Julia und Jacob haben sich auseinandergelebt, doch wie könnten sie sich einfach trennen, ohne dass ihre drei Söhne darunter leiden oder gar sie selbst? Immer wieder diskutieren sie alle Szenarien durch, kümmern sich aufopferungsvoll um den inkontinenten Hund und die bevorstehende Bar Mitzwa des Ältesten. Gerade als die israelische Verwandtschaft zur Familienfeier in Washington, D.C. eintrifft, ereignet sich ein katastrophales Erdbeben im Nahen Osten, das die Invasion Israels zur Folge hat - und alle Fragen stellen sich noch einmal ganz neu, auch für Jacob.
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buecher-magazin.deJonathan Safran Foer, das einstige Wunderkind der amerikanischen Literatur, legt mit seinem neuen Buch einen großen Krisenroman hin. Jacob und Julia, ein Paar in den Vierzigern, haben drei Söhne in die Welt gesetzt, verfügen über ein schönes Haus, einen Hund und kreative Jobs. Doch all das soll nicht von Dauer sein. Wie eine romanlange Riesenmetapher lässt der Autor eine Krise nach der anderen über Jacob hereinbrechen: Sein ältester Sohn droht kurz vor der Bar Mizwa von der Thora-Schule verwiesen zu werden, weil er schmutzige Wörter benutzt haben soll. Sein Großvater soll ins jüdische Altersheim ziehen, bringt sich aber vorher um. Derweil findet Julia ein geheimes Handy von Jacob und SMS mit explizitem sexuellem Inhalt, die an eine andere Frau gerichtet sind. Währenddessen beginnt in Israel ein großer, existenzieller Krieg, in dessen Verlauf die Klagemauer einstürzt und der Felsendom in Flammen aufgeht. Und Julia und Jacob lassen sich scheiden. Klassische Midlife-Crisis und die identitären Selbstzweifel eines intellektuellen amerikanischen Juden angesichts der kämpferischen Existenz Israels gehen in diesem Roman eine Verbindung ein. Er ist von Anfang bis Ende durchzogen von einer hemmungslosen krisenhaften Penetranz, die oft nervt, aber in genial komischen Dialogen gespiegelt wird.
© BÜCHERmagazin, Katharina Granzin (kgr)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2016Tempo, Tempo, immer weiter
Extrem ambitioniert und unglaublich brav? Vergessen Sie alles, was Sie über Jonathan Safran Foer zu wissen glauben: Sein Roman "Hier bin ich" fegt alle Vorbehalte weg
Die E-Mails von Natalie Portman und Jonathan Safran Foer", so hieß Mitte Juli ein großer Artikel im "Style Magazine" der "New York Times". Die Schauspielerin und der Schriftsteller hatten am Vorabend der Veröffentlichung "zweier Meilensteine" - wie ihr Regiedebüt und sein erster Roman nach zehn Jahren Pause pathetisch genannt wurden - ihre Postfächer geöffnet und ihre E-Mail-Korrespondenz zum Abdruck freigegeben. "Wie denkst du über Freiheit? Wann wünschst du dir am sehnlichsten, du hättest mehr davon? Wann wünschst du dir am sehnlichsten, du hättest weniger?", fragte Foer darin Natalie Portman. Er schrieb ihr: "Es ist fast 6 Uhr morgens. Die Jungs schlafen noch. Ich kann die Meerschweinchen rumoren hören. Die Leute meinen oft, dass Einsamkeit und Schreibblockaden die zwei größten Herausforderungen des Schriftstellerdaseins sind. Tatsächlich aber ist das Schwerste, sich um Meerschweinchen kümmern zu müssen." Und sie, die in Jerusalem geboren wurde, dachte über ihre Herkunft nach: "Ich habe gelernt, dass, wenn man etwas in Israel spielen lässt, selbst wenn es nur die Geschichte der Liebe zwischen einem Jungen und seiner Mutter ist, es als ,mutig' gilt. Oft wünsche ich mir, ich käme aus einem Land, das für alle Menschen harmlos erscheint, ein neutrales, unproblematisches Land. So etwas wie - ,Hi, ich bin Finnin.' Aber ich weiß, dass Israel - der Ort und seine Geschichten - mich beschäftigen wie nichts anderes."
Dazu waren wunderschöne Modefotos mit wenig Mode und viel Natalie Portman zu sehen, die neue Spekulationen darüber entfachten (und natürlich entfachen sollten), ob der E-Mail-Austausch zwischen den beiden vor zwei Jahren Grund für die Trennung von Foer und seiner damaligen Frau, der Schriftstellerin Nicole Krauss, gewesen war. Krauss und Foer waren über Jahre das Vorzeigepaar der New Yorker Literaturszene gewesen und hatten sich auch einigen Spott darüber anhören müssen, wie "wohlerzogen, gescheit, hübsch, stockkonservativ und artig" sie angeblich waren. Foer schrieb in sein Buch: "Für Nicole, meinen Inbegriff von Schönheit". Krauss schrieb in ihres: "Für Jonathan, mein Leben". Aber es hielt nicht ein Leben lang.
