In dem kleinen Städtchen Bad Guldenberg ist die Welt noch in Ordnung. Jedenfalls bis im alten Seglerheim eine Gruppe minderjähriger Migranten untergebracht wird. Die Guldenberger sind sich einig: Diese Fremden passen nicht in den Ort und sorgen nur für Unruhe. Mehr und mehr heizt sich die Stimmung auf. Als es dann noch heißt, eine junge Frau sei vergewaltigt worden, sind alle überzeugt, dass es einer der jungen Flüchtlinge gewesen sein muss. Und das wollen die guten Bürger von Guldenberg nicht hinnehmen … Christoph Hein zeichnet das Sittengemälde einer Gesellschaft, die aus den Fugen gerät, – mit bedrückender Intensität gelesen von Johann von Bülow.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Katharina Teutsch zeigt sich enttäuscht von Christoph Heins neuem Roman. Das liegt laut Rezensentin daran, dass der Autor in seiner in der ostdeutschen Provinz spielenden Geschichte um Wendeverlierer, Migranten und Fremdenhass alles richtig machen will. Für Teutsch klingt das leider so, als hätte sich die Bundeszentrale für politische Bildung die Story und die Figuren ausgedacht, derart "pflichtschuldig", meint sie, werden die "Dynamiken des Fremdenhasses" thematisiert, funktionalisiert und abgehakt. Interesse und Empathie für die Figuren kommen so bei Teutsch nicht auf.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.06.2021Alle spielen ihre Rollen, aber nicht sehr gut
Die Kleinstadt und die Asylbewerberunterkunft: Christoph Heins neuer Roman „Guldenberg“ kommt nicht über Klischees hinaus
Christoph Hein ist von Hauptberuf Chronist. Kaum ein Beitrag über ihn, der ihn nicht als „Chronisten des deutschen Ostens“ einordnet, und auch er selbst nimmt in Gesprächen diese Zuschreibung gerne an. Ein Chronist ist jemand, der die Zeitläufte genau beobachtet und sie mit kaltem Herzen protokolliert. Dabei urteilt er nicht, sondern stellt bloß dar – in der Hoffnung, die beschriebenen Missstände sprächen für sich.
Dieser zurückhaltende, archivarische Ansatz war in der DDR-Literatur verbreitet, wo direkte Gesellschaftskritik der Zensur zum Opfer gefallen wäre. „Ich kritisiere es nicht, ich beschreibe es bloß“, hat Heins Kollege Volker Braun einmal gesagt, um sich so listig wie vergeblich gegen die Zensur zu verteidigen. „Chronist des deutschen Ostens“ ist deshalb womöglich eine Tautologie, und wer wie Hein darauf beharrt, diese Rolle weiter auszufüllen, setzt darauf, dass der kritische Impuls auch in einer anderen, auf derbere Reize getrimmten Öffentlichkeit verstanden wird. Der Ort, an dem Hein seine Chronik angesiedelt hat, heißt Guldenberg. Diese fiktive Kleinstadt an der Mulde, die schon in zahlreichen seiner Romane eine Rolle spielte, ist dem nordsächsischen Bad Düben nachempfunden, wo Hein 1944 geboren wurde. Obwohl er vor ein paar Jahren angekündigt hat, dass es nun genug sei mit Guldenberg, ist es nun sogar zum Titel und zum zentralen Gegenstand seines neuen Romans geworden. Denn wenn es im Geflecht des agierenden Personals eine Hauptfigur gibt, dann ist es die Stadt selbst. Ein auktorialer, allwissender Erzähler nimmt kapitelweise das Personal in den Blick: den anständigen, aber etwas hilflosen Bürgermeister. Den Pfarrer, der sich am liebsten versetzen ließe, dann aber doch seinen Mann steht. Den intriganten Vorsitzenden des Kirchengemeinderats. Den Unternehmer, der in seiner Fabrik dreirädrige Kleintransporter herstellt und damit viel Geld verdient, bis er von einem Rumänen übers Ohr gehauen wird. Den korrekten Polizeichef und seine abwiegelnden Mitarbeiter. Eine lästerliche Skatrunde in der Gastwirtschaft.
