Hinter Franziska liegen zwei Jahre in Paris und eine auf erwachsene Art beendete Beziehung. In Sachen Selbstverwirklichung steht sie gut da - abgeschlossenes Studium, solides Einkommen, gesundes Sozialleben, untrügliches Stilempfinden - und doch scheint etwas zu fehlen. Auf der Suche nach der verlorenen Leichtigkeit sitzt sie in Cafés, arbeitet Aufträge ab, treibt Sport und trifft ihre Freund:innen. Um sie herum prallen Lebensentwürfe aufeinander, Stadtflucht und reflektierter Drogenkonsum, authentische Social-Media-Profile und künstlich beschworene Zwischenmenschlichkeit. Franziska beobachtet die Ambivalenzen ihrer Gegenwart ungerührt und schreibt darüber aus sicherer Distanz in einem Romanmanuskript - bis ein unabgeschlossenes Kapitel sie mit großer Wucht einholt. Mit feinem Humor und einer präzisen Sprache beschreibt Carla Kaspari ein Milieu, ohne ihre Protagonist:innen vorzuführen, aber auch ohne auf sie hereinzufallen.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Aurelie von Blazekovic wünscht Carla Kaspari wenigstens einen Bruchteil von dem Erfolg, den die Irin Sally Rooney momentan erlebt, an deren Bestseller sich Blazekovic bei der Lektüre von Kasparis Debüt erinnert fühlt. Es ist die zarte und dadurch umso schmerzvollere Ironie, der düster-dumpfe Humor, der die beiden Autorinnen verbindet. In "Freizeit" steht diese Ironie quasi für sich selbst, für jene "Uneigentlichkeit", die Kasparis Protagonistin und ironisiertes Alter Ego als so quälend empfindet, da sie ihr den Zugang zu jeder authentischen, unmittelbaren Erfahrung versperrt. Alles ist Klischee in dieser Welt, in der man sich "oft wie etwas vorkommt, aber nie etwas ist", beschreibt die Rezensentin. Genau das ist das Lebensgefühl, das die Autorin auf kunstvolle Weise zu fassen vermag. Die konsequente ironische Selbstreferentialität des Romans samt Vorwegnahme der eigenen Rezeption, erscheint der angetanen Rezensenten daher nur folgerichtig.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.07.2022Diese verdammte Uneigentlichkeit
Carla Kaspari hat einen der wenigen guten Twitter-Accounts. Und jetzt ihren ersten Roman
Im Elternhaus von Franziska hängt eine Uhr, auf der ein lachender Marienkäfer abgebildet ist. In Montpellier, in der Wohnung der Eltern von Cyril, stehen ausgewählte Holzmöbel auf hübsch marmoriertem Steinboden. Französische Eleganz gegen westdeutsches Vorstadtspießertum. Daran liegt es aber nicht, dass Franziska mit Cyril, ihrem netten, sie aufrichtig liebenden Freund Schluss macht. Auf einer Party erinnert er sie an einen Hund, und sie schämt sich dafür. Die Beziehung wurde auf eine erwachsene Art beendet, findet sie. Du hast dich verändert, sagen die Blicke ihrer Freunde, vor allem der von Mina.
Etwas ist zu Ende gegangen zu Beginn von Carla Kasparis Debütroman, etwas größeres als eine Beziehung, ein unbefangener Blick auf die Dinge und auf sich selbst vielleicht, womöglich eine Jugend. Franziska ist gerade 27 geworden und denkt darüber nach, sich ein Haustier anzuschaffen.
Beruflich schreibt sie, verdiente als Werbetexterin schon mit Anfang 20 schneller Geld, als sie es ausgeben konnte. Über die Jahre, die „Freizeit“ in nicht chronologischen Episoden abbildet, entwickelt sie künstlerische Ambitionen, beginnt an einem Roman mit dem Titel „Freizeit“ zu arbeiten. Und weil sie so viel schreibt, an ihrem Manuskript, an der Autobiografie einer Motivationstrainerin, für die Songtexte von österreichischen Rappern und mit ihren Freunden von der Schule und aus den beiden Jahren in Paris auf Whatsapp, erlebt Franziska oft Dinge und denkt dann gleich, dass sie ein Klischee sind.
