Deine Heimat ist das Meer, deine Freunde sind die Sterne (Lolita)
Simone und Henri können kaum glauben, dass die wirklich die Schiffsplanken der Astoria betreten. Denn dieses Schiff ist ihnen Heimat, Erinnerung und so viel mehr, als es für andere Mitreisende jemals sein könnte. Das Schiff ist
lebendige Geschichte und Zeitzeugnis, Vergangenheit und Gegenwart. Auch Frida verbindet viele…mehrDeine Heimat ist das Meer, deine Freunde sind die Sterne (Lolita)
Simone und Henri können kaum glauben, dass die wirklich die Schiffsplanken der Astoria betreten. Denn dieses Schiff ist ihnen Heimat, Erinnerung und so viel mehr, als es für andere Mitreisende jemals sein könnte. Das Schiff ist lebendige Geschichte und Zeitzeugnis, Vergangenheit und Gegenwart. Auch Frida verbindet viele bittersüße Erinnerungen mit dem Koloss aus Schwedenstahl, denn die See hat ihr den Liebsten genommen. Mit Elli wird das kleine Reisekleeblatt komplettiert, aber noch ahnt niemand, wie sich ihre Lebenswege wirklich miteinander verbinden...
"Deine Liebe ist dein Schiff
Deine Sehnsucht ist die Ferne
Und nur ihnen bist du treu ein Leben lang " (Seemann, deine Heimat ist das Meer"-Lolita)
Schon nach den ersten Seiten des Buches kommen mir die Zeilen des bekannten Schlagers in den Sinn und ich finde, dieses Lied von einst beschreibt wunderbar die Gefühle, die alle Seefahrenden in sich tragen. Stellvertrend für sie erzählt Kati Naumann in ihrem neuen Buch "Fernwehland"die Geschichte von Matrose Henri, dessen Fernweh schon in den Kinderschuhen durch die Erzählungen seines Vaters geweckt wird. Doch Reisen, neue Länder kennenlernen und den Horizont erweitern ist in der damaligen DDR nicht vorgesehen. Henri wird Matrose und begegnet auf der "Völkerfreundschaft" Simone, deren Herz genauso für das Meer, die Seefahrt und das Fernweh schlägt.
Kati Naumann verwebt insgesamt vier Lebensgeschichten miteinander, die sich wie die einzelnen geflochtene Seile eines Schiffstaus zu einem festen Tross verbinden. Dabei macht sie deutsch-deutsche Geschichte zugänglich und erzählt in einer unglaublich lebendigen und bildhaften Sprache von Träumen, Regimerepressalien und verpassten Möglichkeiten.
Wie in einem Leporello reihen sich die einzelnen Kapitel aneinander, ermöglichen lebhafte und bunte Erinnerungen genauso wie graue und trübe Einblicke in den Alltag der ehemaligen DDR. Mauerbau, Kalter Krieg, Republikflucht gehören ebenso dazu wie Feundschaft, Erinnerungen und Familienzusammenhalt.
Naumann arbeitet mit Sprachbildern, die den Text im Takt des Wellengangs pulsieren lassen und bietet ihren Leser:innen die Gelegenheit, ein Teil der Crew auf dem Schiff zu werden. Das Kopfkino rattert genauso wie die schweren Motoren im Maschinenraum und es ensteht eine unglaubliche Dynamik, die sich von den Figuren im Buch auf die Lesenden übertragt. Die Autorin spricht von einer Zeit des Lassens - Zulassen und Loslassen, einer Zeit der Vergebung und Versöhnung und einer Zeit des Neuanfangs und nimmt ihre Leser:innen mit auf diese emotionale Reise. Erinnerung und Gegenwart greifen wie Zahnräder ineinander und daraus entwickelt sich eine Geschichte zum Anfassen, miterleben und nachfühlen - inklusive wärmenden Sonnenstrahlen auf der Haut, Gischt und Salzwasser auf den Lippen und immer einer Brise Wind, die die Haare zerzauselt.
Auch wenn Henri und Simone die beiden Hauptfiguren sind, ist Frida die heimliche Könignin des Romans. Die betagte Dame schwelgt in bittersüßen Erinnerungen, ist diplomatische Vermittlerin und erkennt, dass das Leben für sie noch viele wundervolle Überaschungen und neue Abenteuer bereit hält.
Wieder einmal hat die Autorin mit Bravour einen zeitgeschichtlichen Roman verfasst, der die Leser:innen jeden Seegang - von leichten Wellen bis tosenden Sturm - miterleben lässt und sie auf den Wellen des Lebens trägt.