Fuchs, du stiehlst allen die Show Fuchs 8 war immer schon neugierig und ein bisschen anders als die anderen Füchse seiner Gruppe. So hat er die menschliche Sprache gelernt, weil er sich gern in den Büschen vor den Häusern versteckte und zuhörte, wenn die Menschen ihren Kindern Gutenachtgeschichten vorlasen. Die Macht der Worte und Geschichten befeuert seine Neugier auf diese Wesen, bis Gefahr am Horizont auftaucht: Der Bau eines riesigen Einkaufszentrums zerstört den Wald, in dem die Füchse leben, und sie finden kaum noch Nahrung. Dem stets belächelten Tagträumer Fuchs 8 bleibt nur eines: Er beschließt, seine Fuchsfamilie zu retten, und macht sich auf den Weg zu den Menschen …
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.12.2019Libe Mänschen
George Saunders erzählt aus der
Perspektive eines Fuchses
Wie über ein Buch schreiben, das in der Form eines Briefes auftritt, den ein Fuchs an die Menschen schreibt, nachdem dieser Fuchs unsere Sprache gelernt hat – oder das, was er dafür hält: „Mänschisch“?
Der Held dieses Briefromans heißt „Fuks 8“ und seinen Brief an die Menschen beginnt er mit dem Satz: „Libe Leserinen und Leser: Zuers möchte ich sagen, Entschuldigung für alle Wörter di ich falsch schreibe.“ Fuks 8 hat die menschliche Sprache an einem Kinderzimmerfenster gelernt, nachdem dort seine Leidenschaft für die „Musikwörter“ entfacht worden ist. Was das bringen soll, verstehen die anderen Füchse nicht wirklich. Dann aber wird in den Wald hinein eine Mall gebaut.
In einer Mischung aus Verzweiflung und Neugierde zieht Fuks 8 irgendwann los – begleitet von seinem Kumpel Fuks 7 – und besucht die „Mool“. Was sich dann so liest: „Der Boden ist wi Glas. Oder Eis. Und was wir da geseen haben, Froinde!“ Nämlich: „Zobedaf, mit gefangenen Kazzen!“, „ein klein Flus, der flos zwar, aber roch nich richtig“, dazu noch „falsche Fälsen“, „Boime“ und natürlich eine lange „Fressmaile“. Fuks 8 und 7 haben die Konsumhölle der Menschen betreten, eine Glitzerwelt, die sie zunächst auch unglaublich interessiert. Die Verstimmungen beginnen später, als ein Fuchs sterben muss, und der Auszug aus dem Paradies beginnt. Doch bis dahin: Staunen, Wundern, kindliche Freude, als wäre Fuks 8 kein Fuchs, sondern ein Fünfjähriger bei seinem ersten Besuch in der „Mall of Berlin“.
Der Autor dieses dünnen, aber anrührend schönen Buchs ist George Saunders, der für den Roman „Lincoln im Bardo“ vor zwei Jahren den Man Booker Prize bekommen hat. Saunders wird zuweilen mit Kafka verglichen, vielen gilt er als der aufregendste amerikanische Schriftsteller der Gegenwart, aber wenn man ihn darauf anspricht, sagt Saunders ohne zu zögern: „großer Blödsinn“.
Was trotzdem nicht von der Hand zu weisen ist: Saunders‘ Wille zu erzählerischer Innovation ist beachtlich. Seine Erzählungen zu lesen, bedeutete schon immer, in die Köpfe (und damit in das Denken, die Sprache) von Friseuren ohne Zehen versetzt zu werden, übergewichtigen Kindern, Psychopathen, zuletzt selbst Toten. Dass er sich jetzt einen Fuchs für seine Erzählmethode erwählt hat, ist also wieder aberwitzig, andererseits aber auch konsequent. Tatsächlich erschien die Fuchs-Geschichte 2013 in den USA schon als E-Book, wirkt aber jetzt, da sie gebunden vorliegt, wie der vorläufige Höhepunkt der Kunst des George Saunders.
Diese Kunst funktionierte seit seinem allerersten Erzählband („BürgerKriegsLand fast am Ende“, auf Deutsch 1997 erschienen) so, dass Saunders die absonderlichsten Kreaturen in Plots verwebte, an deren Ende kein moralisches Fazit stand, aber doch ein Gefühl von Empathie mit den Kreaturen. Man lernte bei Saunders den Blick des Idioten, des Loosers, nervenden Typen, dicken Jungen, der asozialen Nachbarin kennen und damit auch: zu mögen. Jetzt versetzt Saunders seine Leser in den Kopf eines Fuchses, um freie Sicht auf den Menschen als solchen zu haben.