Vor allem aber ein paar Jugendliche aus Syrien und Afghanistan und ihre sorgenden, besorgten Betreuerinnen. Auf diese Weise werden die Institutionen der Stadt – Rathaus, Kirche, Polizei, Wirtschaft und Öffentlichkeit – getreulich abgearbeitet. Platz für Überraschungen oder auch nur ein Eigenleben der Figuren, das über ihre Funktion hinausreichen würde, gibt es nicht, ebenso wenig wie jemanden, der auch nur ein kleines bisschen Empathie erwecken könnte. Die Geschichte ist einfach, und sie ist aus Medienberichten nur allzu bekannt: Die „unbegleiteten Jugendlichen“ aus Syrien und Afghanistan erwecken den Argwohn vieler Einwohner, die keine Fremden im Ort dulden wollen. Also passiert all das, was zu befürchten steht und was kritisch darzustellen die gute Absicht des Romans ausmacht: In die Fenster der Unterkunft fliegen Ziegelsteine. Am Auto einer Betreuerin werden die Reifen durchstochen.
Ein junges Mädchen behauptet, vergewaltigt worden zu sein, kann aber keinen der Angreifer identifizieren. Und obwohl sich herausstellt, dass sie die Sache erfunden hat, weil sie von ihrem Freund schwanger ist und Angst hat, das zu gestehen, bleiben die Fremden in den Augen vieler Guldenberger verdächtig, weil der Verdacht die eigenen Ressentiments nährt und also unverzichtbar ist. Hein interessiert sich dafür, wie Gerüchte entstehen, wie Vorurteile sich verfestigen, doch er kommt in seiner Darstellung nicht über Klischees hinaus. Er zeigt, wie Geschäfte gemacht werden und wie Politik vor Ort funktioniert, indem man auf kleine oder größere Gefälligkeiten setzt und gerne auch mal die Vergangenheit vergisst.
Im deutschen Osten heißt das vor allem, einstige Parteimitgliedschaften und DDR-Opportunismen auf sich beruhen zu lassen. Das alles ist – und daran krankt diese Chronik – allzu bekannt. Hein steuert keine neuen Erkenntnisse oder Sichtweisen bei, auch wenn alles stimmt, alles sauber konstruiert ist und die Ereignisse erwartungsgemäß und folgerichtig ablaufen. „Guldenberg“ besteht vor allem aus Dialogen, die seltsam hölzern wirken, als habe Hein nicht wirkliche Menschen vor Augen gehabt, sondern Papiergestalten, die jargonfrei und immer etwas zu elaboriert sprechen, als wäre das Ganze kein Roman, sondern eine Drehbuchvorlage fürs ZDF-Vorabendprogramm. Dort wäre „Guldenberg“ tatsächlich gut aufgehoben, mit Jan Josef Liefers als Bürgermeister, Thomas Thieme als Unternehmer und Dagmar Manzel als gute Flüchtlingsmutter.
Dann könnte man sich sorgenfrei zurücklehnen, weil die Wirklichkeit auf überschaubare Weise schlimm ist, genauso, wie es in jeder ordentlichen Tageszeitung steht. Aber wozu soll man dann noch einen Roman lesen? Vielleicht ist Literatur ja doch ein bisschen mehr als bloß das Abbild der Wirklichkeit. Und, schlimmer noch: Auch die Wirklichkeit ist ein bisschen mehr als nur die Summe von – wenn auch wahren – Klischees.
JÖRG MAGENAU
Christoph Hein:
Guldenberg. Roman.
Suhrkamp, Berlin, 2021.
