieg des antisemitischen Präsidentschaftskandidaten Charles Lindbergh im Jahre 1940 mit allen denkbaren Folgen. Das Amerika der staatlich approbierten Folter, des Sicherheitswahns und der isolationistischen Selbstabschließung kam ins Bild und erinnerte die Leser an die fortbestehende Möglichkeit der freiheitsfeindlichen Abweichung. „Empörung” verhandelt nun das zweite Grundgebrechen der Präsidentschaft von George W. Bush: Die totalitär gewordene, zum sozialen Zwang werdende Frömmigkeit.
Der aktuelle Obama-Rausch darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit der Welt der Sarah Palin der religiöse Irrsinn – die Vorstellung, voreheliche Keuschheit sei ein zentrales politisches Problem der Vereinigten Staaten von Amerika – überraschend nah am Griff nach der Macht war. „Empörung” zeigt nun den Amerikanern und dem internationalen Publikum die amerikanische Gesellschaft vor den Emanzipationen der sechziger Jahre, mit ihrer überkommenen ethnischen und konfessionellen Versäultheit, ihrer Verklemmtheit und ihrem Sektengeist. Die tragische Kausalität entwickelt sich nicht nur in diesem Roth-Roman aus geschichtlichen Faktoren, und also, so muss man es verstehen, aus Möglichkeiten, die offenkundig wiederkehren können.
Marcus Messner, der gute Sohn und tüchtige Aufsteiger, der sich aus den Fesseln der rührenden jüdischen Familienliebe und des eisernen Sektenzwangs befreien möchte, mag am Ende der überzeugendere Amerikaner sein. Doch im Jahre 1951 unterliegt er und stürzt in eine Dantesche Hölle. Dort müssen die Sünder den Moment ihrer Verfehlung in alle Ewigkeit wiedererleben. Marcus Messner, so erfahren wir kurz vor der Mitte des Romans, erzählt seine Geschichte aus dem Jenseits; wir hören einem Gestorbenen zu. Die Hölle, das ist hier die sich ewig erneuernde Kausalität mit ihren großen Ursachen und dummen Zufällen. Die dichte Fügung der Erzählung schließt das Gefängnis der Zeit, die Uhr geht im Kreis. Das ist der Schlaf der Vernunft im amerikanischen Traum. GUSTAV SEIBT
Das fromme Gesetz von Gemeinschaft und Enthaltsamkeit lässt das Leben des Helden auf die Katastrophe zustürzen
Der Obama-Rausch darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit Sarah Palin der religiöse Irrsinn nah am Griff nach der Macht war
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Nachwort zu Bush: Der neue Roman von Philip Roth
Dicht gefügt wie eine klassische Novelle und unaufhaltsam wie eine Schicksalstragödie kommt Philip Roths kurzer, wuchtiger Roman „Empörung” daher. Der erste lange Satz, der Geschichte und Autobiographie verkettet, klingt nach neunzehntem Jahrhundert: „Ungefähr zweieinhalb Monate nachdem die gutausgebildeten, von den Sowjets und den chinesischen Kommunisten mit Waffen ausgerüsteten Divisionen Nordkoreas am 25. Juni 1950 über den 38. Breitengrad vorgedrungen waren und mit dem Einmarsch in Südkorea das große Leid des Koreakrieges begonnen hatte, kam ich aufs Robert Treat, ein kleines College in Newark, benannt nach dem Mann, der die Stadt im siebzehnten Jahrhundert gegründet hatte.”
Die Tragödie, die sich auf den folgenden zweihundert Seiten entwickelt, besteht aus der Engführung der beiden Linien dieses ersten Satzes: Der Ich-Erzähler muss nach Korea, wo er beim ersten Kriegseinsatz verblutet und als knapp Zwanzigjähriger stirbt. Dass er überhaupt eingezogen wird, verdankt er seiner vorzeitigen Entlassung aus einem College – es ist ein anderes als das „Treat” des ersten Satzes –, dessen bigotten Regelwerken er sich nicht zu fügen vermochte. Und dass Marcus Messner, der todgeweihte Held von „Empörung”, überhaupt auf die ihm nicht gemäße Hochschule im fernen Ohio geflohen ist, ist die Schuld seines liebenden Vaters, dessen pathologische Besorgtheit der junge Marcus nicht ertrug.