An dieser Stelle ist unvermeidlich, den Namen Frank Heibert zu nennen, der seit Jahren George Saunders ins Deutsche übersetzt – und das so genial und kongenial, dass ihm sein Platz im Übersetzungshimmel jetzt schon sicher ist, und zwar direkt neben Ulrich Blumenbach, dem anderen deutschsprachigen Extremisten der Übersetzungskunst.
Fuks 8 schreibt seinen Brief übrigens an die Menschen, um nach der Tragödie seines Fuchslebens wieder Hoffnung und Freude schöpfen zu können, er macht also eine Schreibtherapie, ein Motiv, an dem Philologen ihre Freude haben werden. Genauso wie an der Tatsache, dass sich Saunders mit seiner Erzählung in die europäische Tradition der Fuchsdichtung einsortiert, lebendig spätestens seit dem 12. Jahrhundert in Frankreich und bekannt durch Goethes „Reineke Fuchs“. Eine interessante Pointe, aber es ist nicht das Zentrum dieser Geschichte. Denn Fuks 8 ist wilder und verstörender als jeder Reineke Fuchs. Und vor allem viel lustiger.
HANNES VOLLMUTH
George Saunders: Fuchs 8. Roman. Aus dem Englischen von Frank Heibert. Luchterhand, München 2019. 56 Seiten, 12 Euro.
Der Fuchs schreibt, um wieder
Hoffnung zu finden,
als eine Art Schreibtherapie
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
George Saunders erzählt aus der
Perspektive eines Fuchses
Wie über ein Buch schreiben, das in der Form eines Briefes auftritt, den ein Fuchs an die Menschen schreibt, nachdem dieser Fuchs unsere Sprache gelernt hat – oder das, was er dafür hält: „Mänschisch“?
Der Held dieses Briefromans heißt „Fuks 8“ und seinen Brief an die Menschen beginnt er mit dem Satz: „Libe Leserinen und Leser: Zuers möchte ich sagen, Entschuldigung für alle Wörter di ich falsch schreibe.“ Fuks 8 hat die menschliche Sprache an einem Kinderzimmerfenster gelernt, nachdem dort seine Leidenschaft für die „Musikwörter“ entfacht worden ist. Was das bringen soll, verstehen die anderen Füchse nicht wirklich. Dann aber wird in den Wald hinein eine Mall gebaut.
In einer Mischung aus Verzweiflung und Neugierde zieht Fuks 8 irgendwann los – begleitet von seinem Kumpel Fuks 7 – und besucht die „Mool“. Was sich dann so liest: „Der Boden ist wi Glas. Oder Eis. Und was wir da geseen haben, Froinde!“ Nämlich: „Zobedaf, mit gefangenen Kazzen!“, „ein klein Flus, der flos zwar, aber roch nich richtig“, dazu noch „falsche Fälsen“, „Boime“ und natürlich eine lange „Fressmaile“. Fuks 8 und 7 haben die Konsumhölle der Menschen betreten, eine Glitzerwelt, die sie zunächst auch unglaublich interessiert. Die Verstimmungen beginnen später, als ein Fuchs sterben muss, und der Auszug aus dem Paradies beginnt. Doch bis dahin: Staunen, Wundern, kindliche Freude, als wäre Fuks 8 kein Fuchs, sondern ein Fünfjähriger bei seinem ersten Besuch in der „Mall of Berlin“.
Der Autor dieses dünnen, aber anrührend schönen Buchs ist George Saunders, der für den Roman „Lincoln im Bardo“ vor zwei Jahren den Man Booker Prize bekommen hat. Saunders wird zuweilen mit Kafka verglichen, vielen gilt er als der aufregendste amerikanische Schriftsteller der Gegenwart, aber wenn man ihn darauf anspricht, sagt Saunders ohne zu zögern: „großer Blödsinn“.
Was trotzdem nicht von der Hand zu weisen ist: Saunders‘ Wille zu erzählerischer Innovation ist beachtlich. Seine Erzählungen zu lesen, bedeutete schon immer, in die Köpfe (und damit in das Denken, die Sprache) von Friseuren ohne Zehen versetzt zu werden, übergewichtigen Kindern, Psychopathen, zuletzt selbst Toten. Dass er sich jetzt einen Fuchs für seine Erzählmethode erwählt hat, ist also wieder aberwitzig, andererseits aber auch konsequent. Tatsächlich erschien die Fuchs-Geschichte 2013 in den USA schon als E-Book, wirkt aber jetzt, da sie gebunden vorliegt, wie der vorläufige Höhepunkt der Kunst des George Saunders.