284 Seiten, 23 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Die Kleinstadt und die Asylbewerberunterkunft: Christoph Heins neuer Roman „Guldenberg“ kommt nicht über Klischees hinaus
Christoph Hein ist von Hauptberuf Chronist. Kaum ein Beitrag über ihn, der ihn nicht als „Chronisten des deutschen Ostens“ einordnet, und auch er selbst nimmt in Gesprächen diese Zuschreibung gerne an. Ein Chronist ist jemand, der die Zeitläufte genau beobachtet und sie mit kaltem Herzen protokolliert. Dabei urteilt er nicht, sondern stellt bloß dar – in der Hoffnung, die beschriebenen Missstände sprächen für sich.
Dieser zurückhaltende, archivarische Ansatz war in der DDR-Literatur verbreitet, wo direkte Gesellschaftskritik der Zensur zum Opfer gefallen wäre. „Ich kritisiere es nicht, ich beschreibe es bloß“, hat Heins Kollege Volker Braun einmal gesagt, um sich so listig wie vergeblich gegen die Zensur zu verteidigen. „Chronist des deutschen Ostens“ ist deshalb womöglich eine Tautologie, und wer wie Hein darauf beharrt, diese Rolle weiter auszufüllen, setzt darauf, dass der kritische Impuls auch in einer anderen, auf derbere Reize getrimmten Öffentlichkeit verstanden wird. Der Ort, an dem Hein seine Chronik angesiedelt hat, heißt Guldenberg. Diese fiktive Kleinstadt an der Mulde, die schon in zahlreichen seiner Romane eine Rolle spielte, ist dem nordsächsischen Bad Düben nachempfunden, wo Hein 1944 geboren wurde. Obwohl er vor ein paar Jahren angekündigt hat, dass es nun genug sei mit Guldenberg, ist es nun sogar zum Titel und zum zentralen Gegenstand seines neuen Romans geworden. Denn wenn es im Geflecht des agierenden Personals eine Hauptfigur gibt, dann ist es die Stadt selbst. Ein auktorialer, allwissender Erzähler nimmt kapitelweise das Personal in den Blick: den anständigen, aber etwas hilflosen Bürgermeister. Den Pfarrer, der sich am liebsten versetzen ließe, dann aber doch seinen Mann steht. Den intriganten Vorsitzenden des Kirchengemeinderats. Den Unternehmer, der in seiner Fabrik dreirädrige Kleintransporter herstellt und damit viel Geld verdient, bis er von einem Rumänen übers Ohr gehauen wird. Den korrekten Polizeichef und seine abwiegelnden Mitarbeiter. Eine lästerliche Skatrunde in der Gastwirtschaft.
Vor allem aber ein paar Jugendliche aus Syrien und Afghanistan und ihre sorgenden, besorgten Betreuerinnen. Auf diese Weise werden die Institutionen der Stadt – Rathaus, Kirche, Polizei, Wirtschaft und Öffentlichkeit – getreulich abgearbeitet. Platz für Überraschungen oder auch nur ein Eigenleben der Figuren, das über ihre Funktion hinausreichen würde, gibt es nicht, ebenso wenig wie jemanden, der auch nur ein kleines bisschen Empathie erwecken könnte. Die Geschichte ist einfach, und sie ist aus Medienberichten nur allzu bekannt: Die „unbegleiteten Jugendlichen“ aus Syrien und Afghanistan erwecken den Argwohn vieler Einwohner, die keine Fremden im Ort dulden wollen. Also passiert all das, was zu befürchten steht und was kritisch darzustellen die gute Absicht des Romans ausmacht: In die Fenster der Unterkunft fliegen Ziegelsteine. Am Auto einer Betreuerin werden die Reifen durchstochen.