Was das mit dem neuen Buch zu tun hat? Jonathan Safran Foers Roman "Hier bin ich", der in dieser Woche in der Übersetzung von Henning Ahrens erscheint, ist ein Trennungsroman. Ein Paar Anfang vierzig hat drei Söhne und genauso viele Gründe, zusammen zu bleiben, wie Gründe, sich zu trennen. So wie Foer und Krauss sich als Paar öffentlich zelebriert haben, kann man da erst mal nicht anders, als an diese beiden zu denken, und fühlt sich nicht gerade wohl dabei. Denn als 2003 "Alles ist erleuchtet" erschien, Foers erster Roman, der von der Reise eines amerikanischen Juden namens Jonathan Safran Foer in die Ukraine erzählte, wo er sich auf die Suche nach dem von den Nazis ausgelöschten Schtetl seines Großvaters machte, waren so gut wie alle hingerissen. Man selbst aber nicht. Es war alles so ambitioniert und richtig und gut erzählt, ein Buch, gegen das man eigentlich gar nichts sagen konnte, das einem in seiner Ambitioniertheit und in der Art und Weise, wie hier jemand alles so furchtbar richtig machte, irgendwie auf die Nerven ging. Beim zweiten Roman, "Extrem laut und unglaublich nah", ging es einem genauso. Nicole-Krauss-Fan wurde man bei der Lektüre ihrer Bücher auch nicht. So ist das manchmal. Da türmen sich Berge von Vorbehalten auf, bevor man die erste Seite eines neuen Romans überhaupt aufgeschlagen hat.
Und dann - peng! - sind sie alle weg. Ist alles, was war, egal, das wirkliche Leben des Autors oder das, was darüber bekannt ist, als Erstes. Es spielt überhaupt keine Rolle mehr, weil nur noch die allernächste Seite zählt und wieder die nächste. Warum muss das jetzt so lange dauern, fragt man sich in der Redaktionskonferenz, weil man viel lieber weiterlesen würde. Man lässt das Fahrrad stehen, um das Buch in der S-Bahn wieder aufzuschlagen, schleppt "Hier bin ich" überall mit hin. Es ist 700 Seiten dick, man fliegt hindurch wie im Rausch.
Der Grund dafür sind die Dialoge und Gespräche. Oder besser: Es ist das Tempo dieser Gespräche, der Witz und die Schlagfertigkeit derer, die hier zu Wort kommen, lauter Helden der Ironie, die nie um eine Pointe verlegen sind, die alle das letzte Wort haben wollen und mit so eigenartigen Phantasien ausgestattet sind, dass jede ihrer Unterhaltungen sich vom Ausgangspunkt radikal entfernt und man sich immer nur wundert, wo man jetzt wieder gelandet ist.
Julia und Jacob Bloch heißen im Roman diejenigen, deren Ehe auf dem Spiel steht, nachdem Julia ein Zweithandy ihres Mannes im Badezimmer findet, dessen Passwort sie mit Hilfe ihres großen Sohns knackt, und auf dem sie dann Sexnachrichten findet, die eindeutig nicht an sie gerichtet sind. Das ist der Auslöser für ein Auseinanderbrechen, das längst begonnen hat. Julia, eine Architektin, und Jacob, Schriftsteller und Script-Schreiber für eine Fernsehshow, haben nie zu den Menschen gezählt, die sich aus Prinzip gegen Konventionen wenden. Sie hätten aber auch nicht erwartet, jemals so konventionell zu werden: Sie kaufen ein zweites Auto (und eine zweite Autoversicherung); machen die Steuererklärung nicht mehr selbst; lassen hin und wieder eine Flasche Wein zurückgehen. Sie bekommen ein Kind; kaufen ein Haus mit Doppelwaschbecken; lassen für ihre Mülltonnen eine Umfassung aus Teakholz bauen; bestellen Vitamine aus Kalifornien und Matratzen aus Schweden; bekommen noch ein Kind; arbeiten noch härter, um die Besten der Gegend bezahlen zu können, die sich um ihre Kinder kümmern, während sie arbeiten. Sie bekommen ein weiteres Kind - und widmen sich ihrem Innenleben getrennt voneinander. Häusliche Nähe wird zu vertrautem Abstand, vertrauter Abstand zu Scham, Scham zu Resignation, Resignation zu Angst, Angst zu Groll, Groll zum Drang, sich selbst zu schützen.
Das mag nach einer Geschichte klingen, die man schon gehört zu haben glaubt. Aber das hat man nicht. Auf keinen Fall so, wie sie hier erzählt wird. Was auch immer Jonathan Safran Foer vorher für Bücher geschrieben hat oder überhaupt gemacht hat im Leben - hier läuft er zur Höchstform auf, weil er das, was diese Familie erschüttert (und den Leser gleich mit), so schnell, schön und bitter erzählt, ohne es auch nur an einer Stelle zu verharmlosen. Es gelingt ihm, weil in dieser Familie, die im Begriff ist, auseinanderzubrechen, ununterbrochen geredet wird und in dieser dokumentierten Rede, die sie alle verbindet, Abneigungen, Stimmungen und Ängste offen daliegen. Das gilt vor allem auch dort, wo die Jungs zu Wort kommen: Benjy, der noch im Kindergarten ist, Max, der zehn ist, und Sam, dessen Bar Mizwa bald gefeiert werden soll, wozu er selbst aber keine Lust hat:
"Da wurde an der Tür geklopft. Nicht an der Tür seines digitalen Heiligtums, sondern an der Zimmertür.
,Verpiss dich, du Arsch.'
,Wie bitte?', sagte seine Mom, öffnete und trat ein.
,Entschuldige', sagte Sam und drehte schnell das iPad um. ,Ich dachte, es wäre Max.'
,Und du findest es richtig, so mit deinem Bruder zu reden?'
,Nein.'
,Oder mit wem auch immer?'
,Nein.'
,Warum tust du es dann?'
,Keine Ahnung.'
,Du solltest kurz darüber nachdenken.'
,Ist heute nicht dein freier Tag?'
