Globalisierung beginnt nicht erst in der Gegenwart. Sie hat sich über mehrere Jahrhunderte hinweg entfaltet. Das Buch beschreibt die Vielfalt der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Prozesse, die heute unter dem Begriff der Globalisierung zusammengefasst werden. Es befasst sich mit deren Ursachen und Auswirkungen, Rhythmen und Reichweiten. Reihengestaltung Umschlag: Uwe Göbel (Original 1995, mit Logo), Marion Blomeyer (Überarbeitung 2018)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.09.2019Historie der Globalisierung
Entzauberung eines umstrittenen Phänomens
In der täglich wachsenden Literatur zur Globalisierung drohe der Begriff zu "sprachlichem Imponiermaterial zu werden, um dessen genaue Bedeutung man sich wenig zu sorgen brauche", schrieb der Konstanzer Historiker Jürgen Osterhammel bereits 2003. Die skeptischen Worte am Beginn seiner "Geschichte der Globalisierung", verfasst gemeinsam mit seinem damaligen Mitarbeiter Niels P. Petersson, wandten sich gegen die aufgeheizte Diskussion um Globalisierung als schlüssige, allumfassende Gegenwartsdiagnose. Dem schmalen Bändchen tat das keinen Abbruch. Es ist soeben mit aktualisierter Bibliographie, aber ohne inhaltliche Abstriche in sechster Auflage erschienen.
Osterhammel und Petersson geht es in ihrer Betrachtung nicht um eine "adäquate Zustandsbeschreibung der Welt der Gegenwart". Sie wollen die Aufmerksamkeit ihrer Leser auf die Geschichte weltweiter Verflechtungen, speziell deren Entstehung und Wandel, Intensität und Auswirkungen lenken. "Wie selbstverständlich anzunehmen, dass sich Globalisierung über Tausende von Jahren erstreckt habe", halten sie für problematisch. Sie verorten Globalisierung nicht etwa schon im Hellenismus, sehen aber andererseits auch keine neue Epoche im aktuell apostrophierten "Zeitalter der Globalisierung". Entfaltet habe sich Globalisierung über mehrere Jahrhunderte. Das Buch will Wechselwirkungen, Unterschiede und Brüche deutlich machen.
Als ubiquitäre, universelle Denkfigur sei Globalisierung nicht einmal für die Neuzeit zu verwenden: "Wir hüten uns vor dem albernen Anspruch, die gesamte Geschichte der Neuzeit als eine der Globalisierung neu schreiben zu wollen", so die beiden Autoren. Als Historiker möchten sie aus der Perspektive von Globalität als Suchscheinwerfer langfristige Prozesse globaler Veränderungen in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Kultur der Neuzeit sichtbar machen, ohne gleich die gesamte Entwicklung als linearen Anstieg unaufhaltsamer Globalisierung zu interpretieren.
Der erste Zeitabschnitt reicht vom Anfang der Neuzeit bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, als neue Kontinente erobert und in der Folge Seerouten und Handelsbeziehungen erschlossen wurden. Die multilaterale Verflechtung rund um den Globus blieb noch sehr lückenhaft. Erst in einer zweiten Phase zwischen 1750 und 1880 sei es zu intensiveren Wirtschaftsbeziehungen gekommen, die in eine interdependente Weltwirtschaft mit Großbritannien als Zentrum und Vorbild mündeten.
Ein globales Bewusstsein habe aber in dieser Zeit zunächst noch nicht existiert: "Globales Verantwortungsgefühl setzt reale Wirkungszusammenhänge voraus, die es in der frühen Neuzeit noch nicht gab oder über die man noch nichts wusste." Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts seien wirtschaftlich stabile und potentiell wirkungsmächtige Vernetzungen etabliert gewesen. Solche Vernetzungen sehen die beiden Geschichtswissenschaftler als eigentliches Signum von Globalisierung an. In der Diktion des digitalen Zeitalters definieren sie den Begriff als "den Aufbau, die Verdichtung und die zunehmende Bedeutung weltweiter Vernetzung" und meinen, ihm damit seinen statischen und totalisierenden Charakter zu nehmen.
Für die Phase von 1880 bis 1945 konstatieren die Verfasser eine Politisierung von Globalisierung bis hin zu deren purem Gegenteil. Sie beschreiben, wie die nun nationalstaatlich verfassten Gesellschaften nach zunächst forcierten weltwirtschaftlichen Aktivitäten angesichts aufziehender Krisen, Konflikte und Kriegsgefahren bereits vor 1914 auf Deglobalisierung und Entflechtungsprozesse setzen. Die Zeit nach 1945 sehen sie durch den bewussten Aufbau einer besseren Weltordnung nach zwei konkurrierenden Mustern in zwei konkurrierenden Machtblöcken geprägt. Durch Dekolonisation, multinationale Konzerne, Entwicklungspolitik und Konsumgesellschaft seien Strukturen entstanden, in denen sich die Globalisierung der Gegenwart entwickelt habe.
