Begeistert und begeisternd wie kaum ein anderer schreibt Florian Illies über Kunst und Literatur. Dabei faszinieren ihn vor allem die Künstler und ihre Werke selbst, unter seinem Blick entstehen bewegte Bilder in Farbe, werden aus historischen Figuren leidenschaftlich liebende und lebende Menschen. In seinen Texten aus 25 Jahren porträtiert Illies seine persönlichen Helden von Gottfried Benn über Harry Graf Kessler bis hin zu Andy Warhol. Er erkundet, warum die besten Maler des 19. Jahrhunderts am liebsten in den Himmel blickten und begannen, Wolken zu malen, fragt sich, ob Romantik heilbar ist – und adressiert einen glühenden Liebesbrief an Caspar David Friedrich.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.2018Der Vesuv aber ist die Marilyn Monroe unter den Vulkanen
Das neunzehnte Jahrhundert muss erst noch wiederentdeckt werden: Florian Illies' Texte zur Kunst sind mitreißende Plädoyers für Künstler und Bilder
Der erste Text, unter der Rubrik "Frühe Helden", ist Julius Meier-Graefe gewidmet. Es ist der Festvortrag zur Ausstellung "Julius Meier-Graefe. Grenzgänger der Künste" im Juni 2017 im Literaturhaus Berlin. Florian Illies schiebt da eine kleine captatio benevolentiae ein für den, wie er sagt, "bekanntesten Vertreter der Spezies des "Kunstschriftstellers" in Deutschland: "Man sollte nicht fragen, ob Julius Meier-Graefe in allen seinen Bewertungen recht hat. Das hat er natürlich nicht. Man sollte auch nicht fragen, ob sein Urteil heutigen wissenschaftlichen Vorstellungen entspricht oder sein Pendeln zwischen Publizistik, Handel und Museum dem deutschen Reinheitsgebot. Das verstellt den Blick auf das Wichtigste, was er zu geben hat. Denn das ist etwas sehr Singuläres: eine aus der Leidenschaft erwachsene Präzision. Eine aus der tiefen Empfindung gewonnene höhere Erkenntnis."
Ein bisschen gilt diese Charakterisierung auch dem Autor selbst, der genauso gewandt zwischen Journalismus, Markt und Museum unterwegs ist - und das mit ganzer Leidenschaft. Nicht dass Illies von sich dächte, er könnte bisher vernachlässigte Künstler und Strömungen regelrecht etablieren, wie es Meier-Graefe in seiner Zeit mit den Impressionisten aus dem Land des weiland Erzfeinds Frankreich in Berlin unternahm. Aber auch Illies ist durchaus unterwegs in Sachen Wiedervorlage. Vor allem, was das neunzehnte Jahrhundert angeht, und dort in Sonderheit die deutsche Romantik. Das hat er schon als Redakteur im Feuilleton dieser Zeitung seit Ende der neunziger Jahre getan, und er verfolgt es mit unveränderter Verve weiter, nun da er Geschäftsführer des Berliner Auktionshauses Grisebach ist. Wirklich charmant ist da "Ein Liebesbrief" (sic!) an Caspar David Friedrich, in dem er diesem strengen Zauberer und protestantischen Zuchtmeister der deutschen Romantik seine Verehrung zu Füßen legt. Denn "Himmelmalen ist Gottesdienst" zitiert er Friedrich und folgert daraus: "Sie haben, wie mir scheint, den Himmel immer gesiezt, anders als Ihre genialen Künstlerfreunde in Dresden, die ihn zu duzen begannen." Allein auf diesen hübschen Gedanken musste erst einmal jemand kommen.
Unter dem Titel "Gerade war der Himmel noch blau" sind jetzt 32 "Texte zur Kunst" von Florian Illies in einem Band versammelt, aus rund zwanzig Jahren, Zeitungsartikel, Aufsätze, Vorträge. Es steht nicht zu befürchten, dass er, Jahrgang 1971, sich damit als Frühvollendeter zurückziehen wird, er hat nur schon mal eine Zwischenbilanz vorgelegt. Bei der es übrigens nicht allein um die Kunst geht, sondern auch um die Literatur, das literarische Erleben besser gesagt. Dort legt er den Finger auf die empfindlichen Stellen, etwa in Sachen Gottfried Benn. Schade ist, dass in dem Band nicht sein kluges Nachwort von 2011 zu Eduard von Keyserlings Roman "Wellen" enthalten ist.