,Nein, heute ist nicht mein freier Tag. Heute ist der Tag, an dem ich Dinge erledige, die ich vor mir hergeschoben habe. Zum Beispiel Atmen und Denken. Im Auto kam mir dann der Gedanke, dass wir weiter so tun sollten, als würde die Bar Mizwa stattfinden, obwohl du sie wahrscheinlich torpediert hast. Und zu den vielen, vielen Dingen, die nur ich bedenke, weil ich die Einzige bin, die sich daran erinnert, gehört dein Anzug.'
,Welcher Anzug?'
,Da hast du's.'
,Stimmt, ich habe keinen Anzug.'
,Also müssen wir dir einen Anzug kaufen.'
,Heute?'
,Ja.'
,Muss ich dort sein?'
,Wo?'
,Im Anzug-Laden.'
,Nein, nein, natürlich nicht. Wenn du es einfacher haben willst, kannst du dir aus Makkaroni und Eisstielen einen 3-D-Drucker basteln und dein anatomisches Ebenbild anfertigen, das ich dann an meinem freien Tag zum Anzug-Laden schleppe.'
,Würde es auch die Haftarot für mich sprechen?'"
So geht das die ganze Zeit. "It isn't what it's talking about that makes a book Jewish - it's that the book won't shut up", hat Philip Roth einmal gesagt. Man erkenne ein jüdisches Buch nicht an dem, wovon die Rede ist. Man erkenne es daran, dass es seinen Mund nicht halten kann. Es redet immer weiter. Und genauso kommt es einem hier vor. Jonathan Safran Foer macht keinen Punkt, sondern findet immer noch einen neuen. Man kann lesend gar nicht genug davon bekommen.
Bis etwas passiert, dass größer ist als sie alle: Die Verwandtschaft aus Israel wird erwartet. Sie kommen am Flughafen an, sind erst ein paar Tage zu Besuch in Washington D. C., als ein Erdbeben im Nahen Osten zu einem gewaltigen internationalen Konflikt führt und die Frage, wohin sie gehören und sich zugehörig fühlen wollen, noch einmal ganz anders aufwirft.
Am Ende der Kämpfe steht zwischen Julia und Jacob ein Schweigen, das ihnen neu ist. Es ist nicht das Schweigen des Verbergens und Ablenkens, sondern ein Schweigen, das einen Raum erschafft, der gefüllt werden will. Ob zusammen oder nicht zusammen, wieder zusammen oder mit jemand anderem zusammen, ist bei Jonathan Safran Foer deshalb gar nicht so sehr die Frage. Die Hauptsache ist, dass immer weiter geredet wird.
JULIA ENCKE.
Jonathan Safran Foer: "Hier bin ich". Übersetzt von Henning Ahrens. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 683 Seiten, 26 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Extrem ambitioniert und unglaublich brav? Vergessen Sie alles, was Sie über Jonathan Safran Foer zu wissen glauben: Sein Roman "Hier bin ich" fegt alle Vorbehalte weg
Die E-Mails von Natalie Portman und Jonathan Safran Foer", so hieß Mitte Juli ein großer Artikel im "Style Magazine" der "New York Times". Die Schauspielerin und der Schriftsteller hatten am Vorabend der Veröffentlichung "zweier Meilensteine" - wie ihr Regiedebüt und sein erster Roman nach zehn Jahren Pause pathetisch genannt wurden - ihre Postfächer geöffnet und ihre E-Mail-Korrespondenz zum Abdruck freigegeben. "Wie denkst du über Freiheit? Wann wünschst du dir am sehnlichsten, du hättest mehr davon? Wann wünschst du dir am sehnlichsten, du hättest weniger?", fragte Foer darin Natalie Portman. Er schrieb ihr: "Es ist fast 6 Uhr morgens. Die Jungs schlafen noch. Ich kann die Meerschweinchen rumoren hören. Die Leute meinen oft, dass Einsamkeit und Schreibblockaden die zwei größten Herausforderungen des Schriftstellerdaseins sind. Tatsächlich aber ist das Schwerste, sich um Meerschweinchen kümmern zu müssen." Und sie, die in Jerusalem geboren wurde, dachte über ihre Herkunft nach: "Ich habe gelernt, dass, wenn man etwas in Israel spielen lässt, selbst wenn es nur die Geschichte der Liebe zwischen einem Jungen und seiner Mutter ist, es als ,mutig' gilt. Oft wünsche ich mir, ich käme aus einem Land, das für alle Menschen harmlos erscheint, ein neutrales, unproblematisches Land. So etwas wie - ,Hi, ich bin Finnin.' Aber ich weiß, dass Israel - der Ort und seine Geschichten - mich beschäftigen wie nichts anderes."
Dazu waren wunderschöne Modefotos mit wenig Mode und viel Natalie Portman zu sehen, die neue Spekulationen darüber entfachten (und natürlich entfachen sollten), ob der E-Mail-Austausch zwischen den beiden vor zwei Jahren Grund für die Trennung von Foer und seiner damaligen Frau, der Schriftstellerin Nicole Krauss, gewesen war. Krauss und Foer waren über Jahre das Vorzeigepaar der New Yorker Literaturszene gewesen und hatten sich auch einigen Spott darüber anhören müssen, wie "wohlerzogen, gescheit, hübsch, stockkonservativ und artig" sie angeblich waren. Foer schrieb in sein Buch: "Für Nicole, meinen Inbegriff von Schönheit". Krauss schrieb in ihres: "Für Jonathan, mein Leben". Aber es hielt nicht ein Leben lang.