Den uhrwerkhaften Plot dieser Geschichte kann man vom Anfang oder vom Ende her erzählen, er dreht sich im Kreis wie der „König Ödipus” des Sophokles: Der erste Beweggrund ist grenzenlose, verrückte Vaterliebe, die das Unheil, das sie fürchtet, erst in Gang setzt. Marcus Messners Vater, ein fleißiger koscherer Metzger, erträgt den Gedanken an die tausendfältigen Gefahren nicht, denen sein begabter, liebenswürdiger und gleichfalls eisern arbeitsamer Sohn beim Erwachsenwerden und beim Aufsteigen in einen akademischen Beruf ausgesetzt sein könnte: Also beginnt er ihn zu überwachen und einzusperren, zu fesseln und zu kontrollieren, sodass dieser keinen anderen Ausweg sieht, als die freundlich schützende Hülle seiner kleinbürgerlichen jüdischen Herkunftswelt vorzeitig zu verlassen und sein Glück auf einer Hochschule im fernen Ohio, mitten im „Bible Belt” des mittleren Westens, zu suchen. Dort trifft er auf genau die Gefahren, vor denen sein Vater ihn hatte schützen wollen.
Dabei weiß Marcus, der nichts lieber täte, als den Wünschen seines Vaters zu entsprechen, dass nur unbezweifelbarer Erfolg und beste Noten ihn vor der Einberufung auf den neuen Kriegsschauplatz schützen können, die er nicht weniger fürchtet als sein Vater. Aber auch hier wirkt die tragische Handlungslogik: Die Vorsicht, mit der Marcus sich von seiner Umwelt abschließt, um sich ganz auf seinen Studienerfolg konzentrieren zu können, macht ihn einer christlichen Universitätsleitung auffällig, die auch Außenseiter in ein von Gebetsstunden skandiertes Gemeinschaftsleben einbinden möchte.
Dazu kommen die sexuellen Nöte in einer von Keuschheit geprägten Lebensform, die jede voreheliche Annäherung zwischen den Geschlechtern als Sünde brandmarkt. Das fromme Gesetz von Gemeinschaft und Enthaltsamkeit, das in Ohio herrscht, bringt die beiden ungeheuren Begebenheiten hervor, die das Leben von Marcus auf die Katastrophe zustürzen lassen: Den weltanschaulichen Ausbruch bei einer fürsorglichen Vernehmung durch den Dekan der Universität, dem Marcus seitenlange wörtliche Zitate aus Bertrand Russels Essay „Warum ich kein Christ bin” entgegenschleudert; und die rauschhafte Erfahrung eines Blowjobs, den ihm eine begehrte Mitstudentin überraschend gewährt.
Die Affäre mit der Studentin, die psychisch krank und selbstmordgefährdet ist, fällt ebenso auf wie die atheistische Aufsässigkeit. Aber weder das eine noch das andere sind Entlassungsgründe. Die Relegation, der Weg in den Tod, hat in dieser Welt der Bigotterie einen viel beiläufigeren Anlass: Bei einer wöchentlich verpflichtenden christlichen Andacht lässt Marcus Messner gegen ein kleines Entgelt einen Stellvertreter in seinem Namen auftreten, was nur auffällt, weil er als Person zuvor selbst so auffällig geworden war. Der Ticketschwindel, nicht Bertrand Russel oder der Blowjob bringt das Todesurteil. Wieder ein klassisches Motiv: Die tragische Notwendigkeit bedient sich eines dummen Fehlers, eigentlich des Zufalls.