Was all diese Texte mitreißend macht - egal, ob man Illies' Einschätzungen folgen will oder nicht -, ist die Umsetzung seiner Ideen in eine Sprache, die einfach weiterlesen lässt. Das hat er schon im Jahr 2000 geschafft, als er - gewissermaßen von der heimischen Wohnzimmercouch aus, eingewickelt in einen Bademantel vor Gottschalks "Wetten dass . . .?" - der Nation die "Generation Golf" erklärte. Das hat er zwölf Jahre später wieder bewiesen, als er in seinem Buch "1913. Der Sommer des Jahrhunderts" das bis dahin unscheinbare Vorkriegsjahr auf den Zettel brachte, angelehnt an das Modell des einstigen "Kulturfahrplans". Illies schmolz den Ballast ab und machte aus einem "Jahr am Rand der Zeit" eine phänomenale Revue der Geistesgeschichte, geordnet nach Monaten. Man muss schon einiges wissen, um so etwas hinzukriegen, und obendrein den Mut zum subjektiven Urteil haben, einen hochentwickelten Möglichkeitssinn jedenfalls.
Der nun erschienen Band enthält keine Abbildungen, wer ihn liest, muss die Bilder im Kopf haben oder eben nach ihnen fahnden. Dabei hilft eine liebenswürdige Didaktik, die ohne besserwisserische Bevormundung auskommt. Jeder kann da folgen, wie beim Bravourstück der Abhandlung über den Vesuv als dem "Zentralmassiv der deutschen Romantik". Dort fackelt Illies ein Feuerwerk ab, das von Goethes zaudernden Annäherungen an den Vulkan bis zu Andy Warhol reicht. Der Autor faucht regelrecht mit, gewissermaßen auf der Seite des feuerspuckenden Bergs. Und selbstredend auf der Seite der Romantik, gegen die Felsbrocken sammelnde Aufklärung: "Sachkenntnis schützt vor Empathie." Das Erhabene, wie Kant es formuliert hat, will er lieber als "delightful horror" oder "terreur agréable" lesen. So gesehen, kann der Vesuv zur "Marilyn Monroe unter den Vulkanen" werden.
Ganz ähnlich wird die knifflige Frage des Geschmacks als "Geschmackssache" verhandelt. Aber nicht bloß, weil sie sich ständig stellt, sondern weil sie selbst Geschichte (freilich nicht nur die der Kunst) geschrieben hat. Der Geschmack hat schließlich auch unsere Museen (und Bibliotheken) codiert, entschieden, was im Depot, in der Versenkung blieb über Jahrzehnte - und was wieder nach oben darf, in die Schauräume geholt wird. Den Begriff "Kanon" vermeidet Illies, so geflissentlich wie geschmeidig. Aus seiner Einschätzung indessen macht er kein Hehl. Es braucht ungefähr ein Jahrhundert, also drei Generationen, bis Zurückgewiesenes, gar Verworfenes wieder auftauchen darf. Dafür schlägt sein Herz.
Doch auch unter Zeitgenossen hat er seine Lieblinge. Zu ihnen zählt of all artists Warhol. Und so bürstet er flugs den Alten Meister Andy mit dem Strich der Romantik: "Es gibt bei Warhol keinen Gegensatz mehr von Aura und Massenproduktion", behauptet er kühn. Und hat damit auch noch recht. Und über allem schweben, immer wieder, die Wolken, ohne die ein Himmel bekanntlich nicht blau sein kann. Illies folgt in seinen Texten dem Modell bester angelsächsischer Tradition: zugleich inspiriert und verständlich zu schreiben. Dazu gehört die unverhohlene Freude an Metaphern, es darf schon mal "wie Champagner perlen" oder "uralten Weinstöcken abgetrotzt" sein. Dass sich dabei nie das schreibende Ich in den Vordergrund drängt, sondern seinem Gegenstand die Schau gönnt, macht die Lektüre von Illies' Betrachtungen zum Vergnügen.