Was das mit dem neuen Buch zu tun hat? Jonathan Safran Foers Roman "Hier bin ich", der in dieser Woche in der Übersetzung von Henning Ahrens erscheint, ist ein Trennungsroman. Ein Paar Anfang vierzig hat drei Söhne und genauso viele Gründe, zusammen zu bleiben, wie Gründe, sich zu trennen. So wie Foer und Krauss sich als Paar öffentlich zelebriert haben, kann man da erst mal nicht anders, als an diese beiden zu denken, und fühlt sich nicht gerade wohl dabei. Denn als 2003 "Alles ist erleuchtet" erschien, Foers erster Roman, der von der Reise eines amerikanischen Juden namens Jonathan Safran Foer in die Ukraine erzählte, wo er sich auf die Suche nach dem von den Nazis ausgelöschten Schtetl seines Großvaters machte, waren so gut wie alle hingerissen. Man selbst aber nicht. Es war alles so ambitioniert und richtig und gut erzählt, ein Buch, gegen das man eigentlich gar nichts sagen konnte, das einem in seiner Ambitioniertheit und in der Art und Weise, wie hier jemand alles so furchtbar richtig machte, irgendwie auf die Nerven ging. Beim zweiten Roman, "Extrem laut und unglaublich nah", ging es einem genauso. Nicole-Krauss-Fan wurde man bei der Lektüre ihrer Bücher auch nicht. So ist das manchmal. Da türmen sich Berge von Vorbehalten auf, bevor man die erste Seite eines neuen Romans überhaupt aufgeschlagen hat.
Und dann - peng! - sind sie alle weg. Ist alles, was war, egal, das wirkliche Leben des Autors oder das, was darüber bekannt ist, als Erstes. Es spielt überhaupt keine Rolle mehr, weil nur noch die allernächste Seite zählt und wieder die nächste. Warum muss das jetzt so lange dauern, fragt man sich in der Redaktionskonferenz, weil man viel lieber weiterlesen würde. Man lässt das Fahrrad stehen, um das Buch in der S-Bahn wieder aufzuschlagen, schleppt "Hier bin ich" überall mit hin. Es ist 700 Seiten dick, man fliegt hindurch wie im Rausch.
Der Grund dafür sind die Dialoge und Gespräche. Oder besser: Es ist das Tempo dieser Gespräche, der Witz und die Schlagfertigkeit derer, die hier zu Wort kommen, lauter Helden der Ironie, die nie um eine Pointe verlegen sind, die alle das letzte Wort haben wollen und mit so eigenartigen Phantasien ausgestattet sind, dass jede ihrer Unterhaltungen sich vom Ausgangspunkt radikal entfernt und man sich immer nur wundert, wo man jetzt wieder gelandet ist.
Julia und Jacob Bloch heißen im Roman diejenigen, deren Ehe auf dem Spiel steht, nachdem Julia ein Zweithandy ihres Mannes im Badezimmer findet, dessen Passwort sie mit Hilfe ihres großen Sohns knackt, und auf dem sie dann Sexnachrichten findet, die eindeutig nicht an sie gerichtet sind. Das ist der Auslöser für ein Auseinanderbrechen, das längst begonnen hat. Julia, eine Architektin, und Jacob, Schriftsteller und Script-Schreiber für eine Fernsehshow, haben nie zu den Menschen gezählt, die sich aus Prinzip gegen Konventionen wenden. Sie hätten aber auch nicht erwartet, jemals so konventionell zu werden: Sie kaufen ein zweites Auto (und eine zweite Autoversicherung); machen die Steuererklärung nicht mehr selbst; lassen hin und wieder eine Flasche Wein zurückgehen. Sie bekommen ein Kind; kaufen ein Haus mit Doppelwaschbecken; lassen für ihre Mülltonnen eine Umfassung aus Teakholz bauen; bestellen Vitamine aus Kalifornien und Matratzen aus Schweden; bekommen noch ein Kind; arbeiten noch härter, um die Besten der Gegend bezahlen zu können, die sich um ihre Kinder kümmern, während sie arbeiten. Sie bekommen ein weiteres Kind - und widmen sich ihrem Innenleben getrennt voneinander. Häusliche Nähe wird zu vertrautem Abstand, vertrauter Abstand zu Scham, Scham zu Resignation, Resignation zu Angst, Angst zu Groll, Groll zum Drang, sich selbst zu schützen.
Das mag nach einer Geschichte klingen, die man schon gehört zu haben glaubt. Aber das hat man nicht. Auf keinen Fall so, wie sie hier erzählt wird. Was auch immer Jonathan Safran Foer vorher für Bücher geschrieben hat oder überhaupt gemacht hat im Leben - hier läuft er zur Höchstform auf, weil er das, was diese Familie erschüttert (und den Leser gleich mit), so schnell, schön und bitter erzählt, ohne es auch nur an einer Stelle zu verharmlosen. Es gelingt ihm, weil in dieser Familie, die im Begriff ist, auseinanderzubrechen, ununterbrochen geredet wird und in dieser dokumentierten Rede, die sie alle verbindet, Abneigungen, Stimmungen und Ängste offen daliegen. Das gilt vor allem auch dort, wo die Jungs zu Wort kommen: Benjy, der noch im Kindergarten ist, Max, der zehn ist, und Sam, dessen Bar Mizwa bald gefeiert werden soll, wozu er selbst aber keine Lust hat:
"Da wurde an der Tür geklopft. Nicht an der Tür seines digitalen Heiligtums, sondern an der Zimmertür.
,Verpiss dich, du Arsch.'
,Wie bitte?', sagte seine Mom, öffnete und trat ein.
,Entschuldige', sagte Sam und drehte schnell das iPad um. ,Ich dachte, es wäre Max.'