Man dürfte dem Leser diese furchtbare Geschichte nicht so detailliert vorwegerzählen, wenn ihr Räderwerk das Wesentliche dieses schmalen Buches ausmachte, das an diesem Mittwoch auch in Deutschland erscheint (Philip Roth: Empörung. Roman. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Carl Hanser Verlag, München 2009. 201 Seiten, 17,90 Euro). So beeindruckend, bis ins Detail ausgefeilt seine Konstruktion ist, viel wichtiger ist die mit minimalem Aufwand erzeugte überwältigende Düsternis seiner Atmosphäre und die geschichtliche Diagnose, die sie enthält. Die beiläufig daherkommende Meisterschaft, die der erfahrenste Schriftsteller Amerikas beweist, kommt vor allem einem geschärften historischen Bewusstsein zugute. „Empörung” ist nach „Verschwörung gegen Amerika” von 2004 das zweite Buch, in dem Philip Roth die Bilanz der Ära Bush zieht.
In der Alternativgeschichte, die Roth in „Verschwörung gegen Amerika” erzählte, entwickelte er die Möglichkeit eines amerikanischen Faschismus, den Sieg des antisemitischen Präsidentschaftskandidaten Charles Lindbergh im Jahre 1940 mit allen denkbaren Folgen. Das Amerika der staatlich approbierten Folter, des Sicherheitswahns und der isolationistischen Selbstabschließung kam ins Bild und erinnerte die Leser an die fortbestehende Möglichkeit der freiheitsfeindlichen Abweichung. „Empörung” verhandelt nun das zweite Grundgebrechen der Präsidentschaft von George W. Bush: Die totalitär gewordene, zum sozialen Zwang werdende Frömmigkeit.
Der aktuelle Obama-Rausch darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit der Welt der Sarah Palin der religiöse Irrsinn – die Vorstellung, voreheliche Keuschheit sei ein zentrales politisches Problem der Vereinigten Staaten von Amerika – überraschend nah am Griff nach der Macht war. „Empörung” zeigt nun den Amerikanern und dem internationalen Publikum die amerikanische Gesellschaft vor den Emanzipationen der sechziger Jahre, mit ihrer überkommenen ethnischen und konfessionellen Versäultheit, ihrer Verklemmtheit und ihrem Sektengeist. Die tragische Kausalität entwickelt sich nicht nur in diesem Roth-Roman aus geschichtlichen Faktoren, und also, so muss man es verstehen, aus Möglichkeiten, die offenkundig wiederkehren können.
Marcus Messner, der gute Sohn und tüchtige Aufsteiger, der sich aus den Fesseln der rührenden jüdischen Familienliebe und des eisernen Sektenzwangs befreien möchte, mag am Ende der überzeugendere Amerikaner sein. Doch im Jahre 1951 unterliegt er und stürzt in eine Dantesche Hölle. Dort müssen die Sünder den Moment ihrer Verfehlung in alle Ewigkeit wiedererleben. Marcus Messner, so erfahren wir kurz vor der Mitte des Romans, erzählt seine Geschichte aus dem Jenseits; wir hören einem Gestorbenen zu. Die Hölle, das ist hier die sich ewig erneuernde Kausalität mit ihren großen Ursachen und dummen Zufällen. Die dichte Fügung der Erzählung schließt das Gefängnis der Zeit, die Uhr geht im Kreis. Das ist der Schlaf der Vernunft im amerikanischen Traum. GUSTAV SEIBT
Das fromme Gesetz von Gemeinschaft und Enthaltsamkeit lässt das Leben des Helden auf die Katastrophe zustürzen
Der Obama-Rausch darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit Sarah Palin der religiöse Irrsinn nah am Griff nach der Macht war
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
