Vor der einzigartigen Kulisse Venedigs erzählt David Hewson eine mitreißende Geschichte von Widerstand, Liebe und Zivilcourage. Als der fünfzehnjährige Nico Uccello seinen Großvater Paolo im Krankenhaus besucht, vertraut ihm der todkranke Mann ein Manuskript an, das Nicos Leben und seinen Blick auf den geliebten "Nonno" radikal verändern wird. Im Herbst 1943 ist Venedig von deutschen Truppen besetzt. Der junge Paolo Uccello kämpft nach dem Tod seiner Eltern um den Erhalt des Familienunternehmens, einer traditionsreichen Seidenweberei. Nur widerwillig bietet er im heruntergekommenen Palazzo der Familie dem jüdischen Geschwisterpaar Mika und Giovanni Unterschlupf. Beide gehören dem italienischen Widerstand an und sind auf der Flucht vor den Nazischergen. Bald aber droht die Deportation der gesamten jüdischen Gemeinde Venedigs und Paolo muss eine Entscheidung treffen. Wird er den Mut aufbringen, das Richtige zu tun? Könnten wir es? Vom Autor der Bücher zur TV-Serie "Kommissarin Lund - Das Verbrechen". "Eine der Fragen, die ich beantworten wollte, war: Was bringt einen ganz normalen, nicht besonders heldenhaften Bürger dazu, sein Leben und das seiner Familie zu riskieren, um sich dem Terror entgegenzustellen? Woher kommt dieser Mut?"
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.03.2023Nazis am Canal Grande
Filmreif: Der Engländer David Hewson führt mit '"Garten der Engel" in ein vergessenes Kapitel der deutsch-italienischen Geschichte.
Von Hannes Hintermeier, Venedig
Ein Grau liegt über der Lagune, das alle Farbe aus der Welt saugt. Der böige Wind peitscht dunkle Schraffuren aufs Wasser. Es ist einer jener Wintertage, an denen Venedig nicht als Postkarte daherkommt, sondern als Schimäre. Den ewigen Zug der dunklen Daunenjacken stört das nicht. Die Touristen ziehen über Brücken, schieben sich durch Gassen, wie sie es immer tun. Als wäre es ihre Stadt. Dabei ist Venedig gar keine Stadt, behauptet David Hewson: "Venedig ist eine kleine Welt."
Der britische Schriftsteller, Jahrgang 1953, kennt diese Welt aus drei Jahrzehnte währender Beschäftigung gut. Für seinen neuen Roman "Garten der Engel" hat er drei Jahre recherchiert und geschrieben. Es sei sein "wichtigstes Buch" - und sein bislang aufwendigstes. Nach seiner Zeit als Journalist für die "Times", "Sunday Times" und den "Independent" hat sich der im ländlichen Kent lebende Autor Mitte der Neunzigerjahre dem Bücherschreiben zugewendet. Und seinem Lieblingsland: Zwölf seiner gut dreißig Romane spielen in Italien.
Der hochgewachsene Schlaks mit dem zurückweichenden Haar führt bei einem Ortstermin durch die entlegeneren Winkel der Stadt. Die Via Garibaldi im Viertel Castello etwa war einst ein Kanal, den man zugeschüttet hat. Hier nahm Hewson Witterung auf, stieß auf Denkmäler und Gedenktafeln von Widerstandskämpfern, fragte sich, welche Geschichten hinter den Namen stecken. Er tat es, als Trump in Amerika Präsident und dessen Lügen Staatsräson wurden. Damals habe ihn das Gefühl befallen, die Menschheit habe nichts aus ihrer Geschichte gelernt oder, schlimmer noch, diese schon wieder vergessen.
In "Garten der Engel" kombiniert Hewson diese Empfindung mit wahren Begebenheiten aus der jüngeren venezianischen Geschichte und verpackt das Ergebnis in einem handwerklich soliden historischen Kriminalroman. Der spielt im Herbst 1943. Venedig ist von Nazi-Deutschland besetzt, zweihunderttausend Menschen drängen sich in der Stadt, Geflüchtete und Fluchtbereite, italienische Faschisten, Nationalsozialisten, Partisanen. Ein junges jüdisches Geschwisterpaar, Mika und Giovanni, das im Widerstand aktiv ist, findet Unterschlupf in einer Seidenweberei, die der unlängst zum Vollwaisen gewordene Paolo Uccello weiterführen will. Während der verletzte Giovanni die Zeit im Versteck zum Erlernen des Handwerks nutzt, plant seine Schwester Mika Attentate. Paolo bringt sich durch seine Hilfsbereitschaft in akute Lebensgefahr, denn Faschisten und Nazis bedienen sich vieler Spitzel.