,Und du findest es richtig, so mit deinem Bruder zu reden?'
,Nein.'
,Oder mit wem auch immer?'
,Nein.'
,Warum tust du es dann?'
,Keine Ahnung.'
,Du solltest kurz darüber nachdenken.'
,Ist heute nicht dein freier Tag?'
,Nein, heute ist nicht mein freier Tag. Heute ist der Tag, an dem ich Dinge erledige, die ich vor mir hergeschoben habe. Zum Beispiel Atmen und Denken. Im Auto kam mir dann der Gedanke, dass wir weiter so tun sollten, als würde die Bar Mizwa stattfinden, obwohl du sie wahrscheinlich torpediert hast. Und zu den vielen, vielen Dingen, die nur ich bedenke, weil ich die Einzige bin, die sich daran erinnert, gehört dein Anzug.'
,Welcher Anzug?'
,Da hast du's.'
,Stimmt, ich habe keinen Anzug.'
,Also müssen wir dir einen Anzug kaufen.'
,Heute?'
,Ja.'
,Muss ich dort sein?'
,Wo?'
,Im Anzug-Laden.'
,Nein, nein, natürlich nicht. Wenn du es einfacher haben willst, kannst du dir aus Makkaroni und Eisstielen einen 3-D-Drucker basteln und dein anatomisches Ebenbild anfertigen, das ich dann an meinem freien Tag zum Anzug-Laden schleppe.'
,Würde es auch die Haftarot für mich sprechen?'"
So geht das die ganze Zeit. "It isn't what it's talking about that makes a book Jewish - it's that the book won't shut up", hat Philip Roth einmal gesagt. Man erkenne ein jüdisches Buch nicht an dem, wovon die Rede ist. Man erkenne es daran, dass es seinen Mund nicht halten kann. Es redet immer weiter. Und genauso kommt es einem hier vor. Jonathan Safran Foer macht keinen Punkt, sondern findet immer noch einen neuen. Man kann lesend gar nicht genug davon bekommen.
Bis etwas passiert, dass größer ist als sie alle: Die Verwandtschaft aus Israel wird erwartet. Sie kommen am Flughafen an, sind erst ein paar Tage zu Besuch in Washington D. C., als ein Erdbeben im Nahen Osten zu einem gewaltigen internationalen Konflikt führt und die Frage, wohin sie gehören und sich zugehörig fühlen wollen, noch einmal ganz anders aufwirft.
Am Ende der Kämpfe steht zwischen Julia und Jacob ein Schweigen, das ihnen neu ist. Es ist nicht das Schweigen des Verbergens und Ablenkens, sondern ein Schweigen, das einen Raum erschafft, der gefüllt werden will. Ob zusammen oder nicht zusammen, wieder zusammen oder mit jemand anderem zusammen, ist bei Jonathan Safran Foer deshalb gar nicht so sehr die Frage. Die Hauptsache ist, dass immer weiter geredet wird.
JULIA ENCKE.
Jonathan Safran Foer: "Hier bin ich". Übersetzt von Henning Ahrens. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 683 Seiten, 26 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.12.2016Heftpflaster gegen Einsamkeit
Jonathan Safran Foer war der Jungstar des amerikanischen Literaturbetriebs, es folgten
eine Ehe, eine Affäre, eine Schreibkrise – und jetzt der Midlife-Crisis-Roman „Hier bin ich“
VON JÖRG HÄNTZSCHEL
Auch literarische Wunderkinder werden älter. Ihr Ruhm ist gewachsen, aber ihre Testosteronwerte sind gesunken. Sie haben inzwischen selbst Kinder bekommen, aber Haare verloren. Und weil sie ihren einst angehimmelten Ehefrauen immer weniger zu sagen haben, legen sie sich Zweithandys zu, zum Sexting mit ihren Freundinnen. Nein, die Rede ist nicht von Jonathan Safran Foer, sondern von Jacob Bloch, dem Helden in Foers neuem Roman „Hier bin ich“, dem ersten seit elf Jahren. Doch weil die ehemaligen Jungen auch notorisch vergesslich sind, lassen sie diese Handys gerne irgendwo liegen, und dann machen diese Handys vibrierend auf sich und neue Sex-Botschaften aufmerksam und fallen Ehefrauen in die Hände, und der ganze Betrug fliegt auf.
Genau das passiert Jacob Bloch, einem früher sehr ambitionierten, wenn auch wenig gelesenen Autor, der heute Skripts für eine Fernsehserie mit vier Millionen Zuschauern schreibt. Er heiratete die Architektin Julia, sie bekamen drei Söhne, kauften einen Saab, einen Volvo und ein üppiges Haus im Washingtoner Viertel Cleveland Park, in dem sie geschickt Mid-Century-Klassiker und Ikea-Möbel kombinieren. Doch das reichte nicht, um das Glück zu erhalten, das sie früher zusammen hatten. Es verflüchtigte sich. „Wie hatte aus all der Anwesenheit Abwesenheit werden können?“, fragt sich Jacob.
Seine Affäre ist also nur der Auslöser einer offenen Ehekrise, die unter der Oberfläche des Bilderbuch-Familienlebens schon seit Jahren wuchert wie ein Pilz. Foer umschleicht dieses Myze,l als sei es ein einzigartiges und geheimnisvolles Phänomen, doch der Leser möchte mehr als einmal während dieser 700 Seiten rufen: Habt ihr noch nie etwas von Midlife-Crisis gehört? Und davon, dass das Liebesleben in vielen Ehen nach 16 Jahren nicht mehr so aufregend ist wie im ersten? Klar, Julia, es war vielleicht ein Fehler, dass du deine Karriere den Kindern geopfert hast. Jetzt ist es schwer, wieder einzusteigen. Und Jacob, ja, in deinem Leben wird „nichts größer“, Du kämpfst nur noch darum, „dass nichts kleiner“ wird. Aber so geht es doch allen! Ihr fürchtet „die Leere, die ohne die Kinder eintrat“? Willkommen im Klub!