In seinem jüngsten Roman "Empörung" entwickelt Philip Roth eine Geschichte, die sich in ihrer unentrinnbaren Zwangsläufigkeit geradezu zur klassischen Tragödie auswächst, stellt Gustav Seibt fest. Detailliert fasst der Rezensent die Geschichte des jüdischen Studenten Marcus Messner zusammen, der, um sich von erdrückender väterlicher Fürsorge zu befreien, in ein christliches College geht, aus dem er, als er sich gegen die zwangsweise verordnete Frömmigkeit auflehnt, rausgeworfen wird. Daraus folgt mit "uhrwerkhafter" Notwendigkeit, dass Marcus in den Koreakrieg eingezogen wird, wo er kurz darauf umkommt, so Seibt weiter. Er preist die "Meisterschaft", mit der der amerikanische Autor die äußerst düstere, dichte Atmosphäre des Romans entwickelt und zeigt sich beeindruckt, wie plausibel Roth seine Tragödie mit einer historischen "Diagnose" verknüpft. Denn nach Roth entsteht die tragische Kausalität, der Marcus zum Opfer fällt, aus historischen Bedingungen heraus, die "offenkundig wiederkehren können", so der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2009Blick zurück im Zorn
"Empörung": Philip Roth auf der Höhe seiner Kunst
Von Felicitas von Lovenberg
Die Produktivität von Philip Roth, der in dieser Woche seinen sechsundsiebzigsten Geburtstag gefeiert hat, ist größer denn je. Kaum ist sein neuer Roman, "Empörung", erschienen, da hat er bereits den nächsten fertig und kündigt auch schon den darauffolgenden an (F.A.Z. vom 28. Februar). Doch während er sich in drei seiner vier letzten Romane - "Das sterbende Tier", "Jedermann" und "Exit Ghost" - so radikal wie erbittert mit dem Alter auseinandergesetzt hat, kehrt er in seinem aktuellen Werk in die fünfziger Jahre Amerikas und damit auch in die Zeit seiner Jugend zurück.
Im zweiten Jahr des Korea-Kriegs, 1951, nimmt Marcus Messner, genannt "Markie", einziger Sohn eines koscheren Metzgers aus Newark, sein Studium am College von Winesburg, Ohio auf - ein Schauplatz, den Roth sich von Sherwood Andersons berühmtem gleichnamigen Kurzgeschichtenzyklus von 1919 entliehen hat. Zunächst hatte sich Markie, ein begeisterter Student mit Bestnoten, am College seiner Heimatstadt eingeschrieben, aber als sein Vater Liebe und Fürsorge immer mehr mit einer überängstlichen Kontrollsucht verwechselt, wird ihm klar, dass er fort muss: "Ich verließ das College, weil mein Vater plötzlich den Glauben daran verloren hatte, dass ich auch nur allein die Straße überqueren konnte."
Wie sich herausstellt, wechselt er mit dem Ort nur das Überwachungssystem. Das College in Winesburg ist erzkonservativ, dort wird nicht nur die Anwesenheit der Studenten im wöchentlichen Pflichtgottesdienst überprüft, sondern auch die politisch-bürgerliche Gesinnung steht unter Beobachtung. Wer sich hier keiner Verbindung anschließt, keinen Mannschaftssport treibt, keine Freunde hat, macht sich verdächtig. Und Marcus, der gute Sohn, der "alles richtig machen" will, der von Kindesbeinen an beim Ausnehmen des Geflügels gelernt hat, dass auch ekelhafte und widerliche Arbeit getan werden muss, der seinem Vater nicht auf der Tasche liegen und seiner Mutter keinen Kummer machen will, dieser Markie, der bis zu diesem, seinem neunzehnten Lebensjahr, von sich selbst sagt, dass sein "großes Talent" darin besteht, "mit allem zufrieden zu sein", versteht die plötzlich gegen ihn gerichtete Welt nicht mehr. Längst hat ihn die panische Sorge des Vaters angesteckt, sein Sohn könnte irgendwo hingehen, wo er getötet wird. Umso mehr lockt die Gefahr, etwa in Gestalt der so berauschend wie verstörend freizügigen Kommilitonin Olivia, die bereits einen Selbstmordversuch und Alkoholentzug hinter sich hat.
