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In Annette Pehnts Kinderbuch "Hieronymus oder Wie man wild wird" hat ein kleiner Waschbär eine große Bitte
Beim ersten Blick auf die Konstellation dieses Buchs ahnt nicht nur der erwachsene Leser schon, worauf die Geschichte hinauslaufen wird. Umso angenehmer ist die Überraschung, wie feinsinnig Annette Pehnt in "Hieronymus oder Wie man wild wird" von dem Erwartbaren abweicht.
Luki lebt allein bei seiner Mutter. Er weiß genau, dass sie es gut meint, wie er es ihr recht macht und ihr aus dem Weg geht, wenn ihr etwas missfallen könnte. Die Lehrerin findet, der Junge bringe "schon so viel mit, kein Wunder, wenn er sich in der Schule langweilt". Für die Klassenkameraden ist er "Lukas, das Schul-Ass" oder "Luki-Schnucki". Richtige Freunde hat er keine, dafür einen ausgemachten Widersacher: Paul, mit dem Luki zu allem Überfluss nicht nur in eine Klasse, sondern auch noch zum Judo-Training geht.
Als eines schönen Tages unvermittelt ein Waschbär bei Luki im Vorgarten steht, werden die eingeübten Routinen des Jungen - seine Leisetreterei, sein Weghören, wenn er verspottet wird, sein Rückzug, wenn ihm alles zu viel wird - in Frage gestellt. Denn der Waschbär hat ein Problem, das dem des Jungen gar nicht so unähnlich ist: Seine Geschwister, die im Unterschied zu Hieronymus richtige Waschbärennamen haben, finden, ihr Bruder müsse wilder werden oder gleich ganz zu den Menschen gehen, die ihn doch so interessieren: "Die sollen mich füttern oder an die Leine nehmen. An die Leine! Wie einen Hund", klagt er dem überraschten Jungen sein Leid.
Zwei ungleiche Leidensgenossen also mit einem ähnlichen Ziel bietet Annette Pehnt in ihrem neuen Kinderbuch auf: Projekt Verwilderung - den Klassenkameraden, der eigenen Mutter und den anderen Waschbären werden sie es schon zeigen! Könnte man erwarten. Nur dass die Autorin zu gewitzt und feinfühlig ist, um diese einfache Rechnung aufgehen und Luki und Hieronymus ihre Probleme mit den schlichten Möglichkeiten selbstgebastelter Verhaltenstherapie lösen zu lassen. Im Gegenteil: Gerade dadurch, dass Lukas im Bemühen um das höfliche Tier mit den guten Manieren und dem scharfen Geruch von seinen eigenen Bedürfnissen, vor allem aber von seinen eigenen Einschränkungen und Ängsten absieht, wächst der Junge langsam, Schritt für Schritt über sich hinaus. Und er erkennt, dass Gleichaltrige, schließlich aber auch seine Mutter ihm den Platz durchaus zugestehen, den er zum Besten seines pelzigen Freundes beansprucht, ohne es selbst recht zu merken.
Kati, die Tochter von Freunden der Mutter, kommt als Erstes darauf. Und auch wenn Luki sonst nie recht etwas mit ihr und den Notverabredungen anzufangen weiß, die seine Mutter für ihn trifft, wenn sie mal wieder zu wenig Zeit und ein zu großes schlechtes Gewissen hat, erweist sich Kati als nachsichtig, pragmatisch und einfallsreich - bei der Wahl eines neuen Namens für Hieronymus ebenso wie beim Erstellen eines Wildheitsplans, der den Waschbären als Erstes zum Training in den Zoo führt: "Da kannst du ein bisschen mit deinen Kollegen üben, und wenn du wild genug bist, holen wir dich raus und bringen dich wieder zu deiner Familie."
Kein ganz einfacher Plan. Daran, dass er scheitert, ist nicht zuletzt Hieronymus selbst schuld. Und daran, dass schließlich doch noch alles gut wird, sogar noch etwas besser als erhofft, haben auch Paul und Wolfram ihren Anteil. Der Klassenkamerad kann nämlich nicht nur piesacken, und der Bekannte, mit dem Luki seine Mutter als Erstes zufällig beim Eisessen in der Stadt beobachtet, ist nicht nur dazu gut, die Mutter abzulenken. Gemeinsam mit ihr wiederum gelingt Luki eigentlich das größte Wunder dieser kleinen, klaren, schönen Geschichte: sich aus der gegenseitigen Umklammerung einer Alleinerziehenden und ihres Kindes zu lösen, die Halt und Schutz gibt, aber Entwicklung oft erschwert.
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Annette Pehnt: "Hieronymus oder Wie man wild wird."
Bilder von Henrike Wilson. Hanser Verlag, München 2021. 128 S., geb., 13,- [Euro]. Ab 8 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
"Das Buch überzeugt durch Empathie, Feinsinnigkeit und Spannung. ... Ein wirklich mitreißendes Plädoyer dafür, andere einfach so sein zu lassen, wie sie sind." Susanne Birkner, NDR Kultur, 16.7.2021
"Eine lustige, kleine Geschichte von zwei sehr unterschiedlichen Freunden, die wissen, was sie aneinander haben und die verstehen: So wie wir sind, ist das völlig in Ordnung." Britta Selle, MDR KULTUR, 25.2.2021
"Der Kinderroman ... erzählt von Mut und davon, dass auch sprechende Tiere ihre eigenen Bedürfnisse haben. Ein sehr warmherziges und witziges Buch ..., das ich Ihnen empfehlen möchte." Dina Metz, Deutschlandfunk, 19.6.2021
"Beim ersten Blick auf die Konstellation dieses Buches ahnt nicht nur der erwachsene Leser schon, worauf die Geschichte hinauslaufen wird. Umso angenehmer ist die Überraschung, wie feinsinnig Annette Pehnt von dem Erwartbaren abweicht. ... gewitzt und feinfühlig ... ." Fridtjof Küchemann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.05.2021
"Meine Lieblingsstelle im Buch war, als Hieronymus sich Gemüse aus dem Kühlschrank von Lukis Familie gemopst hat. ... Die Bilder im Buch sind auch sehr witzig. Hieronymus sieht sooo niedlich aus, als er bei Luki ans Fenster klopft." Pia (8 Jahre), ZEIT LEO, 03/2021