Parallel dazu habe man die Welt immer mehr als Schicksalsgemeinschaft angesichts der Möglichkeit ihrer nuklearen Vernichtung und allmählich sichtbar werdender grenzüberschreitender Umweltprobleme empfunden. Dieses weltweite Bedrohungsgefühl gehört nach Meinung von Osterhammel und Petersson zu den originären Merkmalen des 20. Jahrhunderts. Die stärkere weltwirtschaftliche Verflechtung samt explodierenden Finanzmärkten und wachsenden Migrationsströmen erachten sie dagegen nicht als spezielle Globalisierungserscheinung der Jetztzeit.
Ihre Leser entlassen die beiden Autoren am Ende ins Ungewisse. Sie bleiben dabei, dass die angeblich als charakteristisch für ein gegenwärtiges Zeitalter der Globalität zu verstehenden Muster schon in früheren Zeiten verfügbar waren. Eine Beschränkung auf die Gegenwart ließe sich empirisch kaum untermauern. Den immer häufiger beschworenen übergreifenden Megaprozess kontinuierlicher globaler Integration gebe es nicht. Denn der Handlungsraum der Erde sei bislang keineswegs von globalen sozialen Strukturen ausgefüllt, vielmehr "weiterhin von vielfältigen, sich überlappenden Interaktionsnetzen, deren Funktionieren durch ihre Unterordnung unter allumfassende ,Globalisierung' eher verschleiert denn erhellt wird".
So macht Globalisierung für Osterhammel und Petersson allenfalls Sinn als "Sammelbegriff für konkret beschreibbare Strukturen und Interaktionen mit planetarischer Reichweite", nicht aber als Beschreibung eines "autonomen Prozesses, der als unaufhaltsame historische Bewegung und unabweisbarer politischer Sachzwang daherkommt". Am Schluss ihres klar strukturierten, detailreichen Texts mahnen die Autoren nachdrücklich zum kritischen Umgang mit dem Terminus Globalisierung: "Gerade bei einem solch umfassenden Begriff muss man sich vor ,Verdinglichung' hüten... Vieles von dem, was sich im Nachhinein zu einer eigenen Folgerichtigkeit zusammenzufügen scheint, verdankt sich unbeabsichtigten Nebenwirkungen nicht global gemeinter Verhaltensweisen."
ULLA FÖLSING.
Jürgen Osterhammel/Niels P. Petersson: Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen, München 2019 C.H. Beck Wissen, 128 Seiten
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Entzauberung eines umstrittenen Phänomens
In der täglich wachsenden Literatur zur Globalisierung drohe der Begriff zu "sprachlichem Imponiermaterial zu werden, um dessen genaue Bedeutung man sich wenig zu sorgen brauche", schrieb der Konstanzer Historiker Jürgen Osterhammel bereits 2003. Die skeptischen Worte am Beginn seiner "Geschichte der Globalisierung", verfasst gemeinsam mit seinem damaligen Mitarbeiter Niels P. Petersson, wandten sich gegen die aufgeheizte Diskussion um Globalisierung als schlüssige, allumfassende Gegenwartsdiagnose. Dem schmalen Bändchen tat das keinen Abbruch. Es ist soeben mit aktualisierter Bibliographie, aber ohne inhaltliche Abstriche in sechster Auflage erschienen.
Osterhammel und Petersson geht es in ihrer Betrachtung nicht um eine "adäquate Zustandsbeschreibung der Welt der Gegenwart". Sie wollen die Aufmerksamkeit ihrer Leser auf die Geschichte weltweiter Verflechtungen, speziell deren Entstehung und Wandel, Intensität und Auswirkungen lenken. "Wie selbstverständlich anzunehmen, dass sich Globalisierung über Tausende von Jahren erstreckt habe", halten sie für problematisch. Sie verorten Globalisierung nicht etwa schon im Hellenismus, sehen aber andererseits auch keine neue Epoche im aktuell apostrophierten "Zeitalter der Globalisierung". Entfaltet habe sich Globalisierung über mehrere Jahrhunderte. Das Buch will Wechselwirkungen, Unterschiede und Brüche deutlich machen.
Als ubiquitäre, universelle Denkfigur sei Globalisierung nicht einmal für die Neuzeit zu verwenden: "Wir hüten uns vor dem albernen Anspruch, die gesamte Geschichte der Neuzeit als eine der Globalisierung neu schreiben zu wollen", so die beiden Autoren. Als Historiker möchten sie aus der Perspektive von Globalität als Suchscheinwerfer langfristige Prozesse globaler Veränderungen in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Kultur der Neuzeit sichtbar machen, ohne gleich die gesamte Entwicklung als linearen Anstieg unaufhaltsamer Globalisierung zu interpretieren.