Ein junges Mädchen behauptet, vergewaltigt worden zu sein, kann aber keinen der Angreifer identifizieren. Und obwohl sich herausstellt, dass sie die Sache erfunden hat, weil sie von ihrem Freund schwanger ist und Angst hat, das zu gestehen, bleiben die Fremden in den Augen vieler Guldenberger verdächtig, weil der Verdacht die eigenen Ressentiments nährt und also unverzichtbar ist. Hein interessiert sich dafür, wie Gerüchte entstehen, wie Vorurteile sich verfestigen, doch er kommt in seiner Darstellung nicht über Klischees hinaus. Er zeigt, wie Geschäfte gemacht werden und wie Politik vor Ort funktioniert, indem man auf kleine oder größere Gefälligkeiten setzt und gerne auch mal die Vergangenheit vergisst.
Im deutschen Osten heißt das vor allem, einstige Parteimitgliedschaften und DDR-Opportunismen auf sich beruhen zu lassen. Das alles ist – und daran krankt diese Chronik – allzu bekannt. Hein steuert keine neuen Erkenntnisse oder Sichtweisen bei, auch wenn alles stimmt, alles sauber konstruiert ist und die Ereignisse erwartungsgemäß und folgerichtig ablaufen. „Guldenberg“ besteht vor allem aus Dialogen, die seltsam hölzern wirken, als habe Hein nicht wirkliche Menschen vor Augen gehabt, sondern Papiergestalten, die jargonfrei und immer etwas zu elaboriert sprechen, als wäre das Ganze kein Roman, sondern eine Drehbuchvorlage fürs ZDF-Vorabendprogramm. Dort wäre „Guldenberg“ tatsächlich gut aufgehoben, mit Jan Josef Liefers als Bürgermeister, Thomas Thieme als Unternehmer und Dagmar Manzel als gute Flüchtlingsmutter.
Dann könnte man sich sorgenfrei zurücklehnen, weil die Wirklichkeit auf überschaubare Weise schlimm ist, genauso, wie es in jeder ordentlichen Tageszeitung steht. Aber wozu soll man dann noch einen Roman lesen? Vielleicht ist Literatur ja doch ein bisschen mehr als bloß das Abbild der Wirklichkeit. Und, schlimmer noch: Auch die Wirklichkeit ist ein bisschen mehr als nur die Summe von – wenn auch wahren – Klischees.
JÖRG MAGENAU
Christoph Hein:
Guldenberg. Roman.
Suhrkamp, Berlin, 2021.
284 Seiten, 23 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.2021In Guldenberg werden nur kleine Brötchen gebacken
Christoph Heins neuer Roman erzählt von Fremdenhass an einem fiktiven Ort der ostdeutschen Provinz im Jahr der Flüchtlingskrise
Manchmal enthält der erste Satz einer Erzählung bereits das Programm der Erzählung selbst. So ist es auch beim neuen Roman von Christoph Hein - einem Spezialisten für die Darstellung deutscher Lebenswege zwischen Ost und West. "Die Farbe der Stadt, ihr Geschmack, ihr Geruch hatten sich verändert."
Guldenberg ist eine erfundene Stadt in der ostdeutschen Provinz. Mit Subventionen der Europäischen Union war nach der Wende alles hübsch herausgeputzt worden. Doch Guldenberg ist trotz einiger prunkvoller Gründerzeitquartiere, einem Jugendstilkonzerthaus und einem Mulde-Heilbad ohne nennenswerte Perspektive. Hier ist schon lange niemand mehr vorbeigekommen, der frischen Wind gebracht hätte. Einer der wenigen Mittelständler vor Ort, der großsprecherische Stefan Haubrich-Becker, baut in einem "Töffli-Werk" motorisierte Dreiräder. Als Einziger einer alten Ost-Männerclique kann er sich als Wendegewinnler definieren. Aber trotz guter Umsätze ist es auch für den selbstbewussten Geschäftsmann nicht leicht, in Guldenberg zu investieren. Haubrich-Becker findet keine Lehrlinge für seinen Betrieb, wie er dem Bürgermeister mitteilt. Die Jungen zögen es vor, von Hartz IV zu leben, resümiert er seine Erfahrung mit dem lokalen Nachwuchs und bittet den Bürgermeister deshalb um Unterstützung.