So altbekannt die Untiefen des mittleren Alters sind, so detailliert und authentisch sind sie hier beschrieben. Das alles hört sich so erlebt und erlitten an, dass man kaum anders kann, als dies nicht nur Foers Erzähltalent zuzuschreiben. Der Verdacht drängt sich auf, er erzähle seine eigene Geschichte. Auch Foer, der jetzt 39 ist, hat ja als Jungstar begonnen. 2002, mit 25, schrieb er den Weltbestseller „Alles ist erleuchtet“. 2005 folgte „Extrem laut und unglaublich nah“, eines der wenigen erfolgreichen 9/11-Bücher. Statt in Cleveland Park, dem Washingtoner Viertel für Familien, die ihre Hipness in die Bürgerlichkeit hinüberretten wollen, wohnt er im Brooklyner Pendant Park Slope. Auch er hat Kinder. Und auch bei ihm gab es privat Ärger. Seine in zahllosen Homestorys verklärte Glamour-Ehe mit der Schriftstellerin Nicole Krauss ging 2014 – über einer E-Mail-Affäre mit Natalie Portman – in die Brüche.
Doch die Parallelen gehen noch weiter. 2012 berichtete der Hollywood Reporter, Jonathan Safran Foer und der Schauspieler Ben Stiller planten für HBO eine Serie rund um die „täglichen und lebensverändernden Dramen einer jüdischen Familie in Washington“. Bald darauf wurde das Projekt mit dem Titel „All Talk“ eingestellt. Jetzt weiß man, was daraus wurde: Die Serie lebt in „Hier bin ich“ weiter und sie handelt von Jacobs eigener Familie. Schon seit Jahren strickt er an dieser Langzeitchronik, mit der er hofft, den Sprung vom Lohnschreiber zum Auteur zu schaffen. Foers Roman wiederum liest sich über weite Strecken wie ein Drehbuch. Das Skript der nie realisierten Serie? „All Talk“ wäre jedenfalls auch ein guter Titel für den Roman gewesen: Die Pingpong-Dialoge ziehen sich seitenlang hin. Und man hört beim Lesen fast, wie Foers Sentenzen – „Beschämung ist die Mutter aller Gefühle“ – aus dem Off gesprochen werden.
Diesen Eindruck verstärkt die Übersetzung noch, die über weite Strecken den bekannten Sound von lieblos synchronisierten Sitcoms hat, in denen Menschen immer „Ich schätze“ sagen. Doch schlimmer sind die Stilblüten und offensichtlichen Fehler: Mit dem schon im Original verqueren Satz „You’re lonely and I look like a Band-Aid“ ist etwas gemeint wie: Du bist einsam, und ich erscheine dir wie der Ausweg aus dieser Einsamkeit. Daraus wird hier, gnadenlos wörtlich übersetzt, das sinnfreie: „Du bist einsam, und ich sehe aus wie ein Heftpflaster“. „It isn’t rocket science“ heißt nicht „Ist doch keine Raketentechnik“, sondern „Ist doch nicht so kompliziert!“ Und eine „kneejerk reaction“ ist keine „kniereflexartige Antwort“, sondern eine übereilte, unüberlegte Reaktion. Maryland hat keine „Stadtverwaltung“, weil es ein Bundesstaat ist, und der „Mac Arthur Award“ ist kein „Orden“, sondern der wichtigste Preis für Künstler und Wissenschaftler in den USA.
Foers erste beide Bücher waren aus der Sicht von Kindern erzählt, Kunstkindern allerdings, die mehr sahen und zu sagen hatten als alle Erwachsenen. Foer hatte ein geschicktes Konstrukt erfunden: Er konnte mittels dieser Kinderperspektive seinen Hang zum Sentimentalen ausleben, sorgte aber mit allerlei postmodernen Tricks dafür, dass sich Kitschvorwürfe halbwegs entkräften ließen. In „Hier bin ich“, wo Foer erstmals aus der Sicht eines Erwachsenen erzählt, fehlt diese Differenz. Ego und Alter kommen zur Deckung, und statt der funkelnden Fantasie eines Kinderhirns erleben wir die allzu vertraute Larmoyanz eines Desillusionierten. Hier und dort bringt Foer noch die charmanten Ideen unter, für die er berühmt ist. Die Blochs sammeln Dinge, die innen größer sind als außen. Jacob hat sich als Kind nicht nur zum Spaß taub gestellt, sondern auch noch die Gehörlosensprache gelernt. Aber diese Ideen gehen zunehmend unter im Alltagseinerlei.
Doch wie immer bei Foer steht das Private auch hier im Schatten des Weltgeschehens. Jacob quält nicht nur seine zerbrechende Ehe, sondern auch sein ungeklärtes Verhältnis zum Judentum, eine permanente Quelle des schlechten Gewissens. Sein Urgroßvater Isaac verlor fast alle Angehörigen im Holocaust. Und auch in dieser Frage muss er sich nun bekennen: Es beginnt mit der Bar-Mizwa seines ältesten Sohns Sam, die nun vielleicht abgesagt wird, weil er mit rassistischen Sprüchen in der Schule auffiel. Dann kommt sein Cousin Tamir zu Besuch nach Washington und verlangt Loyalitätssignale für Israel.