Diese Kunst funktionierte seit seinem allerersten Erzählband („BürgerKriegsLand fast am Ende“, auf Deutsch 1997 erschienen) so, dass Saunders die absonderlichsten Kreaturen in Plots verwebte, an deren Ende kein moralisches Fazit stand, aber doch ein Gefühl von Empathie mit den Kreaturen. Man lernte bei Saunders den Blick des Idioten, des Loosers, nervenden Typen, dicken Jungen, der asozialen Nachbarin kennen und damit auch: zu mögen. Jetzt versetzt Saunders seine Leser in den Kopf eines Fuchses, um freie Sicht auf den Menschen als solchen zu haben.
An dieser Stelle ist unvermeidlich, den Namen Frank Heibert zu nennen, der seit Jahren George Saunders ins Deutsche übersetzt – und das so genial und kongenial, dass ihm sein Platz im Übersetzungshimmel jetzt schon sicher ist, und zwar direkt neben Ulrich Blumenbach, dem anderen deutschsprachigen Extremisten der Übersetzungskunst.
Fuks 8 schreibt seinen Brief übrigens an die Menschen, um nach der Tragödie seines Fuchslebens wieder Hoffnung und Freude schöpfen zu können, er macht also eine Schreibtherapie, ein Motiv, an dem Philologen ihre Freude haben werden. Genauso wie an der Tatsache, dass sich Saunders mit seiner Erzählung in die europäische Tradition der Fuchsdichtung einsortiert, lebendig spätestens seit dem 12. Jahrhundert in Frankreich und bekannt durch Goethes „Reineke Fuchs“. Eine interessante Pointe, aber es ist nicht das Zentrum dieser Geschichte. Denn Fuks 8 ist wilder und verstörender als jeder Reineke Fuchs. Und vor allem viel lustiger.
HANNES VOLLMUTH
George Saunders: Fuchs 8. Roman. Aus dem Englischen von Frank Heibert. Luchterhand, München 2019. 56 Seiten, 12 Euro.
Der Fuchs schreibt, um wieder
Hoffnung zu finden,
als eine Art Schreibtherapie
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.01.2020Was für ein ausgefabeltes Antimärchen!
Bei George Saunders liest uns ein Schlaufuchs die Leviten
Dagegen kommt kein Goethe an. "Reineke Fuchs" war eben bloße Fabel, ein verschlagenes Lob auf Vulpes vulpes vielleicht noch, den Isegrim-Austrickser, aber letztlich nichts als Allegorie. "Fuchs 8" hingegen ist ein "J'accuse" von welterschütterndem Format, das die schwerste aller literarischen Kategorien, das Naive, bravourös beherrscht. Bezwingend einfach und vollständig kitschfrei erzählen zu können, wie die Natur in Gestalt ihres (dann doch) schlausten Vertreters zu einer Stimme findet, die das einzige Tier, das bewusst böse sein kann (und sich deshalb moralisch für überlegen hält), versteht, das erfordert einen Meisterliteraten wie George Saunders.
Und wenn dieses Metamärchen auch im Deutschen so gut funktionieren soll, wie das hier der Fall ist, dann braucht es noch einen Meisterübersetzer wie Frank Heibert, der die rührend lakonische Ausdrucksweise des Fuchses, der durch Zuhören die Menschensprache erlernt hat (und auch nicht falscher schreibt als die meisten Grundschüler nach der Macht-doch-was-ihr-wollt-Methode), "perfekk" nachempfunden hat: "Zuers möchte ich sagen, Entschuldigung für alle Wörter die ich falsch schreibe. Weil ich bin ein Fuks!"
Fuchs 8, der Schlaufuchs, kann seiner Gruppe denn auch mitteilen, was er auf einem Schild gelesen hat: dass in Kürze "ein Fuksblikk Zenter" eröffnet wird, und zwar just da, wo der heimatliche Forst steht. Ängstlich fragt man sich im Bau: "Wird uns das jagen?" Das war fuchsnaiv, denn was geschieht, ist "vil schlimmer". Alles verschwindet: Wald, Fische, "fette lang sarme Moise". Fuchs 8 bringt die Misere auf den Punkt: "Niks zu beisen." Man muss es also wagen, um nicht zu krepieren: den Gang zu den Menschen.
