Der bekannte Journalist und Pulitzer-Preisträger Neil LaHaye stößt zufällig auf merkwürdige Zusammenhänge zwischen dem verschwundenen Gen-Spezialisten Dr. Sanchez, dessen Arbeitgeber, dem amerikanischen Pharmakonzern Livion, und dem Pentagon. Offenbar hat das Militär nach dem 11. September die Forschung an neuen Massenvernichtungswaffen intensiviert. LeHaye nimmt zusammen mit Beatrice, Sanchez' Tochter, den Kampf gegen die selbst ernannten Götter der Biotechnologie auf.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.11.2003Gestatten, Neil, total immun
Gentechnologisches Komplott: Tanja Kinkels „Götterdämmerung”
Ob Tanja Kinkel noch in die USA einreisen darf? In ihrem neuen Roman „Götterdämmerung” ärgert sich der amerikanische Verteidigungsminister nach Inkrafttreten des neuen Anti-Terrorgesetzes so: „Da sind wir nun endlich die Kontrolle durch die Weichlinge aus dem Kongress los und müssen diese Heinis endlich nicht mehr wegen jedes Fliegenschiß’ um Erlaubnis fragen, und dann kommen zwei Zivilisten und spielen mit uns Steve McQueen.” Brisant ist nicht, was einem etwas heinihaften Rumsfeld in den Mund gelegt wird, sondern, wovon er spricht: Von einer geheimen, staatlich unterstützten Forschung nach ethnienspezifischen Biowaffen, die von den Zivilisten ausgeplaudert werden könnte.
Tanja Kinkel, 1969 geboren, war nach Werken zu Eleonore von Aquitanien, Lord Byron und vielen anderen schon für die dekorative Rolle der Grande Dame des neuen deutschen Historienromans vorgesehen – und wagt sich nun in die amerikanische Gegenwartspolitik. Doch schreibt sie natürlich nicht irgendeinen literarischen Gegenwartsroman, sondern einen Thriller. Und der beginnt so: Ein investigativer Journalist, die liberale Ratte Neil LaHaye, wacht am Ende einer Nacht, die er mit einer Blondine durchzecht hat, der ein Penner später einen „Hintern wie Jennifer Lopez” zuschreibt, ohne Geld und Kreditkarten auf. Auch seinen Laptop hat die Schlampe weggeschleppt. An diesem Krisenmorgen entdeckt Neil graue Schläfen und seinen Vater im Spiegel. Und der auktoriale Erzähler denkt mit Rilke: „Er musste sein Leben ändern.”
Mit diesem furiosen Opening beginnt aber die eigentliche Story noch lange nicht: Den ersten Live-Kuss des ansonsten hochgeschlossenen Werks fühlt man auf Seite 300, ethnienspezifische Waffen werden erst ab Seite 170 diskutiert. Tanja Kinkel folgt lange einer gelassenen Dramaturgie. Die Hauptfigur wird gut sozialrealistisch in ihr Milieu gebettet. Der Südstaatler und Pulitzerpreisträger Neil ist früh zum sehr kritischen Patrioten geworden, nachdem seine Mutter einem Atomversuch zu nahe kam und an Krebs gestorben ist. Neils Freunde werden eingeführt, und seine vielen Feinde, die er sich zuletzt mit einem Buch über die Gefangenen in Guantanamo gemacht hat. Außerdem wird der politische Konflikt familiär verschärft: Neils Ex-Frau hat ihn zugunsten ihrer Karriere als Beraterin eines konservativen Gouverneurs verlassen. Mit zwei Kindern, die in der Schule unter dem Ruf ihres unbeugsamen Vaters zu leiden haben.
Es dauert etwas, bis Neil nach Alaska kommt und dort auf die Tochter des genialen exilkubanischen Biochemikers Sanchez trifft, der die allerersten Aids-Fälle behandelt hat, ohne Geld zu verlangen. Ursprünglich war Neil Sanchez selbst auf der Spur, doch Tochter Beatrice wird wichtiger, denn bei ihr klopft der Teufel schließlich an: Warren Mears, ein Kollege ihres Vaters im Herz des Bösen, dem Forschungszentrum des Pharmariesen Livion, dessen Chef den Spitznamen „Mr.President” trägt.
Mehr Licht für die Elfe
Um den gesunden Menschen verschiedener Hautfarben ein Bioterror-Schutzschild zu bauen, so Mears, müssten deren DNA-Strukturen auf Anfälligkeiten für allerlei Krankheiten getestet werden. Die oberste Gesundheitsbehörde, die seit dem 11. 9. anders sammelt, stellt Mears die Daten gern zur Verfügung. Doch Vater Sanchez weiß: Mears will „Kampfstoffe” entwickeln, obwohl der genetische Code „weltweit inzwischen zu sehr vermischt” sei, um bei deren Einsatz „nicht auch einen riesigen Teil der eigenen Bevölkerung in Todesgefahr zu bringen.”