Höhepunkt des Romans, den man in seiner unerbittlichen Steigerung auf das Unerhörte zu eher eine Novelle nennen möchte, ist eine Auseinandersetzung zwischen Marcus und dem Dean des College, der ihn wegen seines Einsiedlertums, seiner Zimmerwahl (auf der Flucht vor rücksichtslosen Zimmergenossen ist er in die schäbigste Bleibe des Campus gezogen) und seiner Gottesdienstverweigerung befragt. Marcus spürt die Vorwürfe hinter den Fragen, doch statt klein beizugeben und die Antworten zu geben, die der Dekan hören will, redet er sich in eine Verteidigungsrage - trotz der Vorahnung, die ihn ständig begleitet: "Man wird mich aus dem College werfen, dachte ich. Weil ich zu oft umgezogen bin, wird man mich auffordern, Winesburg zu verlassen. Darauf läuft das hier hinaus. Rausgeworfen, eingezogen, nach Korea geschickt und dort getötet." Was Markie antreibt, der sich mit jeder aufbrausenden, todesmutig aufrichtigen Antwort um Kopf und Kragen zu reden scheint, ist die Stimme in seinem Kopf, die ein chinesisches Revolutionslied aus Schulzeiten schmettert, in dem "das schönste aller Worte" ertönt: "Empörung".
Hier stimmt jeder Satz, jede Szene, jede Figur - mit Ausnahme vielleicht von Olivia, der Roth etwas viel Schicksal aufbürdet. Und doch zeigt sich gerade an Markies Verhältnis zu ihr die ganze Sehnsucht, die Jugend und damit die Tragik dieses vor Überzeugungen, Hoffnungen und Hormonen schier berstenden Helden, der sein Leben tatsächlich im Korea-Krieg lassen muss und uns die Geschichte seines letzten Jahres aus dem Totenreich erzählt. Vom College fliegt er nicht, weil er einmal mit Olivia erwischt wird, auch nicht wegen des albernen Höschenklaus, zu dem sich einige Studenten zusammenrotten, sondern weil er einen Stellvertreter anheuert, der für ihn den Gottesdienst absolviert - und auffliegt.
"Empörung" ist die Chronik eines sinnlosen Todes, ein Totentanz zwischen Schlachthaus und Schlachtfeld, die Geschichte eines verstoßenen Sohnes, das Porträt eines bis zur Heuchelei angepassten Amerikas und einer Gesellschaft, die an ihrer Selbstgerechtigkeit zu ersticken droht. Man kann in diesem subtil gewebten Meisterwerk eine Parabel auf die Ära von George W. Bush sehen, eine grandiose Reprise von "Portnoys Beschwerden" oder einfach den großen Roman eines Meisters, der im Alter nicht vergessen hat, wie es sich anfühlt, jung zu sein.
Philip Roth: "Empörung". Roman. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Hanser Verlag, München 2009. 201 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Empörung": Philip Roth auf der Höhe seiner Kunst
Von Felicitas von Lovenberg
Die Produktivität von Philip Roth, der in dieser Woche seinen sechsundsiebzigsten Geburtstag gefeiert hat, ist größer denn je. Kaum ist sein neuer Roman, "Empörung", erschienen, da hat er bereits den nächsten fertig und kündigt auch schon den darauffolgenden an (F.A.Z. vom 28. Februar). Doch während er sich in drei seiner vier letzten Romane - "Das sterbende Tier", "Jedermann" und "Exit Ghost" - so radikal wie erbittert mit dem Alter auseinandergesetzt hat, kehrt er in seinem aktuellen Werk in die fünfziger Jahre Amerikas und damit auch in die Zeit seiner Jugend zurück.
Im zweiten Jahr des Korea-Kriegs, 1951, nimmt Marcus Messner, genannt "Markie", einziger Sohn eines koscheren Metzgers aus Newark, sein Studium am College von Winesburg, Ohio auf - ein Schauplatz, den Roth sich von Sherwood Andersons berühmtem gleichnamigen Kurzgeschichtenzyklus von 1919 entliehen hat. Zunächst hatte sich Markie, ein begeisterter Student mit Bestnoten, am College seiner Heimatstadt eingeschrieben, aber als sein Vater Liebe und Fürsorge immer mehr mit einer überängstlichen Kontrollsucht verwechselt, wird ihm klar, dass er fort muss: "Ich verließ das College, weil mein Vater plötzlich den Glauben daran verloren hatte, dass ich auch nur allein die Straße überqueren konnte."