Einer der Schauplätze des Romans ist die Basilika San Pietro di Castello mit ihrem schiefen, freistehenden Turm, einst die wichtigste Kirche der Stadt; ein anderer das Ospedale SS Giovanni e Paolo. Die ehemalige Scuola Grande di San Marco gilt mit ihren Prunksälen aus der Frührenaissance als schönstes Krankenhaus der Welt. Hier wirkt in den Vierzigerjahren der Vorsteher der jüdischen Gemeinde, Guiseppe Jona, als Direktor. Er wird abgesetzt, als die Nationalsozialisten die Stadt Anfang September 1943 besetzen. Sie fordern von Jona eine Liste aller Juden der Stadt, damit sie ihr Vernichtungswerk fortsetzen können. Jona, der im Roman Aldo Diamante heißt, warnt seine Gemeinde, aber viel Zeit bleibt nicht. Auch ihm selbst nicht: Er vernichtet die Liste und begeht Selbstmord. Die meisten Juden werden deportiert und in Auschwitz ermordet - überall auf den Straßen der Serenissima findet man Stolpersteine mit diesem Todesort.
Gerahmt wird die historische Ebene des Romans durch eine Erzählebene in der Gegenwart. Der kranke, alte Paolo Uccello, Patient im Ospedale, übergibt seinem halbwüchsigen Enkel Nico ein Manuskript, in dem er berichtet, was sich damals zugetragen hat. Dass Hewson den Protagonisten der Geschichte nach einem Renaissancemaler benennt, ist kein Zufall - die großformatigen Schlachtengemälde Paolo Uccellos können als Folie eines epischen Abwehrkampfes gelesen werden. Denn nach einem Anschlag auf eine Festivität der Besatzer kippt die Lage ins Apokalyptische. Für jeden getöteten Deutschen werden zehn Venezianer hingerichtet.
David Hewson hatte schon Auftritte auf dem deutschen Buchmarkt bei Ullstein und Zsolnay, eine durchgesetzte Marke ist er hierzulande nicht. Er schrieb unter anderem eine zehnteilige Serie um den römischen Kommissar Nic Costa, für die dänische Fernsehserie "Kommissarin Lund - Das Verbrechen" besorgte er die Romanadaption. Die deutsche Ausgabe von "Garten der Engel" in der Übersetzung von Birgit Salzmann - auch sie eine langjährige Venedig-Verliebte - ist soeben bei Folio erschienen (386 S., geb., 27,- Euro). Hewson lobt den sorgfältig gestalteten Band als "schönste Ausgabe", die je einem seiner Bücher zuteilwurde.
Schauplatzwechsel ins Viertel Cannaregio. Auf dem Campo di Ghetto Nuovo vor dem Jüdischen Museum erzählt David Hewson vom ersten Ghetto der Welt, von den im Inneren der Häuser verborgenen Synagogen. Von den vielen Juden, die versuchten, sich in der Schweiz in Sicherheit zu bringen. Von Mussolini, der als "Puppe Hitlers" 1943 in Salò sitzt. Von den Partisanenzellen, Kommunisten, Christdemokraten, die operierten, ohne voneinander zu wissen. Hewson: "Damals wurden viele Venezianer ungewollt zu Helden, weil sie menschlich handelten." Heute erinnerten sich die Venezianer kaum noch an diesen Teil ihrer Geschichte.
Man kann dank einer Karte im Buch die Orte der Handlung erwandern. Der Höhepunkt ist ohne Zweifel die Seidenweberei Luigi Bevilacqua, in der Nachbarschaft des Amtsgerichts am Canal Grande gelegen. Als er hier das erste Mal durch die Tür ging, sei ihm klar gewesen, dass diese Werkstatt das Zentrum des Romans sein würde, sagt der Autor.
Eine Zeitreise. An hölzernen Webstühlen aus dem achtzehnten Jahrhundert arbeiten fünf Frauen mit vollem körperlichen Einsatz, um eine exklusive Ware herzustellen. Dreißig Zentimeter Samt schafft eine Weberin am Tag, bis zu 3500 Euro kostet ein Meter. Der Stoff verzaubert mit einem schimmernden 3-D-Effekt, den man "soprarizzo" nennt. Auf der Kundenliste stehen das Weiße Haus, der Kreml, berühmte Modeschöpfer und Nobelmarken. Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden orderten vor zehn Jahren gleich 740 Meter roten Samt für die Wandbespannung im Westflügel. Der Schauraum hat eine Tür zur privaten Anlegestelle am Canal Grande.