Wie jeder Thriller erzwingt auch dieser moralische Entscheidungen. Sanchez-Tochter Beatrice entscheidet sich für Neil, gegen das Forschungsprogramm. Die Wissenschaftlerin mit dem Aussehen einer „viktorianischen Elfe” ist eine tragische Figur. Ihr Vater hat sie, was sie nicht weiß, vor zwanzig Jahren künstlich, extra-uterin, erzeugt, ihr nachher eingeredet, sie habe eine Lichtallergie und damit in Alaska unter Verschluss gehalten. Mit Neil, der die Lüge aufdeckt, sieht sie erstmals die Sonne.
Die zarte Liebesgeschichte zwischen Star-Wühlmaus und Kunstgeschöpf ist ganz schön erzählt. Doch auch hier bleibt das allzu ordentliche Deutsch, in dem der Roman geschrieben ist, allzu dünn. Zu sehr damit beschäftigt Figuren hin- und herzuschieben, Handlungsstränge miteinander zu verknüpfen und daneben auch noch Biochemie-Basiswissen zu vermitteln, bleibt Kinkel für ihre Sprache keine Zeit. Interessant ist, dass Neil, immer noch bei seiner faden Aids-Geschichte, wie ein wackerer Bildungsromanheld lange blind bleibt für das Explosive der neuen Story. Erst als die Staatsmacht „das Terroristenpärchen” mit Tieffliegern jagt, spürt er den Hauch von Watergate: In der Bush-Administration werden Pläne verfolgt, deren Aufdeckung die Regierung stürzen würde.
Der Roman endet in einer abenteuerlichen Apokalypse, die Fußballstadien mit Leichenbergen von Biochemie-Opfern füllt. Neil überlebt – er ist wegen der Bestrahlung seiner Mutter praktischerweise immun. Ein beträchtlicher Showdown. Dennoch hat dieser über weite Strecken allzu beschaulich erzählte Thriller etwas Nettes, Camillerihaftes.
HANS-PETER KUNISCH
TANJA KINKEL: Gotterdämmerung. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2003. 447 Seiten, 24 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Gentechnologisches Komplott: Tanja Kinkels „Götterdämmerung”
Ob Tanja Kinkel noch in die USA einreisen darf? In ihrem neuen Roman „Götterdämmerung” ärgert sich der amerikanische Verteidigungsminister nach Inkrafttreten des neuen Anti-Terrorgesetzes so: „Da sind wir nun endlich die Kontrolle durch die Weichlinge aus dem Kongress los und müssen diese Heinis endlich nicht mehr wegen jedes Fliegenschiß’ um Erlaubnis fragen, und dann kommen zwei Zivilisten und spielen mit uns Steve McQueen.” Brisant ist nicht, was einem etwas heinihaften Rumsfeld in den Mund gelegt wird, sondern, wovon er spricht: Von einer geheimen, staatlich unterstützten Forschung nach ethnienspezifischen Biowaffen, die von den Zivilisten ausgeplaudert werden könnte.
Tanja Kinkel, 1969 geboren, war nach Werken zu Eleonore von Aquitanien, Lord Byron und vielen anderen schon für die dekorative Rolle der Grande Dame des neuen deutschen Historienromans vorgesehen – und wagt sich nun in die amerikanische Gegenwartspolitik. Doch schreibt sie natürlich nicht irgendeinen literarischen Gegenwartsroman, sondern einen Thriller. Und der beginnt so: Ein investigativer Journalist, die liberale Ratte Neil LaHaye, wacht am Ende einer Nacht, die er mit einer Blondine durchzecht hat, der ein Penner später einen „Hintern wie Jennifer Lopez” zuschreibt, ohne Geld und Kreditkarten auf. Auch seinen Laptop hat die Schlampe weggeschleppt. An diesem Krisenmorgen entdeckt Neil graue Schläfen und seinen Vater im Spiegel. Und der auktoriale Erzähler denkt mit Rilke: „Er musste sein Leben ändern.”
Mit diesem furiosen Opening beginnt aber die eigentliche Story noch lange nicht: Den ersten Live-Kuss des ansonsten hochgeschlossenen Werks fühlt man auf Seite 300, ethnienspezifische Waffen werden erst ab Seite 170 diskutiert. Tanja Kinkel folgt lange einer gelassenen Dramaturgie. Die Hauptfigur wird gut sozialrealistisch in ihr Milieu gebettet. Der Südstaatler und Pulitzerpreisträger Neil ist früh zum sehr kritischen Patrioten geworden, nachdem seine Mutter einem Atomversuch zu nahe kam und an Krebs gestorben ist. Neils Freunde werden eingeführt, und seine vielen Feinde, die er sich zuletzt mit einem Buch über die Gefangenen in Guantanamo gemacht hat. Außerdem wird der politische Konflikt familiär verschärft: Neils Ex-Frau hat ihn zugunsten ihrer Karriere als Beraterin eines konservativen Gouverneurs verlassen. Mit zwei Kindern, die in der Schule unter dem Ruf ihres unbeugsamen Vaters zu leiden haben.
