"Als ich elf Jahre alt war, spielten wir Fußball mit allem, was sich treten ließ. An der Bushaltestelle kickten wir mit Quitten aus den Sträuchern neben dem Wartehäuschen. Auf dem Pausenhof kickten wir mit flachgedrückten Kakaotüten. Auf dem Heimweg von der Schule kickten wir mit zusammengedrücktem Butterbrotpapier. Am Nachmittag im Park kickten wir sogar mit einem Ball. Zum Kicken war uns alles recht." So fing es an für Axel Hacke, der nicht nur Fußballfreund ist, sondern auch viele Jahre Sportreporter war. In diesem Buch spürt er den Gefühlen nach, die in unserem fußballbegeisterten Land fast jeder kennt: der Liebe zum Spiel, der Treue zum Verein, der Wut auf den Gegner, der Sehnsucht nach dem Tor, dem Fußball als Obsession. Axel Hacke saß oft vor dem Fernseher und war in vielen Stadien, er hat mit großen Spielern gesprochen und erinnert sich an legendäre Spiele, ja, er hat selbst Mannschaften aufgestellt wie den "Albtraum der Radioreporter": Tskitishvili, Ogungbure, Grlic, Mbwando, Younga-Mouhani, Tsoumou-Madza, Schindzielorz, El-Akchaoui, Krzynowek,Djordjevic, Ouedraogo. Und jetzt hat er ein Fußballbuch geschrieben, wie es noch keines gab, fantasievoll, spielerisch, witzig, emotional, kenntnisreich und vielseitig, eine einzigartige Mischung aus Reportage, Essay und Feuilleton: eine Geschichte der Gefühle, die uns mit dem Fußball verbinden.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Hymnisch bespricht Rezensent Christian Thomas das pünktlich zur WM erscheinende Buch "Fußballgefühle" seines SZ-Kollegen Axel Hacke. Der Kritiker kann gar nicht aufhören zu schwärmen, etwa wenn er liest, wie der ehemalige Sportreporter von seinen Kindheitserinnerungen an Wohnungsflurfußball berichtet, den Leser mit auf seine eindrücklichsten und privaten Erlebnisse als Fußballreporter mitnimmt und in jeder Zeile seine Liebe zum Sport ausdrückt. Thomas schwelgt mit dem Autor in Erinnerungen an unvergessliche Momente wie den Finalsieg der Bayern 2013 in Wembley, bewundert sein Talent, sein Thema leidenschaftlich und doch "souverän" auszubreiten und schaut auch über den Tellerrand hinaus: Religiöse oder gar erotische Dimensionen des Sports werden hier ebenso erörtert wie ökonomische Hintergründe oder Gewaltexzesse wie sie Hacke in seiner Zeit als Reporter etwa bei der WM 1998 in Frankreich begegneten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.05.2014Das Beste kommt beim Schlusspfiff
Er ist dem beliebtesten Spiel der Welt verfallen und wundert sich doch darüber: Axel Hacke zeigt, dass er ein Fußballversteher der Sonderklasse ist.
Er sei ein "Fußballfreund" - mit diesem angenehm altmodischen und bescheidenen Wort umreißt Axel Hacke seine Motivation fürs Schreiben dieses Buches. Nicht seine Wurzeln als Sportreporter, nicht seine Existenz als Fan, nicht der aktuelle Anlass der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien stehen also hinter dem ehrgeizigen Projekt, die Emotionalität dieses Globalspiels zu beschreiben - sondern die milde Zuneigung zum Fußball an sich. Ohne Wut und Häme, ohne Affenliebe und Fanatismus an den Fußball heranzugehen erweist sich als Glücksfall. Denn Axel Hacke gelingt es aus der Halbdistanz, die beiden notwendigen Ingredienzien wunderbar auszubalancieren: sein eigenes Verfallensein ans Gebaren kickender Männer in kurzen Hosen - und die gleichzeitige Verwunderung darüber.