Bürgermeister Konstantin Kötteritz wiederum hat andere Probleme. Er ist auf der Suche nach einem Mäzen für sein wiederhergestelltes Konzerthaus. Haubrich-Becker soll eine regelmäßige Konzertreihe sponsern. Doch der winkt bloß ab. "Mit eines fremden Mannes Arsch durchs Feuer reiten zu wollen", so teilt er seiner Frau mit, das werde er den Stadträten schon austreiben. "Ein Konzerthaus in Guldenberg", sagt er weniger vulgär dem Bürgermeister, "das ist überkandidelt, dafür ist die Stadt zu klein."
Christoph Hein setzt mit "Guldenberg" einen Ort, der schon deutlich bessere Zeiten gesehen hat - was mehr als siebzig Jahre zurückliegt. "Ja aber wie gesagt, da gab es hier zwölf Großunternehmen und noch ein intaktes Bürgertum. Das alles haben Krieg und die Nachkriegsjahrzehnte ausgelöscht. Jetzt haben wir nur noch sechs größere Unternehmen, aber alle sechs sind nur mittelständisch, keins von ihnen ist von überregionaler oder gar internationaler Bedeutung. In Guldenberg werden nur kleine Brötchen gebacken."
So skizziert Hein die Stimmung in der ostdeutschen Provinz im Jahr der Flüchtlingskrise. Diese trifft im Roman das verhärmte Klima von Guldenberg mit unerwarteter Wucht. Im alten Seglerheim wird eine Gruppe minderjähriger Geflüchteter untergebracht. Das hat der Bund so entschieden. Ein Dutzend junger Männer aus Syrien und Afghanistan wird das habituelle Ressentiment vieler Guldenberger gegen alles Fremde zu einem politischen Problem mit überregionaler Bedeutung vergrößern - denn bald schon fliegen Steine durch die Fenster der Unterkunft für Migranten. Wobei die jungen Männer bei Christoph Hein nur skizzenhaft eingeführt werden. Vielmehr sind sie als Kollektivsingular die Schützlinge einer guten Seele namens Frau Marikke Brummig. Im Seglerheim soll sie dafür Sorge tragen, dass keiner etwas anstellt, dass die Jungen sich an die Regeln halten und ihre Deutschkurse besuchen, die es ihnen später ermöglichen sollen, einen Lehrberuf anzustreben. Das wäre doch ein Fangbecken für den Unternehmer Haubrich-Becker, meint Bürgermeister Kötteritz.
Er hofft, die fremdenfeindliche Stimmung in der Stadt mit wirtschaftspositivem Aktionismus im Keim zu ersticken. Aber weit gefehlt! Bald gibt es allerlei Gerüchte um die jungen Männer. Ein Vergewaltigungsvorwurf steht, nicht nachgewiesen, im Raum. Ein Brandanschlag wird hingegen bewiesen, aber die Suche nach den Tätern bleibt erfolglos. Selbst der Pfarrer, der die jungen Männer in seine Kirche eingeladen hat, muss sich von aufgebrachten Guldenbergern nun vorhalten lassen, er habe das Gotteshaus in eine Moschee verwandelt. Er wolle jedenfalls nicht auf den gleichen Stühlen sitzen wie ein Islamist, krakeelt der Vorsitzende des Pfarrgemeinderats. Woraufhin Pfarrer Fuschel für einmal die Façon verliert: "Ein friedfertiger Mensch? Ein stolzer Guldenberger? Nein, Herr Vorsitzender des Pfarrgemeinderats, Sie sind ein Arschloch."
