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Eröffnung von "Open Books" im Schauspiel Frankfurt
Mit der Buchmesse sei es eine bisweilen paradoxe Sache, sagte Frankfurts Kulturdezernent Felix Semmelroth zur Begrüßung. Zwar breche nun endlich wieder der Höhepunkt des literarischen Jahres an und animiere mehr denn je zum Lesen neuer Werke. Doch müsse man sich als Literaturbegeisterter bis zum Ende der Buchmesse gedulden, erst dann bleibe, das liege in der Natur der Sache, genügend Zeit für die Lektüre.
Bis es so weit ist, finden in der ganzen Stadt die Veranstaltungen des Lesefests "Open Books" statt, das am Dienstagabend zusammen mit der Buchmesse eröffnet wurde. Rund 160 Autoren stellen noch bis einschließlich Samstag in Kultureinrichtungen der Stadt unentgeltlich ihre Werke vor und lesen aus ihnen. Fünf Schriftsteller, unter ihnen Ursula Krechel, die am Tag zuvor gekürte Trägerin des Deutschen Buchpreises, nahmen bei der Eröffnungsveranstaltung im Chagallsaal des Schauspiels Frankfurt für kurze Gespräche auf dem "Blauen Sofa" Platz, dessen Team auf dem Messegelände bis Sonntag 72 Autoren zu Gast hat und das seit vorigem Jahr auch zum Beginn von "Open Books" gehört.
Im vollbesetzten Chagallsaal beschrieb Krechel, die vor "Landgericht", ihrem dreiundzwanzigsten Buch, mehrere Gedichtbände vorgelegt hatte, ihre lange Annäherung an die Rückkehr deutscher Emigranten nach dem Zweiten Weltkrieg und ihren Zugang zur literarischen Figur des jüdischen Richters Richard Kornitzer. Die Grausamkeit vieler Details, auf die sie während der Recherche in den Archiven gestoßen sei, hätten es ihr schwergemacht, mit der kühlen Objektivität einer Anwältin zu schreiben. Jedoch habe die Härte mancher Einzelheiten in der Personalakte der realen Person, an die Kornitzer angelehnt ist, ihr verdeutlicht, dass ein reiner Erzählduktus dem Thema ebenfalls nicht gerecht werde. Sie habe es als erleichternd empfunden, die der Lyrik eigenen "Rhythmisierungen" in die Sprache des Romans übernehmen zu können, so Krechel.
Auf Jenny Erpenbeck, die in ihrem kürzlich erschienenen und auf der Longlist des Buchpreises gelandeten Roman "Aller Tage Abend" ihre Hauptfigur innerhalb eines Lebens fünfmal den Tod finden lässt, folgte Bodo Kirchhoff, der es ebenfalls auf die Longlist der Auszeichnung geschafft hatte. Der gebürtige Hamburger, dem Frankfurt seit Studienzeiten vertraut ist, lässt seinen Roman "Die Liebe in groben Zügen" auch im Stadtteil Sachsenhausen spielen und dort den Zahn der Zeit an der Liebe eines Ehepaares in bestem Umfeld und in den besten Jahren nagen, was für beide unterschiedliche existentielle Fragen aufwirft.
Wo sich denn die groben Züge des fast 700 Seiten starken Werks versteckten, sollte der Autor beantworten, worauf Kirchhoff mit Realismus reagierte: Die Liebe selbst sei rücksichtslos, stur, grob eben, und dabei nicht halb so schön wie gemeinhin besungen. Im Tempus der Gegenwart sei ihre Existenz mithin fraglich: "Liebe ist doch im Grunde die Erinnerung an vergangene und die Sehnsucht nach neuer Liebe in der Zukunft." Danach dauerte es nicht lange bis zum nächsten Gespräch, das sich der Sehnsucht nach der Rückkehr geordneter finanzieller Verhältnisse widmete. Susanne Schmidt stellte ihr Sachbuch "Das Gesetz der Krise" vor, das ihr eine Nominierung für den diesjährigen Deutschen Wirtschaftsbuchpreis eingetragen hat. Die Krise, sagte sie vor der Kulisse der durch die Glasfront des Schauspiels sichtbaren Europäischen Zentralbank, entstehe nicht zuletzt aus der Politisierung der ihrem Wesen nach eigentlich apolitischen Banken.
Ebenfalls einer kriselnden Ehe widmet sich Stephan Thome. In seinem zweiten, wie sein Debüt auf die Buchpreis-Shortlist gelangten Roman beschreibt er die "Fliehkräfte", die an der bürgerlichen Existenz seines Protagonisten zerren. Er scheine angekommen im Lebensentwurf von "Frau, Kindern und frei stehendem Haus", sagt Thome, der mit komischer Note von den Lebensfragen erzählt, denen sein Philosophieprofessor sich fortan ausgesetzt sieht. Doch die Zeit auf dem "Blauen Sofa" ist knapp. Oder frei philosophisch: "Der Rest ist Lesen."
CONSTANZE EHRHARDT
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
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Sandra Kegel Frankfurter Allgemeine Zeitung