In Wahrheit ist Hacke ein großer Fußballversteher. Ohne beachtliche Erfahrung als Konsument und Mitleidender epochaler und vollkommen unwichtiger Partien, ohne langjähriges Recherchieren in der Fanszene, ohne Kenntnis der Fußballdiskurse vom "Kicker" bis zur komplexesten Sportsoziologie würde Hackes sehr persönlicher Blick aufs Spielfeld fehlerhaft oder peinlich enden. Denn längst nicht jeder, der gerne über Fußball schreibt, sollte das auch tun. Hier aber hat einer den schwerelosen, spielerischen, selbstironischen Ton gefunden, der dem Fußball so guttut.
Und der Autor kommt dabei bewundernswert oft zu philosophischen Einsichten, legt die metaphysische Kraft des Spiels immer neu frei. So deutet Hacke die Erfindung der Zeitlupe als messbares Manko der Evolution: "Man muss sich ja nur mal vorstellen, der liebe Gott hätte auch die Zeitlupe in unsere Existenz integriert. Man könnte dann jederzeit unser Dasein, wenn es einen besonders interessiert oder einem besonders gefällt, langsamer laufen lassen. Die Zeit dehnen während der Schlüsselszenen des Lebens oder auch nur während eines Kusses, eines ersten Schluckes aus dem Bierglas."Das beweist nebenbei auch noch die Überlegenheit des Fußballs über das sonstige Leben, was dann die unglaubliche Beliebtheit einer Versuchsanordnung erklärt, bei der zweiundzwanzig Menschen über einen Ball miteinander kommunizieren.
Unser weiser Fußballfreund geht aber auch ins Stadion, weil er weiß: "Fußball im Fernsehen ist, als bekäme man Dostojewskijs ,Verbrechen und Strafe' von (im besten Fall) Marcel Reif erzählt - und zwar nur die Stellen, an denen grade richtig was los ist." Einfühlsam erzählt der Autor von Menschen, die ihr Leben der Fußball-Leidenschaft geopfert haben. Etwa vom "Chelsea-Andy", der sich für 1860 München und den FC Chelsea durch seine Jugend geprügelt hat, aber dabei ein grundanständiger Kerl geblieben ist, den seine Widersacher von der Münchner Polizei irgendwann gar zu einem Bankett einluden. Die Mär, Gewalt und Hass hätten mit diesem Sport nichts zu tun, widerlegt Hacke nebenbei: Fußball ist eine allumfassende soziale Tatsache, die Atavistisches im Menschen freilegt und nicht ethischer sein kann als die Gesellschaft, die das Spiel hervorbringt. Dafür entsteht dann immer wieder staunenswert Schönes, kommen Hunderttausende gegen jede Wahrscheinlichkeit friedlich und würdig zusammen.
Preise sind dafür indes zu zahlen, rein ökonomisch im Sozialprodukt, aber auch auf der Erfolgsseite. Hacke schildert den in Deutschland gnadenlos verkannten Berti Vogts als Zwangscharakter, der sein Leben lang im Fußball Lebenssinn und jenseits des Fußballs Ruhe zu finden sucht. Oder Jürgen Klinsmann, der nur mit der Hyperaktivität auf und neben dem Platz seinen körperlich schmerzenden Ehrgeiz befriedigen kann. Von solchen Kabinettstückchen psychologischer Beschreibungskunst schlägt Hacke Pässe zu urkomischen, dadaistischen Beobachtungen über Fußballernamen, zu Anekdoten oder kurioser Historie. Das sei auch das Herrliche am Spiel: "Man kommt bei den geringsten Anlässen ins Erzählen. Und Geschichten gibt es immer."
Man kommt aus dem Loben der Facetten dieses Geschichtenbuches, das nebenbei mit einem putzigen Fußball-Daumenkino ausgestattet ist, gar nicht heraus. Alles ist mit einer offensiven Leichtigkeit geschrieben, die an den "Totaalvoetbal" von Johan Cruiyffs legendärem Ajax Amsterdam erinnert. Hacke schaut sich - politisch inkorrekt - keinen Frauenfußball an, schildert als Pädagoge und Autobiograph die frühkindliche Prägung durch kickende Stars (woraus sich dann wohl die lebenslangen Gefühle speisen) und verachtet von Herzen den italienischen Fußball mit seiner Effektivitätsdefensive und den billigen Schauspielereien. Muss dann aber vor der existentiellen Wucht eines Andrea Pirlo kapitulieren: "Ein Mann, der die herrlichsten Pässe mit einer Aura spielt, als wollte er sagen: Na gut, dann spiele ich diesen Pass eben doch, wenn ihr es unbedingt wollt, aber was ändert es schon daran, dass die Welt schlecht ist und wir alle sterben müssen."
