Sergej Sergejitsch lebt in Malaja Starogradowka in der Grauen Zone, dem Puffergebiet zwischen der Ukraine und dem Dombass. Das Dorf ist mittlerweile verlassen, die Bewohner tot oder geflüchtet. Die Kriegsfront ist in Hörweite, ab und zu verirrt sich ein Geschoss in das Wohngebiet. Außer Sergejitsch
ist nur noch Pascha geblieben, der alte Feind aus Schulzeiten, mit dem es sich jetzt, in der neuen…mehrSergej Sergejitsch lebt in Malaja Starogradowka in der Grauen Zone, dem Puffergebiet zwischen der Ukraine und dem Dombass. Das Dorf ist mittlerweile verlassen, die Bewohner tot oder geflüchtet. Die Kriegsfront ist in Hörweite, ab und zu verirrt sich ein Geschoss in das Wohngebiet. Außer Sergejitsch ist nur noch Pascha geblieben, der alte Feind aus Schulzeiten, mit dem es sich jetzt, in der neuen Situation, aber leidlich auskommen lässt. Pascha und Sergejitschs Bienen, die in ihren Stöcken Winterruhe halten.
Doch als der Frühling kommt, beschließt Sergejitsch, dass er seine Bienen an einen friedlicheren Ort bringen muss, damit sie in Ruhe Nektar und Pollen sammeln können. Darum macht er sich auf den Weg, erst in die Ukraine, später auf die von Russland besetzte Krim. Wo er auch hinkommt, sind die Folgen des Krieges spürbar. Misstrauen und Vorurteile herrscht überall, Willkür und Machtmissbrauch sind an der Tagesordnung. Aber dasselbe gilt für Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit.
Meine erste Begegnung mit dem Werk Andrij Kurkows war vor einigen Jahren bei einer Lesung zu seinem Roman „Picknick auf dem Eis“ – leider nicht in Anwesenheit des Autors, aber trotzdem so amüsant, dass ich mir das Buch gleich am nächsten Tag besorgt habe. Ich erinnere mich nicht mehr an die Details, aber ich weiß noch, dass ich am Rest des Romans nicht halb so viel Freude hatte, wie an der Lesung.
Auch bei der Lektüre von „Graue Bienen“ war mein Lesevergnügen des Öfteren gedämpft. Ich schiebe das auf den Stil Kurkows, der sich gerne in Details und Wiederholungen ergeht. Was nicht grundsätzlich schlecht sein muss, sich hier aber komplett in bedrückendem Mangel an Signifikanz verliert.
Ein zweiter Punkt, über den ich immer wieder gestolpert bin, ist die Gestaltung des Protagonisten. Sergej Sergejitsch soll, laut eigener Aussage, Ende 40 sein. Aber trotz dieses Wissens und gezielter Anstrengung ist es mir nicht gelungen, ihn mir als solchen vorzustellen. Vor meinen geistigen Augen sah er die ganze Geschichte durch aus wie über 70. Mindestens. Die Art zu sprechen, sich zu bewegen, zu denken…. - 70! Mindestens!
Aber das alles beiseite lassend ist „Graue Bienen“ ein wirklich lesenswerter Roman. Gerade durch die aktuellen Ereignisse neigen wir oft dazu, zu vergessen, dass in Teilen der Ukraine schon seit acht Jahren Krieg herrscht. Und Kurkow erzählt davon. Nicht, indem er die großen Ereignisse erwähnt, sondern er berichtet von den Menschen, die dem Geschehen hilflos ausgeliefert sind. Deren Welt von einem Tag auf den anderen auf den Kopf gestellt wird, und die trotzdem weiter leben müssen, irgendwie. Er zeigt, wie der Krieg alle betrifft, Bewohner der Grauen Zone, Soldaten beider Seiten, Bewohner eines ukrainischen Dorfes, die ihre Männer im Krieg verlieren oder die Tataren auf der Krim. Und wie auf der anderen Seite TROTZ des Krieges und dem Schicksal, das alle verbindet, nicht alle gleich behandelt werden. Dass auch im Krieg, oder vielleicht gerade dann, die Feindschaft zwischen verschiedenen Menschengruppen nicht unbedingt relativiert wird, auch wenn sie auf derselben Seite der Front leben. Kurkow legt hier seinen Finger in mehr als eine Wunde.
Ich kann nicht behaupten, dass ich „Graue Bienen“ mit voller Begeisterung gelesen hätte. Ich hatte ungeduldige Momente bis hin zur Langeweile. Trotzdem habe ich es nicht bereut, dieses Buch gelesen zu haben. Wenn es mir auch nicht viel Aufklärung über die politischen Hintergründe gegeben hat, so doch einen tiefen und beeindruckenden Blick in das Leben der Menschen dort und die Menschlichkeit in Kriegszeiten an sich. Und viel Stoff zum Nachdenken. Darum wünsche ich diesem Buch unbedingt viele Leser.