Christoph Hein hat einen Roman geschrieben, in dem die Dynamiken des Fremdenhasses wie bei einem Kunstfeuerwerk Schritt für Schritt entfesselt werden: die hilflosen Versuche der Wohlmeinenden, mit dem Ressentiment zu leben; die aggressive Abwehr angeblicher Demokraten; die Gewalteinbrüche der Fremdenhasser; und die Verzweiflungstaten innerhalb der Migrantengruppe, die von Messerstechereien untereinander bis hin zu Kontakten zu deutschen Dschihadisten reichen. Das alles ist so richtig wie bekannt und wird im Roman pflichtschuldig abgearbeitet. Auch rührende Nebenstränge werden verfolgt. So ist die Haushälterin des Herrn Hochwürden Fuschel eine Jüdin, deren Eltern die Flucht vor Hitler gelungen war. Jetzt führt sie mit kessem Temperament den Haushalt des Pfarrers und soll den Lesern in dieser Funktion dazu dienen, deutsche Geschichte zu veranschaulichen. Ebenso der Verweis eines Guldenberger Bürgers beim Stammtisch, die eigenen Eltern seien ja aus Schlesien geflohen. Wobei das natürlich was anderes gewesen sei, weil man anders als "diese Orientalen" ja "hierher" gehört habe.
Christoph Hein, und das ist der wunde Punkt seines Romans, will alles richtig machen. Alle erdenklichen Haltungen zur aktuellen Lage im Land werden im Roman aufgeführt. Und zwar auf so vorhersehbare Weise, dass man im jedem seiner Sätze die Bundeszentrale für politische Bildung am Werk wähnt. Das ist sehr schade. Und kaum verständlich, wenn man sich an Heins letzten Roman "Verwirrnis" erinnert. Dort hat der Autor in bewundernswert feinsinniger Weise den Werdegang eines jungen schwulen Intellektuellen in der DDR nachgezeichnet. Mit so viel Diskretion und stilistischer Eleganz, dass dagegen dieser Roman über den habituellen Rassismus in der ostdeutschen Provinz läppisch wirkt.
"Guldenberg" lässt einen auch deshalb gleichgültig zurück, weil jede Geschichte, die darin ausgefaltet wird, wieder in die Verpackung zurück muss, sobald sie ihre Funktion erfüllt hat. So werden wir nie erfahren, ob Hakim Kontakt zu einem deutschen Islamisten hatte. Wir erfahren auch nicht, was aus der schwangeren minderjährigen Bärbel wird, die aus Angst vor ihren Eltern behauptet, ein Migrant habe sie vergewaltigt. Und achselzuckend nehmen wir zur Kenntnis, dass Guldenberg seine Probleme nicht löst, sondern die paar Minderjährigen in der Region umverteilt werden. Aus dem Seglerheim wird ein Pflegeheim. Das mag alles genau so zugehen. Und doch ist man jetzt erst da, wo die Erzählung "Guldenberg" anfangen müsste.
Um noch einmal den ersten Satz zu zitieren: "Die Farbe der Stadt, ihr Geschmack, ihr Geruch hatten sich verändert." Das ist die These des Romans. In Wahrheit belegt er aber nur ihr Gegenteil: dass alles beim Alten geblieben ist. KATHARINA TEUTSCH.
Christoph Hein: "Guldenberg". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 284 S., geb., 23,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Christoph Heins neuer Roman erzählt von Fremdenhass an einem fiktiven Ort der ostdeutschen Provinz im Jahr der Flüchtlingskrise
Manchmal enthält der erste Satz einer Erzählung bereits das Programm der Erzählung selbst. So ist es auch beim neuen Roman von Christoph Hein - einem Spezialisten für die Darstellung deutscher Lebenswege zwischen Ost und West. "Die Farbe der Stadt, ihr Geschmack, ihr Geruch hatten sich verändert."