Wie sich herausstellt, wechselt er mit dem Ort nur das Überwachungssystem. Das College in Winesburg ist erzkonservativ, dort wird nicht nur die Anwesenheit der Studenten im wöchentlichen Pflichtgottesdienst überprüft, sondern auch die politisch-bürgerliche Gesinnung steht unter Beobachtung. Wer sich hier keiner Verbindung anschließt, keinen Mannschaftssport treibt, keine Freunde hat, macht sich verdächtig. Und Marcus, der gute Sohn, der "alles richtig machen" will, der von Kindesbeinen an beim Ausnehmen des Geflügels gelernt hat, dass auch ekelhafte und widerliche Arbeit getan werden muss, der seinem Vater nicht auf der Tasche liegen und seiner Mutter keinen Kummer machen will, dieser Markie, der bis zu diesem, seinem neunzehnten Lebensjahr, von sich selbst sagt, dass sein "großes Talent" darin besteht, "mit allem zufrieden zu sein", versteht die plötzlich gegen ihn gerichtete Welt nicht mehr. Längst hat ihn die panische Sorge des Vaters angesteckt, sein Sohn könnte irgendwo hingehen, wo er getötet wird. Umso mehr lockt die Gefahr, etwa in Gestalt der so berauschend wie verstörend freizügigen Kommilitonin Olivia, die bereits einen Selbstmordversuch und Alkoholentzug hinter sich hat.
Höhepunkt des Romans, den man in seiner unerbittlichen Steigerung auf das Unerhörte zu eher eine Novelle nennen möchte, ist eine Auseinandersetzung zwischen Marcus und dem Dean des College, der ihn wegen seines Einsiedlertums, seiner Zimmerwahl (auf der Flucht vor rücksichtslosen Zimmergenossen ist er in die schäbigste Bleibe des Campus gezogen) und seiner Gottesdienstverweigerung befragt. Marcus spürt die Vorwürfe hinter den Fragen, doch statt klein beizugeben und die Antworten zu geben, die der Dekan hören will, redet er sich in eine Verteidigungsrage - trotz der Vorahnung, die ihn ständig begleitet: "Man wird mich aus dem College werfen, dachte ich. Weil ich zu oft umgezogen bin, wird man mich auffordern, Winesburg zu verlassen. Darauf läuft das hier hinaus. Rausgeworfen, eingezogen, nach Korea geschickt und dort getötet." Was Markie antreibt, der sich mit jeder aufbrausenden, todesmutig aufrichtigen Antwort um Kopf und Kragen zu reden scheint, ist die Stimme in seinem Kopf, die ein chinesisches Revolutionslied aus Schulzeiten schmettert, in dem "das schönste aller Worte" ertönt: "Empörung".
Hier stimmt jeder Satz, jede Szene, jede Figur - mit Ausnahme vielleicht von Olivia, der Roth etwas viel Schicksal aufbürdet. Und doch zeigt sich gerade an Markies Verhältnis zu ihr die ganze Sehnsucht, die Jugend und damit die Tragik dieses vor Überzeugungen, Hoffnungen und Hormonen schier berstenden Helden, der sein Leben tatsächlich im Korea-Krieg lassen muss und uns die Geschichte seines letzten Jahres aus dem Totenreich erzählt. Vom College fliegt er nicht, weil er einmal mit Olivia erwischt wird, auch nicht wegen des albernen Höschenklaus, zu dem sich einige Studenten zusammenrotten, sondern weil er einen Stellvertreter anheuert, der für ihn den Gottesdienst absolviert - und auffliegt.
"Empörung" ist die Chronik eines sinnlosen Todes, ein Totentanz zwischen Schlachthaus und Schlachtfeld, die Geschichte eines verstoßenen Sohnes, das Porträt eines bis zur Heuchelei angepassten Amerikas und einer Gesellschaft, die an ihrer Selbstgerechtigkeit zu ersticken droht. Man kann in diesem subtil gewebten Meisterwerk eine Parabel auf die Ära von George W. Bush sehen, eine grandiose Reprise von "Portnoys Beschwerden" oder einfach den großen Roman eines Meisters, der im Alter nicht vergessen hat, wie es sich anfühlt, jung zu sein.