Und weil das nicht reicht, greift Foer zum bewährten Theatertrick, dem deus ex machina. Er lässt in Israel die Erde beben, macht 20 Millionen Menschen zu Flüchtlingen und beschwört – hart an der Grenze zur Geschmacklosigkeit – einen apokalyptischen Konflikt herauf, gegen den sich der Syrienkrieg ausnimmt wie eine Wirtshausschlägerei. Jacob sieht in der drohenden Apokalypse vor allem die willkommene Gelegenheit, sich endlich als Mann und Jude zu beweisen. Nicht nur Julia verliert hier die Geduld mit ihm.
Mit Ben Stiller arbeitete
er an einer Serie für HBO,
das Projekt scheiterte
Elf Jahre hat Jonathan Safran Foer keinen Roman veröffentlicht.
Foto: Natan Dvir/Polaris/laif
Jonathan Safran Foer:
Hier bin ich. Roman.
Aus dem Englischen von Henning Ahrens. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016. 688 Seiten, 26 Euro. E-Book 22,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Jonathan Safran Foer war der Jungstar des amerikanischen Literaturbetriebs, es folgten
eine Ehe, eine Affäre, eine Schreibkrise – und jetzt der Midlife-Crisis-Roman „Hier bin ich“
VON JÖRG HÄNTZSCHEL
Auch literarische Wunderkinder werden älter. Ihr Ruhm ist gewachsen, aber ihre Testosteronwerte sind gesunken. Sie haben inzwischen selbst Kinder bekommen, aber Haare verloren. Und weil sie ihren einst angehimmelten Ehefrauen immer weniger zu sagen haben, legen sie sich Zweithandys zu, zum Sexting mit ihren Freundinnen. Nein, die Rede ist nicht von Jonathan Safran Foer, sondern von Jacob Bloch, dem Helden in Foers neuem Roman „Hier bin ich“, dem ersten seit elf Jahren. Doch weil die ehemaligen Jungen auch notorisch vergesslich sind, lassen sie diese Handys gerne irgendwo liegen, und dann machen diese Handys vibrierend auf sich und neue Sex-Botschaften aufmerksam und fallen Ehefrauen in die Hände, und der ganze Betrug fliegt auf.
Genau das passiert Jacob Bloch, einem früher sehr ambitionierten, wenn auch wenig gelesenen Autor, der heute Skripts für eine Fernsehserie mit vier Millionen Zuschauern schreibt. Er heiratete die Architektin Julia, sie bekamen drei Söhne, kauften einen Saab, einen Volvo und ein üppiges Haus im Washingtoner Viertel Cleveland Park, in dem sie geschickt Mid-Century-Klassiker und Ikea-Möbel kombinieren. Doch das reichte nicht, um das Glück zu erhalten, das sie früher zusammen hatten. Es verflüchtigte sich. „Wie hatte aus all der Anwesenheit Abwesenheit werden können?“, fragt sich Jacob.
Seine Affäre ist also nur der Auslöser einer offenen Ehekrise, die unter der Oberfläche des Bilderbuch-Familienlebens schon seit Jahren wuchert wie ein Pilz. Foer umschleicht dieses Myze,l als sei es ein einzigartiges und geheimnisvolles Phänomen, doch der Leser möchte mehr als einmal während dieser 700 Seiten rufen: Habt ihr noch nie etwas von Midlife-Crisis gehört? Und davon, dass das Liebesleben in vielen Ehen nach 16 Jahren nicht mehr so aufregend ist wie im ersten? Klar, Julia, es war vielleicht ein Fehler, dass du deine Karriere den Kindern geopfert hast. Jetzt ist es schwer, wieder einzusteigen. Und Jacob, ja, in deinem Leben wird „nichts größer“, Du kämpfst nur noch darum, „dass nichts kleiner“ wird. Aber so geht es doch allen! Ihr fürchtet „die Leere, die ohne die Kinder eintrat“? Willkommen im Klub!
So altbekannt die Untiefen des mittleren Alters sind, so detailliert und authentisch sind sie hier beschrieben. Das alles hört sich so erlebt und erlitten an, dass man kaum anders kann, als dies nicht nur Foers Erzähltalent zuzuschreiben. Der Verdacht drängt sich auf, er erzähle seine eigene Geschichte. Auch Foer, der jetzt 39 ist, hat ja als Jungstar begonnen. 2002, mit 25, schrieb er den Weltbestseller „Alles ist erleuchtet“. 2005 folgte „Extrem laut und unglaublich nah“, eines der wenigen erfolgreichen 9/11-Bücher. Statt in Cleveland Park, dem Washingtoner Viertel für Familien, die ihre Hipness in die Bürgerlichkeit hinüberretten wollen, wohnt er im Brooklyner Pendant Park Slope. Auch er hat Kinder. Und auch bei ihm gab es privat Ärger. Seine in zahllosen Homestorys verklärte Glamour-Ehe mit der Schriftstellerin Nicole Krauss ging 2014 – über einer E-Mail-Affäre mit Natalie Portman – in die Brüche.