David Hewson transportiert eine politische Botschaft,weshalb er dem Roman ein Zitat von Angela Merkel vorangestellt hat: "Wenn die Generation, die den Krieg überlebt hat, nicht mehr da ist, wird sich zeigen, ob wir aus der Geschichte gelernt haben." Der Autor ist sicher, die Antwort schon zu kennen, wenn er sagt: "Wir haben die Lektionen des Zweiten Weltkriegs nicht gelernt. Stattdessen neigen wir heute dazu, die Dinge schwarz und weiß zu sehen." Dabei eigne sich kein Ort besser als Venedig, um zu begreifen, dass dies die falsche Herangehensweise sei.
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Filmreif: Der Engländer David Hewson führt mit '"Garten der Engel" in ein vergessenes Kapitel der deutsch-italienischen Geschichte.
Von Hannes Hintermeier, Venedig
Ein Grau liegt über der Lagune, das alle Farbe aus der Welt saugt. Der böige Wind peitscht dunkle Schraffuren aufs Wasser. Es ist einer jener Wintertage, an denen Venedig nicht als Postkarte daherkommt, sondern als Schimäre. Den ewigen Zug der dunklen Daunenjacken stört das nicht. Die Touristen ziehen über Brücken, schieben sich durch Gassen, wie sie es immer tun. Als wäre es ihre Stadt. Dabei ist Venedig gar keine Stadt, behauptet David Hewson: "Venedig ist eine kleine Welt."
Der britische Schriftsteller, Jahrgang 1953, kennt diese Welt aus drei Jahrzehnte währender Beschäftigung gut. Für seinen neuen Roman "Garten der Engel" hat er drei Jahre recherchiert und geschrieben. Es sei sein "wichtigstes Buch" - und sein bislang aufwendigstes. Nach seiner Zeit als Journalist für die "Times", "Sunday Times" und den "Independent" hat sich der im ländlichen Kent lebende Autor Mitte der Neunzigerjahre dem Bücherschreiben zugewendet. Und seinem Lieblingsland: Zwölf seiner gut dreißig Romane spielen in Italien.
Der hochgewachsene Schlaks mit dem zurückweichenden Haar führt bei einem Ortstermin durch die entlegeneren Winkel der Stadt. Die Via Garibaldi im Viertel Castello etwa war einst ein Kanal, den man zugeschüttet hat. Hier nahm Hewson Witterung auf, stieß auf Denkmäler und Gedenktafeln von Widerstandskämpfern, fragte sich, welche Geschichten hinter den Namen stecken. Er tat es, als Trump in Amerika Präsident und dessen Lügen Staatsräson wurden. Damals habe ihn das Gefühl befallen, die Menschheit habe nichts aus ihrer Geschichte gelernt oder, schlimmer noch, diese schon wieder vergessen.
In "Garten der Engel" kombiniert Hewson diese Empfindung mit wahren Begebenheiten aus der jüngeren venezianischen Geschichte und verpackt das Ergebnis in einem handwerklich soliden historischen Kriminalroman. Der spielt im Herbst 1943. Venedig ist von Nazi-Deutschland besetzt, zweihunderttausend Menschen drängen sich in der Stadt, Geflüchtete und Fluchtbereite, italienische Faschisten, Nationalsozialisten, Partisanen. Ein junges jüdisches Geschwisterpaar, Mika und Giovanni, das im Widerstand aktiv ist, findet Unterschlupf in einer Seidenweberei, die der unlängst zum Vollwaisen gewordene Paolo Uccello weiterführen will. Während der verletzte Giovanni die Zeit im Versteck zum Erlernen des Handwerks nutzt, plant seine Schwester Mika Attentate. Paolo bringt sich durch seine Hilfsbereitschaft in akute Lebensgefahr, denn Faschisten und Nazis bedienen sich vieler Spitzel.
Einer der Schauplätze des Romans ist die Basilika San Pietro di Castello mit ihrem schiefen, freistehenden Turm, einst die wichtigste Kirche der Stadt; ein anderer das Ospedale SS Giovanni e Paolo. Die ehemalige Scuola Grande di San Marco gilt mit ihren Prunksälen aus der Frührenaissance als schönstes Krankenhaus der Welt. Hier wirkt in den Vierzigerjahren der Vorsteher der jüdischen Gemeinde, Guiseppe Jona, als Direktor. Er wird abgesetzt, als die Nationalsozialisten die Stadt Anfang September 1943 besetzen. Sie fordern von Jona eine Liste aller Juden der Stadt, damit sie ihr Vernichtungswerk fortsetzen können. Jona, der im Roman Aldo Diamante heißt, warnt seine Gemeinde, aber viel Zeit bleibt nicht. Auch ihm selbst nicht: Er vernichtet die Liste und begeht Selbstmord. Die meisten Juden werden deportiert und in Auschwitz ermordet - überall auf den Straßen der Serenissima findet man Stolpersteine mit diesem Todesort.