Philip Roth: "Empörung". Roman. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Hanser Verlag, München 2009. 201 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ein furioser Roman." Der Spiegel, 02.02.09
"Roths Bücher strotzen vor Intelligenz, sie sind voll narrativer Ironie, sie haben Drive. Das alles ist in den 200 Seiten von "Empörung" noch einmal in bewundernswerter Weise enthalten." Peter Michalzik, Frankfurter Rundschau, 04.02.09
"... gleicht einem Nachruf auf die Ära Bush - dicht gefügt wie eine klassische Novelle und unaufhaltsam wie eine Schicksalstragödie." Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung, 04.02.09
"Zwei Jahre, 200 Seiten, das ist kurz, aber da ist alles drin." Peter Michalzik, Frankfurter Rundschau, 04.02.09
"Philip Roth schreibt mit 75 Jahren besser denn je. Einmal mehr gelingt es ihm, in einer Nußschale ein typisch amerikanisches Milieu in all seinen Facetten darzustellen. " Manfred Pabst, Neue Zürcher Zeitung, 01.02.09
"Mit welcher Wut, welcher Empörung Roth da wieder anschreibt gegen die Welt ..." Elmar Krekeler, Welt am Sonntag, 01.02.09
"Dieser Roman ... hat die Energie, die Frische, ja nicht zuletzt die Empörung eines großen Erzählers in seinen besten Jahren. Und dazu den Witz." Uwe Wittstock, Die Welt, 07.02.09
"Philip Roth auf der Höhe seiner Kunst! ... Man kann in diesem subtil gewebten Meisterwerk eine Parabel auf die Ära von George W. Bush sehen, eine grandiose Reprise von "Portnoys Beschwerden" oder einfach den großen Roman eines Meisters, der im Alter nicht vergessen hat, wie es sich anfühlt, jung zu sein." Felicitas von Lovenberg, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.03.09
"Ein neues Meisterwerk des großen amerikanischen Erzählers." Jacques Schuster, Die Welt, 27.06.09
"Roths Bücher strotzen vor Intelligenz, sie sind voll narrativer Ironie, sie haben Drive. Das alles ist in den 200 Seiten von "Empörung" noch einmal in bewundernswerter Weise enthalten." Peter Michalzik, Frankfurter Rundschau, 04.02.09
"... gleicht einem Nachruf auf die Ära Bush - dicht gefügt wie eine klassische Novelle und unaufhaltsam wie eine Schicksalstragödie." Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung, 04.02.09
"Zwei Jahre, 200 Seiten, das ist kurz, aber da ist alles drin." Peter Michalzik, Frankfurter Rundschau, 04.02.09
"Philip Roth schreibt mit 75 Jahren besser denn je. Einmal mehr gelingt es ihm, in einer Nußschale ein typisch amerikanisches Milieu in all seinen Facetten darzustellen. " Manfred Pabst, Neue Zürcher Zeitung, 01.02.09
"Mit welcher Wut, welcher Empörung Roth da wieder anschreibt gegen die Welt ..." Elmar Krekeler, Welt am Sonntag, 01.02.09
"Dieser Roman ... hat die Energie, die Frische, ja nicht zuletzt die Empörung eines großen Erzählers in seinen besten Jahren. Und dazu den Witz." Uwe Wittstock, Die Welt, 07.02.09
"Philip Roth auf der Höhe seiner Kunst! ... Man kann in diesem subtil gewebten Meisterwerk eine Parabel auf die Ära von George W. Bush sehen, eine grandiose Reprise von "Portnoys Beschwerden" oder einfach den großen Roman eines Meisters, der im Alter nicht vergessen hat, wie es sich anfühlt, jung zu sein." Felicitas von Lovenberg, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.03.09
"Ein neues Meisterwerk des großen amerikanischen Erzählers." Jacques Schuster, Die Welt, 27.06.09