Das ist eine zunächst beglückende, aber bald so schmerzhaft-tragische Erfahrung, dass kein Fuchsgehirn sie zu erfassen vermag. Die herzensreinen Tiere, die selbst mit Hühnern "ein super fären Dil" haben (Fressen nur bei klar ausgedrückter Zustimmung), stehen erschüttert vor der sich selbst genügenden Grausamkeit. Und immer noch unterstellen sie zu unseren Gunsten, so etwas, wie es in der Geschichte Tieren widerfährt, tue ein Mensch wohl keinem Menschen an.
Wenn sie wüssten, was es heißt, dass sich der Planet mit Homo sapiens infiziert hat! Saunders lässt seinen kindlich weisen Vierbeiner aber nicht einfach "How dare you?" fragen, sondern legt ihm einen Ratschlag in die Schnauze, den wir uns, sofern wir auf ein "Heppi Ent" hoffen, hinter die Löffel schreiben sollten. Und der hier natürlich nicht verraten wird.
OLIVER JUNGEN
George Saunders: "Fuchs 8".
Mit Illustrationen von Chelsea Cardinal. Aus dem Englischen von Frank Heibert. Luchterhand Literaturverlag, München 2019. 56 S., geb., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bei George Saunders liest uns ein Schlaufuchs die Leviten
Dagegen kommt kein Goethe an. "Reineke Fuchs" war eben bloße Fabel, ein verschlagenes Lob auf Vulpes vulpes vielleicht noch, den Isegrim-Austrickser, aber letztlich nichts als Allegorie. "Fuchs 8" hingegen ist ein "J'accuse" von welterschütterndem Format, das die schwerste aller literarischen Kategorien, das Naive, bravourös beherrscht. Bezwingend einfach und vollständig kitschfrei erzählen zu können, wie die Natur in Gestalt ihres (dann doch) schlausten Vertreters zu einer Stimme findet, die das einzige Tier, das bewusst böse sein kann (und sich deshalb moralisch für überlegen hält), versteht, das erfordert einen Meisterliteraten wie George Saunders.
Und wenn dieses Metamärchen auch im Deutschen so gut funktionieren soll, wie das hier der Fall ist, dann braucht es noch einen Meisterübersetzer wie Frank Heibert, der die rührend lakonische Ausdrucksweise des Fuchses, der durch Zuhören die Menschensprache erlernt hat (und auch nicht falscher schreibt als die meisten Grundschüler nach der Macht-doch-was-ihr-wollt-Methode), "perfekk" nachempfunden hat: "Zuers möchte ich sagen, Entschuldigung für alle Wörter die ich falsch schreibe. Weil ich bin ein Fuks!"
Fuchs 8, der Schlaufuchs, kann seiner Gruppe denn auch mitteilen, was er auf einem Schild gelesen hat: dass in Kürze "ein Fuksblikk Zenter" eröffnet wird, und zwar just da, wo der heimatliche Forst steht. Ängstlich fragt man sich im Bau: "Wird uns das jagen?" Das war fuchsnaiv, denn was geschieht, ist "vil schlimmer". Alles verschwindet: Wald, Fische, "fette lang sarme Moise". Fuchs 8 bringt die Misere auf den Punkt: "Niks zu beisen." Man muss es also wagen, um nicht zu krepieren: den Gang zu den Menschen.
Das ist eine zunächst beglückende, aber bald so schmerzhaft-tragische Erfahrung, dass kein Fuchsgehirn sie zu erfassen vermag. Die herzensreinen Tiere, die selbst mit Hühnern "ein super fären Dil" haben (Fressen nur bei klar ausgedrückter Zustimmung), stehen erschüttert vor der sich selbst genügenden Grausamkeit. Und immer noch unterstellen sie zu unseren Gunsten, so etwas, wie es in der Geschichte Tieren widerfährt, tue ein Mensch wohl keinem Menschen an.
Wenn sie wüssten, was es heißt, dass sich der Planet mit Homo sapiens infiziert hat! Saunders lässt seinen kindlich weisen Vierbeiner aber nicht einfach "How dare you?" fragen, sondern legt ihm einen Ratschlag in die Schnauze, den wir uns, sofern wir auf ein "Heppi Ent" hoffen, hinter die Löffel schreiben sollten. Und der hier natürlich nicht verraten wird.
OLIVER JUNGEN
George Saunders: "Fuchs 8".
Mit Illustrationen von Chelsea Cardinal. Aus dem Englischen von Frank Heibert. Luchterhand Literaturverlag, München 2019. 56 S., geb., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Wenn Sie noch wenigstens ein bisschen Kind im Herzen haben, ist das das Allerallerschönste, was Sie sich, Ihren Lieben und überhaupt antun können.« Thea Dorn / ZDF - Das Literarische Quartett