ROSE-MARIA GROPP
Florian Illies: "Gerade war der Himmel noch blau".
Texte zur Kunst.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017. 304 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das neunzehnte Jahrhundert muss erst noch wiederentdeckt werden: Florian Illies' Texte zur Kunst sind mitreißende Plädoyers für Künstler und Bilder
Der erste Text, unter der Rubrik "Frühe Helden", ist Julius Meier-Graefe gewidmet. Es ist der Festvortrag zur Ausstellung "Julius Meier-Graefe. Grenzgänger der Künste" im Juni 2017 im Literaturhaus Berlin. Florian Illies schiebt da eine kleine captatio benevolentiae ein für den, wie er sagt, "bekanntesten Vertreter der Spezies des "Kunstschriftstellers" in Deutschland: "Man sollte nicht fragen, ob Julius Meier-Graefe in allen seinen Bewertungen recht hat. Das hat er natürlich nicht. Man sollte auch nicht fragen, ob sein Urteil heutigen wissenschaftlichen Vorstellungen entspricht oder sein Pendeln zwischen Publizistik, Handel und Museum dem deutschen Reinheitsgebot. Das verstellt den Blick auf das Wichtigste, was er zu geben hat. Denn das ist etwas sehr Singuläres: eine aus der Leidenschaft erwachsene Präzision. Eine aus der tiefen Empfindung gewonnene höhere Erkenntnis."
Ein bisschen gilt diese Charakterisierung auch dem Autor selbst, der genauso gewandt zwischen Journalismus, Markt und Museum unterwegs ist - und das mit ganzer Leidenschaft. Nicht dass Illies von sich dächte, er könnte bisher vernachlässigte Künstler und Strömungen regelrecht etablieren, wie es Meier-Graefe in seiner Zeit mit den Impressionisten aus dem Land des weiland Erzfeinds Frankreich in Berlin unternahm. Aber auch Illies ist durchaus unterwegs in Sachen Wiedervorlage. Vor allem, was das neunzehnte Jahrhundert angeht, und dort in Sonderheit die deutsche Romantik. Das hat er schon als Redakteur im Feuilleton dieser Zeitung seit Ende der neunziger Jahre getan, und er verfolgt es mit unveränderter Verve weiter, nun da er Geschäftsführer des Berliner Auktionshauses Grisebach ist. Wirklich charmant ist da "Ein Liebesbrief" (sic!) an Caspar David Friedrich, in dem er diesem strengen Zauberer und protestantischen Zuchtmeister der deutschen Romantik seine Verehrung zu Füßen legt. Denn "Himmelmalen ist Gottesdienst" zitiert er Friedrich und folgert daraus: "Sie haben, wie mir scheint, den Himmel immer gesiezt, anders als Ihre genialen Künstlerfreunde in Dresden, die ihn zu duzen begannen." Allein auf diesen hübschen Gedanken musste erst einmal jemand kommen.
Unter dem Titel "Gerade war der Himmel noch blau" sind jetzt 32 "Texte zur Kunst" von Florian Illies in einem Band versammelt, aus rund zwanzig Jahren, Zeitungsartikel, Aufsätze, Vorträge. Es steht nicht zu befürchten, dass er, Jahrgang 1971, sich damit als Frühvollendeter zurückziehen wird, er hat nur schon mal eine Zwischenbilanz vorgelegt. Bei der es übrigens nicht allein um die Kunst geht, sondern auch um die Literatur, das literarische Erleben besser gesagt. Dort legt er den Finger auf die empfindlichen Stellen, etwa in Sachen Gottfried Benn. Schade ist, dass in dem Band nicht sein kluges Nachwort von 2011 zu Eduard von Keyserlings Roman "Wellen" enthalten ist.