Guldenberg ist eine erfundene Stadt in der ostdeutschen Provinz. Mit Subventionen der Europäischen Union war nach der Wende alles hübsch herausgeputzt worden. Doch Guldenberg ist trotz einiger prunkvoller Gründerzeitquartiere, einem Jugendstilkonzerthaus und einem Mulde-Heilbad ohne nennenswerte Perspektive. Hier ist schon lange niemand mehr vorbeigekommen, der frischen Wind gebracht hätte. Einer der wenigen Mittelständler vor Ort, der großsprecherische Stefan Haubrich-Becker, baut in einem "Töffli-Werk" motorisierte Dreiräder. Als Einziger einer alten Ost-Männerclique kann er sich als Wendegewinnler definieren. Aber trotz guter Umsätze ist es auch für den selbstbewussten Geschäftsmann nicht leicht, in Guldenberg zu investieren. Haubrich-Becker findet keine Lehrlinge für seinen Betrieb, wie er dem Bürgermeister mitteilt. Die Jungen zögen es vor, von Hartz IV zu leben, resümiert er seine Erfahrung mit dem lokalen Nachwuchs und bittet den Bürgermeister deshalb um Unterstützung.
Bürgermeister Konstantin Kötteritz wiederum hat andere Probleme. Er ist auf der Suche nach einem Mäzen für sein wiederhergestelltes Konzerthaus. Haubrich-Becker soll eine regelmäßige Konzertreihe sponsern. Doch der winkt bloß ab. "Mit eines fremden Mannes Arsch durchs Feuer reiten zu wollen", so teilt er seiner Frau mit, das werde er den Stadträten schon austreiben. "Ein Konzerthaus in Guldenberg", sagt er weniger vulgär dem Bürgermeister, "das ist überkandidelt, dafür ist die Stadt zu klein."
Christoph Hein setzt mit "Guldenberg" einen Ort, der schon deutlich bessere Zeiten gesehen hat - was mehr als siebzig Jahre zurückliegt. "Ja aber wie gesagt, da gab es hier zwölf Großunternehmen und noch ein intaktes Bürgertum. Das alles haben Krieg und die Nachkriegsjahrzehnte ausgelöscht. Jetzt haben wir nur noch sechs größere Unternehmen, aber alle sechs sind nur mittelständisch, keins von ihnen ist von überregionaler oder gar internationaler Bedeutung. In Guldenberg werden nur kleine Brötchen gebacken."
So skizziert Hein die Stimmung in der ostdeutschen Provinz im Jahr der Flüchtlingskrise. Diese trifft im Roman das verhärmte Klima von Guldenberg mit unerwarteter Wucht. Im alten Seglerheim wird eine Gruppe minderjähriger Geflüchteter untergebracht. Das hat der Bund so entschieden. Ein Dutzend junger Männer aus Syrien und Afghanistan wird das habituelle Ressentiment vieler Guldenberger gegen alles Fremde zu einem politischen Problem mit überregionaler Bedeutung vergrößern - denn bald schon fliegen Steine durch die Fenster der Unterkunft für Migranten. Wobei die jungen Männer bei Christoph Hein nur skizzenhaft eingeführt werden. Vielmehr sind sie als Kollektivsingular die Schützlinge einer guten Seele namens Frau Marikke Brummig. Im Seglerheim soll sie dafür Sorge tragen, dass keiner etwas anstellt, dass die Jungen sich an die Regeln halten und ihre Deutschkurse besuchen, die es ihnen später ermöglichen sollen, einen Lehrberuf anzustreben. Das wäre doch ein Fangbecken für den Unternehmer Haubrich-Becker, meint Bürgermeister Kötteritz.
Er hofft, die fremdenfeindliche Stimmung in der Stadt mit wirtschaftspositivem Aktionismus im Keim zu ersticken. Aber weit gefehlt! Bald gibt es allerlei Gerüchte um die jungen Männer. Ein Vergewaltigungsvorwurf steht, nicht nachgewiesen, im Raum. Ein Brandanschlag wird hingegen bewiesen, aber die Suche nach den Tätern bleibt erfolglos. Selbst der Pfarrer, der die jungen Männer in seine Kirche eingeladen hat, muss sich von aufgebrachten Guldenbergern nun vorhalten lassen, er habe das Gotteshaus in eine Moschee verwandelt. Er wolle jedenfalls nicht auf den gleichen Stühlen sitzen wie ein Islamist, krakeelt der Vorsitzende des Pfarrgemeinderats. Woraufhin Pfarrer Fuschel für einmal die Façon verliert: "Ein friedfertiger Mensch? Ein stolzer Guldenberger? Nein, Herr Vorsitzender des Pfarrgemeinderats, Sie sind ein Arschloch."