Es ist die ewige Uneigentlichkeit, die Franziska plagt. Ein Leben, in dem man sich oft wie etwas vorkommt, aber nie etwas ist. „Franziska denkt, dass es hier seit Jahren so aussieht, als wäre längst alles vorbei, aber es geht immer weiter.“ Solche Sätze gibt es oft im Roman, in ihrer feinen Ironie könnte man sie sich gut auf Twitter vorstellen. Was daran erinnert, dass die Autorin einen der wenigen wirklich guten Twitter-Accounts in Deutschland hat.
Carla Kaspari, geboren 1991, lebt in Köln und hat in Bonn und Paris Literatur und Musik studiert, auf Twitter unterhält sie derzeit 7153 Menschen mit Sätzen wie: „es ist eure schuld dass das mofarennen 2022 im kliemannsland abgesagt wird“. Über Franziska, ihre Protagonistin, heißt es in „Freizeit“: „Franziskas erster Text in Romanlänge war entgegen der Erwartung ihrer 4365 Twitter-Follower kein Coming-of-Age-Roman geworden. Er hatte mit keinem Satz Anlass geboten, ihn als einen Roman zu besprechen, der das Lebensgefühl einer Generation formulierte. Auch sonst ließ er keine Verbindung mit Franziska vermuten, weil er nicht unter Franziskas Namen veröffentlicht worden war.“ Die schon Teil des Werks gewordene Rezeption des Werks ist die konsequente Krönung eines ironischen Versteckspiels, das Franziska eigentlich nicht mehr spielen möchte.
Um eine Generation geht es in „Freizeit“ natürlich nicht, aber über junge Leute, die oft lieber gut schlafen, als Sex zu haben. Es wird über die Pop-Genres Trap und Deep House gesprochen, Leute ziehen aufs Land, nehmen MDMA, besuchen uralte Imbissbuden, machen vegane Brotaufstriche, masturbieren und starten ihren Eisprung selbständig mithilfe von Yoga. „Hippies,“ denkt Franziska über ihre Mitte-zwanzig-Welt und die ganzen kritischen Menschen aus ihren Vorstädten, mal mit Selbsthass, mal eher unbeteiligt. Franziska denkt, dass Entscheidungen fast nie richtig oder falsch sind, sondern meistens gefällt werden, damit es weitergeht.
„Freizeit“ ist strukturiert durch Freundschaften, alte und neuere, zwischen Frauen und Männern und Frauen und Frauen. Und die anderen, die zum tragisch-schönen Liebesdreieck mutieren. Die Coming-of-Age-Geschichte, die es nicht sein will, ist es natürlich doch, wenn auch eine in ihrer Losgelöstheit von den Dingen dumpf schmerzende.
Der Roman erinnert dabei mit seiner auf eher dunkle Art humorvollen Perspektive auf ein studentisches Milieu und der so präsenten weiblichen Körperlichkeit fast ein wenig an den Bestseller „Normale Menschen“ der gleichaltrigen Irin Sally Rooney. Einen Teil des Welterfolgs von Rooney kann man Carla Kaspari nur wünschen, den besseren Twitter-Account hat sie schon.
AURELIE VON BLAZEKOVIC
Carla Kaspari: Freizeit. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022. 298 Seiten, 15 Euro.
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Carla Kaspari hat einen der wenigen guten Twitter-Accounts. Und jetzt ihren ersten Roman
Im Elternhaus von Franziska hängt eine Uhr, auf der ein lachender Marienkäfer abgebildet ist. In Montpellier, in der Wohnung der Eltern von Cyril, stehen ausgewählte Holzmöbel auf hübsch marmoriertem Steinboden. Französische Eleganz gegen westdeutsches Vorstadtspießertum. Daran liegt es aber nicht, dass Franziska mit Cyril, ihrem netten, sie aufrichtig liebenden Freund Schluss macht. Auf einer Party erinnert er sie an einen Hund, und sie schämt sich dafür. Die Beziehung wurde auf eine erwachsene Art beendet, findet sie. Du hast dich verändert, sagen die Blicke ihrer Freunde, vor allem der von Mina.
Etwas ist zu Ende gegangen zu Beginn von Carla Kasparis Debütroman, etwas größeres als eine Beziehung, ein unbefangener Blick auf die Dinge und auf sich selbst vielleicht, womöglich eine Jugend. Franziska ist gerade 27 geworden und denkt darüber nach, sich ein Haustier anzuschaffen.