Bleibt ein schlimmer schwarzer Fleck auf Hackes Trikot: Eigentlich stammt er aus der achtbaren Fußballmetropole Braunschweig und ist dort mit der Verehrung der alten Kämpen (Ulsaß! Grzyb! Wolter!) aufgewachsen. Doch das Schicksal verschlug ihn nach München, und er mutierte dort mehr volens als nolens zum Bayern-Fan. Hacke ist das merkbar peinlich, aber er steht tapfer zu seinem Los. Doch umgekehrt gilt auch: Kein anderer als dieser Autor kann solch ein schönes Fußballbuch schreiben, dessen weiseste Einsicht (sie wird hier nicht verraten) ganz am Ende kommt, beim Schlusspfiff sozusagen. Auch das haben Buch und Fußball gemeinsam.
DIRK SCHÜMER
Axel Hacke: "Fußballgefühle". Verlag Antje Kunstmann, München 2014. 175 S., geb., 16,-[Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Er ist dem beliebtesten Spiel der Welt verfallen und wundert sich doch darüber: Axel Hacke zeigt, dass er ein Fußballversteher der Sonderklasse ist.
Er sei ein "Fußballfreund" - mit diesem angenehm altmodischen und bescheidenen Wort umreißt Axel Hacke seine Motivation fürs Schreiben dieses Buches. Nicht seine Wurzeln als Sportreporter, nicht seine Existenz als Fan, nicht der aktuelle Anlass der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien stehen also hinter dem ehrgeizigen Projekt, die Emotionalität dieses Globalspiels zu beschreiben - sondern die milde Zuneigung zum Fußball an sich. Ohne Wut und Häme, ohne Affenliebe und Fanatismus an den Fußball heranzugehen erweist sich als Glücksfall. Denn Axel Hacke gelingt es aus der Halbdistanz, die beiden notwendigen Ingredienzien wunderbar auszubalancieren: sein eigenes Verfallensein ans Gebaren kickender Männer in kurzen Hosen - und die gleichzeitige Verwunderung darüber.
In Wahrheit ist Hacke ein großer Fußballversteher. Ohne beachtliche Erfahrung als Konsument und Mitleidender epochaler und vollkommen unwichtiger Partien, ohne langjähriges Recherchieren in der Fanszene, ohne Kenntnis der Fußballdiskurse vom "Kicker" bis zur komplexesten Sportsoziologie würde Hackes sehr persönlicher Blick aufs Spielfeld fehlerhaft oder peinlich enden. Denn längst nicht jeder, der gerne über Fußball schreibt, sollte das auch tun. Hier aber hat einer den schwerelosen, spielerischen, selbstironischen Ton gefunden, der dem Fußball so guttut.
Und der Autor kommt dabei bewundernswert oft zu philosophischen Einsichten, legt die metaphysische Kraft des Spiels immer neu frei. So deutet Hacke die Erfindung der Zeitlupe als messbares Manko der Evolution: "Man muss sich ja nur mal vorstellen, der liebe Gott hätte auch die Zeitlupe in unsere Existenz integriert. Man könnte dann jederzeit unser Dasein, wenn es einen besonders interessiert oder einem besonders gefällt, langsamer laufen lassen. Die Zeit dehnen während der Schlüsselszenen des Lebens oder auch nur während eines Kusses, eines ersten Schluckes aus dem Bierglas."Das beweist nebenbei auch noch die Überlegenheit des Fußballs über das sonstige Leben, was dann die unglaubliche Beliebtheit einer Versuchsanordnung erklärt, bei der zweiundzwanzig Menschen über einen Ball miteinander kommunizieren.