Es dauert etwas, bis Neil nach Alaska kommt und dort auf die Tochter des genialen exilkubanischen Biochemikers Sanchez trifft, der die allerersten Aids-Fälle behandelt hat, ohne Geld zu verlangen. Ursprünglich war Neil Sanchez selbst auf der Spur, doch Tochter Beatrice wird wichtiger, denn bei ihr klopft der Teufel schließlich an: Warren Mears, ein Kollege ihres Vaters im Herz des Bösen, dem Forschungszentrum des Pharmariesen Livion, dessen Chef den Spitznamen „Mr.President” trägt.
Mehr Licht für die Elfe
Um den gesunden Menschen verschiedener Hautfarben ein Bioterror-Schutzschild zu bauen, so Mears, müssten deren DNA-Strukturen auf Anfälligkeiten für allerlei Krankheiten getestet werden. Die oberste Gesundheitsbehörde, die seit dem 11. 9. anders sammelt, stellt Mears die Daten gern zur Verfügung. Doch Vater Sanchez weiß: Mears will „Kampfstoffe” entwickeln, obwohl der genetische Code „weltweit inzwischen zu sehr vermischt” sei, um bei deren Einsatz „nicht auch einen riesigen Teil der eigenen Bevölkerung in Todesgefahr zu bringen.”
Wie jeder Thriller erzwingt auch dieser moralische Entscheidungen. Sanchez-Tochter Beatrice entscheidet sich für Neil, gegen das Forschungsprogramm. Die Wissenschaftlerin mit dem Aussehen einer „viktorianischen Elfe” ist eine tragische Figur. Ihr Vater hat sie, was sie nicht weiß, vor zwanzig Jahren künstlich, extra-uterin, erzeugt, ihr nachher eingeredet, sie habe eine Lichtallergie und damit in Alaska unter Verschluss gehalten. Mit Neil, der die Lüge aufdeckt, sieht sie erstmals die Sonne.
Die zarte Liebesgeschichte zwischen Star-Wühlmaus und Kunstgeschöpf ist ganz schön erzählt. Doch auch hier bleibt das allzu ordentliche Deutsch, in dem der Roman geschrieben ist, allzu dünn. Zu sehr damit beschäftigt Figuren hin- und herzuschieben, Handlungsstränge miteinander zu verknüpfen und daneben auch noch Biochemie-Basiswissen zu vermitteln, bleibt Kinkel für ihre Sprache keine Zeit. Interessant ist, dass Neil, immer noch bei seiner faden Aids-Geschichte, wie ein wackerer Bildungsromanheld lange blind bleibt für das Explosive der neuen Story. Erst als die Staatsmacht „das Terroristenpärchen” mit Tieffliegern jagt, spürt er den Hauch von Watergate: In der Bush-Administration werden Pläne verfolgt, deren Aufdeckung die Regierung stürzen würde.
Der Roman endet in einer abenteuerlichen Apokalypse, die Fußballstadien mit Leichenbergen von Biochemie-Opfern füllt. Neil überlebt – er ist wegen der Bestrahlung seiner Mutter praktischerweise immun. Ein beträchtlicher Showdown. Dennoch hat dieser über weite Strecken allzu beschaulich erzählte Thriller etwas Nettes, Camillerihaftes.
HANS-PETER KUNISCH
TANJA KINKEL: Gotterdämmerung. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2003. 447 Seiten, 24 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Am Ende steht die Apokalypse: Fußballstadien voll von Leichenbergen, Opfern von biochemischen Waffen. Ein "beträchtlicher Showdown" also, mit dem Tanja Kinkels "Götterdämmerung" endet, wie Rezensent Hans-Peter Kunisch einräumt. Zu seinem Bedauern ist Kinkels Roman nicht durchgehend so furios: Über weite Strecken findet er den Thriller um einen investigativen Journalisten, der zusammen mit seiner neuen Liebe ein gentechnologisches Komplott aufdeckt, nämlich "allzu dünn", "allzu beschaulich" und in einem "allzu ordentlichen Deutsch" erzählt. Kinkel ist nach Kunisch' Einschätzung zu sehr damit beschäftigt, Figuren hin- und herzuschieben, Handlungsstränge miteinander zu verknüpfen und daneben auch noch Biochemie-Basiswissen zu vermitteln. Für ihre Sprache bleibe ihr dabei keine Zeit.
© Perlentaucher Medien GmbH
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