Beruflich schreibt sie, verdiente als Werbetexterin schon mit Anfang 20 schneller Geld, als sie es ausgeben konnte. Über die Jahre, die „Freizeit“ in nicht chronologischen Episoden abbildet, entwickelt sie künstlerische Ambitionen, beginnt an einem Roman mit dem Titel „Freizeit“ zu arbeiten. Und weil sie so viel schreibt, an ihrem Manuskript, an der Autobiografie einer Motivationstrainerin, für die Songtexte von österreichischen Rappern und mit ihren Freunden von der Schule und aus den beiden Jahren in Paris auf Whatsapp, erlebt Franziska oft Dinge und denkt dann gleich, dass sie ein Klischee sind.
Es ist die ewige Uneigentlichkeit, die Franziska plagt. Ein Leben, in dem man sich oft wie etwas vorkommt, aber nie etwas ist. „Franziska denkt, dass es hier seit Jahren so aussieht, als wäre längst alles vorbei, aber es geht immer weiter.“ Solche Sätze gibt es oft im Roman, in ihrer feinen Ironie könnte man sie sich gut auf Twitter vorstellen. Was daran erinnert, dass die Autorin einen der wenigen wirklich guten Twitter-Accounts in Deutschland hat.
Carla Kaspari, geboren 1991, lebt in Köln und hat in Bonn und Paris Literatur und Musik studiert, auf Twitter unterhält sie derzeit 7153 Menschen mit Sätzen wie: „es ist eure schuld dass das mofarennen 2022 im kliemannsland abgesagt wird“. Über Franziska, ihre Protagonistin, heißt es in „Freizeit“: „Franziskas erster Text in Romanlänge war entgegen der Erwartung ihrer 4365 Twitter-Follower kein Coming-of-Age-Roman geworden. Er hatte mit keinem Satz Anlass geboten, ihn als einen Roman zu besprechen, der das Lebensgefühl einer Generation formulierte. Auch sonst ließ er keine Verbindung mit Franziska vermuten, weil er nicht unter Franziskas Namen veröffentlicht worden war.“ Die schon Teil des Werks gewordene Rezeption des Werks ist die konsequente Krönung eines ironischen Versteckspiels, das Franziska eigentlich nicht mehr spielen möchte.
Um eine Generation geht es in „Freizeit“ natürlich nicht, aber über junge Leute, die oft lieber gut schlafen, als Sex zu haben. Es wird über die Pop-Genres Trap und Deep House gesprochen, Leute ziehen aufs Land, nehmen MDMA, besuchen uralte Imbissbuden, machen vegane Brotaufstriche, masturbieren und starten ihren Eisprung selbständig mithilfe von Yoga. „Hippies,“ denkt Franziska über ihre Mitte-zwanzig-Welt und die ganzen kritischen Menschen aus ihren Vorstädten, mal mit Selbsthass, mal eher unbeteiligt. Franziska denkt, dass Entscheidungen fast nie richtig oder falsch sind, sondern meistens gefällt werden, damit es weitergeht.
„Freizeit“ ist strukturiert durch Freundschaften, alte und neuere, zwischen Frauen und Männern und Frauen und Frauen. Und die anderen, die zum tragisch-schönen Liebesdreieck mutieren. Die Coming-of-Age-Geschichte, die es nicht sein will, ist es natürlich doch, wenn auch eine in ihrer Losgelöstheit von den Dingen dumpf schmerzende.
Der Roman erinnert dabei mit seiner auf eher dunkle Art humorvollen Perspektive auf ein studentisches Milieu und der so präsenten weiblichen Körperlichkeit fast ein wenig an den Bestseller „Normale Menschen“ der gleichaltrigen Irin Sally Rooney. Einen Teil des Welterfolgs von Rooney kann man Carla Kaspari nur wünschen, den besseren Twitter-Account hat sie schon.
AURELIE VON BLAZEKOVIC
Carla Kaspari: Freizeit. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022. 298 Seiten, 15 Euro.
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»Kaspari erzählt vom Ende der Leichtigkeit, von jungen Menschen, die zwischen Klimakrise, Pandemie und Kriegsnachrichten aufgerieben scheinen und sich dennoch zuerst mal um sich selbst kümmern müssen.« Philip Dulle Profil 20220916