Christoph Hein hat einen Roman geschrieben, in dem die Dynamiken des Fremdenhasses wie bei einem Kunstfeuerwerk Schritt für Schritt entfesselt werden: die hilflosen Versuche der Wohlmeinenden, mit dem Ressentiment zu leben; die aggressive Abwehr angeblicher Demokraten; die Gewalteinbrüche der Fremdenhasser; und die Verzweiflungstaten innerhalb der Migrantengruppe, die von Messerstechereien untereinander bis hin zu Kontakten zu deutschen Dschihadisten reichen. Das alles ist so richtig wie bekannt und wird im Roman pflichtschuldig abgearbeitet. Auch rührende Nebenstränge werden verfolgt. So ist die Haushälterin des Herrn Hochwürden Fuschel eine Jüdin, deren Eltern die Flucht vor Hitler gelungen war. Jetzt führt sie mit kessem Temperament den Haushalt des Pfarrers und soll den Lesern in dieser Funktion dazu dienen, deutsche Geschichte zu veranschaulichen. Ebenso der Verweis eines Guldenberger Bürgers beim Stammtisch, die eigenen Eltern seien ja aus Schlesien geflohen. Wobei das natürlich was anderes gewesen sei, weil man anders als "diese Orientalen" ja "hierher" gehört habe.
Christoph Hein, und das ist der wunde Punkt seines Romans, will alles richtig machen. Alle erdenklichen Haltungen zur aktuellen Lage im Land werden im Roman aufgeführt. Und zwar auf so vorhersehbare Weise, dass man im jedem seiner Sätze die Bundeszentrale für politische Bildung am Werk wähnt. Das ist sehr schade. Und kaum verständlich, wenn man sich an Heins letzten Roman "Verwirrnis" erinnert. Dort hat der Autor in bewundernswert feinsinniger Weise den Werdegang eines jungen schwulen Intellektuellen in der DDR nachgezeichnet. Mit so viel Diskretion und stilistischer Eleganz, dass dagegen dieser Roman über den habituellen Rassismus in der ostdeutschen Provinz läppisch wirkt.
"Guldenberg" lässt einen auch deshalb gleichgültig zurück, weil jede Geschichte, die darin ausgefaltet wird, wieder in die Verpackung zurück muss, sobald sie ihre Funktion erfüllt hat. So werden wir nie erfahren, ob Hakim Kontakt zu einem deutschen Islamisten hatte. Wir erfahren auch nicht, was aus der schwangeren minderjährigen Bärbel wird, die aus Angst vor ihren Eltern behauptet, ein Migrant habe sie vergewaltigt. Und achselzuckend nehmen wir zur Kenntnis, dass Guldenberg seine Probleme nicht löst, sondern die paar Minderjährigen in der Region umverteilt werden. Aus dem Seglerheim wird ein Pflegeheim. Das mag alles genau so zugehen. Und doch ist man jetzt erst da, wo die Erzählung "Guldenberg" anfangen müsste.
Um noch einmal den ersten Satz zu zitieren: "Die Farbe der Stadt, ihr Geschmack, ihr Geruch hatten sich verändert." Das ist die These des Romans. In Wahrheit belegt er aber nur ihr Gegenteil: dass alles beim Alten geblieben ist. KATHARINA TEUTSCH.
Christoph Hein: "Guldenberg". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 284 S., geb., 23,- Euro.
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»Beschreiben, was ist - diesem seinem Grundsatz treubleibt Christoph Hein auch in diesem Roman treu. ... Die deutsche Wirklichkeit - nicht nur in Guldenberg - ist leider so ...« Peter Henning neues deutschland 20210616