Doch die Parallelen gehen noch weiter. 2012 berichtete der Hollywood Reporter, Jonathan Safran Foer und der Schauspieler Ben Stiller planten für HBO eine Serie rund um die „täglichen und lebensverändernden Dramen einer jüdischen Familie in Washington“. Bald darauf wurde das Projekt mit dem Titel „All Talk“ eingestellt. Jetzt weiß man, was daraus wurde: Die Serie lebt in „Hier bin ich“ weiter und sie handelt von Jacobs eigener Familie. Schon seit Jahren strickt er an dieser Langzeitchronik, mit der er hofft, den Sprung vom Lohnschreiber zum Auteur zu schaffen. Foers Roman wiederum liest sich über weite Strecken wie ein Drehbuch. Das Skript der nie realisierten Serie? „All Talk“ wäre jedenfalls auch ein guter Titel für den Roman gewesen: Die Pingpong-Dialoge ziehen sich seitenlang hin. Und man hört beim Lesen fast, wie Foers Sentenzen – „Beschämung ist die Mutter aller Gefühle“ – aus dem Off gesprochen werden.
Diesen Eindruck verstärkt die Übersetzung noch, die über weite Strecken den bekannten Sound von lieblos synchronisierten Sitcoms hat, in denen Menschen immer „Ich schätze“ sagen. Doch schlimmer sind die Stilblüten und offensichtlichen Fehler: Mit dem schon im Original verqueren Satz „You’re lonely and I look like a Band-Aid“ ist etwas gemeint wie: Du bist einsam, und ich erscheine dir wie der Ausweg aus dieser Einsamkeit. Daraus wird hier, gnadenlos wörtlich übersetzt, das sinnfreie: „Du bist einsam, und ich sehe aus wie ein Heftpflaster“. „It isn’t rocket science“ heißt nicht „Ist doch keine Raketentechnik“, sondern „Ist doch nicht so kompliziert!“ Und eine „kneejerk reaction“ ist keine „kniereflexartige Antwort“, sondern eine übereilte, unüberlegte Reaktion. Maryland hat keine „Stadtverwaltung“, weil es ein Bundesstaat ist, und der „Mac Arthur Award“ ist kein „Orden“, sondern der wichtigste Preis für Künstler und Wissenschaftler in den USA.
Foers erste beide Bücher waren aus der Sicht von Kindern erzählt, Kunstkindern allerdings, die mehr sahen und zu sagen hatten als alle Erwachsenen. Foer hatte ein geschicktes Konstrukt erfunden: Er konnte mittels dieser Kinderperspektive seinen Hang zum Sentimentalen ausleben, sorgte aber mit allerlei postmodernen Tricks dafür, dass sich Kitschvorwürfe halbwegs entkräften ließen. In „Hier bin ich“, wo Foer erstmals aus der Sicht eines Erwachsenen erzählt, fehlt diese Differenz. Ego und Alter kommen zur Deckung, und statt der funkelnden Fantasie eines Kinderhirns erleben wir die allzu vertraute Larmoyanz eines Desillusionierten. Hier und dort bringt Foer noch die charmanten Ideen unter, für die er berühmt ist. Die Blochs sammeln Dinge, die innen größer sind als außen. Jacob hat sich als Kind nicht nur zum Spaß taub gestellt, sondern auch noch die Gehörlosensprache gelernt. Aber diese Ideen gehen zunehmend unter im Alltagseinerlei.
Doch wie immer bei Foer steht das Private auch hier im Schatten des Weltgeschehens. Jacob quält nicht nur seine zerbrechende Ehe, sondern auch sein ungeklärtes Verhältnis zum Judentum, eine permanente Quelle des schlechten Gewissens. Sein Urgroßvater Isaac verlor fast alle Angehörigen im Holocaust. Und auch in dieser Frage muss er sich nun bekennen: Es beginnt mit der Bar-Mizwa seines ältesten Sohns Sam, die nun vielleicht abgesagt wird, weil er mit rassistischen Sprüchen in der Schule auffiel. Dann kommt sein Cousin Tamir zu Besuch nach Washington und verlangt Loyalitätssignale für Israel.
Und weil das nicht reicht, greift Foer zum bewährten Theatertrick, dem deus ex machina. Er lässt in Israel die Erde beben, macht 20 Millionen Menschen zu Flüchtlingen und beschwört – hart an der Grenze zur Geschmacklosigkeit – einen apokalyptischen Konflikt herauf, gegen den sich der Syrienkrieg ausnimmt wie eine Wirtshausschlägerei. Jacob sieht in der drohenden Apokalypse vor allem die willkommene Gelegenheit, sich endlich als Mann und Jude zu beweisen. Nicht nur Julia verliert hier die Geduld mit ihm.
Mit Ben Stiller arbeitete
er an einer Serie für HBO,
das Projekt scheiterte
Elf Jahre hat Jonathan Safran Foer keinen Roman veröffentlicht.
Foto: Natan Dvir/Polaris/laif
Jonathan Safran Foer:
Hier bin ich. Roman.
Aus dem Englischen von Henning Ahrens. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016. 688 Seiten, 26 Euro. E-Book 22,99 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Eine lange Kritik, die Eva Behrendt da verfasst hat. Viel Licht wirft sie aber nicht auf diesen Roman. Vordergründig geht es um einen jüdisch-amerikanischen Schriftsteller, der mit Frau und zwei Kindern in Washington DC lebt und dessen Ehe auseinanderbricht. Und dann gehts um die Weltlage, ein Erdbeben im Nahen Osten. Beide Erzählstränge dienen, wenn man Behrendt richtig liest, vor allem dazu, die Identität des Autors zu schärfen, der ewig unentschlossen, abschweifend, kreisend eine Selbstbestimmung anstrebt. Inwiefern das gelingt, bleibt offen. Aber die totale Konzentration auf das eigene Ich, die Behrendt da beschreibt, klingt in ihrer Rezension doch sehr abtörnend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Zauberhafte Dialoge, die extrem klug und unglaublich absurd sind. Ein todkomisches Buch.« myself