Gerahmt wird die historische Ebene des Romans durch eine Erzählebene in der Gegenwart. Der kranke, alte Paolo Uccello, Patient im Ospedale, übergibt seinem halbwüchsigen Enkel Nico ein Manuskript, in dem er berichtet, was sich damals zugetragen hat. Dass Hewson den Protagonisten der Geschichte nach einem Renaissancemaler benennt, ist kein Zufall - die großformatigen Schlachtengemälde Paolo Uccellos können als Folie eines epischen Abwehrkampfes gelesen werden. Denn nach einem Anschlag auf eine Festivität der Besatzer kippt die Lage ins Apokalyptische. Für jeden getöteten Deutschen werden zehn Venezianer hingerichtet.
David Hewson hatte schon Auftritte auf dem deutschen Buchmarkt bei Ullstein und Zsolnay, eine durchgesetzte Marke ist er hierzulande nicht. Er schrieb unter anderem eine zehnteilige Serie um den römischen Kommissar Nic Costa, für die dänische Fernsehserie "Kommissarin Lund - Das Verbrechen" besorgte er die Romanadaption. Die deutsche Ausgabe von "Garten der Engel" in der Übersetzung von Birgit Salzmann - auch sie eine langjährige Venedig-Verliebte - ist soeben bei Folio erschienen (386 S., geb., 27,- Euro). Hewson lobt den sorgfältig gestalteten Band als "schönste Ausgabe", die je einem seiner Bücher zuteilwurde.
Schauplatzwechsel ins Viertel Cannaregio. Auf dem Campo di Ghetto Nuovo vor dem Jüdischen Museum erzählt David Hewson vom ersten Ghetto der Welt, von den im Inneren der Häuser verborgenen Synagogen. Von den vielen Juden, die versuchten, sich in der Schweiz in Sicherheit zu bringen. Von Mussolini, der als "Puppe Hitlers" 1943 in Salò sitzt. Von den Partisanenzellen, Kommunisten, Christdemokraten, die operierten, ohne voneinander zu wissen. Hewson: "Damals wurden viele Venezianer ungewollt zu Helden, weil sie menschlich handelten." Heute erinnerten sich die Venezianer kaum noch an diesen Teil ihrer Geschichte.
Man kann dank einer Karte im Buch die Orte der Handlung erwandern. Der Höhepunkt ist ohne Zweifel die Seidenweberei Luigi Bevilacqua, in der Nachbarschaft des Amtsgerichts am Canal Grande gelegen. Als er hier das erste Mal durch die Tür ging, sei ihm klar gewesen, dass diese Werkstatt das Zentrum des Romans sein würde, sagt der Autor.
Eine Zeitreise. An hölzernen Webstühlen aus dem achtzehnten Jahrhundert arbeiten fünf Frauen mit vollem körperlichen Einsatz, um eine exklusive Ware herzustellen. Dreißig Zentimeter Samt schafft eine Weberin am Tag, bis zu 3500 Euro kostet ein Meter. Der Stoff verzaubert mit einem schimmernden 3-D-Effekt, den man "soprarizzo" nennt. Auf der Kundenliste stehen das Weiße Haus, der Kreml, berühmte Modeschöpfer und Nobelmarken. Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden orderten vor zehn Jahren gleich 740 Meter roten Samt für die Wandbespannung im Westflügel. Der Schauraum hat eine Tür zur privaten Anlegestelle am Canal Grande.
David Hewson transportiert eine politische Botschaft,weshalb er dem Roman ein Zitat von Angela Merkel vorangestellt hat: "Wenn die Generation, die den Krieg überlebt hat, nicht mehr da ist, wird sich zeigen, ob wir aus der Geschichte gelernt haben." Der Autor ist sicher, die Antwort schon zu kennen, wenn er sagt: "Wir haben die Lektionen des Zweiten Weltkriegs nicht gelernt. Stattdessen neigen wir heute dazu, die Dinge schwarz und weiß zu sehen." Dabei eigne sich kein Ort besser als Venedig, um zu begreifen, dass dies die falsche Herangehensweise sei.
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