Was all diese Texte mitreißend macht - egal, ob man Illies' Einschätzungen folgen will oder nicht -, ist die Umsetzung seiner Ideen in eine Sprache, die einfach weiterlesen lässt. Das hat er schon im Jahr 2000 geschafft, als er - gewissermaßen von der heimischen Wohnzimmercouch aus, eingewickelt in einen Bademantel vor Gottschalks "Wetten dass . . .?" - der Nation die "Generation Golf" erklärte. Das hat er zwölf Jahre später wieder bewiesen, als er in seinem Buch "1913. Der Sommer des Jahrhunderts" das bis dahin unscheinbare Vorkriegsjahr auf den Zettel brachte, angelehnt an das Modell des einstigen "Kulturfahrplans". Illies schmolz den Ballast ab und machte aus einem "Jahr am Rand der Zeit" eine phänomenale Revue der Geistesgeschichte, geordnet nach Monaten. Man muss schon einiges wissen, um so etwas hinzukriegen, und obendrein den Mut zum subjektiven Urteil haben, einen hochentwickelten Möglichkeitssinn jedenfalls.
Der nun erschienen Band enthält keine Abbildungen, wer ihn liest, muss die Bilder im Kopf haben oder eben nach ihnen fahnden. Dabei hilft eine liebenswürdige Didaktik, die ohne besserwisserische Bevormundung auskommt. Jeder kann da folgen, wie beim Bravourstück der Abhandlung über den Vesuv als dem "Zentralmassiv der deutschen Romantik". Dort fackelt Illies ein Feuerwerk ab, das von Goethes zaudernden Annäherungen an den Vulkan bis zu Andy Warhol reicht. Der Autor faucht regelrecht mit, gewissermaßen auf der Seite des feuerspuckenden Bergs. Und selbstredend auf der Seite der Romantik, gegen die Felsbrocken sammelnde Aufklärung: "Sachkenntnis schützt vor Empathie." Das Erhabene, wie Kant es formuliert hat, will er lieber als "delightful horror" oder "terreur agréable" lesen. So gesehen, kann der Vesuv zur "Marilyn Monroe unter den Vulkanen" werden.
Ganz ähnlich wird die knifflige Frage des Geschmacks als "Geschmackssache" verhandelt. Aber nicht bloß, weil sie sich ständig stellt, sondern weil sie selbst Geschichte (freilich nicht nur die der Kunst) geschrieben hat. Der Geschmack hat schließlich auch unsere Museen (und Bibliotheken) codiert, entschieden, was im Depot, in der Versenkung blieb über Jahrzehnte - und was wieder nach oben darf, in die Schauräume geholt wird. Den Begriff "Kanon" vermeidet Illies, so geflissentlich wie geschmeidig. Aus seiner Einschätzung indessen macht er kein Hehl. Es braucht ungefähr ein Jahrhundert, also drei Generationen, bis Zurückgewiesenes, gar Verworfenes wieder auftauchen darf. Dafür schlägt sein Herz.
Doch auch unter Zeitgenossen hat er seine Lieblinge. Zu ihnen zählt of all artists Warhol. Und so bürstet er flugs den Alten Meister Andy mit dem Strich der Romantik: "Es gibt bei Warhol keinen Gegensatz mehr von Aura und Massenproduktion", behauptet er kühn. Und hat damit auch noch recht. Und über allem schweben, immer wieder, die Wolken, ohne die ein Himmel bekanntlich nicht blau sein kann. Illies folgt in seinen Texten dem Modell bester angelsächsischer Tradition: zugleich inspiriert und verständlich zu schreiben. Dazu gehört die unverhohlene Freude an Metaphern, es darf schon mal "wie Champagner perlen" oder "uralten Weinstöcken abgetrotzt" sein. Dass sich dabei nie das schreibende Ich in den Vordergrund drängt, sondern seinem Gegenstand die Schau gönnt, macht die Lektüre von Illies' Betrachtungen zum Vergnügen.
ROSE-MARIA GROPP
Florian Illies: "Gerade war der Himmel noch blau".
Texte zur Kunst.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017. 304 S., geb., 20,- [Euro].
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»Ich konnte nicht mehr aufhören zu lesen - Illies' Geschichten sind einfach großartig.« Ferdinand von Schirach