Unser weiser Fußballfreund geht aber auch ins Stadion, weil er weiß: "Fußball im Fernsehen ist, als bekäme man Dostojewskijs ,Verbrechen und Strafe' von (im besten Fall) Marcel Reif erzählt - und zwar nur die Stellen, an denen grade richtig was los ist." Einfühlsam erzählt der Autor von Menschen, die ihr Leben der Fußball-Leidenschaft geopfert haben. Etwa vom "Chelsea-Andy", der sich für 1860 München und den FC Chelsea durch seine Jugend geprügelt hat, aber dabei ein grundanständiger Kerl geblieben ist, den seine Widersacher von der Münchner Polizei irgendwann gar zu einem Bankett einluden. Die Mär, Gewalt und Hass hätten mit diesem Sport nichts zu tun, widerlegt Hacke nebenbei: Fußball ist eine allumfassende soziale Tatsache, die Atavistisches im Menschen freilegt und nicht ethischer sein kann als die Gesellschaft, die das Spiel hervorbringt. Dafür entsteht dann immer wieder staunenswert Schönes, kommen Hunderttausende gegen jede Wahrscheinlichkeit friedlich und würdig zusammen.
Preise sind dafür indes zu zahlen, rein ökonomisch im Sozialprodukt, aber auch auf der Erfolgsseite. Hacke schildert den in Deutschland gnadenlos verkannten Berti Vogts als Zwangscharakter, der sein Leben lang im Fußball Lebenssinn und jenseits des Fußballs Ruhe zu finden sucht. Oder Jürgen Klinsmann, der nur mit der Hyperaktivität auf und neben dem Platz seinen körperlich schmerzenden Ehrgeiz befriedigen kann. Von solchen Kabinettstückchen psychologischer Beschreibungskunst schlägt Hacke Pässe zu urkomischen, dadaistischen Beobachtungen über Fußballernamen, zu Anekdoten oder kurioser Historie. Das sei auch das Herrliche am Spiel: "Man kommt bei den geringsten Anlässen ins Erzählen. Und Geschichten gibt es immer."
Man kommt aus dem Loben der Facetten dieses Geschichtenbuches, das nebenbei mit einem putzigen Fußball-Daumenkino ausgestattet ist, gar nicht heraus. Alles ist mit einer offensiven Leichtigkeit geschrieben, die an den "Totaalvoetbal" von Johan Cruiyffs legendärem Ajax Amsterdam erinnert. Hacke schaut sich - politisch inkorrekt - keinen Frauenfußball an, schildert als Pädagoge und Autobiograph die frühkindliche Prägung durch kickende Stars (woraus sich dann wohl die lebenslangen Gefühle speisen) und verachtet von Herzen den italienischen Fußball mit seiner Effektivitätsdefensive und den billigen Schauspielereien. Muss dann aber vor der existentiellen Wucht eines Andrea Pirlo kapitulieren: "Ein Mann, der die herrlichsten Pässe mit einer Aura spielt, als wollte er sagen: Na gut, dann spiele ich diesen Pass eben doch, wenn ihr es unbedingt wollt, aber was ändert es schon daran, dass die Welt schlecht ist und wir alle sterben müssen."
Bleibt ein schlimmer schwarzer Fleck auf Hackes Trikot: Eigentlich stammt er aus der achtbaren Fußballmetropole Braunschweig und ist dort mit der Verehrung der alten Kämpen (Ulsaß! Grzyb! Wolter!) aufgewachsen. Doch das Schicksal verschlug ihn nach München, und er mutierte dort mehr volens als nolens zum Bayern-Fan. Hacke ist das merkbar peinlich, aber er steht tapfer zu seinem Los. Doch umgekehrt gilt auch: Kein anderer als dieser Autor kann solch ein schönes Fußballbuch schreiben, dessen weiseste Einsicht (sie wird hier nicht verraten) ganz am Ende kommt, beim Schlusspfiff sozusagen. Auch das haben Buch und Fußball gemeinsam.
DIRK SCHÜMER
Axel Hacke: "Fußballgefühle". Verlag Antje Kunstmann, München 2014. 175 S., geb., 16,-[Euro].
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