Der erste Zeitabschnitt reicht vom Anfang der Neuzeit bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, als neue Kontinente erobert und in der Folge Seerouten und Handelsbeziehungen erschlossen wurden. Die multilaterale Verflechtung rund um den Globus blieb noch sehr lückenhaft. Erst in einer zweiten Phase zwischen 1750 und 1880 sei es zu intensiveren Wirtschaftsbeziehungen gekommen, die in eine interdependente Weltwirtschaft mit Großbritannien als Zentrum und Vorbild mündeten.
Ein globales Bewusstsein habe aber in dieser Zeit zunächst noch nicht existiert: "Globales Verantwortungsgefühl setzt reale Wirkungszusammenhänge voraus, die es in der frühen Neuzeit noch nicht gab oder über die man noch nichts wusste." Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts seien wirtschaftlich stabile und potentiell wirkungsmächtige Vernetzungen etabliert gewesen. Solche Vernetzungen sehen die beiden Geschichtswissenschaftler als eigentliches Signum von Globalisierung an. In der Diktion des digitalen Zeitalters definieren sie den Begriff als "den Aufbau, die Verdichtung und die zunehmende Bedeutung weltweiter Vernetzung" und meinen, ihm damit seinen statischen und totalisierenden Charakter zu nehmen.
Für die Phase von 1880 bis 1945 konstatieren die Verfasser eine Politisierung von Globalisierung bis hin zu deren purem Gegenteil. Sie beschreiben, wie die nun nationalstaatlich verfassten Gesellschaften nach zunächst forcierten weltwirtschaftlichen Aktivitäten angesichts aufziehender Krisen, Konflikte und Kriegsgefahren bereits vor 1914 auf Deglobalisierung und Entflechtungsprozesse setzen. Die Zeit nach 1945 sehen sie durch den bewussten Aufbau einer besseren Weltordnung nach zwei konkurrierenden Mustern in zwei konkurrierenden Machtblöcken geprägt. Durch Dekolonisation, multinationale Konzerne, Entwicklungspolitik und Konsumgesellschaft seien Strukturen entstanden, in denen sich die Globalisierung der Gegenwart entwickelt habe.
Parallel dazu habe man die Welt immer mehr als Schicksalsgemeinschaft angesichts der Möglichkeit ihrer nuklearen Vernichtung und allmählich sichtbar werdender grenzüberschreitender Umweltprobleme empfunden. Dieses weltweite Bedrohungsgefühl gehört nach Meinung von Osterhammel und Petersson zu den originären Merkmalen des 20. Jahrhunderts. Die stärkere weltwirtschaftliche Verflechtung samt explodierenden Finanzmärkten und wachsenden Migrationsströmen erachten sie dagegen nicht als spezielle Globalisierungserscheinung der Jetztzeit.
Ihre Leser entlassen die beiden Autoren am Ende ins Ungewisse. Sie bleiben dabei, dass die angeblich als charakteristisch für ein gegenwärtiges Zeitalter der Globalität zu verstehenden Muster schon in früheren Zeiten verfügbar waren. Eine Beschränkung auf die Gegenwart ließe sich empirisch kaum untermauern. Den immer häufiger beschworenen übergreifenden Megaprozess kontinuierlicher globaler Integration gebe es nicht. Denn der Handlungsraum der Erde sei bislang keineswegs von globalen sozialen Strukturen ausgefüllt, vielmehr "weiterhin von vielfältigen, sich überlappenden Interaktionsnetzen, deren Funktionieren durch ihre Unterordnung unter allumfassende ,Globalisierung' eher verschleiert denn erhellt wird".
So macht Globalisierung für Osterhammel und Petersson allenfalls Sinn als "Sammelbegriff für konkret beschreibbare Strukturen und Interaktionen mit planetarischer Reichweite", nicht aber als Beschreibung eines "autonomen Prozesses, der als unaufhaltsame historische Bewegung und unabweisbarer politischer Sachzwang daherkommt". Am Schluss ihres klar strukturierten, detailreichen Texts mahnen die Autoren nachdrücklich zum kritischen Umgang mit dem Terminus Globalisierung: "Gerade bei einem solch umfassenden Begriff muss man sich vor ,Verdinglichung' hüten... Vieles von dem, was sich im Nachhinein zu einer eigenen Folgerichtigkeit zusammenzufügen scheint, verdankt sich unbeabsichtigten Nebenwirkungen nicht global gemeinter Verhaltensweisen."
ULLA FÖLSING.
Jürgen Osterhammel/Niels P. Petersson: Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen, München 2019 C.H. Beck Wissen, 128 Seiten
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"Entzauberung eines umstrittenen Phänomens (...)"
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Ulla Fölsing
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Ulla Fölsing